Rechtsanwälte fordern Evaluierung bestehender Sicherheitsmaßnahmen und Rücknahme verfehlter Gesetze
Salzburg (OTS) - Der Anwaltstag 2010 in Salzburg beschäftigte sich
mit den vielfältigen Problemen denen ein moderner Rechtsstaat in
Europa ausgesetzt ist, aber auch den konkreten Ansätzen diesen
nachhaltig zu schützen.
Der Präsident des Österreichischen Rechtsanwaltskammertages (ÖRAK),
Dr. Gerhard Benn-Ibler, warnte am Rande der Arbeitsgespräche vor
einer Schwächung der Justiz, die nicht zum Spielball der Tagespolitik
werden darf, ebenso, wie vor populistischer Sicherheitspolitik, die
sich in Anlassgesetzgebung verzettelt anstatt mutig und stark für die
Bürgerinnen und Bürger einzutreten. "Die Justiz muss den Bürger vor
staatlicher Willkür schützen und darf nicht selbst zum Werkzeug
werden", richtet Benn-Ibler deutliche Worte an die Verantwortlichen.
In drei Themenblöcken wurden mit namhaften Experten wichtige
rechtsstaatliche Bereiche einer Demokratie erörtert.
"Terroristen gibt es in Österreich erst, seit es
Anti-Terror-Gesetze gibt."
Der Bereich Straflegistik widmete sich unter dem Titel "Der Terrorist
als Gesetzgeber" der scheinbar aus dem Gleichgewicht geratenen
Beziehung zwischen effizienter Strafverfolgung und den Rechten der
Bürger. In einer engagiert geführten Diskussion wurden die
unterschiedlichsten Blickwinkel beleuchtet. "In den letzten Jahren
wurde unter dem Deckmantel der Terrorbekämpfung auch in Österreich
eine ganze Fülle von Maßnahmen getroffen, die allesamt zu Lasten von
Grund- und Freiheitsrechten der Bevölkerung gehen", warnte Dr.
Elisabeth Rech, Vizepräsidentin der Rechtsanwaltskammer Wien. Ob
diese tatsächlich der Terrorbekämpfung dienen, sei fraglich.
"Terroristen gibt es in Österreich erst, seit es Anti-Terror-Gesetze
gibt, wie man am Beispiel der Tierschützer-Causa sieht", so Rech.
Auch Prof. Dr. Heribert Prantl, ehemaliger Richter und Staatsanwalt,
jetzt Innenpolitik-Chef der Süddeutschen Zeitung, stieß in dasselbe
Horn. Der Rechtsstaat werde nach und nach in einen Präventionsstaat
umgewandelt, in dem jeder Einzelne als Risikofaktor angesehen wird.
"Generalverdacht statt konkreter Verdacht", laute die Devise. Der
Staat beweise dadurch aber alles andere als Stärke. "Ein starker
Staat verteidigt seine Grundrechte und Prinzipien", so Prantl.
Benn-Ibler: "Gesetze, die sich nicht bewähren, müssen wieder
zurückgenommen werden"
"Es ist an der Zeit die Stopp-Taste zu drücken", so ÖRAK-Präsident
Benn-Ibler, "Der Rechtsstaat muss verteidigt werden, dies geht aber
nur, wenn man ihn nicht gleichzeitig partiell aufgibt". Die
Rechtsanwälte fordern daher eine Evaluierung aller bestehenden
Überwachungsmaßnahmen. "Sollten sich bestimmte Gesetze nicht
bewähren, müssen sie auch wieder zurückgenommen werden", so
Benn-Ibler. Nur so könne auch das Vertrauen der Bevölkerung in den
Gesetzgeber gestärkt werden. Dies wäre nur dann möglich, wenn aus dem
Gesetz-Geber auch gelegentlich ein Gesetz-Nehmer würde.
Nachbesserungsbedarf im neuen Insolvenzrecht
Erste Erfahrungen mit dem neuen Insolvenzrecht wurden im Workshop
"Wirtschaftsstandort Österreich - Sanieren statt Ruinieren"
diskutiert. Gerade auch die wirtschaftliche Kompetenz der
österreichischen Rechtsanwälte soll ökonomische und gesellschaftliche
Stabilität sichern. Der richtige Umgang mit sanierungsbedürftigen
Unternehmen ist wichtiger Bestandteil einer zeitgemäßen
Wirtschaftspolitik. Durch die mit 1. Juli in Kraft getretenen
Änderungen soll vor allem der Sanierungsaspekt im Vordergrund stehen,
und damit eine Fortführung betroffener Unternehmen erleichtert
werden. "Die wenigen Verfahren, die seither eingeleitet wurden,
befinden sich zum Großteil noch im Anfangsstadium, wodurch eine
umfassende Beurteilung derzeit noch nicht möglich ist", so Dr.
Wolfgang Kleibel, Vizepräsident der Salzburger Rechtsanwaltskammer
und Leiter der Diskussionsrunde. Die Diskussionsteilnehmer aus den
verschiedensten Lagern (Rechtsanwälte, Richter, Steuerberater,
Bankenvertreter) waren sich jedoch darin einig, dass bereits jetzt in
einigen Punkten Nachbesserungsbedarf auszumachen ist:
- Es braucht einen anfechtungsfesten Sanierungskredit.
- Ebenso ist ein eigenes Insolvenzsteuerrecht vonnöten, da derzeit zB
in Zusammenhang mit der Umsatzsteuer für Leistungen, die schon vor
der Insolvenz erbracht wurden, keine Regelungen existieren.
- Es ist bereits jetzt abzusehen, dass die auf fünf Arbeitstage
festgesetzte Frist, innerhalb der ein Insolvenzverwalter kundtun
muss, ob er seinerseits an Verträgen festhält, auf praktische Hürden
stoßen wird. Besser wäre es daher, diese Frist sachgerecht zu
verlängern.
- Überlegungen, wie sie derzeit etwa in Deutschland angestellt
werden, der öffentlichen Hand bzw bestimmten Behörden eine
Sonderstellung einzuräumen, wird eine deutliche Absage erteilt.
Gestärkter Grundrechtsschutz als europäischer
Hoffnungsschimmer
Als dritter Themenblock bot "Der Lissabon-Vertrag" Raum für Diskurs
über eine Vielzahl grundlegender Neuerungen, von denen sowohl die
einzelnen Staaten, aber auch die Bürgerinnen und Bürger direkt
betroffen sind. "Wir sehen hier vor allem im Bereich des
Grundrechtsschutzes eine beachtliche Weiterentwicklung", verweist
Benn-Ibler auf die im Vertrag verankerte Grundrechte-Charta. Die
Rechtsanwälte erhoffen sich daher auch eine Umkehr in Hinblick auf
die europäische Sicherheitspolitik. Die derzeit laufende Evaluierung
der Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung könnte ein erster, kleiner
Schritt in die richtige Richtung sein.
Rechtsanwälte fordern Evaluierung bestehender und geplanter
Sicherheitsmaßnahmen
"Der Anwaltstag 2010 in Salzburg war eine hervorragend abgestimmte
Expertenveranstaltung, die durch die richtige thematische
Zusammenstellung und exzellente Redebeiträge auch das vorgegebene
Ziel erreicht hat. Das Ziel, den Rechtsstaat, seine Vorteile, aber
auch seine Bedürfnisse aufzuzeigen und den politischen
Verantwortungsträgern und einer möglichst breiten Öffentlichkeit
zugänglich zu machen", so das Resümee des ÖRAK-Präsidenten.
Der Österreichische Rechtsanwaltskammertag fordert einen Schutzschirm
für den Rechtsstaat. Alle gesetzlichen Maßnahmen die geeignet sind
Bürgerrechte zu beschränken, sind, wenn überhaupt, dann nur in
geringst möglichem Ausmaß und in Zusammenhang mit einer
Evaluierungspflicht zu setzen. Mit dieser Evaluierung sollen die
gewünschten Auswirkungen überprüft werden. Sollten sich die
Auswirkungen auf die Freiheitsrechte der Bürgerinnen und Bürger
beschränken, müssen solche Gesetze außer Kraft gesetzt werden,
fordern die Rechtsanwälte. Dies gelte selbstverständlich auch für
bereits bestehende Maßnahmen, die zurückzunehmen sind, sollten sie
sich nicht bewährt haben.
In Österreich gibt es 5500 Rechtsanwälte und 1800
Rechtsanwaltsanwärter. Rechtsanwälte sind bestausgebildete und
unabhängige Rechtsvertreter und -berater, die nur ihren Klienten
verpflichtet und verantwortlich sind. Primäre Aufgabe ist der
Schutz, die Verteidigung und die Durchsetzung der Rechte Einzelner.
Dritten gegenüber sind Rechtsanwälte zu absoluter Verschwiegenheit
verpflichtet, womit auch eine völlige Unabhängigkeit vom Staat
gewährleistet wird. Vertreten werden die Rechtsanwälte durch die
Rechtsanwaltskammern in den Bundesländern sowie durch den
Österreichischen Rechtsan-waltskammertag, ÖRAK, mit Sitz in Wien.
Rückfragehinweis:
Österreichischer Rechtsanwaltskammertag (ÖRAK)
Bernhard Hruschka Bakk.
Tel.: 0699 104 165 18, 01 535 12 75-15
mailto:hruschka@oerak.at
www.rechtsanwaelte.at
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