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Untersuchung: Vorratsdatenspeicherung ist ineffektiv (26.01.2011) Drucken E-Mail

Einer heute veröffentlichten Untersuchung der deutschen polizeilichen Kriminalstatistik zufolge ist eine Vorratsspeicherung von Telekommunikationsdaten bei der Verfolgung schwerer Straftaten nicht von Nutzen.

Eine EU-Richtlinie aus dem Jahr 2006 sieht vor, dass Telekommunikationsunternehmen verpflichtet werden sollen, Informationen über die Verbindungen ihrer sämtlichen Kunden aufzubewahren, um die "Ermittlung, Feststellung und Verfolgung von schweren Straftaten, wie sie von jedem Mitgliedstaat in seinem nationalen Recht bestimmt werden", zu erleichtern. Deutschland setzte die Richtlinie mit Wirkung ab 2008 um. Nach einer einstweiligen Anordnung des Bundesverfassungsgerichts konnten Strafverfolger auf Vorrat gespeicherte Verbindungsdaten für Ermittlungen wegen schwerer Straftaten abrufen. Ferner konnten sie zur Aufklärung jeglicher Straftat Internetnutzer mithilfe von Vorratsdaten identifizieren lassen. 2010 hob das Bundesverfassungsgericht die deutschen Regelungen zur Vorratsdatenspeicherung auf, weil sie unverhältnismäßig tief in die Grundrechte eingriffen.

Eine heute vom Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung veröffentlichte Analyse[1] der einschlägigen Tatbestände der polizeilichen Kriminalstatistik des Bundeskriminalamts offenbart nun, dass die Vorratsdatenspeicherung, solange sie in Kraft war, die Aufklärung schwerer Straftaten nicht verbesserte. So registrierte die Polizei in der Zeit der Vorratsdatenspeicherung mehr schwere Straftaten (2009: 16.814*) als zuvor (2007: 15.790*), die zudem seltener aufgeklärt wurden (2009: 83,5%*) als noch vor Beginn der anlasslosen Kommunikationsprotokollierung (2007: 84,4%*). Als 2009 auch Internetdaten auf Vorrat gespeichert werden mussten, stieg die Zahl der registrierten Internetstraftaten von 167.451 im Jahr 2008 auf 206.909 im Jahr 2009 stark an, während die Aufklärungsrate bei Internetstraftaten von 79,8% im Jahr 2008 auf 75,7% im Jahr 2009 zurückging.

Dem AK Vorrat zufolge lassen sich diese kontraproduktive Wirkungen einer Vorratsdatenspeicherung mit Verhaltensanpassungen erklären. Um der ausufernden Erfassung sensibler Kommunikationsdaten zu entgehen, werden unter Geltung einer Vorratsdatenspeicherung verstärkt Internetcafés, öffentliche WLAN-Zugänge, Anonymisierungsdienste, öffentliche Telefone und nicht-elektronische Kommunikation genutzt. Solche Vermeidungsmaßnahmen können nicht nur Vorratsdaten die Aussagekraft nehmen, sondern zugleich gezielte Überwachungsmaßnahmen vereiteln, wie sie ohne Vorratsdatenspeicherung noch möglich gewesen wären. Insgesamt kann eine Vorratsdatenspeicherung dadurch der Verfolgung von Straftaten abträglich sein, indem sie einige Ermittlungen erleichtert, weit mehr Ermittlungen aber vereitelt.

Da die Europäische Kommission derzeit die Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung evaluiert, fordern über 100 europäische Bürgerrechts-, Datenschutz- und Menschenrechtsorganisationen ebenso wie Telefonseelsorge- und Notrufvereine, Berufsverbände, Gewerkschaften, Verbraucherzentralen und Wirtschaftsverbände von der EU-Kommission, "die Aufhebung der EU-Vorgaben zur Vorratsdatenspeicherung zugunsten eines Systems zur schnellen Sicherstellung und gezielten Aufzeichnung von Verkehrsdaten vorzuschlagen".[2] Das deutsche Beispiel beweist, dass solche gezielten Ermittlungen insgesamt effektiver sein können als wahllos Daten über das Kommunikations-, Bewegungs- und Internetnutzungsverhalten der gesamten Bevölkerung anzuhäufen. In mehreren EU-Staaten wird die Verhältnismäßigkeit der Vorratsdatenspeicherung zurzeit vor Gericht angefochten. Der Europäische Gerichtshof wird dazu voraussichtlich 2012 eine Entscheidung fällen.

Unterstützung erhalten die Kritiker der EU-Richtlinie nun auch von der deutschen Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, die sich ebenfalls für eine Änderung der Richtlinie dahin ausgesprochen hat, dass Daten nur noch in konkreten Verdachtsfällen gespeichert werden. Leutheusser-Schnarrenberger sagte auf einer Pressekonferenz vergangene Woche: "Es haben sechs Mitgliedsstaaten insgesamt diese Richtlinie seit Inkrafttreten nicht umgesetzt. Damit ist die Kommission ein Stück weit gescheitert in ihrem Vorhaben, innerhalb der Europäischen Union einheitliche Standards zu Wettbewerbszwecken zu bekommen, denn das ist ja die Grundlage dafür gewesen, dass diese Richtlinie überhaupt verabschiedet werden konnte. Sie ist nicht auf der Grundlage der dritten Säule zu Zwecken der Strafverfolgung verabschiedet worden, weil es dazu keine Einstimmigkeit gegeben hat. Und deshalb muss die Kommission ein ganz großes Interesse daran haben, bei der Evaluierung zu sehen, wie man den Mitgliedsstaaten mehr Spielräume eröffnen kann. Denn sechs Staaten haben die Richtlinie nicht umgesetzt, Schweden und Österreich sind schon zweimal verurteilt worden. [...] Dies zeigt, dass das nicht ein Erfolgsprojekt der Europäischen Kommission und der Europäischen Union ist."[3]

Justiz-Staatssekretär Dr. Max Stadler bekräftigte nach einem informellen Treffen der Europäischen Justiz- und Innenminister letzte Woche: "Zum Schutz der Grundrechte gehört es auch, dass wir bei Maßnahmen der Strafverfolgung nur so weit in die Privatsphäre der Bürgerinnen und Bürger eingreifen, als es unbedingt erforderlich ist. Die derzeitige EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung geht unserer Meinung nach über dieses Ziel hinaus. Selbstverständlich brauchen Strafverfolgungsbehörden Daten, um Beweise zu erheben. Deswegen ist es in einem bestimmten Umfang gerechtfertigt, wenn Telekommunikationsdaten gespeichert werden, aber unserer Meinung nach nicht ohne Anlass. Es ist sehr erfreulich, dass Justizkommissarin Viviane Reding diesen Vorschlag der deutschen Bundesjustizministerin [zur Einführung eines Quick-Freeze-Verfahrens] als 'vielversprechenden Lösungsansatz' bezeichnet hat."[4]

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Weitere Informationen:

* Aktualisierte Fassung vom 25.03.2011.
 
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