Vorratsdatenspeicherung: Das Internet trauert um das Telekommunikationsgeheimnis (08.11.2007)

+++ Internet-Protest gegen die Vorratsdatenspeicherung +++ Verhüllung von Webseiten aus "Trauer um das Telekommunikationsgeheimnis" +++


Am Tag vor der Entscheidung des Deutschen Bundestages über die Einführung einer sechsmonatigen Erfassung aller Verbindungsdaten in Deutschland ruft der Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung Betreiber von Webseiten auf, ihre Internetseiten zu verhüllen. Die teilnehmenden Seiten erscheinen in schwarz mit der Meldung: "Das Fernmeldegeheimnis ist unverletzlich 1949-2007 †. Gläsernes Telefon, Handy, E-Mail und Internet * 09.11.2007. SPD, CDU, CSU: Wollt ihr das wirklich?" Die ungewöhnliche Aktion soll darauf aufmerksam machen, dass die unbeobachtete Kommunikation bislang stets der Regelfall war, mit der Vorratsdatenspeicherung aber sämtliche Kommunikationsvorgänge in Deutschland protokolliert und nachvollziehbar würden. Eine Anleitung zur Verhüllung der eigenen Webseite stellt der Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung im Internet bereit [1].

Im Streit um den "größten Plan zur Sammlung personenbezogener Daten in der deutschen Geschichte" wirft der Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung Bundesjustizministerin Brigitte Zypries vor, sie werfe "Nebelkerzen" und enthalte den Abgeordneten ein kritisches Gutachten des Max-Planck-Instituts über die staatliche Nutzung von Verbindungsdaten vor [2]. Aus der einzig vorliegenden Zusammenfassung des Gutachtens geht unter anderem hervor, dass die geplante Vorratsdatenspeicherung im Wesentlichen überflüssig ist. Es heißt darin wörtlich: "Doch weist die Aktenanalyse selbst unter den heutigen rechtlichen Bedingungen nur für etwa 2% der Abfragen nach, dass sie wegen der Löschungen ins Leere gehen."

"Die Beschwichtigungen der Regierung, es würden nur bereits heute gespeicherte Daten länger aufgehoben, Zugriffe auf die Daten setzten eine richterliche Anordnung voraus oder es müsse EU-Recht umgesetzt werden, sind in wesentlichen Teilen falsch", kritisiert der Jurist Patrick Breyer vom Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung. Im Einzelnen:

"Die Daten werden bereits heute gespeichert; sie sollen künftig nur länger aufbewahrt werden"

Das ist falsch. In den meisten Bereichen (E-Mail, Internet, Handy- Standortdaten) dürfen bisher keine Protokolle erstellt werden, weil das nicht zur Abrechnung erforderlich ist. Auch Telefonverbindungen dürfen derzeit nicht gespeichert werden, wenn der Kunde eine Flatrate bucht oder einer Speicherung widerspricht.

"Der Zugriff auf die gespeicherten Daten ist nur auf richterliche Anordnung zulässig"

Das ist falsch. Eine richterliche Anordnung soll nur die Polizei benötigen, und auch nur für die Abfrage von Verbindungsdaten. Will die Polizei dagegen einen Telefonkunden oder Internetnutzer identifizieren ("Bestandsdaten"), wird keine richterliche Anordnung gefordert. Die Nachrichtendienste sollen ganz ohne richterlichen Beschluss auf alle Daten zugreifen dürfen. Schon heute werden Verbindungsdaten über 200.000mal im Jahr abgefragt [3]. Diese Zahl würde mit der Vorratsdatenspeicherung sprunghaft ansteigen.

"Der Gesetzentwurf stärkt die Rechte der Betroffenen und begrenzt die Telekommunikationsüberwachung"

Das ist in dieser Form falsch. Der Gesetzentwurf enthält zwar einige Verbesserungen bei der Telekommunikationsüberwachung, jedoch weit überwiegend verschärfte und ausgeweitete Befugnisse. Vor allem die im Gesetzentwurf vorgesehene Speicherung sämtlicher Verbindungsdaten in Deutschland würde bewirken, dass es praktisch keine protokollierungsfreie elektronische Kommunikation mehr gäbe.

"Es wird nur eine Richtlinie der Europäischen Union in deutsches Recht umgesetzt"

Das ist falsch. Der deutsche Gesetzentwurf zur Vorratsdatenspeicherung geht weit über die EU-Richtlinie hinaus, etwa wenn er auch Anonymisierungsdienste zur Speicherung verpflichten soll. Während die EU-Richtlinie einen Zugriff auf die gespeicherten Daten nur zur Verfolgung schwerer Straftaten zulässt, sollen die Daten in Deutschland bei jeder "erheblichen" oder im Internet oder am Telefon begangenen Straftat, zur Gefahrenabwehr und sogar für die Nachrichtendienste freigegeben werden. Die Identifizierung von Telefonkunden oder Internetnutzern ("Bestandsdaten") soll selbst der Musik- und Filmindustrie möglich sein. Die EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung muss im Übrigen wegen schwerer Rechtsverstöße nicht umgesetzt werden, wie der Präsident des Österreichischen Verfassungsgerichtshofs bestätigt hat [4].

"Inhalte werden nicht gespeichert, sondern nur der 'Briefumschlag'"

Das ist zwar richtig, ändert aber nichts daran, dass weite Teile des Kommunikations-, Bewegungs- und Internetnutzungsverhaltens der gesamten deutschen Bevölkerung registriert werden sollen. Wer mit wem in Verbindung steht, ist eine äußerst sensible Information, die oft auch Rückschlüsse auf den Inhalt der Kommunikation und das Privatleben der Betroffenen zulässt (z.B. Eheberatungshotline, Ärzte). Die Post erfasst im Übrigen auch nicht die Briefumschläge der gesamten Bevölkerung.

Auf der Internetseite des Arbeitskreises findet sich eine Richtigstellung weiterer verbreiteter Fehlinformationen: http://www.vorratsdatenspeicherung.de/content/view/83/87/

Fußnoten:

[1] Anleitung zum Verhüllen von Webseiten: http://www.ak-vds.de/content/view/158/79/#code

[2] Gutachten des Max-Planck-Instituts: http://www.mpicc.de/ww/de/pub/forschung/forschungsarbeit/kriminologie/tk_verbindungsdaten.htm

[3] Zahl der Abfragen von Verbindungsdaten: http://www.daten-speicherung.de/index.php/neue-zahlen-zur-ueberwachung-von-telefon-und-internetnutzern/

[4] Präsident des Österreichischen Verfassungsgerichtshofs zur Vorratsdatenspeicherung: http://www.kurier.at/nachrichten/oesterreich/119051.php

Webdemo

Wir rufen alle Webmaster auf, ihre Internetpräsenz ab dem 08.11. aus Trauer um das Fernmeldegeheimnis zu verhüllen. Das Skript ist kompatibel mit der Online-Demo-Ecke. 

Binden Sie bitte dazu den folgenden HTML-Code in Ihre Seiten ein (an beliebiger Position innerhalb des BODY-Tags):

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