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Bundestag soll Klage gegen Totalprotokollierung der Telekommunikation erheben (29.05.2006) Drucken E-Mail

In der Nacht zum Freitag, den 2. Juni, wird der Bundestag über einen Antrag mit dem Titel "Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung vom EuGH prüfen lassen" abstimmen. 117 Abgeordnete von FDP, Grünen sowie der Linken fordern die Bundesregierung in dem Antrag auf, gegen die Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung vor dem Europäischen Gerichtshof Nichtigkeitsklage zu erheben. Bis zur Entscheidung des Gerichts soll die Richtlinie nicht in nationales Recht umgesetzt werden, so der Antrag weiter.

Die EG-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung vom Februar 2006 sieht vor, dass künftig zur Erleichterung der Strafverfolgung das Telekommunikationsverhalten aller 460 Mio. EU-Bürger bedarfsunabhängig protokolliert und mindestens ein halbes Jahr lang vorgehalten werden soll. Insbesondere soll aufgezeichnet werden, wer wann mit wem telefoniert und per Email oder SMS korrespondiert hat. Bei Handy-Telefonaten und SMS soll auch der jeweilige Standort des Benutzers festgehalten werden. Bislang dürfen nur die zur Abrechnung erforderlichen Verbindungsdaten gespeichert werden. Dazu gehören Standortdaten und Email-Verbindungsdaten nicht. Durch die Benutzung von Pauschaltarifen kann eine Speicherung zudem bisher gänzlich vermieden werden.

Der nun vorgelegte Bundestags-Antrag rügt, dass die EG über keine Regelungskompetenz auf dem Gebiet des Strafrechts und der Strafverfolgung verfüge. Maßnahmen zur Strafverfolgung dürften nur einstimmig von den Mitgliedsstaaten beschlossen werden. Dies sei im Fall der Vorratsdatenspeicherung zunächst auch so geplant gewesen. Nachdem aber deutlich wurde, dass die erforderliche Einstimmigkeit nicht zustande kommen würde, sei die Vorratsdatenspeicherung "aus rein politischen Gründen" als Richtlinie beschlossen worden. Eine Klage gegen die Richtlinie sei erforderlich, um derartiges in Zukunft zu verhindern.

Ziel des Antrags ist es also vor allem, die künftige Gestaltungsbefugnis des Deutschen Bundestags auf dem Gebiet des Strafrechts zu bewahren. Ohne ein Machtwort des Europäischen Gerichtshofs ist zu befürchten, dass der Bundestag auf dem Gebiet des Strafrechts und der Strafverfolgung bald nur noch EG-Richtlinien umzusetzen haben wird. Auch Abgeordnete aus den Koalitionsfraktionen haben im Februar die Auffassung geäußert, dass die Vorratsspeicherung nicht als Richtlinie beschlossen werden durfte, so Siegfried Kauder (CDU), Günter Krings (CDU) und Peter Danckert (SPD). Die gleiche Auffassung vertrat letztes Jahr auch Bundesjustizministerin Brigitte Zypries (SPD), unterstützt von einem einstimmigen Bundestagsbeschluss vom 27.01.2005.

Der Politikwissenschaftler Ralf Bendrath von der Universität Bremen erinnert daran, dass kaum ein Mitgliedsstaat mit der Überwachungs-Richtlinie wirklich zufrieden war. Daher habe man zu Verfahrenstricks gegriffen. "Von 25 EU-Mitgliedern haben zwei die Richtlinie glatt abgelehnt, sechzehn - darunter Deutschland - haben erklärt, die vorgesehene Speicherung der Internet-Daten für drei Jahre auf Eis zu legen, und eines hat angekündigt, es werde viel längere Speicherfristen einführen als vorgesehen. Damit bleiben ganze sechs EU-Mitglieder, die voll hinter dem jahrelang umstrittenen Vorhaben stehen. Die ursprünglichen Gründe für eine EU-Richtlinie - Harmonisierung der Speicherfristen und der Kostenerstattung für die Provider, um Marktverzerrungen zu vermeiden - wurden weitgehend ausgeklammert. Nur diese aber hätten eine Regelung über die Binnenmarkt-Kompetenzen der EU erlaubt, mit der das Mehrheitsverfahren im Ministerrat und damit die Verabschiedung der Richtlinie erst möglich wurden. Weil sich die Regierungen nicht einigen konnten und zu Verfahrenstricks griffen, soll der Bundestag nun seine Souveränität aufgeben und ein gefährliches und illegitim zustande gekommenes Vorhaben einfach abnicken? Das wäre ein bedrohlicher Präzedenzfall."

Der Jurist Patrick Breyer vom bundesweiten Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung ergänzt: "Unabhängig von den formalen Fragen ist die in der Richtlinie vorgesehene Totalprotokollierung der Telekommunikation verfassungswidrig. In der Rasterfahndungsentscheidung hat das Bundesverfassungsgericht letzte Woche ausdrücklich 'das außerhalb statistischer Zwecke bestehende strikte Verbot der Sammlung personenbezogener Daten auf Vorrat' bekräftigt. Eine allgemeine, verdachtslose Protokollierung der Telekommunikation der Bevölkerung aus dem Bestreben nach möglichst großer Effektivität der Polizei und zur Erleichterung der polizeilichen Überwachung der Bevölkerung widerspricht den Prinzipien des freiheitlichen Rechtsstaates."

Der Arbeitskreis fordert alle Bundestagsabgeordneten auf, die Nacht zum Freitag zur "Nacht der Kommunikationsfreiheit" zu machen. Die Abgeordneten sollen trotz der späten Stunde zahlreich an der Abstimmung teilnehmen und parteiübergreifend für die Klage vor dem Europäischen Gerichtshof stimmen. Die Bürgerinnen und Bürger fordert der Arbeitskreis auf, die Abgeordneten ihres Wahlkreises zur Stimmabgabe gegen die Vorratsdatenspeicherung aufzufordern. Ein aktualisieter Musterbrief findet sich auf der Website des Arbeitskreises.

Die Abstimmung kann live im Internet verfolgt werden. Für den Fall, dass der Antrag keinen Erfolg hat, haben Bürgerrechtler wie der ehemalige Bundesinnenminister Gerhart Baum (FDP) bereits eine Verfassungsbeschwerde gegen die geplante Totalprotokollierung der Telekommunikation angekündigt.

Ergänzender Hinweis

Der Antrag steht noch nicht auf der aktuellen Tagesordnung des Deutschen Bundestages, da die entsprechende Drucksache nicht bereits drei Wochen vor der Sitzung verteilt werden konnte. Über eine Änderung der Tagesordnung - die allerdings die Mehrheit des Bundestages beschließen muss - soll dieser Antrag noch auf die Tagesordnung kommen. Sollte die Änderung der Tagesordnung keine Mehrheit finden, so würde dies indirekt auch einer Ablehnung des Antrags gleichkommen, da ein Beschluß in der nächsten Sitzung des Deutschen Bundestages (Ende Juni) evtl. nicht mehr ausreichen würde, damit die Bundesregierung die Klage rechtzeitig einreichen könnte.
 
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