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AK Vorrat fordert europaweites Vorratsdatenspeicherungs-Verbot (18.04.2011) Drucken E-Mail

Zu der heutigen Vorstellung eines Evaluierungsberichts zur Vorratsdatenspeicherung durch die EU-Kommission[1] erklären die im Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung zusammengeschlossenen Bürgerrechtler, Datenschützer und Internetnutzer: 

 Die EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung, welche die verdachtslose Aufzeichnung von Verbindungs-, Standort- und Internetzugangsdaten aller 500 Mio. Europäer vorsieht, ist die tiefgreifendste und unbeliebteste Überwachungsmaßnahme in der Geschichte der EU. Sie wurde nach den terroristischen Anschlägen in Madrid 2004 und in London 2005 beschlossen, obwohl diese Anschläge ohne Vorratsdatenspeicherung aufgeklärt worden sind. Die heutige EU-Innenkommissarin und Überwachungsbefürworterin Cecilia "Censilia" Malmström lehnte eine Vorratsdatenspeicherung noch 2005 mit der folgenden Begründung ab: "Bisher haben mich die Argumente für den Aufbau umfassender Systeme zur Aufzeichnung von Daten, Telefongesprächen, E-Mail-Nachrichten und SMS aber nicht überzeugt. Diese würden einen erheblichen Eingriff in das Privatleben darstellen und wären mit großen Missbrauchsrisiken behaftet. Schließlich ist die große Mehrheit von uns nicht kriminell."[2]

Mit ihrem jetzt vorgelegten Bericht[3] gesteht die EU-Kommissarin in vielerlei Hinsicht Fehler und Risiken einer Vorratsdatenspeicherung ein. Allerdings vermeidet Frau Malmström die einzig richtige Konsequenz daraus, nämlich die Abkehr vor einer flächendeckenden Erfassung aller Verbindungsdaten. Der Bericht der EU-Kommission ist ein politisches Dokument und nicht das Ergebnis einer unabhängigen und wissenschaftlichen Standards genügenden Wirksamkeitsanalyse, die den Namen Evaluierung verdient hätte. Die von der EU-Kommission angeführten Statistiken und Einzelfälle belegen die Notwendigkeit einer Erfassung aller Verbindungsdaten nicht. Die EU muss zur Kenntnis nehmen, dass eine Vorratsdatenspeicherung weder die Quote der aufgeklärten Straftaten erhöht noch die Zahl der begangenen Straftaten vermindert hat. Die EU muss ihr Vorratsdaten-Experiment daher sofort abbrechen und den völlig unverhältnismäßigen Zwang zur Totalspeicherung aller Verbindungsdaten von 500 Mio. Europäern durch ein Verfahren zur gezielten Aufbewahrung der Daten Verdächtiger ersetzen. Armin Schmid vom Arbeitskreis bekräftigt: "Eine auf Sicherheitsparanoia gegründete Politik kann nur Ablehnung erfahren."

In Anbetracht des unzulänglichen Kommissionsberichts veröffentlichen wir heute eine eigene Bilanz der EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung.[4] Daraus geht hervor, dass eine ungezielte und flächendeckende Vorratsdatenspeicherung von Kontakten, Bewegungen und Internetkennungen schädliche Auswirkungen auf vielfältige Bereiche der Gesellschaft hat (z.B. Kontakte zu Beratungsstellen, Ärzten, Rechtsanwälten, Betriebsräten, Psychologen und Journalisten) und Datenpannen und -missbrauch begünstigt. Die Ziele der Beseitigung von Wettbewerbsverzerrungen und Verfolgung von Straftaten lassen sich auch ohne flächendeckende Speicherung aller Verbindungdaten erreichen. Eine anlasslose Speicherung aller Standortdaten und Verbindungsdaten ist ein unverhältnismäßiger Eingriff in die Grundrechte aller Bürger auf Achtung ihrer Privatsphäre, der Vertraulichkeit ihrer Telekommunikation und auf freie Meinungsäußerung. Gesetze zur Vorratsdatenspeicherung haben gerichtlicher Überprüfung bereits mehrfach nicht standgehalten. Voraussichtlich im Jahr 2012 wird auch der Europäische Gerichtshof die EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung wegen Verletzung der EU-Grundrechtecharta aufheben.

In der Zwischenzeit verbietet die Europäische Menschenrechtskonvention Deutschland eine Umsetzung der Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung. Dass eine Vorratsdatenspeicherung gegen die Europäische Menschenrechtskonvention verstößt, ist bereits gerichtlich festgestellt worden. Solange der Europäische Gerichtshof den Widerspruch zwischen Menschenrechten und der Brüsseler Richtlinie nicht beseitigt hat, müssen die Freiheitsrechte der Bürger Vorrang haben.

Von Bundesregierung und Bundestag fordern wir daher,

  1. keinerlei verdachtslose Vorratsspeicherung von Verbindungsdaten über jedes unserer Telefonate, jede unserer SMS, jede unserer E-Mails oder jede unserer Internetverbindungen wieder einzuführen und auch den Vorschlag einer IP-Vorratsdatenspeicherung aus dem berüchtigten "Eckpunktepapier" des Bundesjustizministeriums zu streichen,
  2. die Abweichung Deutschlands von der EU-Richtlinie 2006/24 zur Vorratsdatenspeicherung von der EU-Kommission genehmigen zu lassen (Art. 114 Abs. 4 AEUV) und nötigenfalls die Genehmigung einzuklagen,
  3. die EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung bis zur Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs über die Gültigkeit dieser Richtlinie und über den Genehmigungsantrag nicht umzusetzen, selbst wenn der Gerichtshof gegebenenfalls eine Geldbuße gegen Deutschland verhängen könnte,
  4. sich gemeinsam mit Belgien, Österreich, Rumänien, Schweden und Tschechien für eine Aufhebung der unverhältnismäßigen EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung und für ein europaweites Verbot jeder verdachtslosen Vorratsspeicherung von Verbindungsdaten einzusetzen.

"Es ist widersprüchlich, dass die EU-Kommission die Umsetzung einer Richtlinie verlangt, die sie selbst nicht unverändert beibehalten möchte", kritisiert Patrick Breyer vom Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung. "Ein neues Umsetzungsgesetz bliebe auch dann bestehen, wenn die verfehlte EU-Richtlinie längst aufgehoben ist. Wir müssen deswegen alles daran setzen, eine neuerliche flächendeckende Erfassung von Verbindungsdaten in Deutschland zu verhindern."

Weitere Informationen:

Bilanz der EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung des Arbeitskreises Vorratsdatenspeicherung:
<http://www.vorratsdatenspeicherung.de/images/akvorrat_evaluierung_hintergrund_2011-04-17.pdf>

Evaluationsbericht der EU-Kommission (englisch):
<http://ec.europa.eu/commission_2010-2014/malmstrom/archive/20110418_data_retention_evaluation_de.pdf>

Schattenbericht von European Digital Rights (englisch):
<http://www.edri.org/files/shadow_drd_report_110417.pdf>

 
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