Interview zum Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung (02.12.2006) |
Das folgende Interview wurde am 02.12.2006 einer Schülerzeitung gegeben. Guten Tag. Bitte stellen Sie sich den Lesern kurz vor. Mein Name ist PatrickiBreyer. Ich bin von Beruf Jurist und ehrenamtlich im Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung aktiv (www.vorratsdatenspeicherung.de). Was ist Ihre persönliche Motivation, an dem Projekt teilzunehmen? Mir geht es um den Schutz unserer Freiheit vor einem Schnüffelstaat, der aus überzogener Kriminalitätsfurcht überwacht, was ihn nichts angeht. Die Vorratsdatenspeicherung ist ein wichtiger Bestandteil des sich entwickelnden Überwachungsstaates. Wenn der Staat jeden überwacht, ermöglicht ihm dieses Wissen, Einzelne zu kontrollieren und z.B. gezielt gegen unbequeme Kritiker vorzugehen. Außerdem entsteht ein allgemeines Klima des Misstrauens und der Beobachtung, das Menschen davon abhält, sich kritisch zu engagieren und sich für Verbesserungen in unserem Land einzusetzen. In einem freien Land muss Überwachung und Kontrolle die Ausnahme bleiben und sich auf konkret verdächtige Menschen beschränken. Es darf nicht sein, dass unverdächtige und ungefährliche Menschen rein vorsorglich überwacht werden. Wie sehen Sie die Erfolgsaussichten des Vereins? Unser Arbeitskreis kann schon jetzt Erfolge vorweisen: Wir haben mit unseren Demos gegen Überwachungswahn ein Netzwerk aufgebaut und Menschen sensibilisiert. Die Offenen Briefe gegen die Vorratsdatenspeicherung scheinen einige SPD-Abgeordnete zum kritischen Überdenken der Pläne bewegt zu haben. Selbst der Gesetzentwurf zur Vorratsdatenspeicherung vom November hätte schlimmer ausfallen können. Ausgeschlossen ist darin eine Verwendung der Daten durch Geheimdienste und durch private Rechteinhaber. Ich denke, dass diese Einschränkung auch dem öffentlichen Widerstand gegen die Pläne zu verdanken ist. Für die Zukunft denke ich, dass wir zumindest eine Abschwächung der Pläne erreichen können, z.B. wo ein Verbot anonymer Emailkonten und von Anonymisierungsdiensten vorgesehen ist. Außerdem halte ich die Wahrscheinlichkeit, dass das Bundesverfassungsgericht die geplante Vorratsdatenspeicherung kippen wird, für sehr hoch. Sind Sie mit der bisherigen Resonanz zufrieden? Es ist überwältigend, wie viele Menschen sich an unserer Verfassungsbeschwerde gegen die geplante Totalprotokollierung der Telekommunikation beteiligen wollen. Mit mehreren Tausend Teilnehmern hatte niemand gerechnet. Die Menschen sehen endlich eine Möglichkeit, sich gegen ihre verdachtslose Überwachung zu wehren. Durch die Aktion mit der Verfassungsbeschwerde sind auch viele neue Mitglieder in unseren Arbeitskreis eingetreten. Darunter finden sich nicht nur Computerspezialisten, sondern die verschiedensten Menschen, auch Sozialhilfeempfänger oder Rentner. Gerade Ostdeutsche wissen noch aus Stasizeiten, dass staatliche Überwachung ganz konkrete Einschränkungen unserer Freiheit und Handlungsmöglichkeiten zur Folge hat. Sind noch weitere Kampagnen und Maßnahmen geplant, um die Thematik mehr in die öffentliche Diskussion zu rücken? Wir möchten das Thema Vorratsdatenspeicherung in eine Fernseh-Talkshow bringen. Außerdem wollen wir eine Kampagne starten, damit Zeitungen und Zeitschriften mehr über dieses Überwachungsprojekt berichten und informieren. Nächstes Jahr wird es weitere Demonstrationen geben. Wie kam es zum Zusammenschluss der verschiedenen Initiativen und Vereine? Der Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung entstand aus einer Diskussionsliste der Bürgerrechtsaktivisten von STOP1984. In diese Liste haben sich nach und nach Vertreter/innen verschiedener Bürgerrechtsorganisationen und besorgte Internetnutzer/innen eingeklinkt. Zulauf hatten wir besonders nach unseren ersten Aktionen wie den Demonstrationen in Berlin und Bielefeld („Freiheit statt Angst - Demo gegen Sicherheits- und Überwachungswahn“). Wo sehen Sie die größten Gefahren für die momentane Gesellschaft in der Vorratsdatenspeicherung? Wird sich die Nutzung des Internets grundlegend ändern? Die Nutzung des Internet wird sich grundlegend ändern, weil wir künftig damit rechnen müssen, dass uns der Staat beim Surfen über die Schulter sieht. Man wird – vermeintlich – illegales Verhalten meiden, aber auch solches Verhalten, bei dem man nur damit rechnet, dass es nachteilige Folgen haben könnte. Mit wem wir telefonieren und Emails schreiben, welche Seiten wir im Internet betrachten und was wir dort schreiben, wird künftig nachvollziehbar. Anhand dieser Daten kann beispielsweise festgestellt werden, mit wem wir befreundet sind (häufige Anrufe), welche politische Meinung wir haben (betrachtete Internetseiten) oder welche Probleme wir haben (betrachtete Internetseiten, Anrufe bei Telefonhotlines). Damit werden wir erpressbar oder passen unser Verhalten schon in vorauseilendem Gehorsam an, um jedes Risiko von Nachteilen auszuschließen. Nicht nur ein großer Teil unseres täglichen Lebens wird abgebildet. Wir laufen auch Gefahr, vom Staat zuunrecht als „Sicherheitsrisiko“ eingestuft zu werden. Schon heute kontrollieren die USA bei der Einreise, ob sich die Einreisenden kritisch über die Politik der US-Regierung (z.B. Irak-Krieg) geäußert haben. Die friedliche Teilnahme an Globalisierungs- oder Umweltdemonstrationen kann in Deutschland zu Ausreiseverboten führen, wenn es auf der Demonstration Gewalt gegeben hat – selbst wenn man daran nicht beteiligt war und nichts dafür kann. Wer künftig anhand von Telekommunikationsdaten als Risiko eingestuft wird, hat mit Durchsuchungen, Befragung von Nachbarn und Arbeitgeber bis hin zur vorläufigen Festnahme zu rechnen. Irrtümer der staatlichen Behörden passieren immer wieder. Eine Folge des Vorratsdatenspeicherung ist sicher: Künftig werden private Urheberrechtsverletzungen (Tauschbörsennutzung) lückenlos verfolgt werden können. Auf der Website kann man Briefe gegen die Vorratsdatenspeicherung schreiben, die an die Bundestagsabgeordneten gesendet werden. Wissen Sie von interessanten Antworten? Die Antworten können auf briefe.gegen.daten.speicherung.eu/forum.htm nachgelesen werden. Wenn die Abgeordneten von CDU und SPD überhaupt antworten, dann meistens mit einem Standardbrief, den sie jedem Briefeschreiber schicken. Zur Rechtfertigung der Regierungspläne wird meistens argumentiert, „Wir müssen die Bürger vor Terroristen und organisierter Kriminalität schützen“, „Die Datenspeicherung ist gar nicht so schlimm“ und „Die EU schreibt uns das so vor“. Keines dieser Argumente ist bei näherer Betrachtung stichhaltig. Die Vorratsdatenspeicherung kann keinen nennenswerten Beitrag zur Strafverfolgung leisten. Das Bundeskriminalamt nennt nur 381 Fälle, in denen in den letzten Jahren Telekommunikationsdaten fehlten. Diese 381 Fälle machen weniger als 0,001% der insgesamt 2,8 Mio. ungeklärten Straftaten pro Jahr aus. Außerdem: Es geht dabei nur um die nachträgliche Bestrafung, nicht um die Verhinderung von Straftaten. Man sollte die Millionen, die die geplante Totalprotokollierung Wirtschaft und Staat kosten würde, stattdessen in ein Programm zur Kriminalitätsprävention zu investieren. Seit Jahren fehlt es an Geld für Projekte, die an Schulen oder in Stadtteilen gezielt etwa gegen Drogenhandel oder Gewaltkriminalität arbeiten. Dass solche Projekte Kriminalität reduzieren, ist durch unabhängige Untersuchungen belegt, während die geplante Datenanhäufung nur in der Fantasie ihrer Befürworter für mehr Sicherheit im täglichen Leben sorgen kann. Die Aktion „Offene Briefe gegen die Vorratsdatenspeicherung“ ist trotz der spärlichen Antworten nicht sinnlos. Denn hinter den Kulissen gibt es zunehmend Abgeordnete, die sich gegen die Vorratsdatenspeicherung aussprechen. Die ständigen Briefe besorgter Bürger liefern ihnen gute Argumente. Ich bitte euch daher alle, den Abgeordneten auf briefe.gegen.daten.speicherung.eu eure Meinung zur Vorratsdatenspeicherung zu schreiben. Die Abgeordneten müssen sehen, dass nicht nur „Datenschützer“ gegen die Pläne sind, sondern Menschen aus der gesamten Bevölkerung. Gibt es Schätzungen, wie groß die Datenmenge wäre, die innerhalb eines Jahres zusammenkäme? Es wird sich um die größte Datensammlung Deutschlands handeln. Genaue Zahlen sind nicht bekannt. Wie sollen die Daten ausgewertet und genutzt werden? Jeder Verdacht einer am Telefon oder im Internet begangenen Straftat rechtfertigt eine Abfrage von Verbindungsdaten über die Verdächtigen. Schon eine telefonische Beleidigung und ähnliche Bagatellvergehen können also genügen, um eine Datenabfrage zu rechtfertigen. Auch zur Erforschung nicht elektronisch begangener Straftaten dürfen die Strafverfolger auf die Daten zugreifen, wenn es sich um eine „erhebliche“ Straftat handelt. Der Zugriff soll nur bei konkretem Verdacht einer Straftat und mit Genehmigung eines Richters zugelassen werden. Wir befürchten aber, dass die Zugriffsbeschränkungen – wie in der Vergangenheit in anderen Bereichen geschehen – immer weiter verwässert werden. Bald werden Politiker sagen: „Warum sollten wir die sowieso vorhandenen Daten nicht auch gegen Sozialhilfebetrüger und Autobahnraser einsetzen?“ „Die Geheimdienste brauchen Zugriff zur Bekämpfung von Terroristen.“ „Es muss möglich sein, Schulschwänzer anhand ihrer Handy-Positionsdaten aufzufinden.“ Und so weiter. Wie sollen die Daten geschützt werden? Besteht die Gefahr, dass diese in die „falschen“ Hände geraten und z.B. Data Mining mit den Daten durchgeführt wird? Ja, es wird zur illegalen Weitergabe, Nutzung und Veröffentlichung solcher Daten kommen, denn Gelegenheit macht Diebe. Wenn die Daten erst einmal vorhanden sind, gibt es immer Mittel und Wege, um an sie heran zu kommen. Man muss nur den richtigen Mitarbeiter beim zuständigen Unternehmen (z.B. Telekom) kennen oder den richtigen Beamten bei den Strafverfolgern. Mit den Daten können z.B. Politiker zum Rücktritt gezwungen werden (hat der CSU-Politiker X Telefonsex?), Menschen erpresst werden (z.B. wegen sexueller Affären), Prominente von der Klatschpresse bloßgestellt werden, Regierungskritiker oder politische Gegner von der Regierung bespitzelt werden. Eine Rasterfahndung mit den Daten („Data Mining“) ist zurzeit nicht vorgesehen. Bei einer passenden Gelegenheit (z.B. Terroranschlag) kann sie aber ganz schnell erlaubt werden. Es wäre dann möglich, die Kommunikations- und Bewegungsdaten automatisch auf "auffälliges Verhalten" durchsuchen und der Polizei melden zu lassen. Wird die Industrie Zugriff auf die Daten haben? Das Telekommunikations-Unternehmen, bei dem man Kunde ist, muss die Daten speichern und hat dementsprechend auch Zugriff darauf. Stehen die Einschränkungen der Gesellschaft überhaupt in Relation zum Nutzen für diese? Nein, es ist vollkommen unverhältnismäßig, zur besseren Verfolgung von ein paar Straftätern das Kommunikationsverhalten der gesamten Bevölkerung zu protokollieren. Staaten, die eine Vorratsdatenspeicherung eingeführt haben (z.B. Irland) konnten ihre Kriminalitätsrate nicht senken. Demgegenüber hat diese Maßnahme eine sehr abschreckende Wirkung auf die freie Kommunikation der Menschen. Letzte Frage: Ab welchem Alter kann man die Sammelklage unterstützen? Es gibt kein Mindestalter. Bei Minderjährigen muss das Vollmachtsformular aber von den Erziehungsberechtigten mit unterschrieben werden. Vielen Dank für das Interview und viel Erfolg noch ! Gerne, und bitte macht mit bei unseren Aktionen gegen die Vorratsdatenspeicherung: www.vorratsdatenspeicherung.de. Denkt daran: Es geht hier um eure Zukunft. Was man euch jetzt an Freiheiten wegnimmt, könnt ihr später nicht mehr zurückholen. Einmal eingeführte Sicherheits- und Kontrollgesetze sind noch nie wieder zurückgenommen worden. |
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