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Ortsgruppe Bamberg sorgt für totale Sicherheit auf Jugendmusikfestival Lauschangriff (22.10.2009) Print E-mail

Für das Bamberger Jugendmusikfestival vom 26.-28.6.2009 - den vom Kulturbeutel Bamberg organisierten Lauschangriff 2009 - mit zahlreichen sehr bekannten und geschätzten Künstlern wie Texta und Rainer von Vielen hat sich der AK Vorrat Bamberg einiges an - teils recht ausgefallenen - Aktionen ausgedacht:

Neben einem Stand mit massenhaft Infomaterial zu zahlreichen Aspekten rund um Datenschutz und Überwachung, informativen Videos und lustigen Gimmicks vom Foebud-Shop sind wir auch selbst auf der Bühne aufgetreten. Dort gab es zunächst einen witzigen Sketch zur unwitzigen Innenpolitik in der BRD und eine IMG_0180 Stellungnahme zum vom AK Vorrat maßgeblich mitorganisierten Bamberger Bildungsstreik (Gründe, Demo, Repression). Anschließend hielt Helmut Pozimski von der Bamberger Piratenpartei, der mit uns gemeinsam das Festival beglückt hat, noch eine freie Rede zur von der Bundesregierung beschlossenen Internetzensur und deren Problematik.

Das Festival stand demnach für das Thema Bildungsgerechtigkeit - v.a. aus demokratischer und überwachungskritischer Perspektive. Letzteres erfolgte nicht nur durch Vorträge, Flyer, sondern auch durch den mit der Piratenpartei Bamberg zusammen erstellten, eben fertig gewordenen Reader zur einfachen Nutzung von Privacy-Software am PC und durch eine recht gewagte Form der Aufklärung:

IMG_0169Durch die „Sicherheitsstufe 3“, mit der wir den Kulturbeutel und die anwesende Security-Firma praktisch unterstützt haben. Oder besser noch: getoppt haben. Durch diese durften dann nämlich ein großer Teil der Festivalbesucher nach überstandenen Ausweis- und Taschenkontrollen am Eingang dort auch gleich noch - natürlich völlig freiwillig/überzeugt - ein umfangreiches Repertoire an Daten abgeben.

Wir haben dabei hunderte Besucher am Einlass selektiv aufgrund äußerer Erscheinungsmerkmale bzw. eines subjektiven Anfangsverdachts (nach Geschlecht, Hautfarbe, szenetypischen Klamotten und anderer Willkür)  angesprochen - also diskriminiert -, dabei zutiefst beleidigt (Pardon: überzeugt) und anschließend gebeten, uns höchstpersönliche bis intime Daten (u.a. biometrische) zu ihrer Person abzugeben. Natürlich alles nur der Sicherheit wegen, deren Stellenwert heutzutage höher ist als der jeden anderen Wertes auf der Welt - und darüber hinaus. Dabei waren zwei Aspekte besonders erschreckend:

Erstens haben wir die Besucher - wie erwähnt - selektiert und auf ihre Verdacht erzeugenden Selektionsmerkmale hin angesprochen. Diese waren: Metaloutfits am Metaltag, Skater- und Hip-Hopper-Klamotten am Hip Hop-Tag, Antifa-Pullies, Jamaica-Flaggen und Rasta-Farben sowie dunkle Hautfarbe, anderes "ausländisches" Aussehen oder einfach nur das Geschlecht (Gender).

IMG_0170Um sie aber noch weiter zu diskriminieren, haben wir sie in autoritären Überzeugungsgesprächen beleidigt und gebeten (nie gezwungen!), der Sicherheit wegen persönlichste und intimste Details aus ihrem Privatleben preiszugeben: Migrationshintergrund, Musikgeschmack, Konsumgewohnheiten von Rauschmitteln, Religionszugehörigkeit, Parteipräferenzen, politische Einstellungen und vieles mehr im Gespräch und Name/Vorname, Adresse, Bankverbindung, Telefonnummern, Hobbies, Körpergröße und Gewicht sowie der Fingerabruck auf einem Sicherheitsformular, das natürlich offen auslag.

Einige - noch milde - Kostproben:

  • "Du bist schwarz, komm mal bitte mit, es geht um die Sicherheit auf dem Festival. Bist du Moslem, also Terrorist? Warst du schon mal in Afghanistan oder Pakistan? Deine Freunde können weitergehen..."
  • "Du bist weiblich ... häusliche Gewalt gegen Männer ... Aggressionspotential auf dem Festival..."
  • "Sie haben da ein Kind dabei, das aggressiv und daher gefährlich für andere Besucher sein könnte (Flaschenwerfen, Pöbeln, Schlägern, Saufen...)"
  • "Du bist Hip Hopper/Skater/Punker/etc. Konsumierst du Drogen? Bist du auf Stress aus? Ihr seid alle gleich..."
  • "Du hast da einen Antifa-Pullover an. Du bist Antifaschist? Hast du was gegen national gesinnte Festivalbesucher? Du bist gefährlich, nicht die anderen. Bist du gegen Sicherheit? Nein? Was wählst du denn dann? Doch nicht etwa Union/SPD oder NPD, ergo Parteien für Sicherheit?"
  • "Wir wollen die totale/100%-ige Sicherheit."
  • "Wir wollen alles überwachen - das ist nur zu eurem Besten."
  • An diesem Abend lief v.a. Metal: "Du hörst Metal? Metaller sind aggressiv. Wir wollen das auf dem Festival nicht."

Zweitens: Derber geht's kaum. Das würde schon heftigste Reaktionen legitimieren. Diese blieben aber aus! Niemand, aber auch wirklich niemand hat uns beschimpft, beleidigt, angezeigt oder gar verprügelt. Nur knapp 3-5% der Besucher (etwa 15 von etlichen Hundert) haben alle Angaben verweigert. Alle anderen haben fast immer alle Daten (s.o.) mit einer erschreckenden Selbstverständlichkeit angegeben.IMG_0171 Diese Erkenntnis ist schmerzhaft, aber wichtig für das politische Engagement unsererseits.

Somit bleibt festzuhalten, dass wir dieses Festival als solches sehr gelungen fanden, wir Musikgenuss mit unserer politischen Arbeit kombinieren konnten, was sehr nett war. Jedoch auch, dass wir nicht ohne Grund auf dem Festival waren, sondern vor einem riesigen Aufgabenberg stehen, der schwindelerregende Höhen angenommen hat.

Die Bilder in diesem Artikel stammen von Helmut Pozimski und können unter der "Creative Commons Attribution-ShareAlike 3.0"-Lizenz verwendet werden.

Weitere Informationen:

 
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