Die Dresdener Ortsgruppe des Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung stellte am Samstag, 21. Juli 2007, von 10 bis 18 Uhr
einen Informationsstand in der Dresdner Innenstadt auf. Zwei der Aktivisten berichten über die Aktion.
Ziele
Der Info- und Kommunikationsstand unserer Ortsgruppe verfolgte drei Anliegen:
- Wir wollten eine große Zahl von Passanten auf bestehende und
geplante Überwachungsmaßnahmen, speziell die Vorratsdatenspeicherung,
aufmerksam machen und Präsenz zeigen. Dazu hatten wir das Banner der
Münchner Ortsgruppe aufgestellt und nach Siegener Vorbild zwei große
Kamera-Modelle aus Umzugskartons gebastelt, die man sich über den Kopf
ziehen kann.
- Offene und interessierte Bürger sollten die Möglichkeit
erhalten, sich bei uns direkt oder durch Flyer weitergehend zu
informieren.
- Die Interessenten sollten erfahren, dass es sehr wohl
Möglichkeiten gibt, sich zu wehren – beispielsweise durch die
Verfassungsbeschwerde. Die entsprechende Vollmacht konnte man am Stand
unterzeichnen oder samt Infoblatt mit nach Hause nehmen.
Durchführung
Aufbau
Um
9.45 Uhr konnten wir mit dem Aufbau beginnen, der aufgrund unserer eher
minimalistischen Ausrüstung relativ schnell und unkompliziert über die
Bühne ging. Strategie
Aufmerksamkeit konnten wir hauptsächlich durch die beiden
Kamera-Modelle und die am Boden aufgeklebten Banner erregen. Fast
permanent waren zwei von uns mit den Kameras auf dem Kopf im
Passantenstrom vor dem Stand unterwegs, hielten auf einzelne Passanten
oder Passantengruppen, „filmten“ sie im Vorübergehen durch Mitdrehen
oder liefen ihnen bis zu 30 Meter weit nach. Unüberhörbar laut
gesprochene Sätze unterstützten die Wirkung. Ein paar Beipsiele:
- “Keine Sorge, das ist nur zu Ihrer Sicherheit!“ (Bei eher desinteressierten oder genervten Passanten.)
- “Fühlen Sie sich sicher?“ („Ja.“) - “Fühlen Sie sich überwacht?“ („Ja!“) - “Mögen Sie es, überwacht zu werden?“ (...)
- “Wir filmen Sie, damit Sie sich völlig sicher fühlen.“
Wenn jemand aufmerksam wurde (meist durch die Kameras oder die
Bodenplakate), bekam er die beiden Flyer mit einer knappen Erklärung in
die Hand gedrückt: „Ich möchte Ihnen gern ein paar Informationen
mitgeben. Wir setzen uns gegen verschiedene staatliche
Überwachungsmaßnahmen ein. Von Online-Durchsuchungen haben Sie sicher
schon gehört... wissen Sie auch, dass ab 1. Januar Ihre gesamten
Kommunikationsdaten gespeichert werden sollen?“
Bei Interesse erläuterten wir unser Anliegen, erklärten, warum
die Vorratsdatenspeicherung eine Maßnahme „neuer Qualität“ ist und
warum sich daraus eine erhebliche Gefährdung für die Grundrechte
ergibt. Oft tauchte dann die Frage nach den Handlungsmöglichkeiten für
den Einzelnen auf, und wir konnten auf die Klage verweisen, die
Vollmacht aushändigen oder gleich am Stand ausfüllen und unterschreiben
lassen. Auf die Frage, welche Vereinigung man eigentlich sei und ob man
parteilich gebunden ist, sollte man vorbereitet sein. Als sehr wirksam stellte es sich heraus, die Menschen
zielgruppenspezifisch anzusprechen, ältere Damen zum Beispiel darauf
hinzuweisen, dass der Staat durch die Vorratsdatenspeicherung dann weiß, wie oft sie zu
welchem Arzt gehen. Wenn man die unter 25-Jährigen fragte, ob sie schon
einmal Musik aus dem Internet heruntergeladen hätten oder ein Handy
besäßen, war man in den meisten Fällen sofort im Gespräch. Ältere
Mitbürger ließen sich eher auf eine Unterhaltung über die Maßnahmen der
Staatssicherheit ein, die man in Richtung Gegenwart lenken konnte.
Unser
Unterstützter von der Piratenpartei übte sich zudem vorübergehend im
Marktschreien und verschaffte uns so Aufmerksamkeit: „Heute im Angebot:
Online-Durchsuchung, Vorratsdatenspeicherung, Kamera-Überwachung...
alles nicht kostenlos, aber umsonst!“
Reaktionen
Auffällig war, dass unser Stand besonderes Interesse weckte, wenn
schon einige Passanten mit uns im Gespräch waren. Zum Teil waren wir
also alle gleichzeitig in Gespräche eingebunden.
Ihrer Reaktion nach kann man die Passanten grob in sechs Kategorien unterteilen:
- Die Informierten. Bevor wir etwas erklären konnten, kam
die Frage „Wo kann ich unterschreiben?“ (Mehr als fünf Leute, die zufällig
vorbeikamen, wussten schon über alles Bescheid und hatten die Klage
bereits unterschrieben – das motiviert! Sie dankten für unser Engagment
und ließen sich Infomaterial für ihre Freunde und Bekannten mitgeben)
- Desinteressierte. Natürlich hatte der Großteil der Passantenflut allenfalls ein müdes Lächeln oder einen genervten Kommentar für uns übrig.
- Offene und interessierte Bürger, die sich von uns
informieren lassen wollten. Oft kam dann die Frage, ob der Staat nicht
auch ein berechtigtes Interesse habe, gegen Kriminelle vorzugehen. Bei
diesen Leuten konnten wir darauf hinweisen, dass (professionelle)
Kriminelle mit hinreichend Geld oder Wissen Maßnahmen wie die
Vorratsdatenspeicherung leicht umgehen können und somit nur der
unbescholtene Bürger betroffen ist. Außerdem wiesen wir auf den diesen
Maßnahmen zugrunde liegenden Generalverdacht hin. Nach den
Desinteressierten die zweitgrößte Gruppe.
- Bereitwillige Datenkrakenopfer, die behaupteten,
nichts zu verbergen und deswegen noch weniger zu befürchten zu haben.
Diese Menschen konnte man in den meisten Fällen kaum überzeugen, oft
auch, weil sie einfach weiterliefen – allerdings erzeugten wir in
einigen Fällen erhebliche Irritation, indem wir auf das „Ich habe
nichts zu verbergen“ hin geradlinig intime Fragen zu stellten, etwa:
„Mögen Sie Oralsex?“
- Überwachungshardliner. „Sollen sie doch die Terroristen, Neonazis und Kinderschänder endlich kriegen!“ Hier gab es kaum eine Chance.
- „Hat doch alles keinen Sinn - wir sind eh schon alle
gläsern!“/ „Egal, ob Sie dafür oder dagegen sind, die machen doch eh',
was sie wollen!“. Ebenfalls ziemlich aussichtslos.
In den meisten Fällem empfiehlt es sich, nicht allzu aggressiv zu
sein und nur die Leute anzusprechen, die schon in irgendeiner Form
Interesse signalisiert haben (in unserem Fall: sich einen unsererer
aufgeklebten Bodensprüche durchgelesen haben oder auf die Kameras
reagiert haben). Die anderen liefen fast alle weiter, auch wenn man sie
angesprochen hat. Außerdem hat es sich als in der Regel eher
kontraproduktiv herausgestellt, seine Wut auf die Desinteressierten
abzureagieren, indem man durch Hinterherufen von Sätzen wie „und ihnen
ist unsere Demokratie also vollkommen egal?“ versucht, ihnen ein
schlechtes Gewissen zu machen. Viel wirksamer dagegen war es, Leute,
die „nichts zu verbergen“ hatten, nach ihrer Telefonnummer, eventuellen
Krankheiten, ihren Sexvorlieben usw. zu fragen. Ein Drittel der
solchermaßen Konfrontierten zeigten sich deutlich irritiert – zum Teil
so sehr, dass sie bereitwillig Auskunft erteilten.
Da
einige von uns mit Schäublonen-Shirts auftraten und wir die
Stasi-2.0-Flyer verteilten, wurden wir gerade von älteren Bürgern öfter
verärgert auf die Unverhältnismäßigkeit dieses Vergleichs hingewiesen.
Wir betonten dann immer, dass es nicht um eine Gleichsetzung gehe,
sondern darum, Aufmerksamkeit zu erregen und vor den Folgen einer
bedrohlichen Entwicklung zu warnen – Erfolg unterschiedlich. Einige
Zeitzeugen reagierten auch genau umgekehrt und erklärten, die heutige
Situation sei viel schlimmer als zu Stasi-Zeiten, die Diktatur stehe
direkt vor der Tür oder sei schon da.
Interessante und lustige Begebenheiten
- Gleich zu Anfang stürzte sich eine extrem vornehm gekleidete
Dame mit Gucci-Sonnenbrille, von der man eigentlich denken würde, sie
interessiere sich eher für Geld und Mode als für Politik oder die
Gesellschaft, auf uns. Ohne uns überhaupt zu Wort kommen zu lassen,
griff sie nach dem Kuli: „Ja, davon habe ich schon gehört. Geben Sie
her, ich unterschreibe alles! Mit mir können diese Hunde sowas nicht
machen!“
- Eine Frau mit zwei stark herausgeputzten Töchtern (ca. 13-14
Jahre) regte sich lautstark über die staatliche Überwachung auf.
Während sie unterzeichnete, erklärten wir dem älteren Mädchen, dass am
1. Januar sämtliche Kommunikationsdaten ihres Handys protokolliert
werden sollen. Ihre empörte Reaktion: „Isch globs ni! Das is ja das
allorlätzde! Isch schmeiß das Scheißdeil in die näschsde Donne!!!“
- Ein bayrischer (!) Tourist knurrte einen unserer
„Kameramänner“ mit „Stasi 2.0“-Shirt im Vorübergehen an: „Net dabei
gwesn, abers Maul aufreißn!“
- Ein ca. 14-Jähriger Che-Guevara-Fan wusste über Details der
Vorratsdatenspeicherung bestens Bescheid und ließ sich gleich einen
Satz Flyer und Vollmachten für die Verwandtschaft mitgeben.
- Eine skeptische Frau mittleren Alters führte das Spiel mit
den intimen Fragen ad absurdum, indem sie uns nicht nur ihre
Telefonnummer und Adresse, sondern auch gleich ihre Einkommenshöhe,
ihren Schuldenstand und ein Faible für Reizwäsche enthüllte.
- Ein Student gab zu, regelmäßig Musik illegal aus dem Internet
herunterzuladen und auch kein unrechtes Verhalten dabei zu sehen,
sprach sich jedoch entschieden dafür aus, „solche Straftäter“ mit aller
gebotener Härte zu verfolgen. Schließlich würde das die Musikindustrie
schädigen. Er selbst würde sich schon nicht erwischen lassen. Nach
einer langen abschweifenden Diskussion sagte er schließlich: „Gebt mir
das mal mit, ich werde mich da doch mal genauer informieren, vielleicht
hast du ja Recht!“. Eigentlich will man als Betreiber eines solchen
Standes ja am allermeisten, dass die Leute nicht wegrennen, sondern mit
einem diskutieren, aber in diesem Fall...
Ergebnisse
- Weit über hundert interessante Gespräche und Begegnungen, ein
extrem anstrengender, aber auch unterhaltsamer und auf verschiedensten
Ebenen sehr lehrreicher Tag!
- 13 ausgefüllte und unterzeichnete Vollmachten zur Verfassungsbeschwerde.
- 26 Unterschriften gegen die elektronische Gesundheitskarte
- Ca. 70 Vollmachten wurden mit nach Hause genommen – durchweg von sehr Interessierten.
- Über 1000 verteilte Flyer.
(Bericht: johas, mcmv200i) Weitere InformationenWer selbst gerne einen Infostand aufbauen würde, findet Tipps dazu im ausführlichen Erfahrungsbericht der Dresdner Aktivisten und kann sich an unsere Ortsgruppen wenden, um Gleichgesinnte zu finden.
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