Video: Bundestag streitet über Vorratsdatenspeicherung (17.12.2010) |
Der Bundestag hat sich am Donnerstagabend mit den Stimmen von Schwarz-Gelb gegen einen Antrag der Grünen ausgesprochen, wonach sich die Bundesregierung in Brüssel für eine Aufhebung der EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung stark machen sollte. Hier das Video der Debatte (30 min.): Video der Debatte am 16.12.2010Protokoll der DebatteVizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Jetzt rufe ich Tagesordnungspunkt 10 auf: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Rechtsausschusses (6. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Konstantin von Notz, Wolfgang Wieland, Jerzy Montag, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Keine Vorratsdatenspeicherungen über den Umweg Europa – Drucksachen 17/1168, 17/3589 – Berichterstattung: Abgeordnete Dr. Patrick Sensburg (CDU/CSU), Dr. Eva Högl (SPD), Christine Lambrecht (SPD), Christian Ahrendt (FDP), Halina Wawzyniak (Linke), Jerzy Montag (Grüne). Verabredet ist es, hierzu eine halbe Stunde zu debattieren. – Dazu sehe und höre ich keinen Widerspruch. Dann eröffne ich die Aussprache und gebe das Wort der Kollegin Gisela Piltz für die FDP-Fraktion. Gisela Piltz (FDP): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir diskutieren heute zum wiederholten Mal über ein Thema, mit dem wir uns beschäftigen müssen, weil das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe ein Gesetz der Vorgängerregierung quasi pulverisiert hat. Karlsruhe hat ganz deutlich die Rote Karte für die bisherige Regelung der Vorratsdatenspeicherung gezeigt. Nach Auffassung der Liberalen kann es daher bei diesem Thema ein schlichtes „Weiter so“ mit einigen kleinen Stellschrauben nicht geben. Vielmehr müssen wir gründlich nachdenken, was wirklich notwendig ist und was verfassungsrechtlich vereinbar ist mit dem, was wir das Grundgesetz nennen. Sie alle wissen, dass derzeit in Europa eine Evaluierung der Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung läuft. Im September sollten eigentlich Vorschläge dafür vorliegen, was passieren soll. Doch offensichtlich hat die Kommission in Brüssel dasselbe Problem, das hie und da die Bundesregierung in Karlsruhe gehabt hat, nämlich klar und deutlich nachzuweisen, dass die Vorratsdatenspeicherung, wie sie von Brüssel vorgesehen ist und wie sie hier auch umgesetzt worden ist, wirklich Vorteile bringt und das ist, was die Sicherheitsbehörden brauchen. Dazu muss man sich nur einmal ein paar Zahlen ansehen. Die Aufklärungsquote bei Straftaten im Internet vor der Einführung der Vorratsdatenspeicherung betrug 82,9 Prozent im Jahr 2007 und nach Einführung der Vorratsdatenspeicherung 75,7 Prozent im Jahr 2009. Da Das heißt doch, dass die Vorratsdatenspeicherung an sich offensichtlich nicht das beste Mittel ist. In anderen EU-Mitgliedstaaten – das ist das besonders Interessante –, wo niemand geklagt hat, wo es keine politische Diskussion gegeben hat, sind die Zahlen auch nicht besser. Es gibt also keine belastbaren Zahlen dafür, dass die anlasslose millionenfache Speicherung von Verbindungsdaten zur Kriminalitätsbekämpfung unbedingt notwendig ist. Was mich persönlich wirklich umtreibt – das habe ich auch an anderer Stelle schon gesagt –, ist die Tatsache, dass dann, wenn es ums Geld geht, nämlich bei Urheberrechtsverletzungen, allein im letzten Jahr von der Telekom 2,7 Millionen IP-Adressen gespeichert bzw. verfolgt und mitgeteilt werden konnten. Ich frage mich ernsthaft: Wie kann es sein, dass das dann, wenn es ums Geld geht, um die Verfolgung von Urheberrechtsansprüchen, leichter möglich sein soll als bei – in Anführungszeichen – normaler Kriminalität? Ich glaube, wir haben hier ein Vollzugsdefizit und nicht so sehr ein Umsetzungsdefizit. Wir setzen daher ganz klar auf die Evaluierung der Richtlinie in der EU. Die Bundesjustizministerin hat das mehrfach sehr deutlich gemacht. Deshalb brauchen die Grünen das auch gar nicht per Antrag einzufordern. Wir tun das. Wir setzen uns für das sogenannte Quick-Freeze-Verfahren, für die anlassbezogene Pufferung von Daten ein, damit Strafverfolgung da möglich ist, wo sie notwendig ist. Wir sind gern bereit, unseren Vorschlag mit allen Fraktionen im Deutschen Bundestag zu diskutieren. Wir freuen uns auf eine gute Debatte. Herzlichen Dank. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Dr. Eva Högl (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Frau Piltz, das Angebot nehmen wir an. Aber dann legen Sie doch einmal etwas vor! Darauf warten wir ganz gespannt. Wir haben vernommen, dass die Spitzen der Koalition das Thema auf 2011 vertagt haben und dass das Bundesjustizministerium aufgefordert ist, bis Ende 2010 noch einen Bericht über die Vorratsdatenspeicherung vorzulegen. Nun schauen wir auf den Kalender und stellen fest, dass das Jahr noch 16 Tage hat, eher 15; wir sind ja jetzt schon am Abend. Wir warten gespannt, was wir unter dem Tannenbaum zur Vorratsdatenspeicherung lesen dürfen. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koalition, wir lesen immer nur, dass Sie sich nicht einigen können. Wir sehen, dass Sie nicht handlungsfähig und nicht in der Lage sind, dieses wichtige Thema zu entscheiden. Frau Piltz hat gesagt: Es darf kein „Weiter so“ geben. – Dem kann man zustimmen. Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden. Wir warten darauf, dass Sie etwas vorlegen. Sie sind am Zug. Wir wollen hier über etwas diskutieren. – Ich komme dazu; ich habe ja noch ein paar Minuten. Inakzeptabel ist meiner Meinung nach das Argument: Wir warten auf Europa. – Darüber müssen wir uns wirklich einmal auseinandersetzen. Die Grünen haben den Antrag mit dem Titel „Keine Vorratsdatenspeicherungen über den Umweg Europa“ vorgelegt. Ich finde übrigens: Europa ist nie ein Umweg. Aber wir müssen uns darüber unterhalten, ob wir auf Europa warten können oder nicht. Wir sind der Auffassung, dass wir in Deutschland entscheiden müssen, wie es mit der Vorratsdatenspeicherung weitergeht. Das Bundesverfassungsgericht hat am 2. März dieses Jahres entschieden, dass die Vorratsdatenspeicherung mit Art. 10 Grundgesetz unvereinbar ist. Es hat klare Kriterien und klare Voraussetzungen formuliert, unter denen eine Vorratsdatenspeicherung möglich wäre, wenn man sie denn möchte. Das Bundesverfassungsgericht hat ausgeführt – ich will das zitieren, weil das sehr eindringlich war und für uns auch ein Handlungsauftrag ist –: Anlasslose Speicherung von Telekommunikationsverkehrsdaten ist geeignet, „ein diffus bedrohliches Gefühl des Beobachtetseins hervorzurufen“, das „eine unbefangene Wahrnehmung der Grundrechte in vielen Bereichen beeinträchtigen“ kann. Wir alle haben das gut gelesen. Diese Frage, liebe Kolleginnen und Kollegen, können wir nicht kommentarlos nach Europa delegieren. Diese Frage müssen wir hier im Deutschen Bundestag beantworten. Wir müssen anhand der Maßstäbe des Grundgesetzes entscheiden, wie wir bei der Vorratsdatenspeicherung weiter vorgehen. Wir im Deutschen Bundestag sind als Gesetzgeber gefragt. Ich will noch einen zweiten Grund nennen, warum es falsch ist, auf Europa zu warten. Wir sind nicht irgendein Mitgliedstaat in der Europäischen Union; das wissen wir. Wir müssen das europäische Recht gestalten. Wir sind ein großer Staat mit viel Gewicht. Ich möchte an dieser Stelle, anders als es sich in der Europapolitik der Bundesregierung zeigt, nicht sagen, was ich nicht will, sondern ich möchte Europa gestalten, liebe Kolleginnen und Kollegen. Wir haben dazu die Chance. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Manuel Höferlin (FDP): Die Richtlinie 2006/24/EG werde derzeit auf europäischer Ebene evaluiert. Das Ergebnis solle zunächst abgewartet werden. Können Sie mir den Zusammenhang zwischen dieser Aussage und dem, was Sie eben gesagt haben, erklären? Den verstehe ich nicht ganz. Dr. Eva Högl (SPD): – Genau. Der Titel des Antrags der Grünen ist: „Keine Vorratsdatenspeicherungen über den Umweg Europa“. Ich sage aber: Wir dürfen nicht auf Europa warten, sondern wir müssen unsere Position in Europa einbringen. Das ist ein Unterschied. Deswegen haben wir uns damals so positioniert und bei der Abstimmung über den Antrag der Grünen enthalten. Ich will kurz ausführen – ich glaube, wir sind gar nicht so weit voneinander entfernt –, warum ich es falsch finde, auf Europa zu warten. Ich habe es schon gesagt: Wir müssen unsere Position in Europa einbringen. Wir haben dazu eine Chance. Es gibt jetzt einen neuen Vertrag, den Vertrag von Lissabon, und die Grundrechtecharta. Das gibt die Gelegenheit, die Balance von Bürgerrechten und Sicherheit – ich habe das im Deutschen Bundestag schon öfter gesagt – neu zu justieren. Das ist eine Riesenchance. Die Bürgerinnen und Bürger warten darauf, dass wir uns positionieren. Deswegen ist es richtig und wichtig, dass die Richtlinie evaluiert wird. Denn es gibt mit dem Vertrag von Lissabon und der Grundrechtecharta neue Maßstäbe. Außerdem ist die Richtlinie in einigen Mitgliedstaaten nicht umgesetzt – das wissen wir auch –, und in einigen Mitgliedstaaten haben die Verfassungsgerichte wie in Deutschland die nationale Umsetzung der Richtlinie kritisiert. Es gibt also Bewegung in der Debatte um Vorratsdatenspeicherungen. Auch die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs steht noch aus. Wir müssen die neuen Maßstäbe, die sich aufgrund der neuen Vertragsgrundlagen ergeben, nutzen. Aber ich sage – darin unterscheiden wir uns von den Koalitionsfraktionen und der Bundesregierung –: Wir dürfen nicht tatenlos dabei zusehen, was in Europa passiert, sondern wir müssen unsere Vorstellungen in die europäische Debatte einbringen. Wir erwarten von der Kommission einerseits, dass bei der Evaluierung das Ergebnis nicht schon vorgegeben wird, sondern dass sie ergebnisoffen durchgeführt wird. Im Übrigen schreiben auch vier Mitglieder der FDP-Bundestagsfraktion an die Kommissarin Malmström, dass sie das erwarten. Da haben wir sogar die gleiche Auffassung. Wir erwarten andererseits von der Bundesregierung, dass sie etwas vorlegt und sagt, was sie in die Evaluierung einbringt. Darin besteht der Unterschied; denn dazu haben wir von Ihnen bisher überhaupt noch nichts gesehen. – Sie sind am Zug, Sie müssen etwas vorlegen. Wir wissen, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass die Kommission auf die deutsche Positionierung wartet. Deutschland ist am Zug. Wir haben uns im Rechtsausschuss mit der Kommissarin Reding und in Brüssel mit der Kommissarin Malmström unterhalten. Beide haben uns gesagt, dass wir unsere Position in die Evaluierung einbringen müssen und dass die Kommission darauf wartet, dass Deutschland als großer Mitgliedstaat seine Auffassung deutlich macht. Deswegen sage ich es noch einmal: Sie sind am Zug. Wir bieten an, konstruktiv mitzudiskutieren. Aber uns muss hier im Deutschen Bundestag etwas vorgelegt werden. Ein Brief von FDP-MdBs an die Kommissarin reicht nicht aus, sondern wir wollen von der Bundesregierung und den Koalitionsfraktionen etwas vorgelegt bekommen. Ich will noch einmal kurz daran erinnern, was uns das Bundesverfassungsgericht – – Vizepräsidentin Petra Pau: Manuel Höferlin (FDP): Dr. Eva Högl (SPD): Manuel Höferlin (FDP): Ich jedenfalls versichere Ihnen gerne, dass die Sozialdemokratische Partei, wenn Sie das aufrechterhalten wollen, was schon einmal da war, oder in einer gesetzlich neuen Fassung wiederherstellen wollen, Ihnen Unterstützung leistet. Ich verstehe das so, dass die sozialdemokratische Fraktion gerne möchte, dass die Vorratsdatenspeicherung so, wie sie schon einmal war, oder in einer neuen Form wiederaufersteht. Ist das so? Dr. Eva Högl (SPD): Lieber Herr Kollege, wenn Sie meine Sätze zuvor gehört hätten und sich nicht darauf konzentriert hätten, nachzulesen, was Olaf Scholz gesagt hat, dann hätten Sie gehört, dass ich für die Fraktion der SPD angeboten habe, konstruktiv mitzuarbeiten. Wir haben allerdings nichts auf dem Tisch liegen. Am 2. März ist ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts ergangen. Wir haben jetzt den 16. Dezember. Wir haben klare Kriterien aufgestellt und erwarten jetzt, dass Sie als Koalition etwas vorlegen, das die folgenden Kriterien berücksichtigt: Datensicherheit, Begrenzung der Verwendung – das ist ja schon gesagt worden und in der Diskussion –, Transparenz, das heißt, die Bürgerinnen und Bürger müssen informiert werden über das, was gespeichert wird, und Rechtsschutz. Nun sind Sie am Zug, etwas vorzulegen. Wir wissen auch, dass Sie sich nicht einigen können. Das lesen wir ja jeden Tag in der Presse. Deswegen sage ich noch einmal: Der Ball ist in Ihrem Feld. Wir bieten an, konstruktiv mitzuarbeiten. Insofern besteht kein Unterschied zu den Aussagen meines stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden Olaf Scholz. – Das ist eine klare Position, aber selbstverständlich. Meine Damen und Herren, wir warten ab, was Sie vorlegen. Die SPD wird sich dann eine Meinung bilden. Wir werden uns konstruktiv einbringen. Ich will noch einmal daran erinnern, was das Bundesverfassungsgericht gesagt hat. Weil ich das wichtig genug finde und das ja wirklich ein ganz entscheidender Punkt in der Debatte ist, möchte ich gerne, dass die Bundesregierung und die Koalitionsfraktionen in der weiteren Debatte das auch berücksichtigen und in die europäische Debatte einspeisen, nämlich dass Möglichkeiten zur Wahrnehmung der Rechte der Bürgerinnen und Bürger bei der Registrierung von Daten zur verfassungsrechtlichen Identität der Bundesrepublik Deutschland gehören. Von Ihrer Seite, liebe Kolleginnen und Kollegen, habe ich nicht gehört, dass das erfolgen soll. Es gibt keinen Beitrag zur Evaluierung. Sie haben keine klare Position dazu, was Sie in Europa vortragen wollen. Deswegen komme ich zu dem Ergebnis: Nichtstun ist keine Antwort. Wir haben aber eine klare Position. Diese werden wir einbringen. Vielen Dank. Vizepräsidentin Petra Pau: Dr. Patrick Sensburg (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Antrag von Bündnis 90/Die Grünen – ich sage das direkt von vorne her frei heraus – ist politisch durchschaubar, europarechtlich fragwürdig, wenn nicht gar grenzwertig, und sicherheitspolitisch verantwortungslos. Herr Kollege von Notz, damit erübrigt sich auch die Frage nach unserer Position, die Sie ja eben noch an die SPD gestellt haben. Sie beantragen, die Bundesregierung möge weiteren Vorhaben zur Vorratsdatenspeicherung auf europäischer Ebene entgegentreten, und, man solle die vollständige Aufhebung der Vorratsdatenspeicherungsrichtlinie fordern. Bei der Vorratsdatenspeicherung handelt es sich um bindendes Europarecht. Eine Richtlinie bedarf der Umsetzung. Das müssen inhaltlich die Mitgliedstaaten machen. Die Umsetzung hätte letztendlich bis zum 15. März 2009 erfolgen müssen. Sprich: Wir haben derzeit einen europarechtswidrigen Zustand. Wir verletzen die europäischen Verträge. Sie fordern, dass wir genau das weitermachen. Dazu kann ich nur sagen: Auf welchen europarechtlichen Grundsätzen stehen Sie eigentlich, wenn Sie sehenden Auges in die Rechtswidrigkeit hereinrennen wollen? Das ist schon etwas abstrus. Die Vorratsdatenspeicherung ist aus sicherheitspolitischen Aspekten ein dringend benötigtes Instrument. Deswegen haben fast alle Länder diese Richtlinie umgesetzt: 20 Länder haben die Richtlinie umgesetzt, in drei Ländern befindet sie sich in der Umsetzung, und in zwei Ländern haben Verfassungsgerichte die Umsetzung aufgehoben, nämlich bei uns in Deutschland und in Rumänien. Die ganz überwiegende Mehrheit der Länder hat die Richtlinie umgesetzt und arbeitet erfolgreich mit der Richtlinie; das müssen wir auch sagen. Wir haben ein Problem durch die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 2. März 2010. Es ist ja nicht so, wie es gerade dargestellt worden ist, dass das Bundesverfassungsgericht gesagt hätte, die Vorratsdatenspeicherung wäre verfassungswidrig. Ich zitiere Ihnen auch einmal einen Satz aus dem Urteil: Eine sechsmonatige, vorsorglich anlasslose Speicherung von Telekommunikationsverkehrsdaten … ist mit Art. 10 GG nicht schlechthin unvereinbar … Das Verfassungsgericht sagt also ganz deutlich: Das, was uns die europäische Richtlinie vorgibt, ist mit unserer Verfassung vereinbar, aber nur dann – auch das hat das Bundesverfassungsgericht ganz deutlich gesagt –, wenn Datensicherheit, Datenverwendung, Transparenz und Rechtsschutz gegeben sind. Wir müssen jetzt daran arbeiten, dass wir eine Richtlinie hinbekommen, die das erfüllt. Die Koalition wird so etwas vorlegen. Karlsruhe hat klipp und klar gesagt: Die Vorratsdatenspeicherung ist nicht verfassungswidrig, sondern sie ist verfassungsgemäß. – Wir als Gesetzgeber müssen jetzt handeln. Dazu muss die Bundesregierung einen entsprechenden Vorschlag vorlegen. Eigentlich, meine Damen und Herren von Bündnis 90/Die Grünen, dürften Sie nicht die vollständige Aufhebung der Richtlinie fordern. Im Grunde genommen müssten Sie die zügige Umsetzung fordern, wenn Sie rechtmäßig handeln würden. Sie sagen immer: Setzen Sie europäisches Recht endlich in nationales Recht um, wie es Ihre Aufgabe ist. – Dazu kann man nur sagen: Man kann Frau Malmström nur dafür danken, dass die Richtlinie evaluiert wird. Sie wird aber evaluiert, um zu schauen, wie gut es läuft und wo Verbesserungen notwendig sind. Wir werden nicht vor dem Frühjahr nächsten Jahres mit Ergebnissen rechnen können. Wenn diese auch noch implementiert werden müssen, dann wird es noch anderthalb bis zwei Jahre dauern. Das soll aber nicht heißen, dass wir einen europarechtswidrigen Zustand so lange aufrechterhalten. Vielmehr haben wir die Pflicht, die Richtlinie verfassungskonform und europarechtskonform umzusetzen. Das müssen wir machen. Auch Frau Malmström hat das am 3. Dezember ganz deutlich gesagt. Dass evaluiert wird, entbindet nicht von der Verpflichtung, die Richtlinie umzusetzen. Das meinen Sie aber; allerdings ist das falsch. Wir müssen die Richtlinie umsetzen. Ich glaube, da stellen Sie Ihre politischen Wünsche über die Rechtsstaatlichkeit. So geht es leider nicht. Die Generalstaatsanwälte haben auf ihrer Arbeitstagung vom 9. bis 11. November Folgendes beschlossen – ich trage Ihnen das einmal vor; vielleicht trägt das zu Ihrer Erhellung bei –: Die Generalstaatsanwältinnen und Generalstaatsanwälte sowie die Generalbundesanwältin stellen fest, dass der Wegfall der Vorratsdatenspeicherung dazu geführt hat, dass auch schwere und schwerste Straftaten nicht mehr aufgeklärt werden können. Sie halten eine schnelle gesetzliche Regelung nach Maßgabe des Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom 2. März 2010 für dringend erforderlich. – Auch da sagen unsere Strafverfolgungsbehörden, dass wir die Vorratsdatenspeicherung brauchen. – Wir machen das. Warum stellen Sie solche Anträge? Wir debattieren über Ihren Antrag. Das scheint Ihnen entgangen zu sein. Sie bringen einen Antrag ein „Vorratsdatenspeicherung entgegenwirken – Richtlinie aufheben“ und fragen uns, warum wir jetzt tätig werden. Das ist wirklich skurril. Dann ziehen Sie doch Ihren Antrag zurück. Hinzu kommt noch die Überlegung, dass Sie meinen, Quick Freeze wäre die Alternative zur Vorratsdatenspeicherung. Auch ich bin inzwischen ein Befürworter von Quick Freeze geworden, weil Quick Freeze nämlich ganz eindeutig die Vorratsdatenspeicherung voraussetzt; denn man kann nichts einfrieren, was man vorher nicht gespeichert hat. Gucken wir uns einmal die Fälle an, die aufgetreten sind: Aus Luxemburg sind uns 1 200 IP-Adressen von Delikten gemeldet worden. Dann muss geschaut werden, wem sich diese IP-Adresse zuordnen lässt und wie man sie matchen kann. Dazu kann man nur sagen: Das sind keine Alternativen, sondern wir brauchen die Vorratsdatenspeicherung. Das ist genauso, als wenn Sie bei einem Banküberfall zwar ein Autonummernschild registrieren, dann aber den Halter nicht ermitteln können, weil es keine Hinterlegung gibt, wem dieses Autokennzeichen zuzuordnen ist. Wir brauchen also die Vorratsdatenspeicherung für die Ermittlung von schweren und schwersten Straftraten. Wir können nicht einfach wegsehen, wie Sie es machen wollen, und sagen: Das legen wir jetzt ad acta. Verweigern Sie sich nicht aus ideologischen Gründen, die Vorratsdatenspeicherung zu überarbeiten und zuzulassen. Wir werden das machen. Wir werden die Vorratsdatenspeicherung verfassungskonform ausgestalten. Ihr Antrag hat weder Hand noch Fuß. Deswegen kann man ihn nur ablehnen. Danke schön. Vizepräsidentin Petra Pau: Jan Korte (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das war gerade immerhin ein Standpunkt; das muss man sagen. Hingegen hat Kollegin Högl nur gesagt, es sei „sehr richtig und wichtig, dass die Richtlinie evaluiert wird“ und sie von der Bundesregierung erwarte, „dass sie etwas vorlegt und sagt, was sie in die Evaluierung einbringt“. Allerdings müssten die Sozen einmal klären, was ihre Meinung dazu ist. Dann könnte man darüber diskutieren. Andere Oppositionsparteien haben sich eine Meinung gebildet; auch die CDU/CSU und die FDP haben eine Meinung. Nur die Sozen haben keine Meinung dazu. Das ist die Situation. Damit ist man raus aus der Debatte. Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts hat sich nichts geändert – ich darf überraschenderweise sagen, dass die Kollegin Piltz da schlicht recht hat –: Wir hatten vor der Einführung der Vorratsdatenspeicherung offensichtlich kein größeres Problem; nach der Aussetzung der Vorratsdatenspeicherung durch das Bundesverfassungsgericht gibt es offensichtlich auch kein größeres Problem. Es ist nicht so, dass jetzt auf einmal überall die Kriminalität explodiert. Kollegin Piltz, in diesem Falle haben Sie sehr recht. Ich hoffe, dass Sie das auch Ihrem Koalitionspartner verklickern können. Richtig ist – das ist zu Recht gesagt worden –: Das Bundesverfassungsgericht hat zu der Regelung, die es gab, gesagt, dass das gar nicht funktioniert. Es hat auch gesagt, unter bestimmten, hohen Voraussetzungen sei eine Vorratsdatenspeicherung möglich. Das ist zunächst einmal richtig: Das Gericht hat nicht gesagt, dass es auf keinen Fall möglich ist. Das Gericht hat aber auch nicht gesagt, dass wir Vorratsdatenspeicherung betreiben sollen. In der jetzigen politischen Auseinandersetzung geht es darum, ob wir sie betreiben wollen oder nicht. Wir haben uns eine klare Meinung dazu gebildet. Im Übrigen werden wir im Gegensatz zur SPD auf keinen Fall die Einführung der Vorratsdatenspeicherung konstruktiv begleiten. Wir werden extrem konstruktiv dagegen arbeiten. Zumindest das können wir zusagen. All Ihre Vorhaben – Ihre Datensammelwut, der Abbau von Grund- und Freiheitsrechten in den letzten Jahren – haben zwei Gemeinsamkeiten: Zum einen werden dort leichtfertig lang erkämpfte demokratische Rechte geopfert; zum Zweiten – das ist hier heute zu Recht anerkannt worden – haben Sie weder bei der Onlinedurchsuchung noch bei anderen Maßnahmen dem Bundestag plausibel darlegen können, warum die Maßnahmen wichtig sind und worin der konkrete Nutzen besteht. Das haben Sie nicht gemacht; das wäre einmal schön. Vizepräsidentin Petra Pau: Dr. Patrick Sensburg (CDU/CSU): Dann besteht sogar die Möglichkeit, dass es zu einem Vertragsverletzungsverfahren kommt. Ist Ihnen das bekannt? Denn gerade haben Sie gesagt, es bleibe uns überlassen, ob wir das machen oder nicht. Jan Korte (DIE LINKE): Zweitens: Stichwort Europa. Folgendes Verhalten ist interessant – das waren, um vor Weihnachten etwas Versöhnliches zu sagen, nicht nur Sie –: Bei bestimmten Maßnahmen im Bereich der inneren Sicherheit – etwa Biometrie in Ausweisen –, die man hier in der Bundesrepublik nicht durchbekommen würde, weil es zu viel Widerstand in der Gesellschaft gibt, haben Sie und Ihre Vorgänger immer wieder versucht, über die Bande, über Europa zu spielen und dort massiv das einzufordern, was Sie hier nicht durchsetzen können, um dann zu sagen, es handele sich um eine EU-Richtlinie, die wir umsetzen müssten. Das geht natürlich nicht. Man müsste es umgekehrt machen: Man müsste die Europäische Union nutzen, um die Grundrechte besser zu schützen. So viel dazu. Vizepräsidentin Petra Pau: Siegfried Kauder (Villingen-Schwenningen) (CDU/CSU): Herr Kollege, könnten wir uns darauf einigen, dass Sie die Frage des Kollegen Sensburg bewusst nicht beantwortet haben? Sie haben hypothetisch gesagt, was wäre, wenn es diese europäische Richtlinie nicht gäbe. Es gibt sie aber. Jetzt sind Sie dran. Jan Korte (DIE LINKE): Herr Kollege Kauder, in der Tat gibt es die europäische Richtlinie. Aber gab es ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts, oder habe ich da irgendetwas übersehen? Das Bundesverfassungsgericht hat gesagt: So, wie die Richtlinie hier umgesetzt werden soll, ist es nicht zulässig; das geht nicht. Das ist doch die Situation. Sehe ich das falsch, oder wie? Ich finde, ich sehe das vollkommen richtig: Wir haben kein verfassungsfeindliches Gesetz eingebracht, Sie schon. Das ist die Situation. In diesem Falle ist es spannend, wie sich die FDP verhält. Ich würde mir natürlich wünschen, dass Sie die ganze Energie, die Sie aufwenden, um Ihren Parteivorsitzenden zu demontieren, in den Widerstand gegen die Vorratsdatenspeicherung umleiten könnten. Das wäre sehr gut. Eines will ich ganz ernsthaft sagen: In der Tat ist es besser – Kollege Stadler, damit haben Sie von der FDP recht, auch wenn Sie das nicht so explizit gesagt haben –, wenn Sie gar nichts einreichen, als das zu übernehmen, was die Union möchte. Deswegen hoffe ich, dass Sie in diesem Punkt weiterhin nichts einreichen werden. Die Linke steht in dieser Frage an der Seite der FDP. Halten Sie stand, Kollege Stadler und Kollegin Piltz. Das ist richtig. – Schließlich wollen wir sachlich Politik machen. Lange Rede, kurzer Sinn: Der Antrag der Grünen ist selbstverständlich sinnvoll. Er ist angebracht und auf der Höhe der Zeit. Er findet unsere volle Unterstützung. Wir bleiben ganz klar dabei: Nein zur Vorratsdatenspeicherung und Ja zu einer freien und aufmüpfigen Kommunikation. Das braucht diese Demokratie. Schönen Dank. Vizepräsidentin Petra Pau: Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe SPD, es ist wirklich lustig, wenn man der Regierung vorwirft, vor lauter Zerstrittenheit nicht liefern zu können, wenn man selbst vor lauter Zerstrittenheit nicht sprechfähig ist. Zu dieser zentralen bürgerrechtlichen Frage haben Sie sieben Minuten lang nichts gesagt. Das ist bedauerlich. Liebe Union, lieber Herr Kollege Sensburg, lieber Herr Kauder, diese Europahörigkeit, zumal die einer liberalen Frau Malmström, würde man sich in anderen Fragen auch wünschen, gerade in diesen Zeiten. Die Aufmüpfigkeit gegenüber Europa sitzt sozusagen in diesem Tortenstück. Hier tun Sie so, als würde quasi alles, was in Brüssel gemacht wird, vom Himmel fallen und als müsse man das schnell ausführen, weil man ein braver Europäer ist. So ist das nun auch nicht. Man kann es schon kritisch gegen das eigene Grundgesetz halten, und das wollen wir tun. Seit dem Karlsruher Urteil vergeht keine Woche, in der Sie die Vorratsdatenspeicherung nicht als Allheilmittel gegen alle möglichen Gefahren preisen. Das reicht bis zu Mobbing und Beleidigungen. Dabei drängt sich die Frage auf: Ist die Vorratsdatenspeicherung wirklich ein Allheilmittel, ist sie in Sachen Kriminalpolitik wirklich eine eierlegende Wollmilchsau, was Sie hier heute wieder suggerieren? Das ist sie eben nicht; denn die Vorratsdatenspeicherung kommt – das hat das Gericht glasklar gesagt –, wenn überhaupt, nur bei schwersten Straftaten in Betracht. Bezüglich der Auswirkungen der Vorratsdatenspeicherung auf die polizeiliche Kriminalitätsstatistik hat Frau Kollegin Piltz schon darauf hingewiesen, dass der zweijährige Test, der in den Jahren 2008 bis 2010 durchgeführt wurde, gezeigt hat, dass dadurch keine messbaren Änderungen zu verzeichnen sind. Etwas geht überhaupt nicht. Herr Sensburg, ich bin Ihnen dankbar, dass Sie auf die Äußerungen von Frau Malmström eingegangen sind. Man kann nicht wie Frau Malmström behaupten, dass sich an der Tatsache, dass es pro Jahr und Land im Durchschnitt 148 000 Zugriffe gibt – das ist offensichtlich die Zahl –, die Effektivität der Vorratsdatenspeicherung manifestieren würde. Das ist total unseriös. Das ist ungefähr so, als würde man sagen, dass sich aus der Tatsache, dass Millionen Menschen morgens Horoskope lesen, Rückschlüsse auf den Wahrheitsgehalt der Horoskope ziehen lassen. Das ist unwissenschaftlich und unseriös. So kann man mit Fragen, die den Kern unserer Verfassung berühren, nicht in Brüssel und auch nicht hier im Hohen Haus umgehen. Weil Ihnen hartes Zahlenmaterial fehlt, kommen Sie oft mit dem Einzelfall. Auch das BKA liefert häufig Einzelfälle. Ich sage Ihnen: Die Einzelfälle sind zweifellos schlimm – daran gibt es nichts zu rütteln –, aber der Einzelfall – Herr Kauder, das ist mein guter juristischer Gedanke, der Sie freuen wird – ist der denkbar schlechteste Ratgeber für den Gesetzgeber. Ob die Vorratsdatenspeicherung in diesen Fällen, die aufgeführt werden, hilft oder nicht, ist eine rein hypothetische Frage. Belegbar ist das nicht. Das Einzelfallargument kann nicht als seriöse Grundlage für einen so tiefen Grundrechtseingriff dienen. Zum letzten, einem wundersamen Punkt, Herr Kollege Sensburg, der mir auch in Ihrer Argumentation aufgefallen ist: Bis heute legen Sie keinen Entwurf vor, der zeigt, wie die Vorratsdatenspeicherung aussehen könnte. Meine These ist: Sie können es aufgrund der Voraussetzungen, die das Bundesverfassungsgericht genannt hat, nicht so einfach in einem Gesetz umsetzen; das ist nämlich nicht so ohne. Zuletzt. Die aktuelle Debatte über WikiLeaks wirft ein ganz neues Licht auf die Pläne einer Massenspeicherung. Jede Vorratsdatenspeicherung ist die Schaffung einer beispiellosen Tatgelegenheitsinfrastruktur. Sie ist eine Einladung zum Datenmissbrauch und führt das Gebot der Datensparsamkeit durch staatliche Speicherverpflichtung ad absurdum. Ich komme zum Schluss. Ihr Vorhaben ist bürgerrechtlich gesehen Gift für diese Demokratie. Sie wollen unsere Kommunikationsinfrastruktur zu einem Strafverfolgungsnetz umbauen. Sie beschädigen damit das Vertrauen der Menschen, in einem freiheitlichen Rechtsstaat ohne Überwachung kommunizieren zu können. Deswegen ist die Vorratsdatenspeicherung der falsche Weg. Ich bitte Sie in dieser weihnachtlichen Zeit: Kehren Sie um! Vielen Dank. Vizepräsidentin Petra Pau: Christian Ahrendt (FDP): Verehrte Präsidentin! Meine verehrten Kollegen und Kolleginnen! Liebe Frau Högl, die Regierung ist für viel verantwortlich, aber dass wir jetzt von der Opposition aufgefordert werden, die Weihnachtsgeschenke unter Ihren Tannenbaum zu legen, ist ein ganz besonderer Wunsch. Tatsache ist: Dass Sie diesen Wunsch überhaupt äußern konnten, ist Abgeordneten wie Gisela Piltz zu verdanken, die, vertreten von der Justizministerin, gegen die Umsetzung der Richtlinie in Karlsruhe geklagt haben. Dass wir heute überhaupt darüber nachdenken können, wie wir unsere Vorstellungen zu diesem Thema auf europäischer Ebene formulieren, ist Abgeordneten wie Gisela Piltz zu verdanken. Das muss man an dieser Stelle ganz klar sagen. Es stellt sich die Frage – das ist eben in der Debatte deutlich geworden –: Wie gehen wir mit der Situation um? Wir haben eine Richtlinie, die umgesetzt werden muss, und ein Urteil des Bundesverfassungsgerichtes, in dem das, was hier von der Großen Koalition umgesetzt worden ist, für verfassungswidrig erklärt wurde. In einer solchen Situation ist zunächst einmal Sorgfalt angezeigt. Auf europäischer Ebene wird evaluiert. Wir wissen noch nicht, wie sich die Evaluation entwickeln wird und wie sie im März 2011 abgeschlossen wird. Sie war für September angekündigt. Man muss abwarten, was kommt. Spannend ist auch: Wir haben das erste Mal die Situation, dass ein Land, nämlich Irland, über sein höchstes Gericht dem Europäischen Gerichtshof die Frage vorlegt, wie mit der Vorratsdatenspeicherung im Hinblick auf europäische Grundrechte umzugehen ist. Man muss sich fragen, ob man nicht erst abwartet, wie sich das Schicksal der Richtlinie auf europäischer Ebene und vor dem EuGH entwickelt, oder ob man mit vorauseilendem Gehorsam unterwegs ist. Man muss sich auch über einen weiteren Punkt klar werden. Eine Umsetzung der Richtlinie ist gar nicht mehr möglich, weil das Bundesverfassungsgerichtsurteil besagt, dass die Richtlinie so, wie sie formuliert ist, in Deutschland nicht mehr umsetzbar ist; denn das wäre gegen dieses Urteil. Auch das muss man sich klarmachen. Man muss sich in dieser Situation fragen: Wie geht man mit dem Gesamtthema Vorratsdatenspeicherung um? Man muss zu einem klaren Ergebnis kommen. Dazu muss man die Entwicklung der Rechtsprechung hin zu diesem Urteil betrachten. Zunächst kam es zur Aussetzung der Vorratsdatenspeicherung. Während dieser Zeit durfte nur im Rahmen des § 100 g der Strafprozessordnung, also bei besonders schweren Straftaten, auf Vorratsdaten zugegriffen werden. Selbst diese Regelung hat das Bundesverfassungsgericht nicht aufrechterhalten. Es hat sozusagen seinen eigenen einstweiligen Rechtsschutz einkassiert und ist in dem Urteil darüber hinausgegangen. Das ist ein klares Signal, wohin es gehen muss. Es kann, weil es darum geht, Straftaten aufzuklären, nur in eine Richtung gehen: Man puffert kurzfristig Daten, wenn es dazu einen konkreten Anlass, nämlich einen Verdacht für eine Straftat, gibt und wenn es einen entsprechenden richterlichen Beschluss gibt, diese Daten für strafrechtliche Ermittlungen zu nutzen. Das ist das, was wir in unserer Rechtsordnung an jeder Stelle kennen. Das ist auch das, was nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts maximal umgesetzt werden kann. Diese Diskussion müssen wir führen. Strafrecht muss sein. Aufklärung muss sein. Aber massenhafte, vorbehaltslose Vorratsdatenspeicherung kann es nicht mehr geben. Danke schön. Vizepräsidentin Petra Pau: Stephan Mayer (Altötting) (CDU/CSU): Sehr verehrte Frau Präsidentin! Sehr verehrte Kolleginnen! Liebe Kollegen! Zunächst einmal ist und bleibt festzuhalten: Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil vom 2. März dieses Jahres deutlich zum Ausdruck gebracht, dass die Umsetzung der EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung möglich und verfassungsgemäß ist. Sie können sich sicher sein, meine liebe Kolleginnen und Kollegen von der Opposition: Es wird uns gelingen, eine verfassungskonforme und europarechtskonforme Umsetzung dieser EU-Richtlinie ins Werk zu setzen. Wir werden den Grundsätzen der Transparenz, der Rechtsstaatlichkeit, des Datenschutzes und vor allem der Verhältnismäßigkeit Rechnung tragen und diese Richtlinie umsetzen. Lieber Kollege von Notz, ich habe natürlich Verständnis dafür, dass Sie versuchen, sich über das Thema Verbindungsdatenspeicherung zu profilieren; das ist in Ordnung. Aber ich bitte Sie, auf Ihre Wortwahl zu achten. Sie sagten, die Umsetzung der Richtlinie oder die Vorratsdatenspeicherung seien Gift für die Demokratie bzw. Gift für den Rechtsstaat. Ich bitte Sie, auf solche Formulierungen wirklich zu verzichten und entsprechend abzurüsten. Es geht hier um ein hochseriöses und wichtiges Thema. Da hat solche Polemik nichts verloren. Des Weiteren ist festzuhalten, dass wir nicht umhinkommen, diese Richtlinie umzusetzen. Mir kommt es ein bisschen so vor, dass es denjenigen, die jetzt die Hoffnung haben, Europa wird die EU-Richtlinie und die Verbindungsdatenspeicherung zu Fall bringen, genauso ergehen wird wie denjenigen, die auf Godot gewartet haben. Sie haben nämlich vergebens gewartet. Die EU-Kommissarin Malmström hat vor zwei Wochen deutlich zum Ausdruck gebracht, dass sie an dieser Richtlinie festhalten und es eine Evaluierung geben wird, dass aber keinesfalls daran gedacht ist, diese EU-Richtlinie abzuschaffen – ganz im Gegenteil. Die EU-Kommissarin Malmström ist bekanntermaßen keine konservative Politikerin, sondern eine liberale Politikerin. Wir kommen gar nicht umhin, diese EU-Richtlinie umzusetzen, genauso wie es 20 andere EU-Länder bereits getan haben. Es ist doch kein Geheimnis: Der blaue Brief aus Brüssel ist in Berlin schon eingegangen. Es droht auch gegen Deutschland ein Vertragsverletzungsverfahren, wie es gegen Schweden und Österreich bereits läuft. Diese EU-Richtlinie muss und wird also umgesetzt werden. Davon bin ich fest überzeugt. Eine ganz wichtige Frage lautet: Welche Auswirkungen hat die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts auf die Arbeit unserer Ermittlungsbehörden? Ich gebe Ihnen sogar recht, Herr Kollege von Notz, wenn Sie sagen: Die Verbindungsdatenspeicherung ist kein Allheilmittel. – Das ist richtig. Aber die Verbindungsdatenspeicherung ist aus meiner Sicht eine essenzielle, eine nicht verzichtbare Methode, die dazu beiträgt, schwerstkriminelle Straftäter zur Strecke zu bringen oder terroristische Angriffe in Deutschland zu verhindern. Die Zahlen liegen auf dem Tisch. Mittlerweile können die Ermittlungsbehörden in Deutschland 78 Prozent aller Auskunftsersuchen, die sie an Internetprovider richten, nicht mehr mit einem positiven Ergebnis abschließen. 78 Prozent aller Auskunftsersuchen gehen ins Leere. Es ist nun einmal so, dass die IP-Adresse insbesondere bei Straftaten im Internet und im Umfeld des Internets der einzige Ermittlungsansatz ist. In diesem Jahr gab es ein größeres Ermittlungsverfahren mit 120 Tatverdächtigen. In diesem Verfahren konnten nicht einmal 2 Prozent der Tatverdächtigen ermittelt werden, weil die Telekommunikationsunternehmen keine Daten mehr speichern. Nur die Deutsche Telekom speichert noch Daten, aus abrechnungstechnischen Gründen für eine Woche. Andere Telekommunikationsunternehmen wie Arcor oder HanseNet speichern die Daten überhaupt nicht mehr. Bei Flatrates, die immer mehr im Kommen sind, wird die IP-Adresse nun einmal nicht gespeichert. Deswegen kommen wir gar nicht umhin, eine Speicherung der IP-Adressen vorzunehmen. Das ist für unsere Ermittlungsbehörden ein essenzielles Mittel. Da Sie, lieber Kollege von Notz, ein bisschen lapidar von Einzelfällen gesprochen haben, bitte ich Sie, zur Kenntnis zu nehmen, dass es auch Fälle gab – das ist nicht gelogen; das hat sich in diesem Jahr leider Gottes so zugetragen –, in denen Selbstmörder nicht mehr rechtzeitig ausfindig gemacht werden konnten, sondern erst drei Stunden nachdem sie Selbstmord begangen haben. Wenn in diesen Fällen die IP-Adresse feststellbar gewesen wäre, dann wären diese Menschen möglicherweise – nicht mit Sicherheit, aber möglicherweise – noch rechtzeitig gefunden und gerettet worden. Ich bitte Sie deshalb eindringlich, nicht lapidar von Einzelfällen zu sprechen. Es geht um zahlreiche Einzelfälle in Deutschland, um Tausende oder Hunderttausende. Ihnen gilt es Rechnung zu tragen. Deswegen brauchen wir schnellstmöglich eine vernünftige Regelung zur Mindestspeicherfrist. Ein letzter Punkt noch. Es ist ja immer vom Quickfreeze-Verfahren die Rede. Abgesehen davon – das ist mittlerweile hinlänglich bekannt –, dass man nur Sachen speichern kann, die man auch wirklich hat – man kann einem Nackten nicht in die Tasche greifen; Dinge, die nicht gespeichert sind, kann man auch nicht einfrieren –, hat die EU-Kommissarin Malmström deutlich zum Ausdruck gebracht, dass das Quick-freeze-Verfahren nicht den Voraussetzungen der EU-Richtlinie entspricht. Beim Quick-freeze-Verfahren handelt es sich um eine anlassbezogene Speicherung, und es genügt diesen Voraussetzungen deshalb nicht. Zuallerletzt ist deutlich zu machen, dass das Bundesverfassungsgericht selbst in seinem Urteil vom 2. März zum Ausdruck gebracht hat, dass das Quick-freeze-Verfahren keine Umsetzung der EU-Richtlinie wäre. Deswegen, glaube ich, sollten wir uns mit dem Thema zwar beschäftigen, aber wir brauchen eine schnellstmögliche Umsetzung dieser EU-Richtlinie. Da selbst Wochenzeitschriften und -zeitungen wie Die Zeit oder der Stern, die nicht in dem Ruf stehen, rechtskonservative Publikationen zu sein, sich deutlich für eine Verbindungsdatenspeicherung aussprechen, bitte ich Sie, einzulenken und sich einer vernünftigen Lösung nicht zu verschließen. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. Vizepräsidentin Petra Pau: Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel „Keine Vorratsdatenspeicherung über den Umweg Europa“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/3589 , den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/1168 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Unionsfraktion und der FDP-Fraktion gegen die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und der Fraktion Die Linke bei Enthaltung der SPD-Fraktion angenommen. Position der BundesjustizministerinSabine Leutheusser-Schnarrenberger, Bundesministerin der Justiz nahm zum Thema während der Bundestagsdebatte am 25.11.2010 Stellung:Hier ist es doch ganz normal, dass selbstständige Fraktionen einer Koalition, die sich einem gemeinsamen Ziel verpflichtet hat, mit unterschiedlichen Vorstellungen an Fragen herangehen. Das trifft insbesondere auf die Frage des Umgangs mit der Vorratsdatenspeicherung nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts im März dieses Jahres zu. Ich brauche hier nicht auf alle Fakten einzugehen. Ich möchte nur erwähnen, dass es derzeit sehr wohl Bestandsdaten gibt, auf die man zugreifen kann. Wenn man das möglichst zeitnah und nicht retrograd tut, braucht man auch keine sechsmonatige Speicherungsfrist. Dass wir als FDP das Thema von unserem Verständnis
der Abwägung zwischen Freiheit und Sicherheit so wie von unserer Auffassung der Sparsamkeit bei Datensammlungen
anders sehen als unser Koalitionspartner,
ist bekannt. Damit gehen wir aber fair und sachlich um.
Es bringt nämlich, wie ich glaube, nichts, hier einfach zu
sagen: Da haben wir kein Problem. – Nein, wir haben
hier unterschiedliche Vorstellungen und gehen unterschiedlich
an dieses Thema heran. Deshalb hat die FDP-Fraktion
beschlossen, in dieser Frage anlassbezogen vorzugehen,
statt massenweise Datensammlungen anzulegen. Auf der Grundlage eines Vorschlages werden wir konstruktiv miteinander über dieses Thema reden und dann auch, wie ich denke, zu einem richtigen Ergebnis kommen. |
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