Bericht: Podiumsdiskussion "Mehr Staat - mehr Sicherheit?" (13.02.2007) |
Am 13.02.2007 veranstaltete die Friedrich-Ebert-Stiftung in Berlin eine Podiumsdiskussion zum Thema "Mehr Staat - Mehr Sicherheit?" Der Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung war anwesend und berichtet. Prof. Lange, Professor für Politikwissenschaft an der Philips-Universität Marburg, hielt einen einführenden Vortrag, in dem er die Entwicklung des Sicherheitsbegriffs in Zusammenhang mit Terrorismus, der Europäisierung und der durch ökonomische Sachzwänge vorangetriebenen Staats- und Verwaltungsreform stellte. Er verdeutlichte dabei die Eigenarten neuer Formen von Terrorismus, die Herausforderungen für die parlamentarische Demokratie durch zunehmend komplexer werdende politische Kompetenzverteilungen und den Grundkonsens über die sicherheitspolitische Verantwortung des Staates. Sicherheit sieht er als gesellschaftliches Bedürfnis und Datenschutz vor allem durch private Wirtschaft und unkritische Konsumenten gefährdet. Im Rahmen des Begriffs der europäischen Sicherheitsarchitektur vollziehe sich eine zunehmende Zentralisierung und Vernetzung nach Vorbild der amerikanischen Homeland Security, wobei die Grenze zwischen Polizei und Nachrichtendiensten schleichend abgebaut wird. Er schilderte, wie Parlamente zunehmend durch Sachzwänge gebunden und ihre Kontrolle gegenüber einer Sicherheitshysterie der Gesellschaft, die alle paar Jahre neue Bedrohungen ausmacht, gefährdet wird. Deshalb schlägt er vor, die Parlamente zu stärken, Sicherheitsgesetze zeitlich zu beschränken und sie stärker und v.a. durch andere Stellen zu evaluieren.Prof. Dr. jur. Jürgen Stock, Professor für Kriminologie und Vizepräsident beim BKA, führte zunächst aus, dass alle Beamte, die er in seiner Behörde kennt, ein ausgeprägtes Rechtsstaatsbewusstsein besäßen. Er gestand das bereits gegenwärtig hohe deutsche Sicherheitsniveau ein. Er behauptete ohne nähere Konkretisierung, dass seit dem Jahr 2000 fünf Terroranschläge, die in Deutschland geplant wurden, vereitelt worden seien. Er hob nochmals die Bedrohungslage durch unabhängige dschihadistische Terrorgruppen hervor. Daher käme der Prävention ganz neue Bedeutung zu. Prof. Dr. Pütter, Professor für Politikwissenschaft und Privatdozent der FU Berlin sowie Redakteur der Zeitschrift "Bürgerrechte & Polizei/CILIP", warf ein, dass die Einschränkung der Bürgerrechte keine spezifische Reaktion auf den Terrorismus sei, sondern Folge der Zentralisierung und des Präventionsdenkens seit den 70er Jahren. Michael Hartmann, Abgeordneter der SPD im Bundestag und stellvertretender innenpolitischer Sprecher, führte aus, dass das Hauptanliegen die Gewährleistung des inneren Friedens sein müsse und daher Freiheit und Sicherheit zusammen zu denken sind. Er sieht Überreaktionen nach dem 11. September, jedoch nur in den USA. In Deutschland hingegen sei eine Evaluierung der Terrorismusbekämpfung und der Antiterrordatei sorgfältig vorgenommen worden. Prof. Stock führte aus, dass der Gesetzgeber die Verhältnismässigkeit prüfen und Strafbewährung festlegen muss. Die Sicherheitsbehörden melden der Politik nur neue Rechtstatbestände aus der Praxis. Hier warf Prof. Pütter ein, dass die Rolle der Sicherheitsbehörden nicht bagatellisiert werden sollte. Er verdeutlichte am Beispiel der LKW-Maut, wie diese Bedarf melden und verwies darauf, dass das Extremismusbekämpfungsgesetz ohne parlamentarische Debatte eingeführt wurde. Herr Hartmann widersprach, die nachträgliche Evaluierung hat schließlich eine Extremistendatei verhindert. Er folgerte, die parlamentarische Kontrolle funktioniert. Prof. Lange führte aus, dass seiner Meinung nach die komplexe Gesellschaft rechtsstaatliche Maßstäbe verschiebt und dies nicht etwa Folge von Gruppengegensätzen sei. Darauf machte Herr Hartmann Wirtschaft und Banken für Unterwanderungen des Datenschutzes verantwortlich. Prof. Stock betonte, dass die Selbstbeschränkung eine wichtige Aufgabe sei, jedoch müssten Strafverfolger die Politik auf neue Kommunikationsformen und daraus resultierende Anforderungen hinweisen. Auch mit Brücken zwischen verschiedenen Institutionen sieht er das Trennungsgebot gewahrt. Prof. Lange verdeutlichte am Beispiel des Datenabgleichs mit privaten Kreditkartenunternehmen, dass neue konzeptionelle Antworten gefragt sind. Insbesondere die Landtage seien in sicherheitspolitischen Fragen ohnmächtig. Vorratsdatenspeicherung Prof. Stock behauptete, gute Beispiele für die Notwendigkeit der Vorratsdatenspeicherung nennen zu können. Er sieht darin keine pauschale Überwachung. Er verwies darauf, dass 99% der Bürger von Evaluierungen, wie die des Max Planck Instituts zur Wohnraumüberwachung, nichts mitbekommen. Prof. Pütter verwies dagegen auf die beachtlichen Steigerungsraten bei der Telekommunikationsüberwachung, die mittlerweile 50.000 Anschlüsse umfasst und somit wohl kaum nur Großkriminelle betrifft. Er zitierte zudem das erst durch die Tätigkeit des Verfassungsschutzes gescheiterte NPD-Verbotsverfahren und zweifelte, ob diese Form der "Überwachung" ein richtiger Weg sein kann. Prof. Stock versuchte zunächst, die Statistiken anzuzweifeln, führte jedoch nach Präzisierung durch die Moderatorin, Frau Venohr, aus, dass es nicht nur um Quantitäten ginge und die Vorratsdatenspeicherung daher verhältnismässig sei. Anschließend wurde dem Publikum die Möglichkeit gegeben, Fragen zu stellen. Hierbei versuchten auch unsere Aktivisten Ricardo Cristof Remmert-Fontes und Andre durch eigene kurze Statements das Augenmerk auf bisher unangesprochene, kritische Aspekte der Vorratsdatenspeicherung zu richten. Auffällig wurden dabei vor allem Widersprüche zwischen der prinzipiellen Rechtfertigung und Realisierung in der Praxis und der sich daraus ergebenden grundrechtsbezogenen Zweifel, für die sich aber scheinbar niemand verantwortlich fühlte. Andre kritisierte implizit Prof. Stock, in dem er aufzeigte, dass dieser wiederholt nur Halbwahrheiten verbreitete. Zum Ausklang der Veranstaltung gab es die Möglichkeit, bei einem Glas Sekt Gespräche mit den Podiumsteilnehmern zu führen. Leider stellte sich heraus, dass die Tür zur Kantine auch zu einem Ausgang führte, daher entkamen viele Teinehmer ohne unsere Flyer zu Gesicht zu bekommen, die meisten der länger verbliebenden Gäste nahmen sie jedoch interessiert an. In einer Diskussion mit Herrn Hartmann verdeutlichte ich an konkreten Szenarien, dass weder die Beschränkung auf 6 Monate noch die auf Verkehrsdaten eine wirksame Entschärfung der Vorratsdatenspeicherung darstellt. Meiner Befürchtung, dass alles, was an Daten erst einmal verfügbar ist, früher oder später auch genutzt wird und hier die Voraussetzung für ein Überwachungsstaat geschaffen würde, setzte er Demokratievertrauen entgegen. Es schien ihn jedoch zu überraschen, dass die Speicherung von Verbindungsdaten im Falle eines konkreten Verdachts auch bisher schon veranlasst werden konnte. |
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