Brüssel bestätigt: USA erhalten Zugriff auf vorratsgespeicherte Kommunikationsdaten (20.09.2006) |
In einer schriftlichen Stellungnahme vom 15.09.2006 bestätigt Innenkommissar Frattini, auf Vorrat gespeicherte Kommunikationsdaten "können im Rahmen bestehender Rechtshilfeabkommen in Strafverfahren ausgetauscht werden", unter anderem mit den USA. Besorgte Europaabgeordnete hatten bei der Kommission nachgefragt, ob Gerüchte zutreffen, wonach die USA um Zugriff auf die Kommunikationsdaten aller EU-Bürger gebeten hätten. Einer EG-Richtlinie vom März 2006 zufolge soll ab Mitte 2007 EU-weit über einen Zeitraum von bis zu zwei Jahren gespeichert werden, wer mit wem per Telefon, Handy oder Email in Verbindung gestanden hat. "Frattini macht dankenswerterweise deutlich, dass die Bundesregierung bereit ist, die Privatsphäre aller EU-Bürger an die US-Geheimdienste zu verscherbeln. Aus ähnlichen Skandalen der jüngsten Zeit hat man offenbar nichts gelernt. Einmal mehr wird den USA die Möglichkeit zur Wirtschaftsspionage auf dem goldenen Tablett serviert", sagte der Politikwissenschaftler Ralf Bendrath vom Netzwerk Neue Medien. "Die heimliche Auswertung europäischer Kontobewegungen durch US-Geheimdienste im Rahmen von SWIFT, die vom Europäischen Gerichtshof für illegal erklärte Weitergabe von Flugpassagierdaten, oder auch die flächendeckende US-Abhöraktion in Europa mit dem Echelon-System zeigen, dass sich hier eine verhängnisvolle Tradition der transatlantischen Überwachung herausgebildet hat. Wir werden das nicht weiter dulden", ergänzte der Datenschützer und FIfF-Vorstand Werner Hülsmann. "Schon bei den Flugpassagierdaten ist nicht mehr nachvollziehbar, wie diese genutzt werden", so Twister (Bettina Winsemann) von STOP1984. "Ob sie nun in das US-amerikanische Passagierüberwachungssystem CAPPS eingeflossen sind oder nicht, konnte nie eindeutig geklärt werden. Sind die privaten Kommunikationsdaten erst einmal über den großen Teich gewandert, wird die informationelle Selbstbestimmung der Bürger letztendlich ebenso zur Farce wie die Sicherheit europäischer Firmengeheimnisse." Die nun vorliegende Stellungnahme der EU-Kommission widerlegt das Versprechen von Bundesjustizministerin Brigitte Zypries, die Kommunikationsdaten würden nur zur Verfolgung schwerer Straftaten und nur aufgrund richterlicher Genehmigung genutzt werden. Tatsächlich sollen den Plänen der Bundesregierung zufolge die Datenbestände einer Vielzahl von Stellen offen stehen:
Das Bundesjustizministerium arbeitet derzeit an einem Gesetzentwurf zur Einführung einer Vorratsdatenspeicherung in Deutschland. Das von der Justizministerin persönlich vorangetriebene Vorhaben bekommt jedoch zunehmend Gegenwind. Dem Europäischen Gerichtshof in Luxemburg liegt seit Juli eine Nichtigkeitsklage gegen die Brüsseler Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung vor. Die Opposition im Deutschen Bundestag will die Regierung auffordern, den Ausgang dieser Klage abzuwarten, bevor eine Entscheidung getroffen wird. Für ein solches Moratorium haben sich mit Siegfried Kauder (CDU) und Jörg Tauss (SPD) auch erste Politiker der Koalition ausgesprochen. "Die Vorratsdatenspeicherung privatester Kommunikationsdaten widerspricht jeglicher Verhältnismäßigkeit und würde sich verheerend auf die Meinungsfreiheit auswirken," warnte die Bürgerrechtlerin Twister (Bettina Winsemann). "Gespräche mit der Telefonseelsorge, mit Anwälten, mit Presseinformanten - all dies würde für die zugriffsberechtigten Personen und Behörden ein offenes Buch werden. Die Speicherung von Geschäftskontakten würde auch der Wirtschaftsspionage Tür und Tor öffnen." Der Bürgerrechtler Burkhard Hirsch (FDP) hat bereits eine Verfassungsklage gegen die geplante Vorratsdatenspeicherung angekündigt. Mit seinen letzten Klagen gegen den großen Lauschangriff und das Luftsicherheitsgesetz hatte Hirsch vor dem Bundesverfassungsgericht Erfolg. Auch diesmal stehen die Chancen Hirschs nach Ansicht von Rechtsexperten gut, weil das Bundesverfassungsgericht bereits ein "Verbot der Sammlung personenbezogener Daten auf Vorrat" ausgesprochen hat. Verschiedene Bürgerrechts- und Datenschutzverbände rufen unterdessen zu einer "Demonstration gegen Sicherheits- und Überwachungswahn" am 20. Oktober in Bielefeld auf (www.freiheit-statt-angst.de). Am gleichen Tag werden dort die diesjährigen Big Brother Awards verliehen. Hintergrund: Einer EG-Richtlinie vom März 2006 zufolge soll ab Mitte 2007 zur verbesserten Strafverfolgung nachvollziehbar werden, wer mit wem in den letzten sechs Monaten per Telefon, Handy oder Email in Verbindung gestanden hat. Bei Handy-Telefonaten und SMS soll auch der jeweilige Standort des Benutzers festgehalten werden. Mit Hilfe der gespeicherten Daten können Bewegungsprofile erstellt, geschäftliche Kontakte rekonstruiert und Freundschaftsbeziehungen identifiziert werden. Gegenwärtig dürfen Telekommunikationsanbieter nur die zur Abrechnung erforderlichen Verbindungsdaten speichern. Dazu gehören Standortdaten und Email-Verbindungsdaten nicht. Durch die Benutzung von Pauschaltarifen kann eine Speicherung zudem bisher gänzlich vermieden werden, was etwa für Journalisten und Beratungsstellen wichtig sein kann, die auf absolute Vertraulichkeit angewiesen sind. Reaktionen: heise online: EU will Verbindungsdaten an die USA weitergeben (21.09.2006) |
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