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"Isch globs ni!" - Infostand zur Vorratsdatenspeicherung in Dresden (24.07.2007) Print E-mail

Die Dresdener Ortsgruppe des Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung stellte am Samstag, 21. Juli 2007, von 10 bis 18 Uhr einen Informationsstand in der Dresdner Innenstadt auf. Zwei der Aktivisten berichten über die Aktion.

Infostand in Dresden

Infostand in Dresden

Ziele

Der Info- und Kommunikationsstand unserer Ortsgruppe verfolgte drei Anliegen:
  • Wir wollten eine große Zahl von Passanten auf bestehende und geplante Überwachungsmaßnahmen, speziell die Vorratsdatenspeicherung, aufmerksam machen und Präsenz zeigen. Dazu hatten wir das Banner der Münchner Ortsgruppe aufgestellt und nach Siegener Vorbild zwei große Kamera-Modelle aus Umzugskartons gebastelt, die man sich über den Kopf ziehen kann.
  • Offene und interessierte Bürger sollten die Möglichkeit erhalten, sich bei uns direkt oder durch Flyer weitergehend zu informieren.
  • Die Interessenten sollten erfahren, dass es sehr wohl Möglichkeiten gibt, sich zu wehren – beispielsweise durch die Verfassungsbeschwerde. Die entsprechende Vollmacht konnte man am Stand unterzeichnen oder samt Infoblatt mit nach Hause nehmen.
Überwacht!

Überwacht!

Durchführung

Aufbau

Blickfänger

Blickfänger

Um 9.45 Uhr konnten wir mit dem Aufbau beginnen, der aufgrund unserer eher minimalistischen Ausrüstung relativ schnell und unkompliziert über die Bühne ging.

Strategie

Aufmerksamkeit konnten wir hauptsächlich durch die beiden Kamera-Modelle und die am Boden aufgeklebten Banner erregen. Fast permanent waren zwei von uns mit den Kameras auf dem Kopf im Passantenstrom vor dem Stand unterwegs, hielten auf einzelne Passanten oder Passantengruppen, „filmten“ sie im Vorübergehen durch Mitdrehen oder liefen ihnen bis zu 30 Meter weit nach. Unüberhörbar laut gesprochene Sätze unterstützten die Wirkung. Ein paar Beipsiele:

  • “Keine Sorge, das ist nur zu Ihrer Sicherheit!“ (Bei eher desinteressierten oder genervten Passanten.)
  • “Fühlen Sie sich sicher?“ („Ja.“) - “Fühlen Sie sich überwacht?“ („Ja!“) - “Mögen Sie es, überwacht zu werden?“ (...)
  • “Wir filmen Sie, damit Sie sich völlig sicher fühlen.“

Wenn jemand aufmerksam wurde (meist durch die Kameras oder die Bodenplakate), bekam er die beiden Flyer mit einer knappen Erklärung in die Hand gedrückt: „Ich möchte Ihnen gern ein paar Informationen mitgeben. Wir setzen uns gegen verschiedene staatliche Überwachungsmaßnahmen ein. Von Online-Durchsuchungen haben Sie sicher schon gehört... wissen Sie auch, dass ab 1. Januar Ihre gesamten Kommunikationsdaten gespeichert werden sollen?“

Bei Interesse erläuterten wir unser Anliegen, erklärten, warum die Vorratsdatenspeicherung eine Maßnahme „neuer Qualität“ ist und warum sich daraus eine erhebliche Gefährdung für die Grundrechte ergibt. Oft tauchte dann die Frage nach den Handlungsmöglichkeiten für den Einzelnen auf, und wir konnten auf die Klage verweisen, die Vollmacht aushändigen oder gleich am Stand ausfüllen und unterschreiben lassen. Auf die Frage, welche Vereinigung man eigentlich sei und ob man parteilich gebunden ist, sollte man vorbereitet sein.

Als sehr wirksam stellte es sich heraus, die Menschen zielgruppenspezifisch anzusprechen, ältere Damen zum Beispiel darauf hinzuweisen, dass der Staat durch die Vorratsdatenspeicherung dann weiß, wie oft sie zu welchem Arzt gehen. Wenn man die unter 25-Jährigen fragte, ob sie schon einmal Musik aus dem Internet heruntergeladen hätten oder ein Handy besäßen, war man in den meisten Fällen sofort im Gespräch. Ältere Mitbürger ließen sich eher auf eine Unterhaltung über die Maßnahmen der Staatssicherheit ein, die man in Richtung Gegenwart lenken konnte.

Gespräche

Gespräche

Unser Unterstützter von der Piratenpartei übte sich zudem vorübergehend im Marktschreien und verschaffte uns so Aufmerksamkeit: „Heute im Angebot: Online-Durchsuchung, Vorratsdatenspeicherung, Kamera-Überwachung... alles nicht kostenlos, aber umsonst!“

Reaktionen

Auffällig war, dass unser Stand besonderes Interesse weckte, wenn schon einige Passanten mit uns im Gespräch waren. Zum Teil waren wir also alle gleichzeitig in Gespräche eingebunden.

Ihrer Reaktion nach kann man die Passanten grob in sechs Kategorien unterteilen:

  • Die Informierten. Bevor wir etwas erklären konnten, kam die Frage „Wo kann ich unterschreiben?“ (Mehr als fünf Leute, die zufällig vorbeikamen, wussten schon über alles Bescheid und hatten die Klage bereits unterschrieben – das motiviert! Sie dankten für unser Engagment und ließen sich Infomaterial für ihre Freunde und Bekannten mitgeben)
  • Desinteressierte. Natürlich hatte der Großteil der Passantenflut allenfalls ein müdes Lächeln oder einen genervten Kommentar für uns übrig.
  • Offene und interessierte Bürger, die sich von uns informieren lassen wollten. Oft kam dann die Frage, ob der Staat nicht auch ein berechtigtes Interesse habe, gegen Kriminelle vorzugehen. Bei diesen Leuten konnten wir darauf hinweisen, dass (professionelle) Kriminelle mit hinreichend Geld oder Wissen Maßnahmen wie die Vorratsdatenspeicherung leicht umgehen können und somit nur der unbescholtene Bürger betroffen ist. Außerdem wiesen wir auf den diesen Maßnahmen zugrunde liegenden Generalverdacht hin. Nach den Desinteressierten die zweitgrößte Gruppe.
  • Bereitwillige Datenkrakenopfer, die behaupteten, nichts zu verbergen und deswegen noch weniger zu befürchten zu haben. Diese Menschen konnte man in den meisten Fällen kaum überzeugen, oft auch, weil sie einfach weiterliefen – allerdings erzeugten wir in einigen Fällen erhebliche Irritation, indem wir auf das „Ich habe nichts zu verbergen“ hin geradlinig intime Fragen zu stellten, etwa: „Mögen Sie Oralsex?“
  • Überwachungshardliner. „Sollen sie doch die Terroristen, Neonazis und Kinderschänder endlich kriegen!“ Hier gab es kaum eine Chance.
  • „Hat doch alles keinen Sinn - wir sind eh schon alle gläsern!“/ „Egal, ob Sie dafür oder dagegen sind, die machen doch eh', was sie wollen!“. Ebenfalls ziemlich aussichtslos.

In den meisten Fällem empfiehlt es sich, nicht allzu aggressiv zu sein und nur die Leute anzusprechen, die schon in irgendeiner Form Interesse signalisiert haben (in unserem Fall: sich einen unsererer aufgeklebten Bodensprüche durchgelesen haben oder auf die Kameras reagiert haben). Die anderen liefen fast alle weiter, auch wenn man sie angesprochen hat. Außerdem hat es sich als in der Regel eher kontraproduktiv herausgestellt, seine Wut auf die Desinteressierten abzureagieren, indem man durch Hinterherufen von Sätzen wie „und ihnen ist unsere Demokratie also vollkommen egal?“ versucht, ihnen ein schlechtes Gewissen zu machen. Viel wirksamer dagegen war es, Leute, die „nichts zu verbergen“ hatten, nach ihrer Telefonnummer, eventuellen Krankheiten, ihren Sexvorlieben usw. zu fragen. Ein Drittel der solchermaßen Konfrontierten zeigten sich deutlich irritiert – zum Teil so sehr, dass sie bereitwillig Auskunft erteilten.

Überzeugungsarbeit

Überzeugungsarbeit

Da einige von uns mit Schäublonen-Shirts auftraten und wir die Stasi-2.0-Flyer verteilten, wurden wir gerade von älteren Bürgern öfter verärgert auf die Unverhältnismäßigkeit dieses Vergleichs hingewiesen. Wir betonten dann immer, dass es nicht um eine Gleichsetzung gehe, sondern darum, Aufmerksamkeit zu erregen und vor den Folgen einer bedrohlichen Entwicklung zu warnen – Erfolg unterschiedlich. Einige Zeitzeugen reagierten auch genau umgekehrt und erklärten, die heutige Situation sei viel schlimmer als zu Stasi-Zeiten, die Diktatur stehe direkt vor der Tür oder sei schon da.

Interessante und lustige Begebenheiten

  • Gleich zu Anfang stürzte sich eine extrem vornehm gekleidete Dame mit Gucci-Sonnenbrille, von der man eigentlich denken würde, sie interessiere sich eher für Geld und Mode als für Politik oder die Gesellschaft, auf uns. Ohne uns überhaupt zu Wort kommen zu lassen, griff sie nach dem Kuli: „Ja, davon habe ich schon gehört. Geben Sie her, ich unterschreibe alles! Mit mir können diese Hunde sowas nicht machen!“
  • Eine Frau mit zwei stark herausgeputzten Töchtern (ca. 13-14 Jahre) regte sich lautstark über die staatliche Überwachung auf. Während sie unterzeichnete, erklärten wir dem älteren Mädchen, dass am 1. Januar sämtliche Kommunikationsdaten ihres Handys protokolliert werden sollen. Ihre empörte Reaktion: „Isch globs ni! Das is ja das allorlätzde! Isch schmeiß das Scheißdeil in die näschsde Donne!!!“
  • Ein bayrischer (!) Tourist knurrte einen unserer „Kameramänner“ mit „Stasi 2.0“-Shirt im Vorübergehen an: „Net dabei gwesn, abers Maul aufreißn!“
  • Ein ca. 14-Jähriger Che-Guevara-Fan wusste über Details der Vorratsdatenspeicherung bestens Bescheid und ließ sich gleich einen Satz Flyer und Vollmachten für die Verwandtschaft mitgeben.
  • Eine skeptische Frau mittleren Alters führte das Spiel mit den intimen Fragen ad absurdum, indem sie uns nicht nur ihre Telefonnummer und Adresse, sondern auch gleich ihre Einkommenshöhe, ihren Schuldenstand und ein Faible für Reizwäsche enthüllte.
  • Ein Student gab zu, regelmäßig Musik illegal aus dem Internet herunterzuladen und auch kein unrechtes Verhalten dabei zu sehen, sprach sich jedoch entschieden dafür aus, „solche Straftäter“ mit aller gebotener Härte zu verfolgen. Schließlich würde das die Musikindustrie schädigen. Er selbst würde sich schon nicht erwischen lassen. Nach einer langen abschweifenden Diskussion sagte er schließlich: „Gebt mir das mal mit, ich werde mich da doch mal genauer informieren, vielleicht hast du ja Recht!“. Eigentlich will man als Betreiber eines solchen Standes ja am allermeisten, dass die Leute nicht wegrennen, sondern mit einem diskutieren, aber in diesem Fall...

Ergebnisse

Geschafft!

Geschafft!
  • Weit über hundert interessante Gespräche und Begegnungen, ein extrem anstrengender, aber auch unterhaltsamer und auf verschiedensten Ebenen sehr lehrreicher Tag!
  • 13 ausgefüllte und unterzeichnete Vollmachten zur Verfassungsbeschwerde.
  • 26 Unterschriften gegen die elektronische Gesundheitskarte
  • Ca. 70 Vollmachten wurden mit nach Hause genommen – durchweg von sehr Interessierten.
  • Über 1000 verteilte Flyer.

(Bericht: johas, mcmv200i)

Weitere Informationen

Wer selbst gerne einen Infostand aufbauen würde, findet Tipps dazu im ausführlichen Erfahrungsbericht der Dresdner Aktivisten und kann sich an unsere Ortsgruppen wenden, um Gleichgesinnte zu finden.

 

 
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