Grundrechte als Kompromissgeschäft - EU-Workshop zur Vorratsdatenspeicherung in Brüssel (20.07.11)

Ein Bericht von Michael Ebeling (AK Vorrat) über den Workshop zur Vorratsdatenspeicherung in Europa, organisiert von der EU-Kommission in Brüssel am 8. Juni 2011:

Das Treffen fand am Nachmittag von etwa 13:30 bis 17:20 im großen Gebäude der Europakommission (Berlaymontgebäude) statt. Dort geht's nur rein, wenn man angemeldet ist (ein Personalausweis wurde allerdings nicht verlangt); nach Anmeldung wurden wir in den ersten Stock in einen Konferenzraum begleitet, in dem wir alles in allem in Spitzenzeiten mit bis zu 42 Leuten waren.

 Es wurden Übersetzungen in deutsch, englisch, französisch, italienisch und spanisch angeboten (das war für mich sehr hilfreich). Geleitet wurde die "Veranstaltung" von der Kommissions-Vorsitzenden Cecilia Verkleij, erst am Ende, als sie vorzeitig gehen musste, übernahm Christian D'Cunha von der Kommission die Leitung.

Im Wesentlichen ging es wie folgt voran: ein paar einleitende Worte von Frau Verkleij, eine Themenübersicht von Ian Walden von der Uni London, dann von etwa 14:10 bis 15:45 der erste Teil mit Statements und Fragen, nach einer kurzen Kaffeepause schließlich der zweite Teil bis etwa 17:20 Uhr.

Dieser "Workshop" (völlig verkehrter Name, wie ich finde) sollte den zivilgesellschaftlichen Gruppen wie unseren die Gelegenheit geben, ihre Meinung zum Thema zu äußern, Anregungen und Tipps einzubringen. Zwei weitere Veranstaltungen (soweit ich weiß: eine für Provider, eine für Regierungsbehörden) sollen folgen. Leider war - wie immer - viel zu wenig Zeit und es war keine Veranstaltung, die auf Diskussion ausgelegt war, es sollte nur "Input" erfolgen. Gut, weil dann mehr Zeit für Statements war. Schlecht, weil keine echte Diskussion mit der Kommission möglich war.

 Bis auf ein oder zwei Leute waren alle sich zu Wort gemeldeten Teilnehmer grundsätzlich VDS-kritisch eingestellt. An die vorgegebenen Fragen der beiden Fragerunden wurde sich so gut wie gar nicht gehalten. Die Fragen waren auch sehr stark auf die Interessen bzw. auf den Blickwinkel der Kommission ausgerichtet. Darin tauchte die Option, dass die Richtlinie evtl. ganz zu stoppen sei, gar nicht auf.

Die in der Runde vorgebrachten Argumente sind hinlänglich bekannt. Es wäre müßig, diese hier zum erneuten Male aufzuzählen. Die Leute von der Kommission sind zwar nett und freundlich (und das meine ich wirklich so!) und betonen auch, dass sie selbst das Aufheben der Richtlinie als eine mögliche Option nicht ausschließen würden, es drängt sich mir aber der (subjektive) Eindruck auf, dass wir es darauf oder auf irgendeine andere, für uns vertretbare Ergebnisvariante, so gut wie sicher nicht hoffen dürfen. So fiel etwas später auch die klare (mehr als diskussionsfähige) Aussage, dass "data preservation" (z.B. Quick Freeze) niemals eine Vorratsdatenspeicherung ersetzen könne.

Was ich in meinen Wortmeldungen als AK-Vorrat-Vertreter anzubringen versucht habe:

- Vorweg habe ich bemängelt, dass die Zeit zu knapp für eine ordentliche Diskussion ist und dass es seltsam ist, dass gar nicht mehr die Harmonsierung sondern nur noch die Stärkung der Strafverfolgungsbehörden im Vordergrund zu stehen scheint.

- Ich habe dann klargemacht, dass die Richtlinie alles andere als Harmonisierung zur Folge gehabt hat, sondern viel mehr Durcheinander und Risiken als zuvor. dass die Evaluation gar keine echte Evaluation ist und keinen wissenschaftlichen seriösen Anforderungen entspricht und keinerlei Notwendigkeit oder Sinnhaftigkeit der Maßnahmen bewiesen werden konnte. Und dass damit die gesamte Richtlinie für nichtig zu erklären sei und den Ländern, die diese bislang noch nicht umgesetzt haben, keine Bußgelder aufgebrummt werden dürften.

- Dann habe ich unsere Einstellung deutlich gemacht, dass keine Form einer Vorratsdatenspeicherung für uns tragbar wäre, auch dann nicht, wenn die Daten nur für einen Tag vorgehalten werden würden. Dass die Richtlinie unserer Meinung nach nicht mit der europäischen Grundrechtscharta unvereinbar ist, dass sie einer Demokratie und ihrer gesunden, innovativen Entwicklung unserer Gesellschaft und unseres gemeinsamen Zusammenlebens widerstreben würde. Abschließend habe ich zwei wesentliche Stellen aus dem Bundesverfassungsurteil vom 3. März (in englisch) zitiert und damit versucht, die grundsätzlichen gesellschaftlichen Bedenken auszudrücken, die auch das Bundesverfassungsgericht teilt.

- In der zweiten Meldung in der zweiten Gesprächsrunde habe ich darum gebeten, über die Entstehungsgeschichte und die Zusammensetzung eines so genannten "Expertenkreises" mehr zu erfahren. Das sind Leute aus verschiedenen "Ecken", von uns oder einer anderen vergleichbaren Nichtregierungsorganisation ist jedoch niemand dazu berufen worden. (Einer dieser "Experten", ein angeblicher "Techniker" aus Serbien war ebenfalls Teil der Runde und hat in zeitraubenden Erläuterungen seine - auf mich haarsträubend wirkenden - Einstellungen kundgetan: er ist ein grundsätzlicher Befürworter der Vorratsdatenspeicherung. Diese sei zur Sicherheit und Stabilität des Internets notwendig, so eine seiner Spitzenäußerungen. Und: "Everybody could be a criminal!" - deswegen die Vorratsdatenspeicherung.) Außerdem bat ich um die Übersicht der Teilnehmer dieses Nachmittags.

- Weiter habe ich, weil mir das angesichts der Diskussion wichtig erschien, nochmals auf die unseriöse Evaluation deutlich hingewiesen und klar gemacht, dass mit einer Weiterführung der Richtlinie eine Menge Leute in Deutschland vor den Kopf gestoßen würden, was zu Ergebnissen oder Reaktionen führen könne, die ich nicht vorhersehen kann und mag. Ich habe nochmals auf die reichlichen Datenskandale und -missbräuche hingewiesen, die wir in den letzten Jahren erleben mussten und versucht, den Wert von Privatheit und anonymem Verhalten zu unterstreichen.

- Und ich habe gefragt, ob man angesichts dieser Tatsachen tatsächlich eine weitere Vorratsdatenspeicherung wolle. Und ob es dann im übertragenen Sinne auch gewünscht wäre, dass wir diese Form einer Vollüberwachung des Telekommunikationsverhaltens auf alle anderen Kommunikationsmöglichkeiten ausdehnen wollten: also alle Gespräche, Treffen, Begegnungen und Rendezvous' im "real life" protokolliert haben möchten.

Abschließend denke ich, dass wir das mehrfach von Herrn D'Cunha ausgesprochene Angebot, uns direkt mit ihm zu treffen und einzumischen, unbedingt annehmen sollten. Aber es bleibt ein skeptisches Grundgefühl. Mehrfach hörte ich im direkten Gespräch mit Leuten aus der Kommission: "Das ist Ihre Meinung und das ist auch verständlich. Aber andere Länder haben nun einmal andere Einstellungen und Erfahrungen." Oder: "Es ist nun einmal nicht einfach, zwischen allen Ansichten zu vermitteln" (alle Zitate sinngemäß). Als wären Grundrechte Kompromissgeschäfte ...

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