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Plädoyer von Rechtsanwalt Starostik vor dem Bundesverfassungsgericht (19.12.2009) Print E-mail

Hier das Manuskript des Plädoyers, das Rechtsanwalt Meinhard Starostik vor dem Bundesverfassungsgericht gehalten hat. Herr Starostik ist der Bevollmächtigte der über 34.000 Beschwerdeführer gegen die Vorratsdatenspeicherung (Az. 1 BvR 256/08 und 1 BvR 508/08). Es gilt das gesprochene Wort.

Herr Präsident!
Hoher Senat!
Meine Damen und Herren!

Ich vertrete in dieser Sache 34938 Beschwerdeführer/innen, unter ihnen 20 Abgeordnete des Bundestages und der Landtage, 871 Journalisten, 361 Ärzte, viele weitere Angehörige von Vertrauensberufen, Anhänger aller demokratischen Parteien. Warum haben im Fall der Vorratsdatenspeicherung so viele Menschen wie noch nie zuvor das Hohe Gericht angerufen? Weil bei der Entscheidung über diese Maßnahme drei Grundwerte auf dem Spiel stehen: Erstens unser Recht auf freie und unbefangene Kommunikation, Fortbewegung und Mediennutzung, zweitens die Zukunft unseres Grundrechts auf Privatsphäre allgemein und drittens die Durchsetzung unserer Menschenrechte in einem vereinten Europa.

Zuvörderst ist eine politische Errungenschaft der modernen Demokratie, dass Menschen mündlich, schriftlich und ursprünglich auch telefonisch kommunizieren konnten, ohne Angst vor Nachverfolgung und Nachteilen wegen ihrer Kontakte haben zu müssen. Ob im März der deutschen Demokratie 1848, im Widerstand gegen die Nationalsozialisten, bei der friedlichen Revolution in der DDR, im Kampf gegen Diktaturen weltweit, aber auch in der heutigen Bundesrepublik bei der Organisation von Umwelt- und Globalisierungsprotesten, bei dem Informieren der Presse über rechtswidrige und demokratiegefährdende Machenschaften in Staat und Wirtschaft – unbeobachtete und unbeobachtbare menschliche Kommunikation bildet seit jeher die Grundlage des Eintretens für Demokratie, Rechtsstaat und Menschenrechte.

Auch einzelne Menschen sind mitunter existenziell darauf angewiesen, vor Nachteilen infolge eines Bekanntwerdens ihrer Kontakte sicher geschützt zu sein, etwa wo sie wegen Krankheiten, Drogen oder Straftaten absolut anonyme Hilfe oder Rat brauchen. Beispielsweise konnte ein junger Mann ohne Furcht vor Nachteilen die damals nicht rückverfolgbare Telefonseelsorge in Bayern anrufen. Das Gespräch überzeugte ihn, einen geplanten Amoklauf in seiner Schule aufzugeben.

Außerhalb existenzieller Gefahren gehört die freie Kommunikation zum Alltagsleben der Menschen in diesem Lande, sie ist einer der wichtigsten Gründe, die das Leben in unserem Lande so lebenswert machen.

Die freiheitsstiftende Bedeutung der ubiquitären Verfügbarkeit der modernen Massenkommunikation, die explosionsartige Zunahme der Kommunikationsmittel und –techniken stehen allesamt auf dem Spiel, wenn dieselbe Technik zum Werkzeug einer vollständigen verdachtslosen Überwachung gemacht wird, weil der Staat die Überprüfbarkeit jeglicher vermittelst elektronischer Kommunikation begangener Kontakte fordert, vermeintlich um der Sicherheit seiner Bürger willen.

Ist dieser Weg einmal freigegeben, ist die weitere schrittweise Erfassung des gesamten Alltages eine Folge, die wir schon heute sicher vorhersagen können. Internetnutzung, Flugbewegungen, Resiewege, ÖPNV-Nutzung, Kaufverhalten, Fernsehnutzung, Bücherausleihe, alle irgendwie elektronisch erfassbaren Lebensäußerungen finden eine Rechtfertigung der Speicherung. Statt dem autonomen Individuum als höchstem Wert der Rechtsordnung, ist die Kenntnis der Lebensäußerungen der Individuen deren Eigenwert übergeordnet, wir finden uns in einem potentiell allwissenden Staat wieder.

Die Erlaubnis des Staates anlasslos und pauschal Wissen über alle Bürger anzuhäufen und anhäufen zu lassen, greift in den Kernbereich des Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung ein. Der Zweckbindungsgrundsatz und das Verhältnismäßigkeitsgebot wären an dieser Stelle aufgehoben.

Die Rechtsprechung des Hohen Gerichts ist erfreulich klar. Am 12.03.2003 entschied das BVerfG: „Insofern genügt es verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht, dass die Erfassung der Verbindungsdaten allgemein der Strafverfolgung dient. Vorausgesetzt sind vielmehr eine Straftat von erheblicher Bedeutung, ein konkreter Tatverdacht und eine hinreichend sichere Tatsachenbasis…“ Am 04.04.2006 betonte das Gericht das „außerhalb statistischer Zwecke bestehende strikte Verbot der Sammlung personenbezogener Daten auf Vorrat“. Intensive Grundrechtseingriffe dürfen erst von bestimmten Verdachts- oder Gefahrenstufen an vorgesehen werden. Selbst bei höchstem Gewicht der drohenden Rechtsgutbeeinträchtigung kann auf das Erfordernis einer hinreichenden Wahrscheinlichkeit einer Rechtsgutsverletzung nicht verzichtet werden. Der Gesetzgeber darf die Gewichte auch zur Bekämpfung von Terrorismus „nicht grundlegend verschieben“. Am 11.03.2008 bekräftigte das Gericht, dass eine automatisierte Datenerhebung nicht anlasslos erfolgen oder flächendeckend durchgeführt werden darf.

In diesem Prozess wird sich entscheiden, ob auch bei Beschlüssen aus Brüssel „ein diesem Grundgesetz im wesentlichen vergleichbarer Grundrechtsschutz gewährleistet“ werden kann, wie es unser Grundgesetz in Art. 23 fordert. Der Europäische Menschenrechtsgerichtshof hat im letzten Jahr mit der Verwerfung der britischen DNA- und Fingerabdruckdatenspeicherung einen ersten Meilenstein gesetzt. Mit der Vorratsdatenspeicherung steht nun erstmals grundrechtswidriges Europarecht auf dem Prüfstand.

Die fundamentalen Auswirkungen dieses Verfahrens also sind der Grund, weshalb so viele Menschen als Beschwerdeführer ihr Vertrauen darauf setzen, dass das Hohe Gericht durch Aufhebung der Vorratsdatenspeicherung die Grundvoraussetzungen einer freien Kommunikation in unserer Gesellschaft wieder herstellen wird. Ich beantrage dementsprechend im Namen aller von mir vertretener Beschwerdeführerinnen und Beschwerdeführer, dem Europäischen Gerichtshof die Frage vorzulegen, ob die Richtlinie 2006/24/EG gültig ist, und nach Verneinung dieser Frage durch den EUGH die §§ 113a, 113b des Telekommunikationsgesetzes für unvereinbar mit den Artikeln 10, 2 Absatz 1 in Verbindung mit 1 Absatz 1, 5, 12, 14 und 3 Abs. 1 des Grundgesetzes und nichtig zu erklären.

Das Rumänische Verfassungsgericht hat das Gesetz Nr. 298/2008, das die Vorratsdatenspeicherung in Rumänien einführte, bereits für verfassungswidrig erklärt. Es führt aus: „Auf diese Weise führt [die Vorratsdatenspeicherung], welche die fortwährende Einschränkung des Rechts auf Privatsphäre und auf das Fernmeldegeheimnis vorsieht, zur Beseitigung des Kerngehaltes dieses Rechts, indem die Schutzvorkehrungen zur Gewährleistung seiner Ausübung beseitigt werden.“ Genau dies ist, was die Beschwerdeführer/innen vortragen.

Zur Mündlichen Verhandlung am 15. Dezember 2009:

Weitere Informationen zur Verfassungsbeschwerde  

 
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