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Bericht: Warum das Internet kein Auto ist (28.03.2010) Drucken E-Mail

 Am 24.03.2010 diskutierte Bundesinnenminister de Maizière in Potsdam zum zweiten Mal auch mit Mitgliedern der Bürgerrechtsbewegung über illegale Inhalte im Internet. Patrick Breyer war für den Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung dabei. Hier sein Bericht von der Veranstaltung:

Der Bundesinnenminister hatte wieder zu einer Diskussionsrunde eingeladen: 17 Gäste nahmen an der zweiten netzpolitischen Diskussionsrunde am 24.03.2010 teil, deren Thema „Das Internet als Mehrwert erhalten“ lautete. Was der Bundesinnenminister darunter versteht, machte er gleich zu Beginn deutlich: Man müsse über illegale Inhalte im Netz und über den Umgang mit ihnen diskutieren.
Ziel seiner Veranstaltungsreihe sei, das Verhältnis von Staat und Bürger im Internet zu definieren. Er strebe eine „prinzipielle Ordnung des Freiheitsinstruments Internet“ an. Dazu interessierten ihn die Vorschläge aus Wirtschaft, Wissenschaft und Netzgesellschaft (er hielt es für „arrogant“, als Franziska Heine die Netzgemeinde als „Zivilgesellschaft“ bezeichnete). Einen Vorschlag aus der ersten Diskussionsrunde, nämlich einen „Datenbrief“ einzuführen, werde er zum Anlass nehmen, eine „Projektgruppe Datenbrief“ einzurichten, die die Vorteile, aber auch die gewichtigen Nachteile des Vorschlags untersuchen solle.
Vor Beginn der Diskussion nahm der Minister kurz zu den beliebtesten drei Fragen Stellung, die auf dem Portal e-konsultation.de gestellt worden waren. Zu Internetsperren vertrat er die Auffassung, es handele sich nicht um Zensur, denn auch verbotene Bücher würden eingestampft. Die dritte Nutzerfrage lautete: „Auch per Post wird Verbotenes verschickt. Eine präventive Erfassung aller Briefdaten verlangt trotzdem niemand. Warum dann für Netzverkehr?“ Die Antwort darauf verweigerte de Maizière mit der Begründung, er wolle nicht die Diskussion vorweg nehmen.
In der Diskussion wurde dann tatsächlich nach einiger Zeit das Problem der Vorratsdatenspeicherung angesprochen. Zuerst beklagte Bundeskriminalamtspräsident Ziercke das Internet durch umfassende Aufzählung verschiedenster Straftaten als Hort von Kriminalität, dem man ohne Vorratsdatenspeicherung nicht Herr werden könne. Ich entgegnete, dass das Internet zu 99% legal und nicht häufiger zu illegalen Zwecken eingesetzt werde als persönliche Gespräche oder Briefe. Auch sprach ich mich gegen die Diskriminierung von Internetnutzern durch die Vorratsdatenspeicherung aus: Nur in der Telekommunikation soll monatelang jede Verbindung rekonstruierbar sein, was etwa bei Briefen oder persönlichen Gesprächen undenkbar wäre. Ich forderte den Bundesinnenminister auf, die Bundesjustizministerin dabei zu unterstützen, für eine Abschaffung der EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung einzutreten. Stattdessen brauche es ein schnelleres Quick-Freeze-Verfahren, gezielter Ermittlungen im Internet, einer Ausweitung des Fernmeldegeheimnisses auf Anbieter von Internet-Contentdiensten und einer Entschärfung der Anbieterhaftung für nutzergenerierte Inhalte.
Der Bundesinnenminister wies jede Einmischung in seine Gespräche mit Bundesjustizministerin Leutheusser-Schnarrenberger zurück und sagte, sie seien „auf einem guten Weg“ - was aus dem Mund des Vorratsdatenbefürworters De Maizière nichts Gutes verheißt (siehe Kampagne: Stoppt die Vorratsdatenspeicherung 2.0!). Dann fragte er, ob die folgende Parallele zum Straßenverkehr akzeptabel sei: Wer ein Auto benutze, müsse sich als Halter bei dem Staat registrieren und ein Nummernschild anbringen. Darüber könnten Geschädigte Auskunft über den Halter erhalten. Außerdem sei es in Anbetracht massenhafter Verkehrsverstöße anerkannt, dass die Polizei Fahrzeuge jederzeit anhalten und kontrollieren dürfe. Müsse man nicht auch für das Internet verlangen, dass diejenigen Daten gespeichert würden, die zur Identifizierung eines Surfers erforderlich seien?
Ich entgegnete, dass die Identifizierbarkeit von Internetnutzern über dynamische IP-Adressen während der bestehenden Verbindung auch ohne Vorratsdatenspeicherung gegeben ist. BKA-Präsident Ziercke schilderte daraufhin einen Fall, in dem jemand in einem Chat einen Kindesmissbrauch angekündigt habe und mangels Vorratsdatenspeicherung nicht mehr zu ermitteln gewesen sei. Ich erwiderte, dass diese Ermittlung während der bestehenden Verbindung durchaus auch ohne Vorratsdatenspeicherung möglich gewesen sei. Außerdem sei der Straßenverkehr mit dem Internet nicht vergleichbar: Der Straßenverkehr koste jährlich tausende von Menschen das Leben (2009 über 4.000 Menschen in Deutschland). Nur wegen dieser Gefährlichkeit wurden Nummernschilder eingeführt. Das Internet gefährde Leib und Leben von Menschen demgegenüber nicht unmittelbar. (Anm.: Der Vergleichbarkeit von IP-Adressen und Kfz-Kennzeichen steht auch entgegen, dass Mietwagen, Car-Sharing, Mitfahrgelegenheiten, Fahrräder und öffentlicher Personenverkehr identifizierungsfrei genutzt werden können. Auch schreibt nicht jedes Geschäft, vor dem ich parke, mein Kfz-Kennzeichen auf, wie es im Internet mit der IP-Adresse weitgehend der Fall ist.)
Dies rief den Widerspruch des Moderators auf den Plan. Das Internet gebe doch einen Anreiz zu Straftaten durch seine vermeintliche Anonymität. Ich erwiderte, dass angesichts einer Aufklärungsquote von über 80% aller im Internet begangener Straftaten auch ohne Vorratsdatenspeicherung niemand davon ausgehen könne, im Internet anonym zu sein. Dies veranlasste den BKA-Präsidenten Ziercke zu dem Einwurf, man dürfe das Dunkelfeld nicht vergessen. Markus Beckedahl entgegnete treffend, dieses Dunkelfeld existiere auch bei Delikten außerhalb des Internet. Im Übrigen kann die Polizei auch mit Vorratsdaten keine Straftaten aufklären, von denen sie keine Kenntnis hat („Dunkelfeld“).
Meinen Beitrag und die anschließende Debatte um das Recht auf Anonymität im Netz kann man hier nachhören (12 min.):
(vollständige Diskussion als mp3)
Ein Schweizer Kriminologe wies in der weiteren Diskussion darauf hin, dass Deutschland durch die entsprechende EU-Richtlinie zur Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung verpflichtet sei. Vorratsdatenspeicherung sei in Europa Standard. Im Übrigen seien auch Briefe etwa anhand von DNA-Spuren nachvollziehbar. Dabei verschwieg er allerdings, dass viele Staaten Europas und der Welt bis heute auf eine Vorratsdatenspeicherung verzichten und dass man mit einer DNA-Spur auf einem Brief nichts anfangen kann, wenn dem Betroffenen nicht zufällig in anderem Zusammenhang DNA abgenommen wurde.
Einig war ich mit dem Bundesinnenminister, dass die Polizei auch im Internet befugt ist, im Verdachtsfall gezielte Ermittlungen anzustellen. Was den Austausch von Darstellungen sexuellen Kindesmissbrauchs angeht, scheitern Ermittlungen allerdings oft daran, dass man in entsprechende Tauschkreise offenbar nur durch Lieferung eigenen Materials aufgenommen wird, verdeckte Ermittler aber keine Straftaten begehen dürfen (und in diesem Fall: wollen). Nichtsdestotrotz konnten 2008, also schon vor Einführung der Vorratsdatenspeicherung im Internet, 87,5% aller bekannt gewordenen Fälle von Kinderpornografie im Internet aufgeklärt werden. Die durchschnittliche Aufklärungsquote lag weit darunter.
Das Thema der „Internetstreife“ und der personellen und technischen Ausrüstung der Polizei wurde mehrfach diskutiert. Der Bundesinnenminister meinte, die Polizei müsse das Recht erhalten, bei entsprechenden Anhaltspunkten in geschlossenen Räumen im Internet (z.B. Chats, Foren) präventiv „auf Streife zu gehen“, etwa durch Nutzung des Passworts eines Teilnehmers. Es könne nicht richtig sein, hier dieselben Maßstäbe wie für eine Wohnungsdurchsuchung anzuwenden. Als Beispiel nannte er den Fall, dass es einen Hinweis darauf gebe, dass in einem bestimmten Internetforum Steuerhinterziehung verabredet werde. Mir scheint nicht belegt, dass die schon vorhandenen Befugnisse der Polizei in diesem Bereich nicht genügten.
In der Diskussionsrunde wurde schwerpunktmäßig auch das Thema der Urheberrechtsverstöße im Internet diskutiert. Der Bundesinnenminister, der hierfür in der Bundesregierung allerdings nicht zuständig ist, hatte diese Delikte schon in der Einladung als „Bagatellverstöße“ eingeordnet und sogar die Frage aufgeworfen, ob es einer Kultur-Flatrate bedürfe. Der Gesetzgeber – so der Minister – müsse davon ausgehen können, dass seine Gesetze von der großen Mehrheit der Bürger befolgt würden. Andernfalls mache sich der Staat auf Dauer lächerlich, wenn er an nicht befolgten Vorschriften festhalte. Das Urheberrecht im Internet müsse daher entweder durchgesetzt oder geändert werden.
Der nicht sehr internetversierte Vertreter des Börsenvereins des deutschen Buchhandels forderte, die gesamte Internetnutzung darauf zu überwachen, ob gegen Urheberrecht verstoßen werde. Diesem Vorschlag bescheinigte der Innenminister durchgreifende rechtliche Hindernisse. Markus Beckedahl sprach sich für eine Pauschalabgabe auf Internetzugänge ähnlich der bestehenden Geräte- und Leermedienabgaben aus, um private Vervielfältigungen im Netz abzugelten ("Kultur-Flatrate"). Diesen Vorschlag bezeichnete der Minister als eine Möglichkeit. Er wurde von dem Vertreter der Musikindustrie aber abgelehnt. Dieser forderte stattdessen eine feste IP-Adresse für jeden Internetnutzer. Der Innenminister erklärte, dies sei, worauf er mit seinem Kfz-Kennzeichen-Vergleich hinaus gewollt habe. Constanze Kurz vom Chaos Computer Club kündigte an, der CCC werde im Rahmen der Internet-Enquete einen eigenen Vorschlag („Punktesystem“) zur Frage der Privatkopie im Internet vorstellen.
Abschließend erklärte der Bundesinnenminister, man könne den anwesenden Kreis von Personen wohl nur vor den Schranken des Bundesverfassungsgerichts oder hier versammeln. Einen klaren Dissens machte er beim Thema der Anonymität im Internet aus. Es könne keinen Kompromiss zwischen Verantwortung und Anonymität im Internet geben. „Ich brauche einen Verursacher.“ Deswegen könne es „kein Recht auf Anonymität“ geben oder, wie er anschließend „versöhnlicher“ formulierte, „kein schrankenloses Recht auf Anonymität“. Auch auf Briefen stehe schließlich ein Absender und ein Adressat (Anm.: Ist die Adressatenangabe zwingend? Zeichnet die Post auf, wer wem Briefe schickt? Ist passives Internetsurfen nicht eher dem Fernsehen vergleichbar?).
Das vehemente Eintreten des Bundesinnenministers für eine Wiedereinführung der anlasslosen Erfassung unser aller Telekommunikations- und Internetverbindungsdaten macht deutlich, dass jetzt der massive Widerstand der Bürger erforderlich ist, um diese Pläne zu Fall zu bringen.
Thema der nächsten Diskussionsrunde werden "Staatliche Angebote im Internet" sein.

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