Bürgerrechtler: Vorratsdatenspeicherung wird gestoppt werden (30.06.2008) |
Zu der morgen, am 1. Juli in Luxemburg stattfindenden Verhandlung [1] des Europäischen Gerichtshofs über Irlands Nichtigkeitsklage [2] gegen die Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung erklärt der Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung:
"Es ist beschämend, dass unsere Politiker in der heutigen Neogesetzgebung verantwortungslose Gesetze scheinbar auf Probe beschließen. Die Gerichte müssen, als letzte Gewalt, immer häufiger die Notbremse ziehen", kritisiert Suat Kasem vom Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung in Bonn. "Das Urteil des Europäischen Gerichtshofs ist für unsere Verfassungsbeschwerde gegen die Vorratsdatenspeicherung ebenfalls maßgebend. Sollte die Richtlinie fallen, wäre auch der Weg für das Bundesverfassungsgericht frei, die Umsetzung in Deutschland zu kippen." "Nach wie vor wäre es mir am liebsten, wenn die Politik das Urteil nicht abwartet, sondern das Gesetz aus einem Erkenntnisprozess heraus kippt", kommentiert padeluun vom Arbeitskreis. "Denn sonst haben wir einfach weiter ein Politik-Problem: Wir werden von Repräsentanten vertreten, die in der Kommunikationsgesellschaft noch nicht angekommen sind und anscheinend nicht verstehen können, welchen Mist sie da beschlossen haben." Mit Blick auf den neuerlichen Vorschlag der EU-Kommission zur verdachtslosen Aufzeichnung sämtlicher Flugreisendendaten [4] ergänzt der Jurist Patrick Breyer vom Arbeitskreis: "Zumindest muss der Bundestag Lernfähigkeit zeigen und die nächste verfassungswidrige Vorratsspeicherung auf EU-Ebene verhindern. Die bloßen Abschwächungsforderungen von Bundesregierung und Bundesrat führen direkt in den nächsten Verfassungsverstoß. Auch auf internationaler Ebene darf es keine grundrechtsfreien Räume geben." Während der Geltung der Vorratsdatenspeicherung rät der Arbeitskreis Bürgerinnen und Bürgern, sich wie folgt vor einer Aufdeckung ihrer persönlichen und beruflichen Kontakte und Bewegungen zu schützen: 1. Fragen Sie den Datenschutzbeauftragten Ihres Telefonanbieters, Ihres Handyproviders, Ihres E-Mail-Anbieters und Ihres Internet-Zugangsanbieters, ob und für wie viele Tage Ihre Verkehrsdaten gespeichert werden. Verlangen Sie die unverzügliche Löschung der Daten und nutzen Sie Pauschaltarife (Flatrates). Speichert Ihr Anbieter trotzdem auf Vorrat, wechseln Sie zu einem anderen Unternehmen. 2. Nutzen Sie kostenlose und vorausbezahlte Dienste nur noch unter falschem Namen (z.B. E-Mail-Konten, Prepaid-Handykarten). Dies ist auch in Zukunft vollkommen legal. 3. Nutzen Sie Anonymisierungsdienste und -software für sensible Aktivitäten im Internet. Weitere Informationen finden sich auf der Internetseite des Arbeitskreises. [5] Hintergrund: Nach einem von SPD und Union beschlossenen Gesetz ist seit Jahresbeginn nachvollziehbar, wer mit wem in den letzten sechs Monaten per Telefon oder Handy in Verbindung gestanden hat und an welchem Ort er sich dabei aufgehalten hat. Ab spätestens 2009 muss auch die Nutzung von E-Mail, Internet und Anonymisierungsdiensten protokolliert werden. Eine Forsa-Umfrage im Mai 2008 [6] hat ergeben, dass jeder zweite Deutsche wegen der Vorratsdatenspeicherung darauf verzichten würde, per Telefon, E-Mail oder Handy Kontakt zu einer Eheberatungsstelle, einem Psychotherapeuten oder einer Drogenberatungsstelle aufzunehmen. Jede dreizehnte Person hat wegen der Verbindungsdatenspeicherung bereits mindestens einmal darauf verzichtet, Telefon, Handy oder E-Mail zu benutzen, was hochgerechnet 6,5 Mio. Deutschen entspricht. Mit über 34.000 Bürgerinnen und Bürgern richtet sich die größte Verfassungsbeschwerde der Bundesrepublik gegen die globale und pauschale Vorratsdatenspeicherung. Im März hat das Bundesverfassungsgericht angeordnet, dass Telekommunikationsunternehmen die anlasslos gespeicherten Daten nur zur Verfolgung schwerer Straftaten an den Staat herausgeben dürfen. Im Juni hat der Telekom-Skandal gezeigt, dass sich ein Missbrauch der bei den Unternehmen lagernden hochsensiblen Daten nicht wirksam verhindern lässt. Fußnoten:
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