Datenschützer und Internetnutzer protestieren scharf gegen einen
neuen Gesetzentwurf von Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble, der die
2007 beschlossene Vorratsdatenspeicherung nun auch bei der Benutzung
des Internet erlauben soll. „Das neuerliche Vorhaben von Bundesminister
Schäuble geht gewaltig über die bisherige Vorratsdatenspeicherung
hinaus“, warnt Marcus Cheperu vom Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung.
Gegen die verdachtslose Speicherung aller Verbindungs- und
Standortdaten hatten vergangenes Jahr 35.000 Bürger Beschwerde beim
Bundesverfassungsgericht eingereicht.
Der neue Vorstoß des Bundesinnenministers ist im Entwurf eines
„Gesetzes zur Stärkung der Sicherheit in der Informationstechnik des
Bundes“ vom 14.01.2009[1]
versteckt. Jeder Anbieter von Internetdiensten wie Google, Amazon oder
StudiVZ soll danach künftig das Recht erhalten, das Surfverhalten
seiner Besucher ohne Anlass aufzuzeichnen – angeblich zum „Erkennen“
von „Störungen“. Tatsächlich würde der Vorstoß die unbegrenzte und
unbefristete Speicherung jeder Eingabe und jedes Mausklicks beim Lesen,
Schreiben und Diskutieren im Internet legalisieren. Die Surfprotokolle
dürften an Polizei, Bundeskriminalamt, Geheimdienste sowie an die
Unterhaltungsindustrie herausgegeben werden. Eine richterliche
Anordnung ist nicht vorgeschrieben, eine Beschränkung auf schwere
Straftaten nicht vorgesehen.
„Schäuble will nun nicht nur wissen, wann wir unter welcher
Adresse ins Internet gehen, sondern auch, was wir dort tun. Als
nächstes will er wahrscheinlich aufzeichnen lassen, welche Gespräche
wir im Cafe führen oder welche Fernsehsendungen wir sehen. Das ist
ungeheuerlich, zumal es in einem ganz anderen Gesetz versteckt wird",
ergänzt Ralf Bendrath vom Netzwerk Neue Medien. „Ich empfinde dieses
brisante Detail des Gesetzes als eine schallende Ohrfeige für alle, die
sich für mehr Daten- und Persönlichkeitsschutz engagieren“, bekräftigt
Michael Ebeling vom Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung. „Herr
Schäuble und die gesamte Regierung widersprechen damit offen ihrem nach
den Datenskandalen des letzten Jahres öffentlich verkündeten Ziel, den
Schutz der Daten von Bürgern und Internetbenutzern zu verbessern und
die gesetzlich verankerte Datensparsamkeit endlich zu fördern.“
Der Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung fordert
Bundesregierung, Bundesrat und Bundestag auf, die geplante Änderung des
Telemediengesetzes sofort aus dem Gesetzentwurf zu streichen. Er bittet
alle Internetnutzer, bei den verantwortlichen Politikern gegen die
geplante Vorratsspeicherung im Internet zu protestieren. Der
Arbeitskreis hat dazu eine besondere Internetseite eingerichtet, auf
der sich die Kontaktdaten der zuständigen Politiker/innen finden: http://wiki.vorratsdatenspeicherung.de/Glaesernes_Internet
Im Einzelnen begründet der Arbeitskreis die Forderung, das Vorhaben sofort aus dem Gesetzentwurf zu streichen, wie folgt:
- Die Vorratsdatenspeicherung im Internet hat in einem
Gesetzentwurf zur „Informationstechnik des Bundes“ nichts zu suchen.
Für das Internetrecht ist der Bundesinnenminister überhaupt nicht
zuständig, sondern das Bundeswirtschaftsministerium.
- Dem Bundesinnenministerium geht es in Wahrheit nicht um die
Sicherheit von Telemedienanbietern, sondern um seine eigene Sicherheit
vor den Gerichten. Nachdem bereits dem Bundesjustizministerium die
verdachtslose Protokollierung der Benutzung seiner Internetseiten unter
Strafandrohung untersagt wurde[2],
will der Bundesinnenminister nun das Gesetz ändern, statt es
einzuhalten. Das Bundesinnenministerium zeichnet gegenwärtig
gesetzeswidrig die gesamte Nutzung seines Internetportals in
personenbezogener Form auf[3].
- Die „Störungsbekämpfung“ als offizielle Begründung ist
vorgeschoben. Die anlasslose, präventive Vorratsspeicherung der
Internetnutzung aller Besucher eines Internetangebots hat nichts mit
einer gezielten Störungsbeseitigung zu tun. Große Portale wie das von
Bundesjustizministerium und Bundesfinanzministerium beweisen, dass eine
anlasslose Protokollierung der gesamten Internetnutzung zum ungestörten
Betrieb von Internetangeboten nicht erforderlich ist. Dasselbe gilt für
eine Vielzahl weiterer Portale, die an dem Projekt „Wir speichern
nicht!“[4] teilnehmen. Der geltende Telemedien-Datenschutz hat sich über Jahre hinweg bewährt und muss erhalten bleiben.
- Ein ähnlicher Artikel im „Telekom-Paket“ der EU, das derzeit
in Brüssel verhandelt und frühestens im Sommer verabscheidet wird, ist
politisch weiterhin umstritten. Wirtschaftsminister Michael Glos hatte
sich noch im November nach einem offenen Brief von Datenschützern bei
seinen EU-Kollegen dafür stark gemacht, eine solche
verdachtsunabhängige Speichererlaubnis aus dem Paket zu streichen.[5]
Innenminister Schäuble will ihn nun anscheinend mit einem
U-Boot-Paragrafen in einem ganz anderen Gesetz ausbooten und noch vor
dem EU-Beschluss Fakten schaffen. Das ist eine politische Unkultur, wie
sie nicht in die Offenheit des Internet-Zeitalters passt.
- Wie beim Lesen eines Buches oder beim Versenden eines Briefes
muss garantiert bleiben, dass uns auch im Internet niemand über die
Schulter blicken kann. Nur bei Protokollierungsfreiheit können wir
unbefangen lesen, schreiben und diskutieren. Das nützt nicht nur uns
(z.B. vertraulich Hilfe suchen bei Anwälten, Ärzten, Drogenberatung,
AIDS-Beratung...), sondern allen (z.B. der Politik durch Kritik auf die
Beine helfen, Missstände anonym gegenüber der Presse aufdecken). Eine
Forsa-Umfrage[6]
aus dem letzten Jahr hat nachgewiesen, dass eine
Vorratsdatenspeicherung die Bereitschaft zu sensibler Kommunikation
drastisch senkt.
- 2008 kam es wiederholt zu Datenpannen, bei denen sensible
Nutzungsdaten plötzlich weltweit zugänglich waren. Nachzulesen war, wer
delikate Kontaktanzeigen unter Chiffre aufgegeben hatte[7], wer das Erotikangebot von Beate Uhse genutzt hatte[8] oder welche Kinder ein Forum des ZDF-Kinderkanals nutzten[9].
Es ist völlig unverantwortlich und gefährdet unsere Sicherheit, dass
jetzt neue Datenberge geschaffen und damit privateste Daten über unsere
Internetnutzung Missbrauchsrisiken ausgesetzt werden sollen.
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