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EU-Vertragsverletzungsverfahren zur Vorratsdatenspeicherung endlich stoppen! (22.11.2011) Print E-mail

 Das von Bundesregierung und EU bisher unter Verschluss gehaltene zweite Mahnschreiben der EU-Kommission zur Vorratsdatenspeicherung vom 27.10.2011 ist heute vom AK Vorrat veröffentlicht worden.[1] EU-Innenkommissarin Malmström fordert die Bundesregierung darin auf, bis Jahresende eine sechsmonatige Vorratsspeicherung von Verbindungs- und Standortdaten aller Nutzer von Telefonfestnetz, Mobilfunk, Internet-Telefonie und E-Mail wieder einzuführen. Geschieht dies nicht, kann die EU-Kommission Klage vor dem Europäischen Gerichtshof erheben. Dieser kann dann eine Strafzahlung verhängen.

Dem Schreiben zufolge hat die Bundesregierung der EU mitgeteilt, sie würde "derzeit neue Maßnahmen ausarbeiten, um der Richtlinie 2006/24/EG nachzukommen". Demgegenüber hat die Bundesregierung der EU nicht mitgeteilt, dass eine Beibehaltung des geltenden Verbots einer Vorratsdatenspeicherung beabsichtigt sei. Eine solche Meldung wäre nach dem EU-Vertrag jedoch Voraussetzung dafür, von der 2006 beschlossenen Richtlinie zur mindestens sechsmonatigen verdachtslosen Vorratsdatenspeicherung abweichen zu können.

64.704 Bürgerinnen und Bürgern haben im Oktober von der Bundesregierung in einer Petition gefordert, eine "Abweichung Deutschlands von der EU-Richtlinie 2006/24 zur Vorratsdatenspeicherung genehmigen zu lassen (Art. 114 Abs. 4 AEUV) und nötigenfalls die Genehmigung einzuklagen."[2] Auch der Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung erwartet von der Bundesregierung, dass sie sich endlich auf eine Nichtumsetzung einigt und eine entsprechende Genehmigung der EU-Kommission beantragt.

"Insbesondere CDU und CSU müssen einsehen, dass es in der Koalition, in der Bevölkerung und selbst unter ihren eigenen Wählern[3] keine Mehrheit für eine verdachtslose Speicherung aller unserer Verbindungen ins Blaue hinein gibt", fordert Michael Ebeling vom Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung. "Stattdessen versucht man die Vorratsdatenspeicherung mit Hilfe jedes inhaltlich noch so fadenscheinigen Arguments gegen vielfach geäußerte Sachkenntnis durchdrücken zu wollen. Das war auch bei der Einführung der Vorratsdatenspeicherung Ende 2007 schon so und endete in der Nichtigerklärung durch das Bundesverfassungsgericht..."

Die Bundesjustizministerin hat im Sommer eine verdachtslose Vorratsspeicherung aller Internetverbindungen und eine anlassbezogene Speicherung sonstiger Daten vorgeschlagen,[4] während der Bundesinnenminister eine anlasslose Erfassung auch sämtlicher Telefonate und E-Mails einschließlich Positionsdaten fordert. Die Verhandlungen der Minister dauern an. Dem Europäischen Gerichtshof liegen gegenwärtig 20 Vertragsverletzungsklagen gegen Deutschland vor.[5]

Weitere Informationen

"86 Cent für ein Jahr ohne Vorratsdatenspeicherung" (18.07.2011)

Das Schreiben der EU-Kommission vom 27. Oktober 2011 im Wortlaut:

Europäische Kommission
Brüssel, den 27.10.2011
Vertragsverletzung Nr. 2011/2091
K(2011) 7509 endg.

Mit Gründen versehene Stellungnahme

gemäß Artikel 258 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union

gerichtet an die Bundesrepublik Deutschland

wegen fehlender Umsetzung oder Aufrechterhaltung von Maßnahmen, die notwendig sind, um die Richtlinie 2006/24/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. März 2006 über die Vorratsspeicherung von Daten, die bei der Bereitstellung öffentlich zugänglicher elektronischer Kommunikationsdienste oder öffentlicher Kommunikationsnetze erzeugt oder verarbeitet werden, und zur Änderung der Richtlinie 2002/58/EG [L 105/54, 13.4.2006] nachzukommen.

1. Artikel 15 Absatz 1 der Richtlinie 2006/24/EG sieht vor, dass die Mitgliedsstaaten die Rechts- und Verwaltungsvorschriften in Kraft setzen, die erforderlich sind, um dieser Richtlinie bis spätestens 15. September 2007 nachzukommen. Sie setzen die Kommission unverzüglich davon in Kenntnis.

2. Artikel 15 Absatz 3 der Richtlinie 2006/24/EG sieht vor, dass jeder Mitgliedsstaat bis 15. März 2009 die Anwendung dieser Richtlinie auf die Speicherung von Kommunikationsdaten betreffend Internetzugang, Internet-Telefonie und Internet-E-Mail aufschieben kann. Die Bundesrepublik Deutschland machte von dieser Möglichkeit Gebrauch.

3. Da die Bundesrepublik Deutschland die Kommission innerhalb der genannten Frist nicht über nationale Umsetzungsmaßnahmen unterrichtet hatte, leitete die Kommission am 27. November 2007 durch Übermittlung eines Aufforderungsschreibens (Aktenzeichen SG(2007)D207204) ein Verfahren nach Artikel 258 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (vormals Artikel 226 EGV) gegen die Bundesrepublik Deutschland ein. Die Bundesrepublik Deutschland antwortete auf das Aufforderungsschreiben am 18. Januar 2008 durch Übermittlung des Gesetzes zur Neuregelung der Telekommunikationsüberwachung vom 21. Dezember 2007 (SG(2008)A/00731), durch das den Angaben der Bundesrepublik Deutschland zufolge die Richtlinie 2006/24/EG vollständig umgesetzt worden ist.

4. Nach Prüfung des gemeldeten Gesetzes stellte die Kommission das Verfahren im September 2008 ein.

5. Am 2. März 2010 entschied das Bundesverfassungsgericht, dass die Regelungen des Telekommunikationsgesetzes und der Strafprozessordnung über die Vorratsdatenspeicherung mit dem deutschen Grundgesetz nicht vereinbar sind.

6. Mit Schreiben vom 23. Juni 2010 bestätigte die Bundesrepublik Deutschland, dass das Bundesverfassungsgericht die nationale Umsetzung der Richtlinie 2006/24/EG verworfen hatte, indem die §§ 113a und 113b des Telekommunikationsgesetzes sowie § 100g Absatz 1 Satz 1 der Strafprozessordnung, soweit danach Verkehrsdaten nach § 113a des Telekommunikationsgesetzes erhoben werden durften, für nichtig erklärt wurden.

7. Da die Bundesrepublik Deutschland die Kommission nicht davon in Kenntnis gesetzt hatte, dass sie nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts neue Bestimmungen erlassen hatte, um der Richtlinie 2006/24/EG nachzukommen und der Kommission keine anderen Informationen vorlagen, die sie zur Annahme berechtigten, dass die Bundesrepublik Deutschland die notwendigen Bestimmungen erlassen hatte, musste sie davon ausgehen, dass die Bundesrepublik Deutschland solche neuen Bestimmungen noch nicht erlassen hatte.

8. Aus diesem Grunde hat die Kommission die Bundesrepublik Deutschland mit Schreiben Nr. K(2011)4112 (Ref. SG-Greffe(2011)D/9667) vom 17. Juni 2011 nach dem Verfahren des Artikels 258 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union Gelegenheit gegeben, sich binnen zwei Monaten hierzu zu äußern.

9. Mit Schreiben vom 15. August 2011 äußerte die Bundesrepublik Deutschland die Auffassung, dass in Deutschland durch geltende Rechtsvorschriften eine Teilumsetzung der Richtlinie 2006/24/EG besteht. Nach Auffassung der Bundesrepublik Deutschland sind Teile der Verpflichtungen der Artikel 1, 2, 4, 5, 6, 7, 9 der Richtlinie 2006/24/EG, die insbesondere die Speicherung von Namen und Anschrift der Teilnehmer oder registrierten Benutzer, die Weitergabe dieser Daten für Zwecke der Strafverfolgung, die Gewährleistung von Datenschutz und Datensicherheit und die Einrichtung einer Kontrollstelle betreffen, auch nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts in Deutschland durch geltende Rechtsvorschriften umgesetzt (S. 5).

10. Artikel 1 Absatz 1 der Richtlinie 2006/24/EG sieht vor, dass mit der Richtlinie die Vorschriften der Mitgliedsstaaten über die Pflichten von Anbietern öffentlich zugänglicher elektronischer Kommunikationsdienste oder Betreibern eines öffentlichen Kommunikationsnetzes im Zusammenhang mit der Vorratsspeicherung bestimmter Daten, die von ihnen erzeugt oder verarbeitet werden, harmonisiert werden sollen.

11. Artikel 3 Absatz 1 der Richtlinie 2006/24/EG sieht vor, dass die Mitgliedsstaaten durch entsprechende Maßnahmen dafür Sorge tragen, dass die in Artikel 5 der Richtlinie genannten Daten, soweit sie im Rahmen ihrer Zuständigkeit im Zuge der Bereitstellung der betreffenden Kommunikationsdienste oder Betreiber eines öffentlichen Kommunikationsnetzes erzeugt oder verarbeitet werden, gemäß den Bestimmungen der Richtlinie auf Vorrat gespeichert werden.

12. Es ist unbestritten, dass die Verpflichtungen der Richtlinie 2006/24/EG nicht vollständig erfüllt werden durch die von der Bundesrepublik Deutschland im Schreiben vom 15. August 2011 angeführte Teilumsetzung der Verpflichtungen der Artikel 1, 2, 4, 5, 6, 7, 9 der Richtlinie in Deutschland. Die Bundesrepublik Deutschland bestätigte in diesem Schreiben, dass das Bundesverfassungsgericht insbesondere die Umsetzung der Speicherpflicht für Verkehrsdaten gemäß Artikel 5 der Richtlinie 2006/24/EG für nichtig erklärt hat. Die von der Bundesrepublik Deutschland im Schreiben vom 15. August 2011 aufgeführte Teilumsetzung der Richtlinie in Deutschland durch geltende Rechtsvorschriften umfasst nicht alle Kategorien von auf Vorrat zu speichernden Daten, die Artikel 5 der Richtlinie vorsieht.

13. Hinsichtlich der Kategorien von auf Vorrat zu speichernden Daten, die in Artikel 5 der Richtlinie 2006/24/EG aufgeführt werden, bezieht sich die von der Bundesrepublik Deutschland im Schreiben vom 15. August 2011 angeführte Teilumsetzung der Richtlinie in Deutschland durch geltende Rechtsvorschriften auf folgende Bestimmungen: Artikel 5 Absatz 1 Buchstabe a Nummer 1 Ziffer ii über die Speicherung des Namens und der Anschrift des Teilnehmers oder registrierten Benutzers betreffend Telefonfestnetz und Mobifunk; Artikel 5 Absatz 1 Buchstabe a Nummer 2 Ziffer iii über die Speicherung des Namens und der Anschrift des Teilnehmers bzw. registrierten Benutzers, dem eine Internetprotokoll-Adresse (IP-Adresse), Benutzerkennung oder Rufnummer zum Zeitpunkt der Nachricht zugewiesen war; Artikel 5 Absatz 1 Buchstabe b Nummer 1 Ziffer ii über die Speicherung des Namens und der Anschrift des Teilnehmers oder registrierten Benutzers betreffend Telefonfestnetz und Mobifunk; Artikel 5 Absatz 1 Buchstabe b Nummer 2 Ziffer ii über die Speicherung des Namens und der Anschrift der Teilnehmer oder registrierten Benutzer und der Benutzerkennung des vorgesehenen Empfängers einer Nachricht.

14. Hinsichtlich der Kategorien von auf Vorrat zu speichernden Daten, die in Artikel 5 der Richtlinie 2006/24/EG aufgeführt werden, umfasst die von der Bundesrepublik Deutschland im Schreiben vom 15. August 2011 angeführte Teilumsetzung der Richtlinie in Deutschland durch geltende Rechtsvorschriften nicht die folgenden Bestimmungen: die Verpflichtung zur Speicherung der Rufnummer des anrufenden Anschlusses betreffend Telefonfestnetz und Mobilfunk gemäß Artikel 5 Absatz 1 Buchstabe a Nummer 1 Ziffer i; die Verpflichtung zur Speicherung der zugewiesenen Benutzerkennung(en) gemäß Artikel 5 Absatz 1 Buchstabe a Nummer 2 Ziffer i; die Verpflichtung zur Speicherung der Benutzerkennung und der Rufnummer, die jeder Nachricht im öffentlichen Telefonnetz zugewiesen werden, gemäß Artikel 5 Absatz 1 Buchstabe a Nummer 2 Ziffer ii; die Verpflichtung zur Speicherung der ausgewählten Rufnummer(n) (der Rufnummer(n) des angerufenen Anschlusses) und der Nummer(n), an die der Anruf bei Zusatzdiensten wie Rufweiterleitung oder Rufumleitung geleitet wird, gemäß Artikel 5 Absatz 1 Buchstabe b Nummer 1 Ziffer i; die Verpflichtung zur Speicherung der Benutzerkennung oder Rufnummer des vorgesehenen Empfängers eines Anrufs mittels Internet-Telefonie gemäß Artikel 5 Absatz 1 Buchstabe b Nummer 2 Ziffer i; die Verpflichtung zur Speicherung der zur Bestimmung von Datum, Uhrzeit und Dauer einer Nachrichtenübermittlung benötigten Daten gemäß Artikel 5 Absatz 2 Buchstabe c; die Verpflichtung zur Speicherung der zur Bestimmung der Art einer Nachrichtenübermittlung benötigten Daten gemäß Artikel 5 Absatz 1 Buchstabe d; die Verpflichtung zur Speicherung der zur Bestimmung der Endeinrichtung oder der vorgeblichen Endeinrichtung von Benutzern benötigten Daten gemäß Artikel 5 Absatz 1 Buchstabe e; die Verpflichtung zur Speicherung der zur Bestimmung des Standorts mobiler Geräte bemötigten Daten gemäß Artikel 5 Absatz 1 Buchstabe f.

15. Die Kommission ist daher der Auffassung, dass die von der Bundesrepublik Deutschland im Schreiben vom 15. August 2011 angeführte Teilumsetzung der Richtlinie in Deutschland durch geltende Rechtsvorschriften einer vollständigen Umsetzung der Artikel 3 und 5 der Richtlinie nicht gleichkommt. Zudem erfüllt solch eine Teilumsetzung nicht die Ziele der Richtlinie, die Artikel 1 vorsieht.

16. Die Kommission ist daher der Auffassung, dass Deutschland seinen Verpflichtungen aus Artikel 15 der Richtlinie 2006/24/EG und aus Artikel 4 Absatz 3 des Vertrags über die Europäische Union nicht nachkommt.

17. Aus den von der Bundesrepublik Deutschland mit Schreiben vom 15. August 2011 übermittelten Bemerkungen geht hervor, dass die Behörden der Bundesrepublik Deutschland derzeit neue Maßnahmen ausarbeiten, um der Richtlinie 2006/24/EG nachzukommen. Der Kommission wurde kein Textentwurf dieser Maßnahmen und kein Zeitplan zur Umsetzung dieser Maßnahmen mitgeteilt.

Da der Kommission keine diesbezüglichen Mitteilungen vorliegen, geht sie davon aus, dass diese Maßnahmen noch nicht erlassen wurden.

18. Die Kommission ist der Ansicht, dass es Aufgabe der Behörden der Bundesrepublik Deutschland ist, die notwendigen Verfahren durchzuführen, um der Richtlinie 2006/24/EG nachzukommen, und die Kommission hiervon in Kenntnis zu setzen.

19. Die Kommission stellt daher fest, dass die Bundesrepublik Deutschland immer noch nicht die neuen Maßnahmen ergriffen hat, die notwendig sind, um der Richtlinie 2006/24/EG nachzukommen, und der Kommission auf jeden Fall keine solchen Maßnahmen mitgeteilt hat.

Aus diesen Gründen gibt die Europäische Kommission

nachdem sie der Bundesrepublik Deutschland mit Aufforderungsschreiben vom 17. Juni 2011 (Ref. SG-Greffe(2011)D/9667) Gelegenheit zur Äußerung gegeben hat und in Anbetracht der Antwort der Regierung der Bundesrepublik Deutschland vom 15. August 2011

gemäß Artikel 258 Absatz 1 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union

folgende mit Gründen versehene Stellungnahme ab:

Die Bundesrepublik Deutschland hat ihre Verpflichtungen aus Artikel 15 der Richtlinie 2006/24/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. März 2006 über die Vorratsspeicherung von Daten, die bei der Bereitstellung öffentlich zugänglicher elektronischer Kommunikationsdienste oder öffentlicher Kommunikationsnetze erzeugt oder verarbeitet werden, und zur Änderung der Richtlinie 2002/58/EG [L 105/54, 13.4.2006] und aus Artikel 4 Absatz 3 des Vertrags über die Europäische Union verletzt, indem sie nicht die Rechts- und Verwaltungsvorschriften, die notwendig sind, um dieser Richtlinie nachzukommen, erlassen, mitgeteilt oder aufrechterhalten hat.

Die Kommission fordert die Bundesrepublik Deutschland gemäß Artikel 258 Absatz 1 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union auf, die notwendigen Maßnahmen zu treffen, um dieser mit Gründen versehenen Stellungnahme binnen zwei Monaten nach Eingang dieses Schreibens nachzukommen.

Brüssel, den 27.10.2011

Für die Kommission
Cecilia Malmström
Mitglied der Kommission

 
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