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Bundestag debattiert Vorratsdatenspeicherung (11.07.2007) Drucken E-Mail

Am 06.07.2007 debattierte der Deutsche Bundestag in erster Lesung den Gesetzentwurf zur Einführung einer Vorratsdatenspeicherung in Deutschland. Die sehr kritische Debatte ist auf Heise News zusammengefasst, kann aber auch als Video betrachtet oder in voller Länge gelesen werden (siehe unten). Der Rechtsausschuss des Bundestages wird voraussichtlich am 21. September 2007 eine öffentliche Anhörung von Sachverständigen zur geplanten Vorratsdatenspeicherung durchführen.

Die Debatte vom 06.07.2007 im Volltext: 

Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 31 auf:

Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuregelung der Telekommunikationsüberwachung und anderer verdeckter Ermittlungsmaßnahmen sowie zur Umsetzung der Richtlinie 2006/24/EG

- Drucksache 16/5846 -

Überweisungsvorschlag:

Rechtsausschuss (f)

Innenausschuss

Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz

Ausschuss für Kultur und Medien

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre dazu keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner Herrn Parlamentarischen Staatssekretär Alfred Hartenbach das Wort.

Alfred Hartenbach, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin der Justiz:

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Vor allem liebe Rechtsfreundinnen und Rechtsfreunde! Denn hier sind nur noch wirkliche Fans dabei.

Der Deutsche Bundestag hat sich in den letzten Jahren wiederholt mit dem komplexen Thema der verdeckten Ermittlungsmaßnahmen im Strafverfahren befasst. Einzelne Problembereiche waren immer wieder Gegenstand heftiger Diskussionen. Es hat sich gezeigt: Das geltende Recht bedarf einer umfassenden Revision. Deshalb und weil es konkrete verfassungsgerichtliche Vorgaben zum Kernbereichsschutz sowie europäische Rechtsakte umzusetzen gilt, hat die Bundesregierung eine eingehende und sorgfältige Überarbeitung vorgenommen und ein ausgewogenes Gesamtkonzept entwickelt, über das heute in erster Lesung beraten wird.

(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt aber nicht!)

Wir verbessern die Arbeitsmöglichkeiten der Strafverfolgungsbehörden im Interesse der Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger. Das ist die eine Seite. Die andere nicht minder wichtige Seite stellt sicher, dass für Bürgerinnen und Bürger, die von einer solchen Maßnahme betroffen sind, ein deutlich besserer Rechtsschutz besteht als bisher und dass vor allem das Vertrauensverhältnis zu den Berufsgeheimnisträgern einem besonderen Schutz unterliegt.

Dieses Gesamtkonzept setzt gleich beim Anlasstatenkatalog an, also bei der Liste der Delikte, die Anlass für eine Telekommunikationsüberwachung sein können. Wir beschränken den Katalog konsequent auf schwere Straftaten. Delikte wie die Beihilfe eines Zivilisten zur Fahnenflucht streichen wir. Neu nehmen wir schwere Straftaten aus dem Bereich der Wirtschaftskriminalität auf, zum Beispiel schwere Steuerdelikte nach §§ 370 ff. der Abgabenordnung. Unser Entwurf bezieht nicht nur die Telekommunikationsüberwachung ein, sondern erfasst auch andere heimliche Ermittlungsmaßnahmen wie die verdeckten Ermittler, die Schleppnetzfahndung und die längerfristige Observation.

Einhergehend damit erweitern wir insbesondere den Schutz von Berufsgeheimnisträgern, der im geltenden Recht nur unzureichend geregelt ist.

(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Völlig unzulänglich! Die Ärzte nicht, die Journalisten nicht!)

- Ihnen würde ich sowieso kein Geheimnis anvertrauen. - Unter welchen Voraussetzungen beispielsweise die Observation eines Journalisten zulässig ist, können Sie dem geltenden Recht nicht ohne Weiteres entnehmen. Wir schaffen dafür und für alle anderen verdeckten Ermittlungsmaßnahmen verbindliche Rechtsgrundlagen. Der Kernbereich privater Lebensgestaltung und das Gespräch zwischen Mandant und Verteidiger, aber auch das Umfeld der Geistlichen und der Abgeordneten sind abhörfreie Zonen, es sei denn, jene sind selbst als Täter oder Teilnehmer in eine schwere Tat verstrickt. Alles, was in diesem Bereich gleichwohl mitgelauscht wird, darf nicht verwertet werden.

(Zuruf von der LINKEN: Aber gelauscht werden darf!)

Etwa aufgenommene Gespräche sind unverzüglich zu löschen. Die Löschung ist zu dokumentieren.

(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das, was Sie vorschlagen, ist eine Scheinlösung!)

Wir verstärken den Grundrechtsschutz darüber hinaus durch Verfahrenssicherungen. Bei allen verdeckten Ermittlungsmaßnahmen wird es in Zukunft Benachrichtigungspflichten geben. Die Einhaltung kontrollieren die Gerichte. Hier gibt es in der Praxis noch Defizite, die wir abstellen können und abstellen werden. Wer von einer verdeckten Ermittlungsmaßnahme betroffen ist, soll das grundsätzlich erfahren und sich dagegen nachträglich wehren können. Die Neuregelung wird dafür kein besonderes Rechtsschutzinteresse mehr verlangen. Auch das ist wichtig. Die Zuständigkeit für die Anordnung einer verdeckten Ermittlungsmaßnahme konzentrieren wir beim Ermittlungsgericht am Sitz der Staatsanwaltschaft. Das bringt spezialisierte Richter mit mehr Erfahrungswissen, mehr Zeit und mehr Sensibilität für die problematischen Fälle.

Der Gesetzentwurf wird außerdem die Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung umsetzen. Der Gesetzentwurf beachtet die Entschließung des Deutschen Bundestages vom 16. Februar 2006 und setzt nicht mehr als die Mindestvorgaben der Richtlinie hinsichtlich der Speicherungsdauer und der zu speichernden Datenarten um. Ich will dazu nur so viel sagen: Schon heute speichern die TK-Unternehmen Verbindungsdaten, um nachweisen zu können, dass sie die Leistungen, die sie in Rechnung stellen, auch erbracht haben. Seit jeher können die Strafverfolgungsbehörden diese Verbindungsdaten abfragen. Die neue Speicherpflicht brauchen wir, weil viele TK-Unternehmen immer mehr zu Flatrates übergehen und deshalb immer weniger Verbindungsdaten speichern. Anfragen der Strafverfolgungsbehörden gehen daher ins Leere.

Verbindungsdaten sind keine Inhaltsdaten. Gesprächsinhalte werden also zu keinem Zeitpunkt gespeichert, auch keine Angaben über Websites, die jemand besucht hat. Wir können auf die Telekommunikationsüberwachung und auf andere verdeckte Ermittlungsmaßnahmen nicht verzichten. Abgehört, beobachtet oder mit seinen Daten gespeichert zu werden, sind aber Grundrechtseingriffe, die niemand hinnehmen muss, wenn es dafür nicht eine solide Rechtfertigung gibt. Deshalb müssen wir an die Strafverfolgungspraxis strenge Anforderungen stellen.

(Beifall des Abg. Jörg Tauss [SPD])

Das bringt Belastungen für die Praxis vor allem der Länder mit sich. Dies ist jedoch nach unserer Auffassung sowohl notwendig als auch tragbar. Der Gesetzentwurf hat vonseiten der Opposition, aber auch von den Ländern bisher nur wenig Kritik erfahren. Herr Ströbele wird das gleich grundsätzlich ändern.

(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir haben einen Gegenentwurf!)

Ich bin aber zuversichtlich, dass es uns gelingen wird, den Gesetzentwurf zügig zu verabschieden und somit zu einer rechtsstaatlich sicheren und guten Lösung zu kommen.

Vielen Dank. Ich wünsche allen einen schönen Sommer.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:

Das Wort hat nun der Kollege Jörg van Essen für die FDP-Fraktion.

(Beifall bei der FDP)

Jörg van Essen (FDP):

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Thema Telefonüberwachung ist für die FDP-Bundestagsfraktion immer besonders wichtig gewesen, nicht nur für die Fraktion insgesamt, sondern auch für mich persönlich. Seit ich dem Deutschen Bundestag angehöre, frage ich in jedem Jahr die Zahl der Telefonüberwachungen ab, weil ich diese Zahl für wichtig halte und weil wir politisch kontrollieren müssen, wie die Justiz mit den Instrumenten, die wir ihr zur Verfügung stellen, umgeht. Eines muss man sagen: Wenn man die Zahlen betrachtet, dann stellt man fest, dass wir in jedem Jahr erhebliche Steigerungsraten haben.

(Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Wohl wahr!)

Das hat Gründe, zum Beispiel den, dass Straftäter sehr viel mehr Telefone zur Verfügung haben und immer mehrere Handys besitzen, damit Überwachungen erschwert werden; aber es gibt auch Entwicklungen, die Sorge machen müssen. Deshalb bin ich der Auffassung, dass wir uns als Politiker ständig mit dieser Frage beschäftigen müssen.

Weil das so ist, haben wir in der Vergangenheit immer wieder angemahnt, dass es zu einer Neuregelung der Telekommunikationsüberwachung kommen muss. Die Bundesregierung legt jetzt einen Entwurf vor. Ich will bei der ersten Lesung deutlich machen, dass es einige Punkte gibt, die wir ausdrücklich begrüßen. Ein besonders großes Defizit - Herr Staatssekretär, Sie haben es angesprochen - war bisher immer die nachträgliche Benachrichtigung der Betroffenen. Nur dann hatten sie überhaupt die Möglichkeit, sich mit der Tatsache, dass sie überwacht wurden, auseinanderzusetzen. Dass das jetzt verbessert wird, wird von uns ganz ausdrücklich begrüßt. Es wird auch begrüßt, dass es eine Verbesserung der Rechtsbehelfsmöglichkeiten gibt. Auch das ist ganz sicherlich ein Fortschritt. Es gibt noch einen dritten Punkt, den Sie, Herr Staatssekretär, ebenfalls angesprochen haben. Ich finde es gut, dass wir in Zukunft am Sitz der Staatsanwaltschaft einen Ermittlungsrichter haben, der spezialisiert ist, der weiß, wo er aufpassen muss und welchen Staatsanwaltskollegen er ein bisschen genauer auf die Finger schauen muss. Auch das wird mit Sicherheit zu einer Verbesserung der Rechtsstaatlichkeit beitragen.

Damit ist ein weiteres Stichwort gefallen: Rechtsstaatlichkeit. Genau diese müssen wir gewährleisten. Die Telefonüberwachung ist für die Strafverfolgung ganz außerordentlich wichtig. Wenn man wie ich 14 Jahre Staatsanwalt und Oberstaatsanwalt war, dann weiß man auf der einen Seite, wie wichtig diese Erkenntnisse insbesondere bei den Deliktsfeldern sind, bei denen es kein Anzeigeverhalten gibt, beispielsweise bei den Drogendelikten. Auf der anderen Seite weiß man aufgrund der praktischen Erfahrung: Wenn man Telefongespräche überwacht, dann sind auch sehr viele persönliche Gespräche darunter. Das heißt, es wird intensiv in die Intimsphäre eingegriffen. Deshalb muss es Kontrollen und Grenzen geben.

Die Bundesregierung hat sich in einem Punkt anders entschieden, als es unsere Intention war. Sie hat wieder einen Straftatenkatalog aufgestellt. Wir haben schon einmal darüber diskutiert. Es gibt die rechtliche Auffassung, dass das notwendig war. Wir werden dazu eine Anhörung durchführen. Für mich wird insbesondere wichtig sein, die Frage zu klären, ob diese Notwendigkeit tatsächlich besteht. Denn eines ist klar: Die bisherige Erfahrung mit Straftatenkatalogen war, dass sehr schnell wieder Forderungen kamen, diesen Katalog zu erweitern. Genau das ist nicht unsere Intention. Wir wollen ihn vielmehr auf die Fälle beschränken, in denen eine Telekommunikationsüberwachung wirklich notwendig ist. Wir Berichterstatter sollten gemeinsam überlegen, ob es einen besseren Weg gibt als den, den die Bundesregierung jetzt in ihrem Entwurf vorschlägt.

(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir haben einen vorgeschlagen!)

Ein Punkt, über den wir sicherlich ganz besonders intensiv nachdenken müssen, ist der Schutz der Berufsgeheimnisträger. Schon im Zollfahndungsdienstgesetz haben Sie eine Lösung in Form einer Verhältnismäßigkeitsprüfung durchgesetzt. Wir stehen dem außerordentlich kritisch gegenüber und werden deshalb den Sachverständigen in der Anhörung, die auf uns zukommt, auch diese Frage stellen und sehen, ob das der richtige Weg ist oder nicht.

Ich möchte zum Schluss ein paar Aspekte zur Vorratsdatenspeicherung ansprechen. Ich finde es schade, dass die Telekommunikationsüberwachung und die Vorratsdatenspeicherung miteinander kombiniert worden sind; denn es handelt sich eigentlich um zwei unterschiedliche Felder. Es ist gut, dass der Rechtsausschuss die Anhörung zu diesen beiden Bereichen getrennt hat. Auch das macht deutlich, dass dies offensichtlich zwei unterschiedliche Felder sind.

Wenn man sich der Frage der Vorratsdatenspeicherung stellt, dann hat man auf eines hinzuweisen: Es hat hier im Deutschen Bundestag bei der Beratung über den Tätigkeitsbericht des Bundesdatenschutzbeauftragten für die Jahre 2001 und 2002 einen einstimmigen Beschluss gegeben, dass die Bundesregierung entsprechende europäische Vereinbarungen über eine Vorratsdatenspeicherung nicht unterzeichnet. Die Bundesregierung hat sich nicht daran gehalten. Ganz besonders ärgert mich, dass die dann doch verabschiedete europäische Richtlinie nicht nur eins zu eins im Gesetzentwurf umgesetzt worden ist, sondern darüber hinausgeht.

(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja!)

Ich erinnere in diesem Zusammenhang an die Verpflichtung, die uns das Bundesverfassungsgericht auferlegt hat, nämlich bei der Umsetzung besonders grundrechtsschonend vorzugehen. Auch das wird deshalb Gegenstand der Anhörung sein. Wir werden auch diese Frage stellen.

Frau Präsidentin, es blinkt auf dem Rednerpult, und zwar zu Recht. Mir bleibt deshalb nur noch, Ihnen, Frau Präsidentin, aber auch allen Kolleginnen und Kollegen ein Stück Erholung zu wünschen. Wir alle wissen, dass wir auch in der parlamentarischen Sommerpause viele Termine haben. Ich wünsche Ihnen, dass Sie sich trotzdem erholen können.

Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)

Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:

Nächster Redner ist der Kollege Dr. Jürgen Gehb für die CDU/CSU-Fraktion.

(Jörg Tauss [SPD]: Kündigen Sie mal das Struck'sche Gesetz an, Herr Kollege!)

Dr. Jürgen Gehb (CDU/CSU):

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Am letzten Tag vor der Sommerpause hätte man auch ein weicheres Thema wählen können als die Telekommunikationsüberwachung und die Vorratsdatenspeicherung. Wenn man sich die Kritiker anhört und die Beißreflexe, die damit ausgelöst worden sind, ansieht, wird es einem ganz schwindlig; ich werde darauf gleich näher eingehen.

Ich mache keinen Hehl daraus, dass die CDU/CSU diesen heute in erster Lesung zu beratenden Gesetzentwurf begrüßt und ihm zustimmt. Wir beugen uns natürlich besseren Einsichten. Deswegen haben wir schon gestern quasi wie bei der Vorratsdatenspeicherung den Vorratsbeschluss gefasst, eine Anhörung - sie wird in zwei Teilen stattfinden; Herr van Essen, Sie haben es gerade angesprochen - durchzuführen. Wir haben quasi in vorauseilendem Gehorsam und in der Annahme, dass der Gesetzentwurf heute an die zuständigen Ausschüsse überwiesen wird, eine solche Anhörung beschlossen.

Dass die bisherigen strafprozessualen Instrumente nicht mehr so gut funktioniert haben, zeigt sich an einem ganz einfachen Phänomen. Verabredungen zu Verbrechen und Terror setzen Kommunikation voraus. Ganz klar: Man muss miteinander reden. Die Indianer haben früher über Rauchzeichen und Buschtrommeln kommuniziert. Man konnte der Frage nachgehen, was die durch Rauchzeichen verursachten Wölkchen bedeuten. Aus Western ist bekannt, dass man gekabelt hat, dass man sich also der Telegrafie bedient hat.

Inzwischen hat die Technik natürlich Fortschritte gemacht; das unterscheidet sie von Ihrer Auffassung, Herr Montag. Die Fortschritte der Technik sind der Grund dafür, dass die Polizei dem Verbrecher eigentlich immer hinterherhechelt.

(Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Das ist wie beim Doping!)

- Das ist wie beim Doping, ja. -

(Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Herr Schäuble hat gestern gesagt: Das ist immer so!)

Mittlerweile gibt es Handys. Möglicherweise wird es mit der Verabschiedung dieses Gesetzentwurfs nicht einmal sein Bewenden haben. Man wird auch darüber nachdenken müssen - der Innenminister fordert es immer wieder, und zwar zu Recht -, ob Online-Überwachungen sinnvoll sind; schließlich bedienen sich Kriminelle und insbesondere Terroristen des Internets.

(Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das machen wir doch schon seit langem! Wachen Sie doch mal auf, Sie Indianer!)

Das ist ganz einfach.

Nun will ich ein paar Takte zur Begrifflichkeit sagen. Wenn ein Unwissender Kritik an diesen Dingen übt, dann habe ich dafür noch Verständnis. Der Datenschutzbeauftragte hat geschrieben - Herr Kilger hat etwas Ähnliches auf dem Anwaltstag gesagt -, dass die Unschuldsvermutung nicht mehr gilt, dass Menschen unter Generalverdacht gestellt werden. Die Begrifflichkeit wird da völlig durcheinandergeworfen.

(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo er recht hat, hat er recht!)

- Herr Ströbele, ich weiß: Wer die Begriffe nicht beherrscht, der kann auch eine Diskussion nicht beherrschen.

(Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Davon geben Sie gerade ein beredtes Beispiel!)

Der Begriff der Unschuldsvermutung hat mit der Ermittlung nichts zu tun. Unschuldsvermutung bedeutet in einem strafgerichtlichen Verfahren, dass der Angeklagte erst nach rechtskräftiger Verurteilung festgesetzt werden darf.

(Irmingard Schewe-Gerigk [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Gut, dass Sie uns das mal sagen!)

In unserem Rechtssystem gibt es sowieso Ausnahmen davon. Beispielsweise wird Untersuchungshaft angeordnet, wenn noch keine rechtskräftige Verurteilung stattgefunden hat. Deswegen hat der Begriff der Unschuldsvermutung dort gar nichts zu suchen.

(Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das sagen Sie mal dem Herrn Schäuble!)

Ein ermittelnder Beamte muss nach dem Legalitätsprinzip jedem Verdacht nachgehen. Die Schuld ist zu diesem Zeitpunkt noch nicht bewiesen.

(Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Eben!)

Etwa bei einer vermeintlichen Trunkenheitsfahrt fordert ein Polizist den Fahrer des Autos auf, einen Alkoholtest zu machen oder sich Blut abnehmen zu lassen. Gilt die Unschuldsvermutung hier denn etwa nicht? Das hat mit Unschuld doch gar nichts zu tun. Wenn der Alkoholtest negativ ausfällt, kann der Fahrer einfach weiterfahren. Stellen Sie sich einmal vor, man würde behaupten, die Errichtung eines Gerichtsgebäudes stellte die Menschheit unter Generalverdacht, weil eine Person möglicherweise zu Unrecht verurteilt wird. Also: Das alles ist dummes Zeug. Die Unschuldsvermutung hat im Ermittlungsverfahren nichts zu suchen.

Ich komme auf den anderen Punkt, Generalverdacht, zu sprechen. Am Eingang Wilhelmstraße 68 des Deutschen Bundestages, den viele von uns täglich nutzen, befindet sich ein Überwachungsmonitor. Käme jemals jemand auf die Idee, "Dadurch werden die Passanten unter Generalverdacht gestellt" zu sagen?

(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, der ist ja auch nicht eingestellt! Der ist ja abgestellt!)

Auf diese Idee kommt doch kein Mensch.

Es wurde behauptet - zumindest von vermeintlichen Kennern der Materie -, dass Handygespräche im Rahmen der Vorratsdatenspeicherung abgehört werden. Dazu muss ich sagen: Alle, die diese Auffassung vertreten, sind von einer signifikanten Faktenabstinenz gekennzeichnet. Sie sind von einer signifikanten Faktenabstinenz gekennzeichnet.

(Volker Schneider [Saarbrücken] [DIE LINKE]: Das ist so gut, dass Sie es wiederholen müssen!)

- Wie heißen Sie eigentlich? Sie rufen immer wieder dazwischen. Sie sind ein interessanter Mann. Sagen Sie einmal, wie Sie eigentlich heißen.

Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:

Das ist der Kollege Schneider.

Dr. Jürgen Gehb (CDU/CSU):

Das tapfere Schneiderlein.

Wie kann man solche Behauptungen aufstellen und die Bevölkerung damit in eine Hysterie versetzen? Ich muss Ihnen ehrlich sagen: Diejenigen, die das tun, sind genauso schlimm wie diejenigen, die die Menschheit glauben machen wollen, dass man durch eine Neuregelung der Kommunikationsüberwachung einen hundertprozentigen Schutz schaffen kann. Das ist natürlich auch nicht der Fall.

(Jörg Tauss [SPD]: Das ist wahr!)

Wir bewegen uns bei Ermittlungsverfahren und bei Eingriffen in Freiheitsrechte der Bürger - der Herr Staatssekretär hat es gesagt - auf einem verminten Gelände, in einem Spannungsfeld. Das ist doch ganz klar. Zwei Interessen stehen einander geradezu unversöhnlich gegenüber: Auf der einen Seite steht das Recht, unbeobachtet, unabgehört zu leben, und auf der anderen Seite gilt die verfassungsrechtlich verbürgte Pflicht des Staates, Schutz zu gewähren. Das hat das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung vom 12. März 2003 - Seite 299 des 113. Bandes - ausdrücklich, und zwar immer und immer wieder, festgestellt. Herr Kollege Ströbele, wenn Sie es nachlesen wollen: Die einschlägige Passage befindet sich auf Seite 316. Es geht also um die Spannung zwischen Schutzpflicht des Staates und Wahrung von Freiheitsrechten.

Wir Abgeordnete des Deutschen Bundestages, jedenfalls ein großer Teil - die Überwachungsexperten auf der linken Seite des Hauses blende ich ein bisschen aus -, wir als demokratische Parteien müssen doch um die beste Lösung ringen. Das ist doch ganz klar.

(Jörg Tauss [SPD]: Das machen wir doch! - Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das machen wir!)

- Herr Tauss, Sie machen das immer lautstark, wenn auch nicht immer mit besonderer Sachkunde.

(Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Mit Ihnen ringen wir!)

Deswegen ist es doch gar nicht schlimm, wenn wir heute diesen Gesetzentwurf an die Ausschüsse überweisen. Herr Montag, ich freue mich schon, Sie lassen ja keine Gelegenheit aus, mich anzusprechen, selbst wenn ich Ihnen mit besonderer Aufmerksamkeit zuhöre.

(Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau dann!)

Wir werden das diskutieren und auch prüfen, ob dieser Gesetzentwurf den Notwendigkeiten nicht ein wenig hinterherhinkt. Den einen ist er zu viel, den anderen zu wenig. Manche sagen, dann ist er wahrscheinlich genau richtig. Warten wir doch einmal das Gesetzgebungsverfahren ab.

Damit möchte ich meine Rede beenden.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

- Herr Ströbele, von Ihnen Applaus zu bekommen, ist besonders schön.

(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dass Sie aufhören, das habe ich begrüßt!)

Auch ich möchte nicht versäumen, Ihnen schöne Sommertage zu wünschen. Ich gehe heute Abend auf das Sommerfest des Bundespräsidenten. Darauf freue ich mich sehr. Wir sehen uns dann in alter Frische Anfang September in diesem Hohen Hause wieder.

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU/CSU - Volker Schneider [Saarbrücken] [DIE LINKE]: Herr Dr. Gehb, erfassen Sie jetzt meine Daten?)

Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:

Das Wort hat nun die Kollegin Ulla Jelpke für die Fraktion Die Linke.

(Beifall bei der LINKEN)

Ulla Jelpke (DIE LINKE):

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Bundesregierung will mit diesem Gesetz die Telefonüberwachung erweitern und auf die Spitze treiben. Ihr Gesetzentwurf, Herr Gehb, sieht vor, dass künftig alle sogenannten Verkehrsdaten festgehalten werden, also wer mit wem telefoniert, E-Mails austauscht, welche Homepages aufgerufen werden. Alle diese Daten, und zwar von allen 80 Millionen Bürgerinnen und Bürgern, sollen protokolliert und gespeichert werden.

(Dr. Jürgen Gehb [CDU/CSU]: Klar! - Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Von allen, die ein Telefon haben!)

Das bedeutet noch mehr Beobachtung und Schnüffelei, und zwar in einem Ausmaß, das kaum noch Kontrollen zulässt. Die Linke fordert deshalb alle Demokraten auf, sich dem entschieden zu widersetzen.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos])

Meine Damen und Herren, weil Telefonüberwachung immer ein Eingriff in die Grundrechte ist, müssen äußerst enge und eindeutige Bestimmungen die Verhältnismäßigkeit der Mittel sicherstellen.

(Zuruf von der LINKEN: Das kennt die CDU nicht!)

Unschuldige dürfen nicht betroffen werden. Der Kernbereich der privaten Lebensgestaltung muss frei von Überwachung bleiben. Eine effektive richterliche Kontrolle ist unverzichtbar. Aber keine dieser Forderungen, keine einzige, erfüllt der vorliegende Gesetzentwurf, den wir deswegen als verfehlt und verfassungswidrig ablehnen.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos])

Die Koalition erweitert in der Strafprozessordnung den Katalog derjenigen Taten, die ein Abhören rechtfertigen sollen. Es reicht bereits der Verdacht. Sie unterlässt es aber, die richterliche Kontrolle zu stärken. Dabei funktioniert sie schon heute nicht. In aller Regel verwenden die Gerichte nur formelhafte Begründungen und kopieren häufig die fehlerhaften Anträge der Staatsanwaltschaft in ihre Anträge. Dies hat jedenfalls das Max-Planck-Institut für Strafrecht in seiner Studie veröffentlicht und wurde hier schon einmal diskutiert. Außerdem werden Hintertürchen eingebaut, die den Abgehörten das Recht nehmen, wenigstens im Nachhinein informiert zu werden. Die Benachrichtigung unterbleibt - hier widerspreche ich meinen Vorrednern -, wenn - ich zitiere - "anzunehmen ist, dass die abgehörte Person kein Interesse an einer Benachrichtigung hat". Ich frage Sie: Was sind das eigentlich für Personen, die daran kein Interesse haben? Das ist ein Gummiparagraf, der keinen Grundrechtsschutz gibt und auf jeden Fall weiterdiskutiert werden muss.

Bei der Vorratsdatenspeicherung wird festgehalten, wer mit wem spricht, egal ob Ärzte, Anwälte oder Politiker, wo er sich zum Zeitpunkt des Gesprächs aufhält, welche Internetseiten er besucht und welche E-Mails verschickt werden. All das wird gespeichert, ohne den Verdacht genau zu begründen, einfach auf Vorrat.

(Dr. Jürgen Gehb [CDU/CSU]: Aber nicht darauf zurückgegriffen!)

Die Behörden, vor allem die Geheimdienste, die Zugriff darauf haben, Herr Gehb, können daraus ein ausführliches Profil über die politischen, sozialen und sonstigen Interessen und Kontakte erstellen.

(Dr. Jürgen Gehb [CDU/CSU]: Aber doch nicht ohne Anlass! Es wird doch nicht der Hühnerdieb verfolgt! Was die Leute hier alles erzählen!)

Im Übrigen hat der Datenschutzbeauftragte von Schleswig-Holstein vor wenigen Tagen ein Gutachten dazu veröffentlicht. Darin heißt es, dieses Gesetz ist ein - so wörtlich - Grundrechtseingriff mit maximaler Streubreite. So hat er das bezeichnet. Ich meine, er hat recht damit.

Die Speicherfrist beträgt sechs Monate. Allein bei der Telekom fallen pro Tag rund 200 Millionen Datensätze an. Hinzu kommen mehrere hundert Millionen E-Mails, angeklickte Homepages usw. Alles ausgedruckt, würde dies Aktenordner füllen, die aneinandergereiht von Berlin nach München reichen würden. Das haben Datenschutzbeauftragte ausgerechnet.

(Dr. Jürgen Gehb [CDU/CSU]: Das ist doch jetzt schon so!)

Hier kann man nur noch fragen: Wie krankhaft misstrauisch muss eine nach Allmacht strebende Regierung sein, um so etwas zu wollen?

Zum Schluss, meine Damen und Herren: Das A und O einer demokratischen Gesellschaft ist das freie Gespräch. Die Bürger und Bürgerinnen müssen die Garantie dafür haben. Deswegen werden wir die Beratung dieses Gesetzentwurfs sehr kritisch begleiten und Gegenentwürfe vorlegen.

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos])

Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:

Nächster Redner ist nun der Kollege Hans-Christian Ströbele für die Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen.

Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Gehb, wie soll man es denn nennen, wenn der Staat von den Telekommunikationsunternehmen verlangt, in Zukunft von allen Nutzern der Telekommunikation die Verbindungsdaten zu speichern - zum Zweck der Strafverfolgung, zum Zweck der Feststellung von Gefährdern, zu geheimdienstlichen Zwecken? Wie soll man dies anders interpretieren, als dass der Staat in Zukunft davon ausgeht, dass alle 70 oder 80 Millionen Telekommunikations- und Internetuser potenzielle Straftäter oder potenzielle Gefährder sind? Sonst macht das doch keinen Sinn.

(Hüseyin-Kenan Aydin [DIE LINKE]: Richtig! - Dr. Jürgen Gehb [CDU/CSU]: Das ist doch klar!)

Das muten Sie uns mit diesem Gesetzentwurf zu. Das aber ist ein Paradigmenwechsel, den wir nicht mitmachen, weil wir weiterhin davon ausgehen, dass nicht alle 80 oder 70 Millionen Menschen, die in der Bundesrepublik Deutschland leben, potenzielle Straftäter und potenzielle Gefährder sind. Nur dann, wenn es einen konkreten Verdacht dafür gibt, dass jemand eine Straftat begangen hat oder eine schwere Gefährdung darstellt, kann man in sein Telekommunikationsgeheimnis eingreifen.

Deshalb lehnen wir Ihren Vorschlag generell ab.

Schon gar nicht sind wir damit einverstanden, dass diese EU-Richtlinie genutzt wird, um über die Strafverfolgungsinteressen auch Gefährderabwehrinteressen oder geheimdienstliche Aufgaben zu verfolgen.

(Beifall bei der LINKEN)

Zur Überwachung der Telefone. Verehrter Herr Kollege Hartenbach, Sie wussten es schon einmal besser. Ich erinnere mich an die Zeit der rot-grünen-Koalition. Vor zwei, drei Jahren haben wir zusammengesessen und da haben Sie noch vehement die Lösung verteidigt, die wir in unserem Gesetzentwurf vorgeschlagen hatten, nämlich dass in Zukunft Telefonüberwachung nicht nach einem Katalog von Straftaten angeordnet werden kann, sondern ausschließlich aufgrund einer grundsätzlichen Festlegung, nach der nur bei allerschwersten Straftaten eine Telefonüberwachung in Betracht kommt. Wir haben das in unserem Gesetzentwurf so definiert: Nur dann, wenn ein Verbrechen vorliegt, wenn also aufgrund der äußeren Umstände der Tat eine Mindeststrafe von einem Jahr zu erwarten ist, ist das gerechtfertigt, aber nicht dann, wenn nur eine beliebige Katalogstraftat vorliegt. - Das kann auch nicht richtig sein. Das führt zu völlig unzulänglichen Ergebnissen. Dann muss man auch dauernd neu über den Straftatenkatalog diskutieren. Jetzt haben Sie zum Beispiel eine Tat nach § 177 Abs. 2 Nr. 2 StGB - besonders schwere sexuelle Nötigung - in den Katalog geschrieben. Sie haben aber die mit einer Mindeststrafe von fünf Jahren bedrohte schwere Vergewaltigung unter Einsatz von Waffen nicht aufgenommen. Das haben Sie herausgelassen, sodass man eigentlich nur zu der Überzeugung kommen kann, die schwere Straftat sehen Sie als nicht so aufklärungswürdig an wie die weniger schwere. Deshalb lehnen wir diese Vorschläge ab.

(Beifall bei der LINKEN)

Wir wollen erreichen, dass die Zahl der Telefonüberwachungen in Deutschland wieder zurückgeht. Es gibt Sachverhalte, bei denen man gerne Weltmeister ist. Ich möchte aber nicht, dass Deutschland weiter Weltmeister bei der Telefonüberwachung bleibt.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos])

Diesbezüglich haben wir eine ganze Reihe von Vorschlägen gemacht.

Wir haben nicht nur als Ersatz für den Straftatenkatalog eine andere Lösung vorgeschlagen, sondern wir haben auch gesagt, alle Telefonkommunikation, die den Kernbereich der privaten Lebensführung betrifft, darf nicht überwacht werden, und zwar niemals. Sie haben gesagt, es müssen vorher Anhaltspunkte dafür bestehen, dass "allein" - so steht es im Gesetzentwurf - über solche Inhalte gesprochen wird. Diese Anhaltspunkte werden Sie nie haben.

(Klaus Uwe Benneter [SPD]: Natürlich!)

Natürlich wird auch einmal während eines Liebesgeflüsters oder während eines Ehestreits über das Wetter, über Hitze oder andere Dinge gesprochen, die nicht zu diesem engsten Lebensbereich gehören. Das heißt, die Beschränkung, die hier in den Gesetzentwurf geschrieben wurde, stellt im Ergebnis eine Placeboregelung dar.

Wir wollen, dass alle Berufsgeheimnisträger vor solcher Überwachung sicher sind und dass alle Telefongespräche, die den internsten Bereich der privaten Lebensführung betreffen, frei von solcher Überwachung bleiben.

(Klaus Uwe Benneter [SPD]: Bleiben sie ja auch!)

Schließlich wollen wir auch, dass die Richter in Zukunft - das ist ja heute nicht der Fall - verpflichtet werden, die Gründe für eine Telefonüberwachung in jedem einzelnen Fall aufzulisten,

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos])

damit nachprüfbar ist, was warum angeordnet wird, und damit der Richter nicht einfach nur Vorlagen der Staatsanwaltschaft abhakt.

Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:

Herr Kollege, ich muss Sie an Ihre Redezeit erinnern.

Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Er soll sich vielmehr selber Gedanken machen und diese Überwachung selber verantworten.

Ich bitte Sie, meine Damen und Herren von der SPD: Lesen Sie unseren Gesetzentwurf noch einmal genau durch und überlegen Sie sich, ob Sie nicht die Passagen in Ihr Gesetzeswerk übernehmen können, die von Rot-Grün stammen und zu der Zeit, als Ihnen der Bürgerrechtspartner Die Grünen noch nicht abhanden gekommen war, auch für Sie selbstverständlich waren.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN - Jörg van Essen [FDP]: Na ja, wenn man sich einmal die Bilanz von Rot-Grün anschaut, kann man von Bürgerrechten nicht reden! - Dr. Jürgen Gehb [CDU/CSU]: Jetzt hat er es uns aber gegeben!)

Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:

Letzter Redner in der Debatte ist nun der Kollege Gert Winkelmeier.

Gert Winkelmeier (fraktionslos):

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Vermutlich ließen sich meine drei Minuten Redezeit allein damit füllen, die Kritiker dieses Gesetzentwurfs zur Neuregelung der Telekommunikationsüberwachung aufzuzählen. Darunter fallen nicht nur die üblichen Verdächtigen wie die Humanistische Union oder die Landes- und Bundesdatenschützer. Diesmal zählen auch Großunternehmen zu den Kritikern, zum Beispiel der Branchenverband BITKOM und der Internetdienstleister Google.

Google erwägt, seinen E-Mail-Dienst in Deutschland zu schließen, wenn der Zwang, Kundendaten zu erheben und zu speichern, Gesetz wird. Peter Fleischer, weltweit zuständig für die Google-Nutzerdaten, bezeichnete eine rein deutsche Kontrolle der E-Mail-Daten ohnehin als nutzlos, weil die Anwender dann auf E-Mail-Adressen im Ausland ausweichen könnten. Insofern widerspricht dieser Teil des Gesetzentwurfs nicht nur dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung, sondern ist noch nicht einmal wirklich wirksam. Das war ein Detail, wenn auch kein unwichtiges.

Ich kritisiere diesen Gesetzentwurf prinzipiell, weil er den Geist des Grundgesetzes aushöhlt.

(Beifall bei der LINKEN)

Vor dem Hintergrund einer scheinbaren Gefahr soll die Gesellschaft große Teile ihrer Freiheit aufgeben. Mit der stets wirksamen Keule vom internationalen Terrorismus soll der Widerstand gegen Telefonüberwachung, RFID-Chips, Vorratsdatenspeicherung, verdeckte Internetkontrollen durch Trojaner und anderes mehr aufgeweicht werden, zugunsten einer vermeintlichen Sicherheit.

Zu den Plänen der Bundesregierung sagt der Strafrechtler Professor Peter-Alexis Albrecht:

Der Rechtsstaat ist mitten drin in der Auflösung, weil es eine Herstellung von Sicherheit in dem Maße, wie es der Politik vorschwebt, nicht gibt.

Wenn man diese Sicherheit herstellt, hat man die Staatssicherheit, und die haben wir in der DDR abgeschafft,

(Lachen des Abg. Dr. Jürgen Gehb [CDU/ CSU] - Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Sie haben sie abgeschafft? - Dr. Uwe Küster [SPD]: Da ist jemand dabei, der sich die Welt zurechtlügt!)

und nun bekommt die Bundesrepublik noch ein Schlimmeres ...

Zitatende. Es war ein Zitat; hören Sie bitte zu, liebe Kollegen!

Professor Albrecht nennt es "Sicherheitsstaat", ich nenne es Überwachungsstaat. Diese Gesellschaft ist auf schnurgeradem Weg zum gläsernen Bürger. Die bürgerlichen Freiheitsrechte werden dem Sicherheitswahn geopfert. Den Menschen wird suggeriert, dass sie ständig und überall von Terroristen bedroht werden. Union und SPD arbeiten beharrlich an einer neuen Bedrohungslüge.

Die Menschen werden außerhalb der Parlamente Widerstand gegen ihre Überwachung und Bevormundung leisten. Der Protest muss aus der Gesellschaft kommen. Der Linken kommt hierbei die Verantwortung zu, der Bevölkerung die Fakten zu nennen und sie über die damit verbundenen Gefahren aufzuklären und zu informieren.

Uns liegt hier ein Gesetz vor, das von Datenschützern und Verfassungsrechtlern gleichermaßen kritisiert wird und das, wie so viele seiner verwandten Vorgänger, vor dem Verfassungsgericht vermutlich nur schwer bestehen wird. Die bisher von Experten abgegebenen Stellungnahmen lassen genau dies erwarten. In der jetzigen Form ist dieses Gesetz auf jeden Fall ein erneuter Angriff auf das Grundgesetz.

Wie formulierte es Burkhard Hirsch so treffend: Herr Minister Schäuble "respektiert nicht den Geist der Verfassung, sondern testet ihre Belastbarkeit." Dies sollte eine demokratische Gesellschaft nicht widerstandslos hinnehmen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN)

Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:

Der Kollege Joachim Stünker hat seine Rede zu Protokoll gegeben1. Damit sind wir am Ende der Aussprache zu diesem Tagesordnungspunkt.

Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 16/5846 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Ich sehe, das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.

Anlage 2

Zu Protokoll gegebene Rede

zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Neuregelung der Telekommunikationsüberwachung und anderer verdeckter Ermittlungsmaßnahmen sowie zur Umsetzung der Richtlinie 2006/24/EG (Tagesordnungspunkt 31)

Joachim Stünker (SPD): Die Telekommunikationsüberwachung ist ein seit Jahren unverzichtbares Ermittlungsinstrument zur Verfolgung und Aufklärung schwerer Straftaten. Jede Telefonüberwachung ist gleichzeitig ein Eingriff in Art. 10 GG und den Schutz des Fernmeldegeheimnisses. Deshalb muss bei jeder Anordnung der Telefonüberwachung der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz streng beachtet werden.

Deshalb hat die damalige Bundesministerin der Justiz, Herta Däubler-Gmelin, in der 13. Legislaturperiode ein Gutachten des Max-Planck-Institutes in Auftrag gegeben zu einer rechtstatsächlichen Untersuchung der entsprechenden Rechtspraxis in unserem Land. Der vorliegende Novellierungsvorschlag ist daher einerseits Ausfluss der gutachterlichen Feststellungen dieses umfangreichen Gutachtens, andererseits ist er der neueren Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Schutz des Kernbereichs privater Lebensgestaltung bei heimlichen Ermittlungsmaßnahmen geschuldet.

Die vorgeschlagenen Neuregelungen in der Zusammenfassung:

Überarbeitung des Katalogs der Anlassstraftaten; der Eingriff ist auf im Einzelfall schwere Straftaten zu beschränken.

Der Schutz des Kernbereichs privater Lebensgestaltung ist zu regeln; eine Überwachungsmaßnahme darf nicht angeordnet werden, wenn daraus allein Erkenntnisse aus dem Kernbereich zu erwarten sind.

Die für alle verdeckten Ermittlungsmaßnahmen geltenden grundrechtssichernden Verfahrensregelungen sollen präzisiert, konkretisiert und ausgeweitet werden.

Die geschützten Interessen der zeugnisverweigerungsberechtigten Berufsgeheimnisträger sollen in einem abgestuften System neu definiert werden: in Berufsgruppen mit absolutem und Berufsgruppen mit relativem Eingriffsschutz.

Die genannten Neuregelungen sind über einen langen Zeitraum sehr gründlich erarbeitet worden. Der jetzt vorliegende Entwurf ist bereits grundlegend in der letzten Legislaturperiode unter einer rot-grünen Bundesregierung begonnen und nunmehr in der großen Koalition zu Ende geführt worden.

Im zweiten Teil des Gesetzentwurfes setzen wir die Anforderungen der EU-Richtlinie zur sogenannten Vorratsdatenspeicherung um. Hierbei geht es um Speicherung der Verkehrsdaten, das heißt im Wesentlichen der Verbindungsdaten zwischen genutzten Rufnummern nach Datum und Uhrzeit der Telekommunikationsverbindung und bei der Verwendung von mobilen Telefonen auch der Standortbestimmung des Teilnehmers. Wir setzen hier lediglich das "notwendige Minimum" der EU-Vorgaben um.

Wir werden zu dem Gesetzentwurf im September eine umfassende, zweitägige Sachverständigenanhörung durchführen. Ich verzichte daher auf eine Diskussion der bereits heute vorgebrachten Kritikpunkte. Wir werden diesen Gesetzentwurf im Herbst ausführlich im Rechtsausschuss und den mitberatenden Ausschüssen zu diskutieren haben.

Wichtig ist eine Abwägung des Spannungsverhältnisses: soviel Freiheitsrechte des Einzelnen wie möglich - so viel Sicherheit für die Allgemeinheit wie nötig.

 
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