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Bundesverfassungsgericht soll Vorratsdatenspeicherung aussetzen (18.08.2008) Print E-mail

Bei dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe ist letzte Woche ein Antrag auf einstweilige Aussetzung des Gesetzes zur Vorratsspeicherung aller Verbindungs-, Standort- und Internetzugangsdaten in Deutschland eingereicht worden. Der Berliner Rechtsanwalt Meinhard Starostik stellt den Antrag im Namen von über 34.000 Bürgerinnen und Bürgern, die gegen das Gesetz Verfassungsbeschwerde erhoben haben.[1]

Nachdem ein ähnlicher Antrag im März lediglich dazu führte, dass das Bundesverfassungsgericht die Herausgabe auf Vorrat gespeicherter Verbindungsdaten auf schwere Straftaten beschränkte[2], rechnen sich die Beschwerdeführer diesmal gute Chancen auf eine Aussetzung der Datenspeicherung selbst aus. Als erstes Argument bezieht sich der Antrag auf eine zwischenzeitlich durchgeführte Forsa-Umfrage[3], derzufolge die Vorratsdatenspeicherung jeden zweiten Bürger davon abhält, in sensiblen Angelegenheiten telefonische Beratung in Anspruch zu nehmen. Zweitens habe auch der Missbrauch von Verbindungsdaten durch die Deutsche Telekom AG[4] gezeigt, dass die schädlichen Auswirkungen der Vorratsdatenspeicherung durch bloße Nutzungsbeschränkungen nicht in den Griff zu bekommen seien. "Nur nicht gespeicherte Daten sind sichere Daten", so der Antrag wörtlich.

Besonders dringlich sei die Aussetzung der ab 2009 für das Internet vorgesehenen Vorratsspeicherung, weil die Vielzahl der Anbieter von Internetdiensten besondere Risiken für die Sicherheit der Daten schaffe. Zumindest müsse die präventive Datennutzung durch Polizei und Geheimdienste, die Bayern im Juli 2008 erstmals eingeführt habe, gestoppt werden. Auch sei widersprüchlich, dass Internetnutzer nach der Einstweiligen Anordnung vom März 2008 schon bei dem Verdacht von Bagatellvergehen wie Tauschbörsennutzung oder eBay-Betrug mithilfe von Vorratsdaten identifiziert werden dürften, eine Herausgabe der Vorratsdaten etwa im Telefonbereich aber nur zur Verfolgung schwerer Straftaten zugelassen sei.

"Internetanbietern ist dringend davon abzuraten, in die ab 2009 vorgesehene Vorratsdatenspeicherung zu investieren, solange das Bundesverfassungsgericht nicht über unseren aktuellen Aussetzungsantrag entschieden hat", erklärt der Jurist Patrick Breyer, einer der Erstbeschwerdeführer gegen die 2007 von CDU, CSU und SPD beschlossenen Vorratsdatenspeicherung. "Wer ohne zwingenden Grund die Kommunikation seiner Kunden mitprotokolliert, muss mit empfindlichen Kundenabwanderungen rechnen." Der Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung sammelt Informationen über die Speicherpraxis der einzelnen Anbieter im Internet.[5]

Da die Einstweilige Anordnung des Bundesverfassungsgerichts vom 11. März 2008 nach sechs Monaten ausläuft, ist bis 11. September mit einer Entscheidung über den neuen Antrag zu rechnen.

Der Schriftsatz an das Bundesverfassungsgericht ist im Internet abrufbar.

Es folgt die Zusammenfassung der Begründung des Aussetzungsantrags im Wortlaut:

  • Aufgrund zwischenzeitlich gewonnener Erkenntnisse hat sich die Annahme der letzten Anordnung als unzutreffend heraus gestellt, die anlasslose Erfassung des Kommunikations-, Bewegungs- und Informationsverhaltens ziehe noch keine irreparablen Beeinträchtigungen nach sich. Vielmehr hat sich gerade in Vertrauensverhältnissen eine starke abschreckende Wirkung der Vorratsdatenspeicherung herausgestellt mit irreparablen Folgen für den Einzelnen und die Gesellschaft insgesamt.
  • Durch die missbräuchliche Auswertung großer Mengen an Verbindungs- und Standortdaten bei der Deutschen Telekom AG hat sich auch die Annahme der letzten Anordnung als unzutreffend heraus gestellt, eine Beschränkung der staatlichen Zugriffsrechte könne einstweilen vor irreparablen Nachteilen infolge der Vorratsdatenspeicherung schützen. Eine bloße Beschränkung der staatlichen Zugriffsrechte lässt die Bürger vielmehr ungeschützt vor Missbrauch und Pannen bei Unternehmen und ihren Mitarbeitern, bei staatlichen Stellen und ihren Mitarbeitern sowie bei Dritten.
  • Die neuerliche Statistik der Bundesregierung[6] lässt nicht auf einen Bedarf nach Vorratsdaten schließen, weil Strafverfolgungsbehörden Vorratsdaten nicht erst anfordern, nachdem der Zugriff auf ohnehin gespeicherte Abrechnungsdaten erfolglos geblieben ist, und weil das Ergebnis der Anforderung von Vorratsdaten nicht statistisch erfasst wird. Aussagekräftig ist einzig die Untersuchung des Max-Planck-Instituts, der zufolge 99,99% der registrierten Straftaten auch ohne Vorratsdatenspeicherung aufgeklärt werden können.
  • Besonders dringlich ist die Aussetzung der Vorratsdatenspeicherung im Internetbereich (Internetzugang, E-Mail, Internet-Telefonie, Anonymisierungsdienste), wo sie am 01.01.2009 zwingend und bußgeldbewehrt in Kraft treten soll. Im Gegensatz zur bisher betroffenen Festnetz- und Mobilfunktelefonie kommt dem Internet eine Korrespondenz- und Informationsfunktion zu, die bisher frei von Protokollierung in Anspruch genommen werden konnte. Die wenigen großen Festnetz- und Mobilfunkunternehmen haben schon früher Abrechnungsdaten gespeichert, während im Internetbereich nun tausende auch kleiner und nichtkommerzieller Anbieter erstmals große Datenmengen erfassen sollen. Dies würde einerseits einen Großteil der kleinen Anbieter zur Aufgabe ihrer Tätigkeit zwingen, andererseits aber auch besondere Risiken für die Vertraulichkeit der Daten schaffen. Im Internetbereich bestehen zudem keine zwingenden gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben, die einer einstweiligen Aussetzung für die Dauer von sechs Monaten entgegen stünden.
  • Falls trotz allem von einer Aussetzung der Vorratsdatenspeicherung abgesehen wird, ist eine Einschränkung der staatlichen Zugriffsrechte zur Gefahrenabwehr, zur nachrichtendienstlichen Beobachtung und zur Identifizierung von Internetnutzern erforderlich. Im letztgenannten, praktisch bedeutsamsten Bereich der Nutzung von Vorratsdaten hat die letzte Anordnung ihr Ziel nicht erreicht, die Verwendung von Vorratsdaten einstweilen auf die Verfolgung von Straftaten nach § 100a StPO zu beschränken.

Fußnoten:

  1. http://www.vorratsdatenspeicherung.de/content/view/202/79/
  2. Beschluss vom 11. März 2008, http://www.bundesverfassungsgericht.de/entscheidungen/rs20080311_1bvr025608.html
  3. http://www.vorratsdatenspeicherung.de/images/forsa_2008-06-03.pdf
  4. http://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/artikel/981/176448/
  5. http://wiki.vorratsdatenspeicherung.de/Provider
  6. Anmerkung: Diese Statistik wird zum 1. September vorgelegt und ist gegenwärtig noch nicht verfügbar. 
 
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