Datenschützer und Internetnutzer protestieren scharf gegen einen neuen
Gesetzentwurf von Bundesinnenminister de Maizière, der die mit guten
Argumenten gestoppte Vorratsdatenspeicherung nun bezogen auf die
Benutzung des Internet erlauben soll. „Das neuerliche Vorhaben von
Bundesminister de Maizière geht noch über die frühere
Vorratsdatenspeicherung hinaus, weil sogar der Inhalt unserer
Internetnutzung gespeichert werden soll“, warnt Florian Altherr vom
Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung. Gegen die verdachtslose
Speicherung aller Verbindungs- und Standortdaten hatten 35.000 Bürger
erfolgreich Beschwerde beim Bundesverfassungsgericht eingereicht.
Der neue Vorstoß des Bundesinnenministers ist in dem gestern vorgelegten
Entwurf eines „Gesetzes zur Erhöhung der Sicherheit
informationstechnischer Systeme (IT-Sicherheitsgesetz)“[1] versteckt.
Jeder Anbieter von Internetdiensten wie Google, Amazon oder Spiegel
Online soll danach künftig das Recht erhalten, das Surfverhalten seiner
Besucher ohne Anlass aufzuzeichnen – angeblich zum „Erkennen von
Störungen“. Tatsächlich würde der Vorstoß zur Änderung des
Telemediengesetzes die unbegrenzte und unbefristete Speicherung jeder
Eingabe und jedes Mausklicks beim Lesen, Schreiben und Diskutieren im
Internet legalisieren. Die Surfprotokolle dürften ohne richterlichen
Beschluss an Polizei, Bundeskriminalamt, Geheimdienste sowie an die
Unterhaltungsindustrie herausgegeben werden. Eine Beschränkung auf
schwere Straftaten ist nicht vorgesehen. Zudem will de Maizière
Internet-Zugangsanbieter zwingen, auf Vorrat zu speichern, welcher
Teilnehmer wann mit welcher IP-Adresse das Internet genutzt hat. Der
Trick: Internetzugangsanbieter sollen ihre Kunden von Hinweisen auf
Schadsoftware auf ihrem Rechner benachrichtigen müssen, was eine
Speicherung aller IP-Adressen voraussetzt. Bisher lehnen viele
Internet-Zugangsanbieter die Vorratsspeicherung von
Internet-Verbindungsdaten weiterhin ab.[2] Der neue Gesetzentwurf sieht
keine zeitliche Grenze für Speicherung und Benachrichtigungspflicht vor.
Gespeicherte Internet-Verbindungsdaten wären für Auskünfte an Polizei,
Bundeskriminalamt, Geheimdienste sowie zum Versand von Abmahnungen an
die Unterhaltungsindustrie heranziehbar. Eine richterliche Anordnung
staatlicher Anfragen nach der Identität von Internetnutzern wäre ebenso
nicht vorgeschrieben, eine Beschränkung auf schwere Straftaten ebenfalls
nicht.
„De Maizière will nun nicht nur wissen, wann wir unter
welcher Adresse ins Internet gehen, sondern auch, was wir dort tun. Als
nächstes will er wahrscheinlich aufzeichnen lassen, welche Gespräche wir
im Café führen oder welche Zeitungsartikel wir lesen. Das ist
ungeheuerlich, zumal es in einem ganz anderen Gesetz versteckt wird",
ergänzt Altherr „Ich empfinde diese Vorratsdatenspeicherung und
Surfprotokollierung durch die Hintertür als eine schallende Ohrfeige für
alle, die sich für mehr Daten- und Persönlichkeitsschutz engagieren,
zumal der Bundestag 2009 einen vergleichbaren Vorstoß des Amtsvorgängers
Schäuble auf unseren Protest hin ausdrücklich abgelehnt hat[3]“,
bekräftigt Ute Elisabeth Gabelmann vom Arbeitskreis
Vorratsdatenspeicherung. „Die nun geplanten Datenberge wären dem
permanenten Risiko von Datenklau, Datenpannen und Datenmissbrauch
ausgesetzt, was die Sicherheit unserer Daten bedroht. Herr de Maizière
widerspricht mit diesem Gesetzentwurf offen seinem nach den
Datenskandalen der letzten Jahre öffentlich verkündeten Ziel, den Schutz
der Daten von Bürgern und Internetbenutzern zu verbessern und die
gesetzlich verankerte Datensparsamkeit endlich zu fördern.“ Der
Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung fordert Bundesregierung und
Bundestag auf, für eine sofortige Streichung der geplanten
Huckepack-Änderungen des Telemediengesetzes und des
Telekommunikationsgesetzes aus dem Gesetzentwurf zur IT-Sicherheit zu
sorgen.
Im Einzelnen begründet der Arbeitskreis diese Forderung wie folgt:
- Die Vorratsspeicherung der Internetnutzung hat in einem Gesetzentwurf
zur „Sicherheit informationstechnischer Systeme“ nichts zu suchen. Für
das Internetrecht ist der Bundesinnenminister überhaupt nicht zuständig,
sondern das Bundeswirtschaftsministerium.
- Dem
Bundesinnenministerium geht es in Wahrheit nicht um die Sicherheit von
Dienstanbietern, sondern um seine eigene Sicherheit vor den Gerichten.
Nachdem bereits dem Bundesjustizministerium die verdachtslose
Protokollierung der Benutzung seiner Internetseiten unter Strafandrohung
untersagt wurde[4], will der Bundesinnenminister nun das Gesetz ändern,
statt es einzuhalten. Das Bundesinnenministerium zeichnet gegenwärtig
gesetzeswidrig die gesamte Nutzung seines Internetportals in
personenbezogener Form auf[5] . Nachdem wir eine Verfassungsbeschwerde
gegen die IP-Vorratsdatenspeicherung der Deutschen Telekom angekündigt
haben,[6] will de Maizière die Praxis flugs durch eine Gesetzesänderung
für sämtliche Zugangsanbieter festschreiben.
Die
„Störungsbekämpfung“ als offizielle Begründung ist vorgeschoben. Die
anlasslose, präventive Vorratsspeicherung der inhaltlichen
Internetnutzung aller Besucher eines Internetangebots hat nichts mit
einer gezielten Störungsbeseitigung zu tun. Große Portale wie das von
Bundesjustizministerium und Bundesfinanzministerium beweisen, dass eine
anlasslose Protokollierung der gesamten Internetnutzung zum ungestörten
Betrieb von Internetangeboten nicht erforderlich ist. Dasselbe gilt für
eine Vielzahl weiterer Portale, die an dem Projekt „Wir speichern
nicht!“[7] teilnehmen. Der geltende Telemedien-Datenschutz hat sich über
Jahre hinweg bewährt und ist im Sinne des Bürgerrechts auf
unbeobachtete Bewegung im öffentlichen Raum zu erhalten. - Ein
ähnlicher Versuch im Rahmen des „Telekom-Pakets“ der EU ist politisch
gestoppt worden. Auch der Bundeswirtschaftsminister hatte sich nach
einem offenen Brief von Datenschützern bei seinen EU-Kollegen dafür
stark gemacht, eine solche verdachtsunabhängige Speichererlaubnis von
Inhalten aus dem Paket zu streichen.[8] Innenminister de Maizière will
das Wirtschaftsministerium nun anscheinend mit einem U-Boot-Paragrafen
in einem ganz anderen Gesetz ausbooten und im deutschen Alleingang
Fakten schaffen. Das ist eine politische Unkultur, wie sie nicht in die
Offenheit des Internet-Zeitalters passt.
Wie beim Lesen eines
Buches, der Zeitung oder beim Versenden eines Briefes muss garantiert
bleiben, dass uns auch im Internet niemand über die Schulter blicken
kann. Nur bei Protokollierungsfreiheit können wir unbefangen lesen,
schreiben und diskutieren. Das nützt nicht nur uns (z.B. vertraulich
Hilfe suchen bei Anwälten, Ärzten, Drogenberatung, AIDS-Beratung...),
sondern allen (z.B. Aktivisten, Whistleblower oder Presseinformanten,
die auf allgemeine Missstände aufmerksam machen). Eine Forsa-Umfrage[9]
hat zudem nachgewiesen, dass eine Vorratsdatenspeicherung die
Bereitschaft zu sensibler Kommunikation drastisch senkt. - In den
letzten Jahren ist es immer wieder zu Datenpannen gekommen, bei denen
sensible Nutzungsdaten plötzlich weltweit zugänglich waren. Nachzulesen
war, wer delikate Kontaktanzeigen unter Chiffre aufgegeben hatte[10],
wer das Erotikangebot von Beate Uhse genutzt hatte[11] oder welche
Kinder ein Forum des ZDF-Kinderkanals nutzten[12]. Es ist völlig
unverantwortlich und gefährdet unsere Sicherheit, wenn jetzt neue
Datenberge in Form inhaltlicher Aufzeichnungen unseres Gelesenen und
Geschriebenen geschaffen und damit privateste Daten über unsere
Internetnutzung Missbrauchsrisiken ausgesetzt werden sollen.
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