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Anhörung am 11.10.2023: Keine anlasslose Vorratsdatenspeicherung von IP-Adressen! Drucken E-Mail

Im Vorfeld der Anhörung des Rechtsausschusses des Bundestags zur Forderung der Union nach Wiedereinführung einer verdachtslosen, flächendeckenden Internet-Vorratsspeicherung hat der Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung folgenden Brief an die Ausschussmitglieder versandt.

Sehr geehrte Abgeordnete des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages,

der Arbeitskreis gegen Vorratsdatenspeicherung (AK Vorrat) lehnt die im Antrag der Fraktion der CDU/CSU (Drs. 20/3687) geforderte anlasslose Vorratsdatenspeicherung von IP-Adressen der Bürgerinnen und Bürger ebenso entschieden ab wie jede andere Form der anlasslosen Vorratsdatenspeicherung von IP-Adressen. Der AK Vorrat fordert mit dem beigefügten Schreiben, den in diesem Punkt eindeutig formulierten Koalitionsvertrag umzusetzen, die Freiheitsrechte der Bevölkerung zu schützen und langfristig den Weg einer massenüberwachungsfreien Politik einzuschlagen.

Der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) hat mit dem im beigefügten Brief erwähnten Urteil vom 20. September 2022 das deutsche Gesetz zur verdachtslosen Vorratsspeicherung von Telefonverbindungs- und Standortdaten der Bürgerinnen und Bürger für unionsrechtswidrig erklärt. Während der Gerichtshof die verdachtslose Vorratsspeicherung von Internetverbindungsdaten (IP-Adressen) zur Verfolgung schwerer Straftaten nicht beanstandet hat, hat das Bundesverwaltungsgericht das deutsche Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung mit zwei am 7. September 2023 bekannt gegebenen Entscheidungen in vollem Umfang für unionsrechtswidrig erklärt. Damit verworfen wurde auch die Vorschrift zur Vorratsspeicherung von Internetverbindungsdaten.

Mit dem beigefügten Brief vom 19. September 2022 fordern über 20 zivilgesellschaftliche Organisationen wie Datenschutz- und Berufsverbände die (seit über einem Jahr weiterhin nicht erfolgte) Erfüllung des Koalitionsvertrags.

In Bezug auf die öffentliche Anhörung am 11. Oktober 2023 heben wir insbesondere hervor: IP-Vorratsdatenspeicherung ist ungeeignet für den Schutz von Kindern. Echter Kinderschutz ist ohne jede Form von Massenüberwachung möglich.

Mit freundlichem Gruß

Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung


Offener Brief vom 19. September 2022:

Privatsphäre ist Grundrecht

Keine anlasslose Vorratsdatenspeicherung von IP-Adressen!

Die aktuellen Regelungen zur Vorratsdatenspeicherung, deren Anwendung seit Juli 2017 nach einem Beschluss des Oberverwaltungsgerichts Nordrhein-Westfalen ausgesetzt sind, verpflichten öffentlich zugängliche Internetzugangsdienste zur pauschalen Speicherung aller IP-Adressen, die den Endnutzer:innen für eine Internetnutzung zugewiesen wurden, inklusive einer eindeutigen Kennung des Anschlusses, einer zugewiesenen Benutzerkennung sowie Datum und Uhrzeit von Beginn und Ende der Internetnutzung. Im Falle von Internet-Sprachkommunikationsdiensten müssten auch die IP-Adressen des anrufenden und des angerufenen Anschlusses und die zugewiesene Benutzerkennungen gespeichert werden.

Am 20. September wird der Gerichtshof der Europäischen Union seine Entscheidung über das deutsche Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung verkünden. In den darauf folgenden Monaten geht es um die Erfüllung des Koalitionsvertrags [1]. Die Bundesregierung will sich laut Vertrag von der Überwachungspolitik der Vorgängerregierung konsequent abwenden und die „Regelungen zur Vorratsdatenspeicherung so ausgestalten, dass Daten rechtssicher anassbezogen und durch richterlichen Beschluss gespeichert werden können.“

Koalitionsvertrag einhalten!
Der Koalitionsvertrag schließt jede Form der anlasslosen Speicherung der Kommunikationsdaten der Bürgerinnen und Bürger aus. Das betrifft auch die von der Bundesinnenministerin erhobene Forderung [2] nach der Einführung einer anlasslosen und pauschalen IP-Vorratsdatenspeicherung. Wir rufen Sie auf, die Versprechen des Koalitionsvertrags gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern einzuhalten!

Schwerer Eingriff in die Grundrechte: IP-Daten bedingen Verfolgung und Profilbildung von Menschen
Regierungen, Parlamente und große Teile der Bevölkerung unterschätzen das Risiko von IP-Adressen für das tägliche Leben. In seinem Urteil aus Oktober 2020 (La Quadrature du Net) betont der EU-Gerichtshof die Sensibilität von IP-Daten: „Da die IP-Adressen jedoch insbesondere zur umfassenden Nachverfolgung der von einem Internetnutzer besuchten Internetseiten und infolgedessen seiner Online-Aktivität genutzt werden können, ermöglichen sie die Erstellung eines detaillierten Profils dieses Nutzers. Die für eine solche Nachverfolgung erforderliche Vorratsspeicherung und Analyse der IP-Adressen stellen daher schwere Eingriffe in die Grundrechte des Internetnutzers aus den Art. 7 und 8 der Charta dar und können abschreckende Wirkungen wie die in Rn. 118 des vorliegenden Urteils dargelegten entfalten.“
Zuletzt bestätigte eine Studie[3] zu Privatsphäre und IPv6-Adressen, dass IP-Adressen trotz Vorkehrungen zum Datenschutz eindeutige und dauerhafte Tracking-Identifikatoren sein können.

IP-Vorratsdatenspeicherung ist ungeeignet für den Schutz von Kindern
In Deutschland werden Forderungen nach massenhafter Speicherung von Kommunikationsdaten hauptsächlich mit dem Schutz von Kindern und Jugendlichen vor sexualisierter Gewalt begründet. Im November 2021 hatte der Arbeitskreis gegen Vorratsdatenspeicherung gemeinsam mit zehn weiteren Bürgerrechts- und Berufsverbänden dargelegt, warum Vorratsdatenspeicherung zum Schutz von Kindern ungeeignet [4] ist. Im Januar 2022 bestätigte eine Antwort der Bundesregierung auf eine schriftliche Frage zudem, dass Vorratsdatenspeicherung nicht notwendig ist. Laut Daten des Bundeskriminalamts [5] konnten nur 3 % alle Fälle der „Nutzung, des Handels oder der Verbreitung von Kinderpornographie in den Jahren 2017 bis 2021“ aufgrund nicht vorhandener IP-Adressen nicht weiter verfolgt werden.
Im April 2022 kritisierte gegen-missbrauch e.V. [6]: „(…) das Problem ist nicht die [fehlende Vorratsdatenspeicherung], sondern, das[s] die Ermittlungsbehörden vom Personal und der Ausstattung noch im 19. Jahrhundert sind, und Täter:innen tatsächlich im Jahr 2022“.

Vorratsdatenspeicherung hilft nicht für mehr Sicherheit
Der Arbeitskreis gegen Vorratsdatenspeicherung (AKV) betont in seiner Analyse [7] einer Studie[8] des Max-Planck-Instituts aus 2011:
„Dass Straftäter heutzutage oftmals elektronisch statt wie früher mündlich oder postalisch kommunizieren, bedeutet also nicht, dass die Benutzung der Kommunikationsnetze total nachvollziehbar sein müsste, wie es auch bei der mündlichen und postalischen Kommunikation nie der Fall gewesen ist.“ Der AKV hebt hervor: „Im Jahr 2020 wurde die Verbreitung pornografischer Schriften laut Kriminalstatistik zu 91,3% aufgeklärt - ohne dass eine Pflicht zur IP-Vorratsdatenspeicherung in Kraft ist!“
Die Studie kommt daher zu dem Ergebnis: „Insbesondere gibt es bislang keinen Hinweis dafür, dass durch eine umfängliche Verfolgung aller Spuren, die auf das Herunterladen von Kinderpornografie hindeuten, sexueller Missbrauch über den Zufall hinaus verhindert werden kann.“ (221f)
Umgekehrt gilt, dass anonyme Kommunikation Kinder schützt, indem sie anonyme Beratung, Selbsthilfe und Strafanzeigen ermöglicht.

Kinderschutz geht ohne Massenüberwachung
Anstelle von Massenüberwachung sind es gezielte und unmittelbare Maßnahmen, die Kinder und Jugendliche schützen können. Dazu gehören bessere und schnellere gezielte Ermittlungen, Schutz- & Präventionskonzepte an Schulen und kirchlichen Einrichtungen sowie die Stärkung der Kompetenzen von Kontaktpersonen in Behörden, Beratungsstellen und öffentlichen Einrichtungen.

Vorratsdatenspeicherung trifft unschuldige Bürger:innen
Während sich Kriminelle technisch vor Massenüberwachung schützen können, würde eine pauschale Vorratsdatenspeicherung vor allem rechtstreu lebenden Menschen erfassen und schwer in ihren Grundrechten verletzen. Überwachung muss in einer Demokratie die Ausnahme bleiben und darf niemals zum Standard werden.

Recht auf vertrauliche Internetnutzung
Die vertrauliche und anonyme Internetnutzung ist für die Meinungs- und Informationsfreiheit unerlässlich. Eine generelle und verdachtslose Vorratsspeicherung unserer Identität und IP im Internet würde das Ende der Anonymität im Internet bedeuten. Sie würde es den meisten Bürger:innen unmöglich machen, das Internet frei vom Risiko staatlicher Beobachtung (z.B. auch wegen eines falschen Verdachts), missbräuchlicher Offenlegung durch Mitarbeiter:innen des Anbieters und versehentlichen Datenverlustes zu nutzen. Dadurch hätte eine IP-Vorratsdatenspeicherung unzumutbare Folgen, wo Menschen nur im Schutz der Anonymität überhaupt bereit sind, sich in einer Notsituation beraten und helfen zu lassen (z.B. Opfer und Täter:innen von Gewalt- oder Sexualdelikten), ihre Meinung trotz öffentlichen Drucks zu äußern oder Missstände bekannt zu machen (Presseinformanten, anonyme Strafanzeigen, ausländische
Dissidenten). Bürger:innen müssen die Möglichkeit haben, sich anonym mit Journalist:inn:en, Behörden, Anwaltskanzleien, Beratungsstellen und Ärzt:inn:en auszutauschen, ohne dabei rückverfolgt werden zu können.

Massenüberwachungsfreie Politik
Wir fordern Sie auf, den Koalitionsvertrag umzusetzen, die Freiheitsrechte der Bevölkerung zu schützen und langfristig den Weg einer massenüberwachungsfreien Politik einzuschlagen.

Stoppen Sie die Vorratsdatenspeicherung, schützen Sie Telefon- und auch Internetnutzer:innen!

Erstunterzeichnende Organisationen und Personen
   •   Aktion Freiheit statt Angst e.V.
   •   AlgorithmWatch
   •   Deutsche Aidshilfe
   •   Deutsche Vereinigung für Datenschutz e.V. (DVD)
   •   DFJV Deutscher Fachjournalisten-Verband AG
   •   DieDatenschützerRhein-Main
   •   Digitalcourage e.V.
   •   Digitale Gesellschaft e. V.
   •   Dr. Rolf Gössner, Jurist/Publizist, Kuratoriumsmitglied der Internationalen Liga für Menschenrechte
   •   Forum InformatikerInnen für Frieden und gesellschaftliche Verantwortung e. V.
   •   freiheitsfoo / freiheitsfoo.de
   •   Humanistische Union e.V.
   •   Komitee für Grundrechte und Demokratie e.V.
   •   mailbox.org – Heinlein Hosting GmbH
   •   Monique Hofmann – Bundesgeschäftsführerin Deutsche Journalistinnen- und Journalisten-Union (dju) in ver.di
   •   Netzwerk Recherche
   •   Neuen Richtervereinigung e.V., Bundesvorstand
   •   openPetition
   •   Peter Leppelt – Mitglied des Digitalrat Niedersachsen
   •   Prof. Dr. Clemens Arzt – FÖPS Berlin - Forschungsinstitut für öffentliche und private Sicherheit (Gründungsdirektor)
   •   Prof. Dr. Fredrik Roggan – Hochschule der Polizei des Landes Brandenburg
   •   Prof. Dr. Ira Diethelm – Carl von Ossietzky Universität
   •   Prof. Dr.-Ing. Tibor Jager – Bergische Universität Wuppertal
   •   Prof. Thorsten Holz – CISPA Helmholtz Center for Information Security
   •   Reporter ohne Grenzen e. V. / Reporters Without Borders (RSF) Germany
   •   Republikanischer Anwältinnen- und Anwälteverein e.V. (RAV)

Fußnoten:
1 https://www.spd.de/koalitionsvertrag2021/
2 https://www.deutschlandfunk.de/nancy-faeser-spd-innenminister-konferenz-sicherheit-katastrophenschutz-100.html
3 https://dl.acm.org/doi/10.1145/3544912.3544915
4 http://www.vorratsdatenspeicherung.de/content/view/799/1/lang,de/
5 https://dserver.bundestag.de/btd/20/005/2000534.pdf#page=39
6 https://twitter.com/echo_pbreyer/status/1518620276648558592
7 http://www.vorratsdatenspeicherung.de/content/view/537/55/lang,de/%20
8 https://grundrechte.ch/2013/MPI_VDS_Studie.pdf

Der Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung (AK Vorrat) ist ein bundesweiter Zusammenschluss, der sich gegen die ausufernde Überwachung im Allgemeinen und gegen die Vollprotokollierung der Telekommunikation und anderer Verhaltensdaten im Besonderen einsetzt. Mitglieder des Arbeitskreises sind Bürgerrechtler, Datenschützer und Internetnutzer, aber auch Verbände, Organisationen und Initiativen. Sie engagieren sich gegen die anlasslose Speicherung persönlicher Daten, für mehr Datenschutz, für das Recht auf Privatheit, für unbeobachtete Kommunikation und für den Respekt vor der Menschenwürde, besonders für das Recht auf informationelle Selbstbestimmung.

 
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