BKA-Studie: Vorratsdatenspeicherung erhöht Aufklärungsquote bestenfalls um 0,06% (10.02.2012) |
Um gerade einmal 0,06 Prozent könnte ein Gesetz zur verdachtslosen Vorratsspeicherung aller unserer Telefon-, Handy-, E-Mail- und Internetverbindungen die polizeiliche Aufklärungsquote erhöhen. Dies ist aus den Ergebnissen einer Studie des Bundeskriminalamts abzuleiten. Die von der Bundesjustizministerin vorgeschlagene kurzfristige Vorratsspeicherung der Identität von Internetnutzern (IP-Adressen) würde sogar ohne jegliche Auswirkung auf die Aufklärungsquote bleiben. Nach der letzte Woche veröffentlichten Studie des Bundeskriminalamts konnten im Zeitraum vom 2. März 2010 bis 26. April 2011 genau 3962 Straftaten wegen fehlender Telekommunikationsdaten nicht oder nicht vollständig aufgeklärt werden, darunter vor allem Betrugsdelikte.[1] Bezogen auf die 5,9 Millionen jährlich registrierten Straftaten hätte eine verdachtslose Vorratsspeicherung aller Verbindungsdaten die Aufklärungsquote dementsprechend von zuletzt 56 Prozent[2] (ohne Vorratsdatenspeicherung) auf gerade einmal 56,06 Prozent erhöhen können! Eine verdachtslose Vorratsdatenspeicherung hätte also keinen merklichen Einfluss auf die Aufklärungsquote, wie bereits das Max-Planck-Institut festgestellt hat.[3] "Es ist ein offensichtlich unverhältnismäßiger Eingriff in unsere Grundrechte, das Kommunikations- und Bewegungsverhalten der gesamten Bevölkerung zu protokollieren, um die Aufklärungsquote um minimale 0,06 Prozent steigern zu können", kommentiert Werner Hülsmann vom Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung. "Die von Bundesjustizministerin Leutheusser-Schnarrenberger vorgeschlagene einwöchige Vorratsspeicherung aller Internetverbindungen wäre laut Bundeskriminalamt gar vollkommen untauglich gewesen: Erst ab einer Speicherfrist von einem Monat wären laut BKA 236 zusätzliche IP-Adressen zuzuordnen gewesen,[4] was die Aufklärungsquote allenfalls um kaum messbare 0,004 Prozent hätte erhöhen können." Laut Bundeskriminalamt handelte es sich bei den 3962 unaufgeklärten Fällen vor allem um Betrug und Weitergabe kinderpornografischer Darstellungen über das Internet. Bei diesen Delikten werden aber schon ohne Vorratsdatenspeicherung weit über dem Durchschnitt liegende Aufklärungsquoten von 74 Prozent (Internetbetrug) bzw. 84 Prozent (Kinderpornografie im Internet) erzielt.[5] Dass zusätzliche Daten weiter führen, ist gerade bei professionellen Internetbetrügern und Pädophilen unwahrscheinlich, weil diese ihre Identität im Netz (IP-Adresse) mithilfe von Internetcafés, ausländischen Anonymisierungsdiensten, anonymen Prepaidkarten oder offenen WLAN-Internetzugängen häufig verschleiern. Tatsächlich werden laut Max-Planck-Institut 72 Prozent der Ermittlungsverfahren mit erfolgreicher Verkehrsdatenabfrage gleichwohl eingestellt.[6] Es ist also vollkommen offen, ob die vom BKA angestrebten zusätzlichen Datenauskünfte zur Überführung auch nur eines Straftäters geführt hätten. "Eine Vorratsspeicherung der Identität aller 52 Millionen Internetnutzer, wie sie die Bundesjustizministerin vorschlägt, würde die Aufklärung von Internetdelikten umgekehrt sogar erschweren, weil Straftäter dann verstärkt auf selbst im Verdachtsfall nicht überwachbare Kommunikationskanäle ausweichen würden", warnt Kai-Uwe Steffens vom Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung. "Nach Einführung der sechsmonatigen Vorratsspeicherung im Jahr 2009 ist die Aufklärungsquote bei Internetdelikten bereits von 79,8 Prozent auf 75,7 Prozent zurückgegangen.[7] Die Konsequenz aus den nun vorliegenden Fakten kann für die Ministerin nur sein, ihren Vorschlag der IP-Vorratsdatenspeicherung wieder vom Tisch zu nehmen." Der Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung warnt, dass eine Vorratsspeicherung aller Internetidentitäten (IP-Adressen) für technisch unbedarfte Bürger das Ende der Anonymität im Internet bedeuten würde. Sie würde es unbescholtenen Bürgern unmöglich machen, das Internet durch Wahl eines datenschutzfreundlichen Internet-Zugangsanbieters frei vom Risiko staatlicher Beobachtung (z.B. auch wegen eines falschen Verdachts), missbräuchlicher Offenlegung durch Mitarbeiter des Anbieters (Telekom-Skandal) und versehentlichen Datenverlustes (z.B. T-Mobile-Datenverlust) zu nutzen. Dadurch hätte ein Zwang zur IP-Vorratsdatenspeicherung unzumutbare Folgen, wo Menschen nur im Schutz der Anonymität überhaupt bereit sind, sich in einer Notsituation beraten und helfen zu lassen (z.B. Opfer und Täter von Gewalt- oder Sexualdelikten), ihre Meinung trotz öffentlichen Drucks zu äußern oder Missstände bekannt zu machen (Presseinformanten, anonyme Strafanzeigen). Wer Menschen in Not den geschützten und anonymen Zugang zu Hilfe und Beratung verwehrt (z.B. Aidsberatung), setzt Menschenleben aufs Spiel![8] Nachweise:
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