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NSA für alle? Internetüberwachung durch Privatpersonen stoppen! (03.10.2015) Print E-mail

 Der Bundesrat entscheidet am Freitag im Zusammenhang mit dem WLAN-Gesetz auch über die Forderung seines Rechtsausschusses, dass Internetanbieter wie Google, Facebook, eBay, Spiegel Online oder Heise Online künftig an Privatpersonen Auskünfte darüber erteilen sollen, wer was im Netz geschrieben hat.[1] Die im Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung zusammen geschlossenen Bürgerrechtler, Datenschützer und Internetnutzer appellieren an die Ministerpräsidenten, gegen den Vorstoß zu stimmen. Dazu Ute Elisabeth Gabelmann vom Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung: 

"Es ist völlig inakzeptabel, dass die Diskussion um die WLAN-Haftung jetzt genutzt werden soll, um Privatpersonen den Zugang zu unseren Kundendaten und zu unserer Internetnutzung zu eröffnen - gar ohne richterliche Anordnung und ohne jeden Verdacht einer Straftat. Wir wollen keine NSA für alle! Das Recht auf anonyme Internetnutzung ist Grundvoraussetzung der freien und unbefangenen Meinungsäußerung im Netz. Illegale Informationen können schon heute aus dem Netz gelöscht werden. Darüber hinaus noch Internetnutzer aufspüren zu wollen, nur um Abmahnungen verschicken zu können, ist grob unverhältnismäßig. Wir fordern Löschen statt Schnüffeln! Der Vorstoß des Rechtsausschusses ist deplatziert, undurchdacht, nicht erforderlich und unverhältnismäßig. Wir appellieren an die Regierungschefs, ihm unmissverständlich eine Absage zu erteilen!"

Im Einzelnen begründet der Arbeitskreis die Forderung, den Vorstoß des Rechtsausschusses abzulehnen, wie folgt:

  1. Der Zugriff von Privatpersonen auf Bestands- und Nutzungsdaten hat in einem Gesetzentwurf zur Haftung von WLAN-Betreibern nichts zu suchen.
  2. Die Furcht vor Abmahnungen oder sonstigen Nachteilen infolge der Internetnutzung beeinträchtigt die unbefangene Nutzung des Mediums, das in bestimmten Bereichen nur im Schutz der Anonymität in Anspruch genommen wird (z.B. medizinische, psychologische oder juristische Beratung, Presseinformanten und Whistleblower, politischer Aktivismus). Laut Bundesgerichtshof würde die Verpflichtung, sich namentlich zu einer bestimmten Meinung zu bekennen, "die Gefahr begründen, dass der Einzelne aus Furcht vor Repressalien oder sonstigen negativen Auswirkungen sich dahingehend entscheidet, seine Meinung nicht zu äußern. Dieser Gefahr der Selbstzensur soll durch das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung entgegen gewirkt werden" (BGH, Urteil vom 23. 6. 2009 - VI ZR 196/08). Die Informationen, zu denen Zugang gewährt werden soll, dürften nach dem Gesetz in vielen Fällen bereits nicht gespeichert werden (vgl. BVerfG, Urteil vom 2. 3. 2010 - 1 BvR 256/08, Abs. 218), weil sie nicht zur Abrechnung erforderlich sind.
  3. Die „Persönlichkeitsrechte“ als offizielle Begründung sind vorgeschoben. Privatpersonen ohne richterliche Anordnung und ohne jeden Verdacht einer Straftat den Zugang zu Kundendaten und Surfprotokollen von Internetanbietern wie Google, Facebook, eBay, Spiegel Online oder Heise Online zu eröffnen hat nichts mit einem gezielten Vorgehen gegen persönlichkeitsrechtsverletzende Äußerungen im Netz zu tun. Schon heute kann die Löschung rechtswidriger Veröffentlichungen verlangt werden, ohne dass in Datenschutzrechte eingegriffen werden müsste. Und schon heute kann die Staatsanwaltschaft eine Identifizierung von Internetnutzern verlangen, wenn der Verdacht einer strafbaren Persönlichkeitsrechtsverletzung besteht (z.B. Beleidigung, üble Nachrede). Der geltende Telemedien-Datenschutz darf nicht weiter abgesenkt werden.
  4. Die vorgeschlagene Gesetzesformulierung ist undurchdacht und unbestimmt: "Auf Anordnung der zuständigen Stellen darf der Diensteanbieter im Einzelfall Auskunft über Bestandsdaten [und Nutzungsdaten, § 15 Abs. 5 TMG] erteilen, soweit dies [...] zur Durchsetzung [...] der Persönlichkeitsrechte erforderlich ist." Das grundrechtlich geforderte Doppeltürenmodell samt einer spezialgesetzlichen Zugriffsnorm wird missachtet. Eine richterliche Anordnung wird nicht zur Voraussetzung gemacht. Nicht einmal die Voraussetzungen für eine Datenweitergabe nach dem Bundesdatenschutzgesetz müssen erfüllt sein. Es ist kein Schutz von Seelsorgern, Suchtberatung, Schwangerschaftskonfliktberatung, Presseinformanten oder Berufsgeheimnisträgern oder des Kernbereichs privater Lebensgestaltung vorgesehen. Weder im Telemediengesetz noch an anderer Stelle ist geregelt, welche „Stelle“ für die „Anordnung“ von Auskünften an Privatpersonen zuständig sein soll, wie es § 14 Abs. 2 TMG vorsieht.
  5. Der Vorschlag geht weit über die in der Begründung genannten Fälle der Identifizierung von Verantwortlichen für persönlichkeitsrechtsverletzende Äußerungen hinaus. Die Formulierung ist nicht auf diese Fälle beschränkt, sondern ermöglicht Privatpersonen allgemein den Zugriff auf Bestandsdaten und Nutzungsdaten (§ 15 Abs. 5 TMG), worunter z.B. auch Passwörter und Surfprotokolle (Logfiles) fallen. Als "Durchsetzung der Persönlichkeitsrechte" können präventive Unterlassungsansprüche ebenso angesehen werden wie der Versand von Abmahnschreiben. Unter dem Gesichtspunkt des Persönlichkeitsrechts könnten Streitigkeiten über die Richtigkeit von Darstellungen, über "irreführende Darstellungen", verfängliche Fragen, Indiskretionen, Kritik, Ehre, Ruf, Ansehen bis hin zu Vorwürfen von Diskriminierung zum Anlass für Auskunftsbegehren genommen werden. Unter dem Gesichtspunkt des "Unternehmenspersönlichkeitsrechts" könnten auch Unternehmen Kritiker auskundschaften.
  6. Die Konsequenzen des Vorstoßes sind unabsehbar und könnten unter anderem beinhalten: Die Aufdeckung von Pseudonymen (z.B. von Wikileaks auf Twitter) und damit die Zuordnung sämtlicher Äußerungen eines pseudonymen Nutzers über lange Zeiträume hinweg; die Ermittlung von Whistleblowern; Eingriffe in die Pressefreiheit; Vorgehen gegen unliebsamen zivilgesellschaftlichen Protest gegen Konzerne; Abmahnwellen.
  7. Wie beim Lesen eines Buches oder beim Versenden eines Briefes muss garantiert bleiben, dass uns auch im Internet niemand über die Schulter blicken kann. Nur so können wir unbefangen lesen, schreiben und diskutieren. Das nützt nicht nur uns persönlich, sondern allen (z.B. der Politik durch Kritik auf die Beine helfen, Missstände anonym aufdecken). Eine Forsa-Umfrage hat nachgewiesen, dass die Sorge vor Aufdeckung die Bereitschaft zu sensibler Kommunikation drastisch senkt. Es ist völlig unverantwortlich und gefährdet unsere Sicherheit, wenn neue Zugangsrechte geschaffen und damit privateste Daten über unsere Internetnutzung Missbrauchsrisiken ausgesetzt werden sollen.
  8. Umgekehrt müssen Auskünfte von Internetanbietern an Behörden auf die Voraussetzungen beschränkt werden, die für eine Telekommunikationsüberwachung gelten (nur auf richterliche Anordnung, nur zur Verfolgung schwerer Straftaten oder zur Abwehr schwerer Gefahren). Das Fernmeldegeheimnis muss auf die Nutzung von Internetdiensten erstreckt werden („Telemedien-Nutzungsgeheimnis“).
 
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