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Erich Möchel

Netzpolitik, Datenschutz - und Spaß am Gerät.

27. 6. 2011 - 13:58

Flugdaten: Geheimbeschluss im EU-Ministerrat

Von der Öffentlichkeit unbemerkt hat der EU-Ministerrat schon im April beschlossen, die Erhebung von Flugpassagierdaten auf innereuropäische Flüge auszuweiten. Gravierende Einwände der eigenen Rechtsabteilung wurden dabei ignoriert.

Laut Informationen, die ORF.at vorliegen, gibt es bereits einen Beschluss des EU-Ministerrats, die geplante Erfassung sämtlicher Flüge aus dem EU-Territorium in Drittstaaten und vice versa auszuweiten.

Wie aus Diplomatenkreisen zu erfahren war, war bereits am 11. April im Ministerrat beschlossen worden, auch Passagierdaten ("Passenger Name Records", PNR) von Flügen innerhalb der EU zu erfassen.

Die "üblichen Kompromisse"

Bei diesem bis jetzt nicht veröffentlichen Ratsbeschluss handelt es sich um einen der üblichen "Kompromisse", der - wie so oft - auf Betreiben der Briten zustande gekommen war. Großbritannien, Irland und Schweden hatten darauf gedrängt, auch die Passagierdaten von Binnenflügen zu erheben, ganz nach dem Muster, das die UKUSA-Staaten USA, Australien und Kanada vorgegeben haben.

Wie schon der Name UKUSA sagt, ist das "United Kingdom" bei diesem 1947 gegründeten Bündnis an führender Stelle mit dabei. Zentraler Inhalt des Abkommens ist der Austausch von Geheimdienstinformationen.

Die EU-Kommission wurde für das mit den USA ausgehandelte Passagierdatenabkommen von den Mitgliedsstaaten zuletzt heftig kritisiert. Neben Österreich ließen auch Schwergewichte wie Deutschland und Frankreich kein gutes Haar am neuen Abkommen, das eine Speicherdauer von 15 Jahren vorsieht

Gerangel und Vorbehalte

Als "Kompromiss" betrifft der Ratsbeschluss nicht sämtliche innereuropäischen Flugbewegungen, sondern nur solche nach einem Modus, der noch festzulegen ist. Und darum wird jetzt heftig gerangelt, eine Anzahl von EU-Mitgliedsstaaten legt sich nämlich quer.

So hatten die österreichische und niederländischen Delegationen auf einer Sitzung der Ratsarbeitsgruppe GENVAL ("Working Party on General Matters, including Evaluation") im Mai grundsätzliche Zweifel an Nutzen und Verhältnismäßigkeit des Vorhabens angemeldet. Österreich schlug vor, es den Mitgliedsstaaten zu überlassen, von welchen - internationalen wie innereuropäischen - Flügen Daten erfasst werden.

Österreichische Vorschläge abgelehnt

Die bei der Sitzung anwesenden Kommissionsvertreter lehnten das vehement ab. Wenn nur ausgewählte Flüge erfasst würden, dann sei die Maßnahme in Bezug auf "reaktive und proaktive Nutzung" sinnlos.

Um verhältnismäßig zu sein, müsse die Regelung aber zwangsweise nützlich sein. Mit "reaktive und proaktive Nutzung" ist die Auswertung der mittels Data-Mining von sämtlichen Reisen aller Flugpassagiere gewonnenen individuellen Bewegungsprofile gemeint.

Wie die "Öffentlichkeitsarbeit" von Rat und Kommission in solchen Fällen funktioniert, zeigt sich am Beispiel des mit Australien verhandelten PNR-Abkommens. Das wurde nicht auf einer offiziellen EU-Website, sondern in fm4.ORF.at erstmals im Volltext publiziert. Parallel dazu veröffentlichte die britische Bürgerrechtsorganisation Statewatch das Abkommen mit den USA (PDF).

Die Bombe der Rechtsabteilung

Deutschland erneuerte seinen generellen Prüfvorbehalt des gesamten Unterfangens und ersuchte die Rechtsabteilung des Ministerrats, ihre Einwände schriftlich näher zu erläutern. Österreich schloss sich dieser Forderung an.

Die Rechtsabteilung des Rats selbst hatte in der nämlichen Sitzung der Ratsarbeitsgruppe GENVAL eine juristische Bombe platzen lassen.

"EU-Recht in Gefahr"

Schon der im Auftrag des Rats durch die Kommission verfasste Richtlinienentwurf zur Speicherung der internationalen Flüge aus dem EU-Raum und vice versa laufe Gefahr, bei der Umsetzung in nationales Recht von den jeweiligen Höchstgerichten als rechtswidrig eingestuft und in der Folge verworfen zu werden.

Was auf nationaler Ebene gesetzlich verboten sei, könne nicht mittels EU-Recht dort eingeführt werden, sagte der Sprecher der Ratsjuristen und verwies auf die EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung. Trotz eines weiten Gestaltungsspielraums für die Mitgliedsstaaten hätten mehrere nationale Höchstgerichte die Regeln als verfassungswidrig erkannt.

In Österreich

Anfang April hatte der EU-Unterausschuss des Nationalrates eine negative Stellungnahme zu EU-Plänen einer anlasslosen Speicherung aller Fluggastdaten von internationalen Flügen beschlossen. EU-Innenkommissarin Cecilia Malmström möchte nach US-Vorbild die Daten aller Flugbewegungen in und aus der EU heraus für mindestens fünf Jahre zu Zwecken der Terrorismusbekämpfung speichern lassen.

Fazit der Rechtsabteilung, die auf ausdrücklichen Wunsch des GENVAL-Vorsitzes nur kurz das Wort ergreifen durfte: Der Vorrang des EU-Rechts gegenüber nationalen Gesetzen sei gefährdet, wenn nationale Höchstgerichte EU-Beschlüsse aufheben würden.

"Echtzeitanalyse und proaktive Nutzung"

In der anschließenden Diskussion hagelte es Änderungswünsche. Griechenland, die Niederlande und Deutschland verlangten eine Verkürzung der auf fünf Jahre geplanten Speicherfrist. Österreich forderte einen Richtervorbehalt für den Zugang zu den Daten, England, Frankreich, Schweden, Italien und Tschechien lehnten das postwendend als "nicht praktikabel" ab.

Großbritannien sprach sich sogar gegen die Informationspflicht gegenüber den jeweiligen für die Speicherung zuständigen nationalen PNR-Beauftragten aus, weil das in Bezug auf "Geheimdiensterkenntnisse problematisch" sei. Briten und Franzosen plädierten dafür, "Echtzeitanalyse und proaktive Nutzung" der Passagierdaten auch für weniger schwere Straftaten zuzulassen.

"Mit Grundrechten unvereinbar"

In der vergangenen Woche sickerte durch, dass die Rechtsabteilung der EU-Kommission das Abkommen zur Weitergabe von Flugpassagierdaten an die USA in einem geheimen Gutachten als ungesetzlich eingestuft hatte.

Laut dem von der britischen Bürgerrechtsorganisation veröffentlichten vertraulichen Bericht der Rechtsabteilung an die Kommission bezeichneten die Kommissionsjuristen das von der Kommission mit dem Ministerium für Heimatschutz ausgehandelte Abkommen als "nicht vereinbar mit den Grundrechten".

Parallelen zur Vorratsdatenspeicherung

Sobald - oder falls - in dieser Angelegenheit eine einheitliche Position im Ministerrat gefunden ist, muss sich in der Folge das EU-Parlament mit dem geplanten Abkommen befassen. Wie sich bei den vergangenen Abkommen gezeigt hat, sind die Parlamentarier gegenüber den PNR-Abkommen mehrheitlich sehr kritisch eingestellt.

Strukturell weisen alle PNR-Abkommen große Ähnlichkeit mit der völlig missglückten Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung auf. In beiden Fällen werden personenbezogene Daten von allen Teilnehmern pauschal erhoben und "auf Vorrat" gespeichert, ohne dass eine Straftat vorliegen würde. Das ist europaweit in praktisch allen Datenschutzgesetzen grundsätzlich verboten - sowohl die Vorratsdatenspeicherung wie die PNR-Abkommen stehen dazu in diametralem Gegensatz.

Geheime Agenden

Was die Ratsarbeitsgruppe mit dem nichtssagenden Titel "Arbeitsgruppe für allgemeine Angelegenheit und Evaluation" angeht, so hieß dieses 1997 gegründete Ratskomitee bis 2010 "Multidisziplinäre Arbeitsgruppe gegen organisiertes Verbrechen".

Wie alle anderen Arbeitsgruppen des Ministerrats tagt auch diese unter striktem Ausschluss der Öffentlichkeit. Ihre Agenda ist ebenso geheim wie ihre Zusammensetzung, eine dazugehörige Webpräsenz gibt es nicht.