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Gegner der Vorratsdatenspeicherung planen größte Verfassungsbeschwerde in der Geschichte der BRD Drucken E-Mail

 Pressemitteilung des Arbeitskreises Vorratsdatenspeicherung vom 30.10.2007:

+++ Fast 7000 Bürger wollen sich in Karlsruhe gegen die von der großen Koalition geplante verdachtslose Erfassung von Kommunikationsdaten wehren. +++ Der Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Hans-Jürgen Papier, kommentierte im Deutschlandradio die größte Verfassungsbeschwerde in der Geschichte des Gerichts. +++

Der Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung, ein Zusammenschluss von Bürgerrechtlern, Datenschützern und Internetnutzern, meldet heute, dass er in Kürze den Eingang der 7000. Vollmacht zur Erhebung einer Verfassungsbeschwerde gegen die ab 2008 geplante Vorratsdatenspeicherung erwartet. Im Deutschlandradio erklärte unterdessen der Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Hans-Jürgen Papier, diese Sammel-Verfassungsbeschwerde könne auf "ernsthaften problemorientierten Beurteilungen eines Großteils der Bevölkerung" beruhen [1].

Über die Einführung der Vorratsdatenspeicherung wird der Bundestag am Donnerstag oder Freitag nächster Woche abstimmen. Seit November 2006 ruft der Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung öffentlich dazu auf, einen Rechtsanwalt zur Einreichung einer Verfassungsbeschwerde gegen das Gesetz zu bevollmächtigen [2]. Über 20.000 elektronische Anmeldungen und knapp 7.000 schriftliche Vollmachten liegen bereits vor. Damit würde die Klage gegen die Vorratsdatenspeicherung den Rekord von 2004 brechen, als 6.575 Menschen gegen die Streichung von Naturarzneimitteln aus dem Leistungskatalog der Gesetzlichen Krankenversicherung geklagt hatten [3]. Aus den vorliegenden Anmeldungen geht hervor, dass jeder zehnte der Beschwerdeführer gegen die Vorratsdatenspeicherung in einem Vertrauensberuf tätig ist, davon 19% als Journalisten, 7% als Ärzte, Zahnärzte oder Apotheker sowie 5% als Rechtsanwälte. Auch Geistliche, Heilpraktiker, Krankenpfleger, Psychologen, Sozialarbeiter, Sozialpädagogen und Unternehmensberater wehren sich gegen die geplante Abbildung ihrer vertraulichen Kontakte.

"Wenn die Koalition ohne Vorliegen eines Tatverdachts alle telefonischen Kontakte, das Versenden und Empfangen von Emails, den Zugang zum Internet sowie Handy-Standorte der gesamten Bevölkerung speichern lässt, bricht sie in eklatanter Weise das Grundgesetz", kritisiert der Jurist Patrick Breyer vom Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung. "Das Scheitern des Vorhabens ist durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Rasterfahndung [4] und das Urteil des Europäischen Gerichtshofs zur Fluggastdatenübermittlung [5] vorgezeichnet."

Eingereicht werden soll die Verfassungsbeschwerde, falls die Vorratsdatenspeicherung in Kraft tritt. Dies soll nach den Plänen der Koalition zum 1. Januar 2008 der Fall sein. Am Wochenende hatte auch der ehemalige Bundesinnenminister Gerhart Baum ein Vorgehen gegen die Vorratsdatenspeicherung angekündigt: "Der Staat darf nicht alles wissen." [6] Baum hat bereits den Großen Lauschangriff und die Abschussmöglichkeit für entführte Passagierflugzeuge in Karlsruhe erfolgreich zu Fall gebracht.

Der SPD-Abgeordnete Jörg Tauss sagte gestern, die Koalition wolle den vorliegenden Gesetzentwurf mit geringfügigen Änderungen nächste Woche verabschieden [7]. Er machte allerdings deutlich, dass er nichts dagegen habe, wenn die angekündigte Verfassungsbeschwerde oder die beim Europäischen Gerichtshof seit 2006 anhängige Nichtigkeitsklage Erfolg haben. "Wer erkennt, dass die Vorratsdatenspeicherung die Verfassung bricht, muss nächste Woche dagegen stimmen", ermunterte Ralf Bendrath vom Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung die Abgeordneten. Neben FDP, Grünen und Linke haben schon mehrere Parlamentarier der Koalition angekündigt, gegen das Gesetz stimmen zu wollen [8]. 35 Orts- und Kreisverbände von SPD und Union haben sich bereits öffentlich gegen das Überwachungsvorhaben ausgesprochen. [9]

Der Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung bereitet zurzeit bundesweite Protestaktionen gegen das Gesetz vor, die nächsten Dienstag in 28 deutschen Städten stattfinden sollen [10]. Bereits im September waren 15.000 Menschen in Berlin gegen das Vorhaben auf die Straße gegangen [11]. Über 40 Verbände sprechen sich in einer gemeinsamen Erklärung gegen die Pläne aus [12], darunter Bürgerrechts-, Datenschutz- und Menschenrechtsverbände, Journalistenorganisationen und Medienverbände, Internetwirtschaft und Telefonseelsorge, Anwalts- und Juristenverbände. In einer repräsentativen Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Forsa vom Juni hatten 54% der Befragten eine 6-monatige Speicherung aller Verbindungsdaten als "unzulässigen Eingriff in die Freiheitsrechte" abgelehnt [13].

Verfassungsgerichtspräsident Papier wies im Interview darauf hin, dass das Bundesverfassungsgericht im Fall der Vorratsdatenspeicherung nur "partiell" zuständig sei, da diese auf einer EG-Richtlinie basiert. Soweit der Bundestag lediglich "zwingendes Gemeinschaftsrecht" umzusetzen habe, sei "in erster Linie" der Europäische Gerichtshof in Luxemburg zuständig. Dort werde indes ein dem Bundesverfassungsgericht "im Wesentlichen vergleichbarer Grundrechtsschutz" gewährleistet. Gegen die europäische Richtlinie ist beim EuGH bereits seit 2006 eine Klage anhängig. Irland beruft sich in der Klage darauf, dass die EU keine Kompetenz besitzt, solche Maßnahmen per Mehrheitsbeschluss zu erlassen. "Die Speicherpflicht wird in Luxemburg also schon aus formalen Gründen mangels Rechtsgrundlage aufgehoben werden", so der Jurist Breyer, der über das Thema promoviert hat. "Dass die Koalition die Vorratsdaten über die EG-Richtlinie hinaus selbst zur Verfolgung leichter Vergehen wie Urheberrechtsverstößen, zu präventiven Zwecken und ohne richterliche Kontrolle auch für Geheimdienste freigeben will, wird bereits in Karlsruhe keinen Bestand haben."

Laut dem Entwurf der Verfassungsbeschwerde des Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung [14] soll das Bundesverfassungsgericht die Datenspeicherung zunächst durch einstweilige Anordnung aussetzen, um dann den Europäischen Gerichtshof klären zu lassen, ob die europäische Richtlinie mit den Grundrechten vereinbar ist. Der EuGH, so die Einschätzung der Gegner der Vollprotokollierung der elektronischen Kommunikation, wird die Richtlinie in wenigen Monaten schon aus formalen Gründen aufheben. In der Folge werde das Bundesverfassungsgericht das deutsche Umsetzungsgesetz für verfassungswidrig erklären. "Der Berliner Gesetzesentwurf sieht in wichtigen Punkten sogar weiter gehende Grundrechtseingriffe vor als die Vorlage aus Brüssel. Das wird ihn bereits in Karlsruhe scheitern lassen. Auf jeden Fall sollte der Bundestag mit seiner Abstimmung über das deutsche Gesetz warten, bis die Klage Irlands gegen die EG-Richtlinie entschieden ist", fordert Datenschützer Bendrath.

Fußnoten:

[1] http://www.dradio.de/dlf/sendungen/idw_dlf/687018/

[2] http://verfassungsbeschwerde.vorratsdatenspeicherung.de

[3]
http://www.gesundheitaktiv-heilkunst.de/aktuelles/Verfassungsbeschwerde.htm

[4]
http://www.bundesverfassungsgericht.de/entscheidungen/rs20060404_1bvr051802.html

[5] http://snipurl.com/r4e3

[6] http://www.rundschau-online.de/html/artikel/1193152642887.shtml

[7] http://www.heise.de/newsticker/meldung/98104

[8] http://www.vorratsdatenspeicherung.de/content/view/133/55/

[9] http://spdcducsu.vorratsdatenspeicherung.de/ 

[10] http://www.freiheit-statt-angst.de

[11] http://www.vorratsdatenspeicherung.de/content/view/142/79/

[12] http://erklarung.vorratsdatenspeicherung.de

[13]
http://www.daten-speicherung.de/index.php/forsa-meinungsumfrage-zur-sicherheitspolitik/

[14]
http://wiki.vorratsdatenspeicherung.de/images/Verfassungsbeschwerde_Vorratsdatenspeicherung.pdf

 
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