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Bundestag debattiert Fluggastdatensammlung (11.04.2008) Print E-mail

Am 10.04.2008 debattierte der Deutsche Bundestag in erster Lesung Anträge von FDP und Grünen, die sich gegen den Entwurf der EU-Kommission zur Vorratsspeicherung sämtlicher Fluggastdaten aussprechen. Die Debatte ist auf Heise News zusammengefasst, kann aber auch als Video betrachtet oder in voller Länge gelesen werden.

Mit dem Vorhaben werden sich nun verschiedene Ausschüsse des Bundestags beschäftigen:

  • der Innenausschuss (federführend)
  • der auswärtige Ausschuss (am 09.04.2008)
  • der Rechtsausschuss
  • der Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
  • der Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
  • der Ausschuss für Tourismus
  • der Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union

Anschließend wird der Bundestag eine Entscheidung fällen. SPD, CDU und CSU haben die Möglichkeit, der Bundesregierung verbindliche Vorgaben für ihre Verhandlungen und Abstimmung in den EU-Gremien zu machen.

Der Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung fordert, dass die Bundesregierung die Verhandlungen über das schon in seinem Grundansatz menschenrechtswidrige Vorhaben einer europäischen Vorratsspeicherung von Flugpassagierdaten sofort abbrechen muss. Andernfalls werden wir Verfassungsbeschwerde erheben.

Die Bundestagsdebatte vom 10.04.2008 im Volltext

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:

Jetzt rufe ich die Tagesordnungspunkte 7 a und 7 b auf:

a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ernst Burgbacher, Gisela Piltz, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP

Vorschlag für einen Rahmenbeschluss des Rates über die Verwendung von Fluggastdatensätzen zu Strafverfolgungszwecken – Drucksache 16/8115

Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss (f)
Auswärtiger Ausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für Tourismus
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union

b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Silke Stokar von Neuforn, Volker Beck (Köln), Monika Lazar, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Keine Speicherung von EU-Fluggastdaten – Drucksache 16/8199

Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss (f)
Auswärtiger Ausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für Tourismus
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union

Es ist verabredet, hierzu eine halbe Stunde zu debattieren, wobei die FDP-Fraktion sechs Minuten erhalten soll. – Dazu höre ich ebenfalls keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne jetzt die Aussprache und erteile dem Kollegen Ernst Burgbacher für die FDP-Fraktion das Wort. (Beifall bei der FDP)

Ernst Burgbacher (FDP):

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Vizepräsident des Bundesverfassungsgerichts, Winfried Hassemer, hat es in aller Klarheit gesagt: Wir erleben den Niedergang der Privatheit. (Beifall des Abg. Uwe Barth [FDP])

Der Staat ist zum größten Datensammler der Republik aufgestiegen und schafft immer neue Möglichkeiten, persönliche Daten seiner Bürgerinnen und Bürger zu erfassen und zu verwenden. Ist es zumutbar, dass für Millionen Menschen gespeichert wird, wohin sie reisen, wo sie wohnen, welches Reisebüro sie nutzen, welche Kreditkarte zur Zahlung eingesetzt wurde, wie die Kontonummer lautet, ob sie allein fliegen oder ob sie jemanden mitnehmen und wen, wie und wo sie erreichbar sind und sogar, welche Essenswünsche sie haben?

(Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Den 11. September haben Sie schon mitgekriegt?)

Für uns geht es schlicht zu weit, wenn jetzt auf europäischer Ebene Fluggastdaten auch noch zum Zweck der Strafverfolgung gesammelt und ausgewertet werden sollen. Damit sind alle Grenzen überschritten. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Die FDP-Bundestagsfraktion hat bereits das Abkommen zwischen der EU und den USA über die Weitergabe von Flugpassagierdaten als erheblichen Einschnitt in den Datenschutz kritisiert. Auch der aktuelle Vorschlag für einen Rahmenbeschluss stellt einen erheblichen Eingriff in das Grundrecht jedes Einzelnen dar, „grundsätzlich selbst über die Preisgabe und Verwendung seiner persönlichen Daten zu bestimmen“. Das ist eine Formulierung aus einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 1983, in dem es das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung konkretisierte. Gerade in seinen jüngsten Entscheidungen hat das Bundesverfassungsgericht den Datenschutz gestärkt und der übermäßigen Datensammelwut in unserem Land zum Glück erneut einen Riegel vorgeschoben. (Beifall bei der FDP)

Auch der Europäische Gerichtshof hat bereits im Jahr 2000 klargestellt, dass außerhalb statistischer Zwecke ein striktes Verbot der Sammlung personenbezogener Daten auf Vorrat besteht.

Völlig unverständlich sind für mich in diesem Zusammenhang Kommentare von Mitgliedern der Bundesregierung zu Urteilen des Bundesverfassungsgerichts, wonach das Einkassieren von Gesetzen durch das Gericht nichts Ungewöhnliches sei. (Uwe Barth [FDP]: Unglaublich!)

Diese Äußerungen zeugen von einem für mich unfassbaren Selbstverständnis, mit dem die Mitglieder der Bundesregierung ihre eigene Arbeit beurteilen. (Uwe Barth [FDP]: Selbstüberschätzung!)

Dies kann und dies darf nicht der Anspruch an die Gesetzgebung sein. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos])

Die zu beachtende Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, die Verhältnismäßigkeit der Maßnahme, die Rechtsgrundlage für den Rahmenbeschluss und der Nutzen der vorgeschlagenen Maßnahmen im Hinblick auf eine Verbesserung der Terrorismusbekämpfung bestimmen den Handlungsrahmen. Der EU-Rahmenbeschluss, um den es heute geht, fällt völlig aus diesem Handlungsrahmen heraus und ist deshalb schlichtweg nicht akzeptabel.

EU-Kommissar Frattini hat angekündigt, dass eine Evaluierung der Abkommen zwischen der EU und den USA sowie der EU und Kanada im Laufe des Jahres 2008 erfolgen soll. Im Hinblick darauf verstehen wir überhaupt nicht, warum der EU-Rahmenbeschluss jetzt erfolgen soll und man diese Evaluierung nicht abwartet.

Wir fordern die Bundesregierung auf, dem EU-Rahmenbeschluss schlichtweg nicht zuzustimmen, bevor die Ergebnisse dieser Evaluierung vorhanden sind. (Beifall bei der FDP sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos])

Wir ahnen, dass die Maßnahmen sich als untauglich erweisen werden. Wir haben noch kein einziges Mal belastbare Hinweise dazu bekommen, was die bisherige Flugpassagierdatenübermittlung und -speicherung für die Sicherheit eigentlich bringt.

Ich freue mich sehr – das geht an die Adresse des Bundesjustizministeriums –, dass die Ministerin Frau Zypries offensichtlich ebenso denkt. Ihre Aussage, dass die Datenerfassung und -speicherung im Rahmen der PNR-Datenerfassung – Zitat – „ein zu großer Schritt hin zu einem Präventionsstaat“ sei, unterstütze ich ausdrücklich.

Es wäre allerdings wünschenswert gewesen, wenn Frau Zypries diese Bedenken schon zu Zeiten der rot-grünen Koalition geäußert hätte. (Beifall bei der FDP sowie des Abg. Jan Korte [DIE LINKE])

Aber damals war leider Pause. Es geht doch nicht an, dass sie jetzt, da der Innenminister einer anderen Fraktion angehört – auch EU-Kommissar Frattini gehört ja den Konservativen an –, ihre Bedenken äußert. Das ist unglaubwürdig. (Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Sehr richtig!)

Erstaunlich ist übrigens auch, dass die Grünen in drei Jahren eine Wandlung vom Saulus zum Paulus durchgemacht haben. Jetzt nehmen sie im Hinblick auf die Antiterrorgesetze, die von Schröder und Fischer auf europäischer Ebene vorangetrieben wurden, plötzlich eine völlig andere Position ein. (Silke Stokar von Neuforn [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Unsinn!)

Damals hätten Sie einiges verhindern können. Aber Sie haben überall gekuscht und nichts verhindert.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Silke Stokar von Neuforn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sagen Sie doch auch mal etwas zu Ihrem Innenminister Wolf aus NRW! Wer hat denn die Grundlagen für die Onlinedurchsuchung in Deutschland geschaffen? Für die Onlinedurchsuchung ist doch die FDP verantwortlich!)

– Die Grundlagen dafür wurden unter Ihrer Regierung gelegt. Das müssen Sie sich schon sagen lassen.

(Silke Stokar von Neuforn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist ja unglaublich, was Sie da sagen! – Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Das war ein Treffer!)

– Wie ich sehe, sind Sie getroffen,

(Silke Stokar von Neuforn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich bin nicht getroffen! Aber wenn Sie hier einen solchen Unsinn reden!)

und zwar zu Recht; das ist völlig klar. (Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Sehr richtig!)

Meine Damen und Herren, das Bild vom gläsernen Bürger wird immer deutlicher. Der europäische Raum der Freiheit und des Rechts entwickelt sich durch diese Maßnahmen immer mehr zu einem Raum der Überwachung. Die FDP-Bundestagsfraktion wird diesen Weg nicht mitgehen. Der Staat muss die Sicherheit seiner Bürgerinnen und Bürger schützen, erst recht in Zeiten der Bedrohung durch den internationalen Terrorismus. Aber nicht jede Maßnahme ist durch die Überschrift „Terrorismusbekämpfung“ zu rechtfertigen. (Beifall bei der FDP)

Dies gilt national und auf europäischer Ebene. Deshalb fordere ich Sie auf: Nehmen Sie die Bedenken der Datenschützer ernst! Stimmen Sie unserem Antrag, der sehr ausgewogen ist, zu! Ich bitte Sie herzlich darum. (Beifall bei der FDP)

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:

Für die Bundesregierung spricht jetzt der Herr Parlamentarische Staatssekretär Dr. Christoph Bergner. (Beifall bei der CDU/CSU)

Dr. Christoph Bergner, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister des Innern:

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Sicherheit und Freiheit, Sicherheit und Datenschutz gehören zusammen. Sie bedingen einander. Jeder Vorschlag ist daran zu messen, ob er diese beiden für ein demokratisch und rechtsstaatlich geordnetes Gemeinwesen grundlegenden Werte richtig ausbalanciert.

Herr Kollege Burgbacher, es ist in der Tat so, dass der Ministerrat bereits im Jahr 2004 an die Europäische Kommission herangetreten ist und die Bitte geäußert hat, sie möge einen Rahmenbeschluss über die Verwendung von Fluggastdatensätzen, sogenannten PNR-Daten, zu Strafverfolgungszwecken vorlegen. Das war im Jahr 2004. Jetzt ist die Kommission dieser Bitte nachgekommen.

Wir haben zunächst einmal festzustellen, dass die Nutzung dieser Daten ein wichtiges Instrument zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus oder anderer schwerer Straftaten wie organisierter Kriminalität, etwa durch retrograde Verfolgung früheren Täterverhaltens, darstellen kann. Eine EU-weite Regelung würde ermöglichen, dass sich die einzelnen mitgliedstaatlichen Behörden diese Daten einander im Bedarfsfall zur Verfügung stellen. Das Bundesministerium des Innern hat daher schon in der 15. Legislaturperiode – auch hier muss ich Wert auf den Zeitpunkt legen – die Schaffung eines gemeinsamen europäischen PNR-Systems als grundsätzlich erstrebenswert angesehen.

(Ernst Burgbacher [FDP]: Damals hat auch die Ministerin noch zugestimmt!)

Die nähere Ausgestaltung des Rahmenbeschlusses bedarf aber noch sorgfältiger, auch verfassungsrechtlicher Prüfung und fachlicher Erörterung, die gegenwärtig zwischen den Mitgliedstaaten und innerhalb der Bundesregierung erfolgen. Am Ende der Verhandlungen muss ein Rahmenbeschluss stehen, der den verfassungsrechtlichen Anforderungen entspricht und die datenschutzrechtlichen Standards der Europäischen Union und der Mitgliedstaaten erfüllt – ich denke, daran dürfte kein Zweifel bestehen –, aber auch die Interessen betroffener Luftfahrtunternehmen angemessen wahrt. Die Kommission hat zur Erleichterung einer Prüfung der Geeignetheit und Erforderlichkeit des Vorschlages zugesagt, die Erfahrungen, die in den USA und im Vereinigten Königreich bei der Verwertung von PNR-Daten gewonnen wurden, im Einzelnen darzulegen und die Wirkungsweise der im Entwurf vorgesehenen Risikoanalyse zu erläutern. Auch das steht noch aus.

Gestatten Sie mir in diesem Zusammenhang ein Wort zu den sogenannten API-Daten und zur Abgrenzung dieser Daten von den PNR-Daten, um die es bei dem heute diskutierten Vorschlag der Kommission geht; die Kollegen von der FDP haben ja in ihrem Antrag auf diese Frage ausdrücklich Bezug genommen, und auch der Bundesrat hat sich hierzu geäußert.

API-Daten – API steht für „Advanced Passenger Information“ – werden seit dem 1. April dieses Jahres im Zuge der Umsetzung einer EU-Richtlinie durch das Bundespolizeigesetz erhoben.

Die Übermittlungspflicht des Luftfahrtunternehmens besteht nur im Einzelfall auf konkrete Anordnung der Bundespolizei bei Flügen über die Schengen-Außengrenzen in das Bundesgebiet. Die Bundespolizei wird sich hierbei zunächst auf einige wenige Flugrouten beschränken. Bei den API-Daten handelt es sich nicht wie bei den PNR-Daten um Buchungsdaten, sondern vorwiegend um Passdaten, die das Luftfahrtunternehmen aus den von Fluggästen mitgeführten Dokumenten zu erheben hat.

Schließlich ist das Ziel der API-Datenerhebung die Verfolgung grenzpolizeilicher Zwecke; ermöglicht werden soll ein vorgezogener INPOL/SIS-Abgleich zwecks Fahndung und Prüfung der Einreisevoraussetzungen. Gespeichert werden die API-Daten lediglich 24 Stunden. Sie werden erkannt haben, dass hier fein unterschieden werden muss.

Der Europaabgeordnete Manfred Weber, der bekanntlich der EVP-Fraktion angehört, hat kürzlich in einem Zeitungsinterview die Datensammelwut der EU kritisiert und sich dabei ausdrücklich auch auf die hier debattierte Fluggastdatensammlung bezogen. (Silke Stokar von Neuforn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist Teil meiner Rede!)

Manche Vorschläge der Kommission auf dem Feld der Terrorismusbekämpfung griffen, so Weber, zu weitgehend in das Grundrecht des Bürgers auf informationelle Selbstbestimmung ein. Er hat die Bundesregierung aufgefordert, für eine verhältnismäßige Ausgestaltung dieser Vorschläge zu sorgen. (Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Das macht sie jetzt auch!)

Auch wenn der Bundesrat in seinem Beschluss vom 15. Februar dieses Jahres zum PNR-Vorschlag der Kommission das Fehlen eines Gleichgewichts zwischen der Wahrung der Freiheitsrechte und dem Schutz der öffentlichen Sicherheit bemängelt und vor einem erheblichen Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung gewarnt hat, hat er zugleich das mit dem Rahmenbeschluss verfolgte Anliegen geteilt, EU-weite Maßnahmen zur Bekämpfung von Terrorismus und organisierter Kriminalität zu entwickeln. Der Bundesrat hat besonders die Absicht der Kommission unterstützt, zu diesem Zweck einheitliche Handlungsvorgaben zu erarbeiten, die ein hohes Maß an Sicherheit in den Mitgliedstaaten gewährleisten.

Sie werden mir sicher zustimmen, dass der internationale Terrorismus, die organisierte Kriminalität und die illegale Migration zunehmend eine Bedrohung unserer Sicherheit darstellen. Die Bürgerinnen und Bürger erwarten gerade in diesen Fragen Antworten von Europa. Niemand will dauernd in Angst um Leib und Leben, um Hab und Gut leben müssen. Der Bundesinnenminister hat daher immer wieder darauf hingewiesen, dass bei der Gestaltung und Stärkung des gemeinsamen Raumes der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts der Bekämpfung von Terrorismus und Kriminalität eine herausragende Bedeutung zukommt.

Meine Damen und Herren, lassen Sie mich in diesem Zusammenhang ein Wort zu dem Vorschlag sagen, den die Kommission am 6. November 2007 vorgelegt hat und der auf die Verhütung und Bekämpfung von terroristischen Straftaten und von Straftaten aus dem Bereich der organisierten Kriminalität ausgerichtet ist; diese Themen haben ja auch den Beitrag von Herrn Burgbacher bestimmt. Die Diskussion über die nähere Ausgestaltung des Vorschlages – unter Einbeziehung verfassungsrechtlicher und rechtsstaatlicher Aspekte – hat gerade erst begonnen. Die Diskussionen in den Brüsseler Gremien lassen auch in den anderen Mitgliedstaaten insbesondere zu den Fragen des Datenschutzes einen großen Diskussionsbedarf erkennen.

Eine Entscheidung auf europäischer Ebene wird zudem frühestens 2009 zustande kommen. Das heißt, nach dem erwartungsgemäßen Inkrafttreten des EU-Reformvertrages wird das Europäische Parlament mitentscheidend zu beteiligen sein. Auch dadurch wird gewährleistet, dass der Vorschlag auf eine breite Grundlage gestellt wird, da er nur auf einer solchen breiten Grundlage realisiert werden kann.

Meine Damen und Herren, wie ich eingangs schon sagte, gehören Sicherheit und Freiheit sowie Sicherheit und Datenschutz zusammen; sie bedingen einander. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt kann ich Ihnen von dieser Stelle aus nur versichern, dass wir uns auf europäischer Ebene mit Nachdruck für einen Rahmenbeschluss einsetzen werden, durch den das Gleichgewicht zwischen Sicherheits- und Datenschutzinteressen gewahrt wird. Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:

Jan Korte spricht jetzt für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN)

Jan Korte (DIE LINKE):

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich kann, was nicht oft vorkommt, direkt bei Staatssekretär Bergner anfangen und möchte noch einmal kurz auf das zitierte Interview des EVP-Kollegen Manfred Weber eingehen. Herr Bergner, um ganz genau zu sein: Er ist Mitglied der CSU. Die Süddeutsche Zeitung fragte ihn – ich zitiere –:

Ist Innenminister Wolfgang Schäuble zu willfährig gegenüber der EU? Im Gegensatz zu seiner Kollegin Brigitte Zypries hat er sich mit keinem Wort gegen die Vorschläge Frattinis gewandt.

Antwort von Manfred Weber, CSU – man kann es nicht oft genug betonen –:

Schäuble und Zypries sind beide in der Pflicht. Frattini – das ist übrigens ein Kumpel von Berlusconi, für den er gerade Wahlkampf macht; das ist aber ein anderes Thema – kann nur vorschlagen, beschließen müssen die Innen- und Justizminister der EU-Länder. Auch Zypries muss sich fragen lassen, warum sie die vielen Beschlüsse im Rat zur Datensammlung bisher mitgetragen hat. Die deutsche Regierung muss sich gegen die EU-Vorschläge in der jetzigen Form wenden. Sie sind unverhältnismäßig.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Das sagt Manfred Weber von der CSU. Als geneigter, konstruktiver Oppositionspolitiker fragt man sich natürlich, wie schlimm eigentlich die Situation der Bürgerrechte in Europa und der Bundesrepublik ist, wenn das jetzt schon ein CSU-Europaabgeordneter sagt.

(Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Ihr seid so schwach! Wir machem die Opposition gleich mit!)

Wir sind schon so weit gekommen, dass wir jetzt mit der CSU eine Front für die Bürgerrechte aufbauen müssen. Ich finde, das ist mehr als bedenklich.

(Beifall bei der LINKEN – Silke Stokar von Neuforn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Er will auch in Bayern Schwarz-Grün!)

Worum geht es? Es ist ja nicht das erste Mal, dass wir diese Frage hier diskutieren. Vor kurzem haben wir über das Abkommen mit den USA hinsichtlich der Fluggastdatenübermittlung gesprochen. Seit Vereinbarung dieser Fluggastdatenübermittlungen gab es mehrere wirklich skandalöse und schlimme Einzelfälle, bei denen völlig unschuldige Leute aufgrund dieser Fluggastdatenübermittlungen in die Mühlen der US-Geheimdienste geraten sind. Ich finde, auch das müsste uns zu denken geben. Mehr Sicherheit vor Anschlägen hat es nicht gegeben. Das ist zumindest nirgendwo zu lesen – auch nicht auf Anfragen hin. (Beifall bei der LINKEN)

Der eigentliche Skandal ist, dass nicht nur die Fluggastdaten von irgendwelchen Menschen, die sich verdächtig gemacht haben oder gegen die ermittelt wird, gespeichert werden sollen, sondern von allen Bürgerinnen und Bürgern in der Europäischen Union, und zwar ohne jeden Tatverdacht. Das ist der Paradigmenwechsel. Das kann doch nicht sein und ist nicht hinnehmbar.

Ganz praktisch bedeutet das, dass die 19 Datensätze – darunter E-Mail – Anschrift, Telefonnummer, Kreditkartennummer, Hotel- und Mietwagenbuchungen – nicht nur für ein halbes Jahr – ich weiß nicht, was dort gerade sonst noch diskutiert wird –, sondern, wie vorgesehen, für 13 Jahre gespeichert werden. Was bedeutet das ganz praktisch? Das bedeutet ganz praktisch beispielsweise, dass die Dienste oder andere Ermittlungsbehörden voll und lückenlos alles nachvollziehen können: den Gang ins Reisebüro, wenn ich buche, den Beginn meiner Reise, wohin in fliege, in welches Hotel ich gehe, ob ich einen Mietwagen miete usw. Es kann doch wohl nicht im Sinne einer demokratischen Europäischen Union sein, dass so etwas lückenlos nachvollzogen werden kann. Das kann nicht sein, und es geht im Übrigen niemanden etwas an, wohin ich fahre und wo ich Urlaub mache. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Silke Stokar von Neuforn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und mit wem auch nicht!)

Verehrte Kollegin Stokar, man muss deutlich sagen: Das war übrigens auch schon eine Strategie von Innenminister Schily. (Silke Stokar von Neuforn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Bin ich Schily?)

Auch bei den Ausweispapieren mit biometrischen Daten haben diese und auch die letzte Bundesregierung die Europäische Union dazu benutzt, massive Einschränkungen von Grund- und Freiheitsrechten auf der europäischen Ebene anzuleiern, weil sie sie im einfachen Verfahren hier in der Bundesrepublik nicht durchbringen konnten. (Beifall bei der LINKEN)

Insofern wird hier über Bande gespielt. Genau das Gegenteil von dem, was Sie eben ausgeführt haben, lieber Staatssekretär Bergner, ist der Fall.

Auch die Linke würde sich freuen, wenn die Bundesregierung das Gegenteil tun würde, nämlich auch auf europäischer Ebene zu versuchen, einen hohen Datenschutzstandard zu erreichen und die Grund- und Freiheitsrechte zu wahren. Das wünschen wir uns, und das würden wir auch sofort unterstützen. (Beifall bei der LINKEN)

Gestatten Sie mir eine letzte Anmerkung. Das gesamte Ausmaß auch dieser Maßnahme wird erst dann deutlich, wenn man die Vorratsdatenspeicherung, die auch auf europäischer Ebene initiiert wurde, die biometrischen Merkmale, den Austausch von Gendateien und vor allem alle technischen Möglichkeiten, diese Dateien miteinander zu verbinden, mitberücksichtigt. Das ist ein wahres Panoptikum hin zu einem autoritären Überwachungsstaat in Europa, den wir nicht wollen.

(Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Das haben wir in Deutschland zum Teil auch genug gehabt! Da reden die Experten für den Überwachungsstaat!)

Deshalb werden wir weiter dagegen Krawall schlagen. Schönen Dank. (Beifall bei der LINKEN)

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:

Der Kollege Wolfgang Gunkel hat jetzt das Wort für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD)

Wolfgang Gunkel (SPD):

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir debattieren heute erneut über die PNR-Daten, die sogenannten Fluggastdaten. Diesmal steht jedoch kein Abkommen zwischen den Vereinigten Staaten und der Europäischen Union, sondern der Vorschlag eines Rahmenbeschlusses des Europäischen Rates zur Diskussion. Dieser sieht vor, die Fluggastdaten aller Reisenden zwischen Europa und den Nicht-EU-Staaten auf Vorrat in Datenbänken zu erfassen, sie zur Strafverfolgung von Terrorismus sowie organisierter Kriminalität auszuwerten und 13 Jahre lang zu speichern, und zwar ohne dass gegen die Flugreisenden der Verdacht einer Straftat oder ein Gefahrenverdacht vorliegen muss.

19 Datensätze wie Name, Anschrift, Kreditkartennummer, Telefonnummer, E-Mail-Anschrift, Beteiligung an Vielflieger-Bonusprogrammen, Hotel- oder Mietwagenbuchungen und vieles mehr sollen erfasst, gespeichert und ausgewertet werden. Dies geht weit über das hinaus, was man für eine ordnungsgemäße Strafverfolgung benötigt, weil es sich um Daten handelt, die den persönlichen Bereich der Betroffenen berühren. Die heute vorliegenden Anträge der FDP und der Grünen stützen sich im Wesentlichen auf die Stellungnahme des Bundesrates vom 15. Februar 2008, in der einige Punkte kritisiert werden.

Erstens sieht der Bundesrat das in letzter Zeit viel diskutierte Verhältnis zwischen der Wahrung der Freiheitsrechte und dem Schutz der öffentlichen Sicherheit nicht in ausreichendem Gleichgewicht.

Zweitens stellt die Erhebung der PNR-Daten einen Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung dar. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 1983 wurde bereits von dem Kollegen Burgbacher erwähnt.

Drittens wird gegen eines der Grundprinzipien des Datenschutzes verstoßen: Der Grundsatz der Zweckbindung wird nicht gewahrt. Danach dürfen personenbezogene Daten nur für bereichsspezifisch und präzise festgelegte Zwecke gespeichert und im Rahmen dieser Zwecke verwendet werden.

Viertens rügt der Bundesrat, dass die Speicherungsdauer von 13 Jahren die in Deutschland allgemein übliche Regelfrist für polizeiliche Speicherungen weit überschreitet. Damit wird sie als unvereinbar mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit angesehen.

Diese vom Bundesrat vorgetragenen Punkte sind von erheblicher Bedeutung, da die CDU/CSU dort bekanntlich mit elf Ministerpräsidenten vertreten ist. Man kann also nicht davon sprechen, dass dies ausschließlich auf SPD-Regierungen zurückzuführen ist.

Der Vorschlag für den Rahmenbeschluss enthält außerdem keine Möglichkeit für die betroffenen Bürger, Auskunft über zu ihrer Person gespeicherte Daten sowie zur Berichtigung oder Löschung falscher oder fehlerhaft übermittelter Daten zu erlangen. Auch das ist ein Manko, das den Datenschutzbestimmungen kaum entsprechen dürfte.

Ein weiterer Grund für die Ablehnung des Vorschlags ist, dass ein Instrument zur Bekämpfung des Terrorismus für alle in Europa von großer Bedeutung ist, wenn die im Schengener Abkommen festgesetzten Grenzen wegfallen.

Herr Staatssekretär Dr. Bergner hat bereits die API-Dateien erwähnt, die von der Bundespolizei zur Grenzsicherung erhoben werden. Diese API-Dateien sind – auch darauf hat er hingewiesen – am 1. April dieses Jahres in Kraft gesetzt worden. Damit ist nach vierjähriger Dauer die EU-Richtlinie in nationales Recht umgesetzt worden.

In der API-Datei sind folgende Daten enthalten: Familienname, Vorname, Geburtsdatum, Geschlecht, Staatsangehörigkeit, Nummer und Art des mitgeführten Reisedokuments, Nummer und ausstellender Staat des erforderlichen Aufenthaltstitels oder Flughafentransitvisums, die für die Einreise in das Bundesgebiet vorgesehene Grenzübergangsstelle, die Flugnummer, die planmäßige Abflugs- und Ankunftszeit, der ursprüngliche Abflugsort sowie die gebuchte Flugroute, soweit sie sich aus den vorgelegten oder vorhandenen Buchungsunterlagen ergibt.

Das ist doch schon allerhand. Anhand dieser erfassten Daten kann man sehr wohl nachvollziehen, ob sich Leute in der EU illegal bewegen und ob sie möglicherweise etwas Böses im Schilde führen. Die Daten werden nach 24 Stunden gelöscht. Das entspricht den Vorschriften, die man üblicherweise zu beachten hat, wenn gegen die Betreffenden nichts weiter vorliegt. (Zuruf von der LINKEN: Genau!)

In diesem Zusammenhang bleibt festzuhalten, dass der sogenannte Frattini-Vorschlag dazu dient, das Ganze ohne Beteiligung des Europäischen Parlaments zu beschleunigen. Die SPD-Bundestagsfraktion hatte schon beim Abkommen über die PNR-Fluggastdaten mit den Vereinigten Staaten große Bauchschmerzen. Aber es gab keinen anderen Weg, wenn man nicht den Verlust des Datenschutzes riskieren wollte. Das haben wir im Falle der USA mit Mühe und Not hingenommen, weil es keine Alternative gab. Hier gibt es aber eine Alternative. Sie besteht darin, den Frattini-Vorschlag in nächster Zeit außer Kraft zu setzen, indem man im Rahmen der EU weiterverhandelt.

Wie ich auf der Arbeitsebene erfahren habe, will das Bundesministerium des Innern auch so verfahren. Es gibt also Hoffnung, dass das in dieser Form nicht verabschiedet wird.

(Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Es wird alles gut!)

Ich sage zu Ihrer Ehrenrettung: Das ist auch korrekt. Das darf man dabei nicht vergessen. Auf diese Art und Weise wird es ein wenig Bewegung geben, zumal der Vertrag von Lissabon am 1. Januar 2009 in Kraft tritt. Dann wird das Europäische Parlament weitaus mehr Rechte erhalten. Wenn es sich dann mit diesem Thema erneut befasst, wird es mit Sicherheit einen anderen Rahmenbeschluss geben.

Es bleibt festzuhalten: Herr Frattini, der nach meiner Meinung mit seinen Maßnahmen sehr weit danebenliegt, hat nicht nur die Überwachung von Flugpassagieren gefordert, sondern auch die Erfassung der Daten von Schiffsreisenden und Zugreisenden. (Zuruf von der SPD: Fahrradfahrer!)

Wenn man das alles erfassen will, hat man einen Datenmoloch. Ich frage mich, warum wir den Schengen-Raum überhaupt erweitert haben, wenn wir quasi durch die Hintertür die Grenzen ziehen wollen, die wir gerade vorne abgebaut haben. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Ich kann mich dem Vorschlag des Rates in dieser Form nicht anschließen. Ich habe Verständnis für die Kolleginnen und Kollegen von der FDP- und der Grünen-Fraktion, die jeweils Anträge eingebracht haben. Allerdings kommen diese Anträge ein wenig zu früh, da eine Entscheidung darüber aller Wahrscheinlichkeit nach in dieser Legislaturperiode nicht mehr fallen wird. Ich hoffe, dass es spätestens Ende 2009 einen anderen Vorschlag gibt.

Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPD)

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:

Die Kollegin Silke Stokar von Neuforn hat jetzt das Wort für Bündnis 90/Die Grünen.

Silke Stokar von Neuforn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Gunkel, als wir unseren Antrag eingebracht haben, saß Bundesinnenminister Schäuble neben Herrn Frattini und hat dessen Vorschläge und den Rahmenbeschluss auf dem 11. Europäischen Polizeikongress vehement begrüßt. Es war interessant, die Mimik der beiden zu sehen, als dann die Bundesjustizministerin Zypries in aller Deutlichkeit sagte – ich finde, das war sehr mutig und richtig –, dass dieser Rahmenbeschluss sowohl gegen nationales als auch gegen europäisches Recht verstößt und dass er nun wahrlich alle Grenzen des Machbaren in Europa überschreitet.

Auch heute ist es interessant. Die CDU/CSU-Fraktion hat Ihrer netten Rede zugehört, brummelt vor sich hin und verzichtet auf einen Debattenbeitrag. Sie können aber auch nichts anderes machen, als die Segel zu streichen und zu sagen: Ja, es ist richtig; wir werden es nicht durchsetzen. Der ursprüngliche Zeitplan sah aber anders aus.

Es ist im Innenausschuss noch gesagt worden, dass Bundesinnenminister Schäuble, genau bevor der Vertrag von Lissabon in Kraft tritt, aus der Macht der Exekutive heraus unter Umgehung der Parlamente diesen ungehörigen EU-Rahmenbeschluss gemeinsam mit Frattini durchsetzen wollte. Zum Glück ist er von Kritikern aus Deutschland, aber auch aus anderen europäischen Ländern gestoppt worden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos])

Ich möchte auch etwas zu der 15. Legislaturperiode sagen. Da besteht doch ein Unterschied. Wir befanden uns in der Situation – ich habe das sehr bedauert –, dass wir damals keinen Vertrag von Lissabon hatten. Man sprach damals noch von der EU-Verfassung.

(Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Das hat damit nichts zu tun!)

Ich war doch damals nicht Bundesinnenminister Schily.

(Ernst Burgbacher [FDP]: Das war euer Koalitionspartner! Er hat gemacht, was er wollte! Und ihr habt alles durchgehen lassen!)

Wir Grüne haben doch ständig Kritik am Koalitionspartner geübt, weil in einer demokratiefeindlichen Art und Weise Beschlüsse gefällt worden sind, und zwar unter Umgehung nationaler Parlamente und unter Umgehung des Europäischen Parlaments. Das war kein guter Zustand

(Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Das haben Sie damals nicht so gesagt! – Gegenruf des Abg. Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber sicher!)

für die Demokratie in Deutschland. Genau das – das können Sie nachlesen – habe ich auch damals gesagt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Herr Burgbacher, die FDP spielt sich hier als Hort der Bürgerrechte auf.

(Ernst Burgbacher [FDP]: Wir sind es!)

Ich möchte Sie einfach nur einmal daran erinnern, dass wir bei der Frage der Onlinedurchsuchung die köstliche Situation hatten, dass der altgediente Herr Baum von der FDP, der in Ihrer Partei keine Rolle mehr spielt – Bürgerrechte spielen in Ihrer Partei schon lange keine Rolle mehr, wenn Sie in der Regierung sind –, (Ernst Burgbacher [FDP]: Frau Stokar, hören Sie doch auf! – Zuruf von der LINKEN: Das ist bei euch aber auch so!) gegen Innenminister Wolf geklagt hat, der verantwortlich für die verfassungswidrige Regelung zur Onlinedurchsuchung war. (Ernst Burgbacher [FDP]: Waren Sie eigentlich mal in der Regierung?)

Auch in Niedersachsen hat die FDP geschwiegen, als Bestimmungen über eine verfassungswidrige Telefonüberwachung das Parlament passierten. Also tun Sie hier bitte nicht so, als wäre nicht die FDP, wenn sie in Regierungsverantwortung ist, die Partei, die die meisten verfassungswidrigen Gesetze in den Ländern – in NRW, in Niedersachsen – in den vergangenen Jahren hat durchgehen lassen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Ernst Burgbacher [FDP]: Jetzt wird es aber satirisch!)

Zu den EU-Fluggastdaten ist hier genügend gesagt worden. Ich möchte nur, damit sich die Bürger einen Begriff davon machen können, worum es geht, erwähnen, dass geplant ist, für jeden, der in die EU reist und aus der EU ausreist, eine Risikoanalyse zu machen und ein Reiseprofil zu erstellen. In der Konsequenz bedeutet das – so ist es in den USA schon heute –, dass Menschen auf No-Flight-Listen gesetzt werden und die Dateien der Sicherheitsbehörden und Geheimdienste über die Reisefreiheit entscheiden. Eine solche Situation möchte ich hier in Europa wahrlich nicht haben. Danke schön. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:

Jetzt spricht der Kollege Gert Winkelmeier. (Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Die Debatte steuert unwillkürlich dem Höhepunkt entgegen!)

Gert Winkelmeier (fraktionslos):

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Sag mir, wo du wohnst, (Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Bei Ihnen lieber nicht!) sag mir, wohin du fliegst, sag mir, was du während deines Fluges isst – Sie wollen genau das –, sagen Sie mir auch, wer Sie vom Flughafen abholt. Ach ja, meine Kreditkartennummer könnt ihr selbstverständlich auch noch haben. Wozu denn diese Geheimniskrämerei? Schließlich habe ich mir nichts vorzuwerfen – das sind Ihre Argumente –, also kann mir auch nichts Schlimmes passieren. Das hat der zuständige EU-Kommissar Franco Frattini allen Ernstes ausgesprochen. Ich zitiere:

Wer nichts zu verbergen hat, der hat auch nichts zu befürchten. Mich beunruhigt überhaupt nicht, wenn meine Daten den Behörden zur Verfügung gestellt werden.

Das ist zitiert nach faz.net vom 6. Dezember 2007. Ich frage mich, warum Sie in der ersten Reihe sich so beunruhigen. Ähnliches haben wir schon von unserem Innenminister zu hören bekommen. 19 verschiedene Angaben sollen laut Herrn Frattinis Entwurf künftig von jedem Fluggast gespeichert werden, der die EU-Grenzen verlässt, und das für eine Dauer von 13 Jahren. Mich beunruhigt das ganz gewaltig. Zum Glück scheine ich in der Bundesjustizministerin eine Verbündete in meiner Beunruhigung gefunden zu haben.

Überhaupt kann ich mich des Eindrucks nicht erwehren, dass es immer mehr Menschen, sogar Politikerinnen und Politiker dieses Hohen Hauses gibt, die der Datensammelwut deutlich skeptischer gegenüberstehen als noch vor Jahren; Sie mögen da eine Ausnahme sein. Diese Skepsis mag auch an dem Ausmaß liegen, das die Datensammelwut bis jetzt angenommen hat. Selbst aus den Reihen der Union mehren sich die kritischen Stimmen; darauf ist hier zweimal hingewiesen worden. Der CSU-Europaabgeordnete Weber sagte gestern in der taz – ich zitiere –:

Aber in diesem Fall lautet die Kernfrage, ob es verhältnismäßig ist, eine solche Menge an persönlichen Daten über 13 Jahre lang zu speichern.

Zudem zieht er auch in Zweifel, dass diese ausufernde Datensammlung im Endeffekt wirklich etwas bringt.

Ich sage: Dieser Mann hat recht. Es gibt keine stichhaltigen Belege dafür, dass die Fluggastdatenspeicherung umfangreiche Erfolge bringt. Deshalb wäre es zumindest angemessen, abzuwarten, ob sich nennenswerte Ermittlungsergebnisse einstellen. Das bezweifele ich nämlich sehr.

Es stellt sich hier eher die ganz prinzipielle Frage, ob es mit der bundesdeutschen Verfassung und der Europäischen Menschenrechtskonvention überhaupt vereinbar ist, dass derart sensible Daten ohne jeglichen Verdacht gesammelt werden.

Ich gehe – gerade nach den letzten Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zu etwaigen vorgeblichen „Sicherheitsgesetzen“ – davon aus, dass das Ansinnen der Herren Schäuble und Frattini unvereinbar ist mit dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Es kann nicht angehen, dass dieses Land zu einem Präventionsstaat verkommt, der seine Bürgerinnen und Bürger überwacht, kontrolliert und ihre Daten abspeichert, ohne dass irgendein Straftatvorwurf gegen sie vorliegt. Was noch schlimmer ist: Präventiv werden auch Daten von Dritten gespeichert, die mit der eigentlichen Reisetätigkeit überhaupt nichts zu tun haben, daran also völlig unbeteiligt sind.

Der Deutsche Bundestag muss das Ansinnen von Herrn Frattini, das von Herrn Schäuble unterstützt wird, klar ablehnen. Vielen Dank. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:

Die Vorlagen auf den Drucksachen 16/8115 und 16/8199 sollen an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse überwiesen werden. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.

Siehe auch:

 
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