Aktionstag gegen Vorratsdatenspeicherung am 14.12.2011 (13.12.2011) |
Zum 6-jährigen Jahrestag des Beschlusses der EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung am Mittwoch, den 14. Dezember 2011 werden Bürger in über 20 deutschen und europäischen Städten[1] Spinnennetze vor den Büros von Bundestags- und Europaparlamentsabgeordnetenen enthüllen, um gegen eine verdachtslose Vorratsspeicherung aller Verbindungsdaten zu protestieren und die Abgeordneten zu einem Gespräch darüber einzuladen. Die Abgeordneten sollen sich einem sachlichen Dialog mit den Bürgern aus ihrem Wahlkreis stellen, welche eine verdachtslose Vorratsdatenspeicherung als einen massiven Eingriff in ihre Grundrechte ansehen, den es zu verhindern gilt. Zur Teilnahme rufen der Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung und das Netzwerk Campact auf. Dem Aufruf wollen bislang besorgte Bürger in Augsburg, Bad Kreuznach, Berlin, Bielefeld, Düsseldorf, Hamburg, Heide (Holstein), Hildesheim, Kassel, Leipzig, Mainz, Mölln, München, Naumburg (Saale), Pößneck, Potsdam, Regensburg, Rostock, Saarbrücken, Tauberbischhofsheim, Ulm, Würzburg, aber auch in Luxemburg und Wien folgen. Das Spinnennetz wurde von den Aktivisten als Symbol für die negativen Folgen einer verdachtslosen Vorratsspeicherung aller Verbindungsdaten gewählt: Durch das Hängenbleiben von Kontakten, Bewegungen, Vorlieben und Interessen im Datennetz sind detaillierte Rückschlüsse auf zentrale Bereiche der privaten Lebensgestaltung möglich. Am 14. Dezember 2005 stimmte das EU-Parlament für die Einführung der EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung, mit deren Hilfe die EU-Kommission nun eine neuerliche verdachtslose Vorratsdatenspeicherung in Deutschland erzwingen will. Die Bundesregierung verhandelt zurzeit über die Ausgestaltung eines solchen Gesetzes. Datenschützer, Berufsverbände und Bürgerrechtler haben wiederholt auf die negativen Auswirkungen einer verdachtsunabhängigen Protokollierung von Verbindungsdaten der gesamten Bevölkerung hingewiesen. Die erfolgreiche Massenverfassungsbeschwerde des Arbeitskreises Vorratsdatenspeicherung vor dem Bundesverfassungsgericht im Jahr 2007 wurde von mehr als 34.000 Menschen durch eine Vollmacht unterstützt und stellt somit die größte Verfassungsbeschwerde in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland dar. Nach Nichtigerklärung des deutschen Gesetzes zur Vorratsdatenspeicherung 2010 forderten 48 Verbände und Organisationen Bundesjustizministerin Leutheusser-Schnarrenberger auf, "sich ungeachtet eines möglichen Vertragsverletzungsverfahrens grundsätzlich von der Forderung nach einer neuerlichen umfassenden und verdachtsunabhängigen Speicherung von Telekommunikationsdaten zu distanzieren".[2] Unter den Unterstützern befinden sich zahlreiche Berufsverbände, die Einschränkungen durch eine Vorratsdatenspeicherung befürchten, wie etwa Seelsorger, Juristen, Journalisten und Beratungsstellen. "Insbesondere Journalisten, aber auch normale Bürger sollten ein Recht auf unbeobachtete Kommunikation haben", gibt Katharina Maria Nocun vom Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung zu bedenken. "Eine Vollprotokollierung von Verbindungsdaten nimmt Bürgern notwendige Freiräume, die für die Gewährleistung einer lebendigen Demokratie und Ausübung der Meinungs- und Pressefreiheit notwendig sind. Problematisch an der Vorratsdatenspeicherung ist vor allem die Sammlung hochsensibler Bewegungsdaten, welche durch verbreitete Nutzung von Smartphones unvermeidbar bei einer verdachtsunabhängigen Protokollierung der Verbindungsdaten der Bevölkerung anfallen." Zum sechsjährigen Jahrestag des Beschlusses der EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung ist außerdem die Veröffentlichung einer Gemeinsamen Erklärung zivilgesellschaftlicher Organisationen geplant, die bereits von 27 Organisationen unterzeichnet worden ist.[3] Darin appellieren die Unterzeichner an die in Deutschland politisch Verantwortlichen, keinerlei Vorratsdatenspeicherung bzw. Mindestspeicherfrist wieder anzuordnen und sich für eine Aufhebung der entsprechenden EU-Richtlinie sowie für ein europaweites Verbot jeder verdachtslosen Vorratsspeicherung von Verbindungsdaten einzusetzen. Zu den Unterzeichnern zählen der Berufsverband Deutscher Psychologinnen und Psychologen, der Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger, der Deutsche Journalisten-Verband, die Katholische Junge Gemeinde, der Republikanische Anwältinnen- und Anwälteverein und der Verbraucherzentrale Bundesverband. Auswertungen der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) zeigen, dass die Aufklärungsrate in den Jahren der Vorratsdatenspeicherung keineswegs gestiegen ist[4] und die Vorratsdatenspeicherung somit ihr Ziel verfehlt. Gleichwohl wird eine verdachtslose Vorratsdatenspeicherung mithilfe der entsprechenden EU-Richtlinie politisch vorangetrieben. Europaweit sind bei deren Umsetzung mehr als 500 Millionen Menschen von einer verdachtsunabhängigen Erfassung ihrer Verbindungsdaten betroffen. Zudem häufen sich Missbrauchsfälle in Staaten, welche die Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung bereits umgesetzt haben. In Polen wurden investigativ arbeitende Journalisten mithilfe von Vorratsdaten nach der Herkunft brisanter regierungskritischer Informationen durchleuchtet.[5] Ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs zu der Frage, ob die EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung grundrechtskonform ist, steht noch aus. Gegen Deutschland sind derzeit mehr als 20 Vertragsverletzungsverfahren anhängig, ohne dass die Regierung sich zum Handeln gezwungen sieht - es besteht daher aus Sicht der Arbeitskreises Vorratsdatenspeicherung kein Grund, diese umstrittene und demokratiegefährdende Maßnahme umzusetzen. Aufgrund einer erfolgreichen Petition des Mitglieds im Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung Kai-Uwe Steffens im Oktober 2011 wird sich der Bundestag in Kürze mit der Vorratsdatenspeicherung befassen müssen.[6] Mehr als 50.000 besorgte Bürger haben der Petition gegen die Vorratsdatenspeicherung innerhalb von nur drei Wochen ein Mandat erteilt. |
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