Der Bundesrat entscheidet am Freitag im Zusammenhang mit dem WLAN-Gesetz
auch über die Forderung seines Rechtsausschusses, dass Internetanbieter
wie Google, Facebook, eBay, Spiegel Online oder Heise Online künftig an
Privatpersonen Auskünfte darüber erteilen sollen, wer was im Netz
geschrieben hat.[1]
Die im Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung zusammen geschlossenen
Bürgerrechtler, Datenschützer und Internetnutzer appellieren an die
Ministerpräsidenten, gegen den Vorstoß zu stimmen. Dazu Ute Elisabeth
Gabelmann vom Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung:
"Es ist völlig inakzeptabel, dass die Diskussion um die WLAN-Haftung
jetzt genutzt werden soll, um Privatpersonen den Zugang zu unseren
Kundendaten und zu unserer Internetnutzung zu eröffnen - gar ohne
richterliche Anordnung und ohne jeden Verdacht einer Straftat. Wir
wollen keine NSA für alle! Das Recht auf anonyme Internetnutzung ist
Grundvoraussetzung der freien und unbefangenen Meinungsäußerung im Netz.
Illegale Informationen können schon heute aus dem Netz gelöscht werden.
Darüber hinaus noch Internetnutzer aufspüren zu wollen, nur um
Abmahnungen verschicken zu können, ist grob unverhältnismäßig. Wir
fordern Löschen statt Schnüffeln! Der Vorstoß des Rechtsausschusses ist
deplatziert, undurchdacht, nicht erforderlich und unverhältnismäßig. Wir
appellieren an die Regierungschefs, ihm unmissverständlich eine Absage
zu erteilen!"
Im Einzelnen begründet der Arbeitskreis die Forderung, den Vorstoß des Rechtsausschusses abzulehnen, wie folgt:
- Der Zugriff von Privatpersonen auf Bestands- und Nutzungsdaten
hat in einem Gesetzentwurf zur Haftung von WLAN-Betreibern nichts zu
suchen.
- Die Furcht vor Abmahnungen oder sonstigen Nachteilen infolge
der Internetnutzung beeinträchtigt die unbefangene Nutzung des Mediums,
das in bestimmten Bereichen nur im Schutz der Anonymität in Anspruch
genommen wird (z.B. medizinische, psychologische oder juristische
Beratung, Presseinformanten und Whistleblower, politischer Aktivismus).
Laut Bundesgerichtshof würde die Verpflichtung, sich namentlich zu einer
bestimmten Meinung zu bekennen, "die Gefahr begründen, dass der
Einzelne aus Furcht vor Repressalien oder sonstigen negativen
Auswirkungen sich dahingehend entscheidet, seine Meinung nicht zu
äußern. Dieser Gefahr der Selbstzensur soll durch das Grundrecht auf
freie Meinungsäußerung entgegen gewirkt werden" (BGH, Urteil vom 23. 6.
2009 - VI ZR 196/08). Die Informationen, zu denen Zugang gewährt werden
soll, dürften nach dem Gesetz in vielen Fällen bereits nicht gespeichert
werden (vgl. BVerfG, Urteil vom 2. 3. 2010 - 1 BvR 256/08, Abs. 218),
weil sie nicht zur Abrechnung erforderlich sind.
- Die „Persönlichkeitsrechte“ als offizielle Begründung sind
vorgeschoben. Privatpersonen ohne richterliche Anordnung und ohne jeden
Verdacht einer Straftat den Zugang zu Kundendaten und Surfprotokollen
von Internetanbietern wie Google, Facebook, eBay, Spiegel Online oder
Heise Online zu eröffnen hat nichts mit einem gezielten Vorgehen gegen
persönlichkeitsrechtsverletzende Äußerungen im Netz zu tun. Schon heute
kann die Löschung rechtswidriger Veröffentlichungen verlangt werden,
ohne dass in Datenschutzrechte eingegriffen werden müsste. Und schon
heute kann die Staatsanwaltschaft eine Identifizierung von
Internetnutzern verlangen, wenn der Verdacht einer strafbaren
Persönlichkeitsrechtsverletzung besteht (z.B. Beleidigung, üble
Nachrede). Der geltende Telemedien-Datenschutz darf nicht weiter
abgesenkt werden.
- Die vorgeschlagene Gesetzesformulierung ist undurchdacht und
unbestimmt: "Auf Anordnung der zuständigen Stellen darf der
Diensteanbieter im Einzelfall Auskunft über Bestandsdaten [und
Nutzungsdaten, § 15 Abs. 5 TMG] erteilen, soweit dies [...] zur
Durchsetzung [...] der Persönlichkeitsrechte erforderlich ist." Das
grundrechtlich geforderte Doppeltürenmodell samt einer
spezialgesetzlichen Zugriffsnorm wird missachtet. Eine richterliche
Anordnung wird nicht zur Voraussetzung gemacht. Nicht einmal die
Voraussetzungen für eine Datenweitergabe nach dem
Bundesdatenschutzgesetz müssen erfüllt sein. Es ist kein Schutz von
Seelsorgern, Suchtberatung, Schwangerschaftskonfliktberatung,
Presseinformanten oder Berufsgeheimnisträgern oder des Kernbereichs
privater Lebensgestaltung vorgesehen. Weder im Telemediengesetz noch an
anderer Stelle ist geregelt, welche „Stelle“ für die „Anordnung“ von
Auskünften an Privatpersonen zuständig sein soll, wie es § 14 Abs. 2 TMG
vorsieht.
- Der Vorschlag geht weit über die in der Begründung genannten
Fälle der Identifizierung von Verantwortlichen für
persönlichkeitsrechtsverletzende Äußerungen hinaus. Die Formulierung ist
nicht auf diese Fälle beschränkt, sondern ermöglicht Privatpersonen
allgemein den Zugriff auf Bestandsdaten und Nutzungsdaten (§ 15 Abs. 5
TMG), worunter z.B. auch Passwörter und Surfprotokolle (Logfiles)
fallen. Als "Durchsetzung der Persönlichkeitsrechte" können präventive
Unterlassungsansprüche ebenso angesehen werden wie der Versand von
Abmahnschreiben. Unter dem Gesichtspunkt des Persönlichkeitsrechts
könnten Streitigkeiten über die Richtigkeit von Darstellungen, über
"irreführende Darstellungen", verfängliche Fragen, Indiskretionen,
Kritik, Ehre, Ruf, Ansehen bis hin zu Vorwürfen von Diskriminierung zum
Anlass für Auskunftsbegehren genommen werden. Unter dem Gesichtspunkt
des "Unternehmenspersönlichkeitsrechts" könnten auch Unternehmen Kritiker
auskundschaften.
- Die Konsequenzen des Vorstoßes sind unabsehbar und könnten
unter anderem beinhalten: Die Aufdeckung von Pseudonymen (z.B. von
Wikileaks auf Twitter) und damit die Zuordnung sämtlicher Äußerungen
eines pseudonymen Nutzers über lange Zeiträume hinweg; die Ermittlung
von Whistleblowern; Eingriffe in die Pressefreiheit; Vorgehen gegen
unliebsamen zivilgesellschaftlichen Protest gegen Konzerne;
Abmahnwellen.
- Wie beim Lesen eines Buches oder beim Versenden eines Briefes
muss garantiert bleiben, dass uns auch im Internet niemand über die
Schulter blicken kann. Nur so können wir unbefangen lesen, schreiben und
diskutieren. Das nützt nicht nur uns persönlich, sondern allen (z.B.
der Politik durch Kritik auf die Beine helfen, Missstände anonym
aufdecken). Eine Forsa-Umfrage hat nachgewiesen, dass die Sorge vor
Aufdeckung die Bereitschaft zu sensibler Kommunikation drastisch senkt.
Es ist völlig unverantwortlich und gefährdet unsere Sicherheit, wenn
neue Zugangsrechte geschaffen und damit privateste Daten über unsere
Internetnutzung Missbrauchsrisiken ausgesetzt werden sollen.
- Umgekehrt müssen Auskünfte von Internetanbietern an Behörden
auf die Voraussetzungen beschränkt werden, die für eine
Telekommunikationsüberwachung gelten (nur auf richterliche Anordnung,
nur zur Verfolgung schwerer Straftaten oder zur Abwehr schwerer
Gefahren). Das Fernmeldegeheimnis muss auf die Nutzung von
Internetdiensten erstreckt werden („Telemedien-Nutzungsgeheimnis“).
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