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Vorratsdatenspeicherung: Bundesdatenschutzbeauftragte warnt vor "detaillierter Überwachung" (14.1.) Print E-mail

 Die inzwischen abgelöste Bundesdatenschutzbeauftragte Andrea Voßhoff (CDU) hält das schwarz-rote Gesetz zur verdachtslosen Vorratsspeicherung aller Verbindungs-, Bewegungs- und Internetzugangsdaten für verfassungswidrig. Dies ergibt sich aus ihrer Stellungnahme an das Bundesverfassungsgericht, die dem Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung vorliegt.[1]

"Eine effektivere Strafverfolgung und Wahrheitsermittlung im Strafverfahren wird durch die Vorratsdatenspeicherung [...] nicht erreicht", erklärt Voßhoff unter Verweis auf zahlreiche Umgehungsmöglichkeiten für organisierte Kriminalität. Dagegen ermöglichten es die flächendeckend zu speichernden Internetzugangsdaten in Verbindung mit weiteren Informationen, "über mehrere Wochen das Surfverhalten der Internetnutzer bei den jeweiligen Telemediendiensten äußerst detailliert [zu] überwachen". Vosshoff fordert deshalb die Einführung eines Richtervorbehalts für die Identifizierung von Internetnutzern (sog. Bestandsdatenauskünfte zu IP-Adressen).

Bei Vorratsdatenspeicherung des Aufenthaltsorts von Smartphone-Nutzern könne schon die bloße Anwesenheit bei einer Demonstration zu einer Erfassung von Demonstranten als "Prüffall" führen, warnt die Datenschutzbeauftragte. Das Bundeskriminalamt sammele bereits heute in großer Zahl Aufenthaltsdaten aus Funkzellenabfragen der Länder in einer zentralen Datenbank und gleiche sie miteinander ab. Ein Mobilfunkanbieter stelle alle 15 Minuten automatisch eine neue Internetverbindung her, bei der jeweils die aktuelle Funkzelle gespeichert werde. Die Vorratsdatenspeicherung ermögliche auf diese Weise "die Erstellung engmaschiger Bewegungsprofile" über einen Zeitraum von vier Wochen.

Die Sicherheit von Vorratsdaten sei zudem nicht gewährleistet. Gerade kleine und mittelständige TK-Anbieter verfügten nach Erfahrung der Bundesdatenschutzbeauftragten "regelmäßig nicht über die personellen, räumlichen und finanziellen Möglichkeiten zur Einhaltung der Anforderungen" zur Datensicherheit. Als Telekommunikationsanbieter bei Datenanforderungen auf Einhaltung der Gesetze durch Strafverfolger zu bestehen, ziehe immer wieder das "In-Aussicht-stellen einer Verfahrenseinleitung wegen Strafvereitlung sowie die Ankündigung, Vorstandsmitglieder zu einer Zeugenvernehmung vorzuladen", nach sich, berichtet Voßhoff.

Auch der rheinland-pfälzische Landesdatenschutzbeauftragte Prof. Dr. Dieter Kugelmann kritisiert das Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung gegenüber dem Verfassungsgericht:[2] "Damit ist die totale und heimliche Erfassbarkeit praktisch aller den täglichen Freiheitsgebrauch betreffenden personenbezogenen Daten durch die Sicherheitsbehörden grundsätzlich in den Bereich des Möglichen gerückt." Gesetze wie die Vorratsdatenspeicherung seien verfassungswidrig, weil sie im Zusammenspiel mit weiteren Eingriffen wie der Fluggastdatenspeicherung "die Schwelle zur Option der Totalüberwachung überschreiten".

Der bayerische Landesdatenschutzbeauftragte Prof. Dr. Thomas Petri weist die Verfassungsrichter darauf hin, dass die Genauigkeit der auf Vorrat zu speichernden Standortdaten wegen der IPv6-Technik und immer kleinerer Funkzellen weiter steige. Nach eindeutigen Urteilen des Europäischen Gerichtshofs zur Unzulässigkeit einer flächendeckenden Vorratsdatenspeicherung hält er eine erneute Befassung des luxemburger Gerichtshofs, die von der Bundesregierung gefordert wird, nicht für geboten.[3]

Hintergrund: Dem Bundesverfassungsgericht liegen seit 2016 Verfassungsbeschwerden gegen das schwarz-rote Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung vor, unter anderem eine von Digitalcourage und Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung unterstützte Beschwerde.[4] Auch der aktuelle Bundesdatenschutzbeauftragte Ulrich Kelber (SPD) hatte für das Gesetz zur Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung gestimmt. Kurz vor Inkrafttreten der Speicherpflicht Mitte 2017 setzten Gerichte das Gesetz jedoch bis zur endgültigen Entscheidung wieder aus, weil es die Grundrechte der ohne Anlass betroffenen Bürger verletze. Das Bundesverfassungsgericht hat noch keinen Termin zur Verhandlung oder endgültigen Entscheidung über die Verfassungsbeschwerden bekannt gegeben.

Aus Sicht der im Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung zusammengeschlossenen Datenschützer, Bürgerrechtler und Internetnutzer ist eine verdachtsunabhängige und wahllose Vorratsspeicherung von Telekommunikationsdaten für viele Bereiche der Gesellschaft höchst schädlich: Sie beeinträchtigt vertrauliche Kommunikation in Bereichen, in denen Menschen auf Vertraulichkeit angewiesen sind (z.B. Kontakte zu Psychotherapeuten, Ärzten, Rechtsanwälten, Betriebsräten, Eheberatern, Kinderwunschzentren, Drogenmissbrauchsberatern und sonstigen Beratungsstellen) und gefährdet damit die körperliche und psychische Gesundheit von Menschen, die Hilfe benötigen, aber auch der Menschen aus ihrem Umfeld. Wenn Journalisten Informationen elektronisch nur noch überrückverfolgbare Kanäle entgegen nehmen können, gefährdet dies die Pressefreiheit und beeinträchtigt damit elementare Funktionsbedingungen einer freiheitlichen demokratischen Gesellschaft. Die verdachtsunabhängige und wahllose Vorratsdatenspeicherung schafft Risiken des Missbrauchs und des Verlusts vertraulicher Informationen über unsere persönlichen Kontakte, Bewegungen und Interessen. Telekommunikationsdaten sind außerdem besonders anfällig dafür, von Geheimdiensten ausgespäht zu werden und Unschuldige ungerechtfertigt strafrechtlichen Ermittlungen auszusetzen.

Foto von CDU/CSU-Fraktion, CC BY-SA 3.0 de, Link

 
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