BMWI-Studie hält "Two Strikes"-Modell für geboten

Eine vom Bundeswirtschaftsministerium in Auftrag gegebene Untersuchung plädiert für die Einführung eines Systems der "abgestuften Erwiderung" auf Rechtsverletzungen beim Filesharing. Der Einbezug von Providern sei zulässig.

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Eine vom Bundeswirtschaftsministerium (BMWi) in Auftrag gegebene Untersuchung plädiert für die Einführung eines Systems der "abgestuften Erwiderung" auf Urheberrechtsverletzungen beim P2P-Filesharing. Die jetzt veröffentlichte Vergleichsstudie (PDF-Datei) der Forschungsstelle für Medienrecht an der Fachhochschule Köln preist ein "vorgerichtliches Mitwirkungsmodell" als "verhältnismäßiges Mittel" an.

Der Staatssekretär im Wirtschaftsministerium, Hans-Joachim Otto (FDP), bezeichnete die Studie heute als "wertvolle Grundlage für die weitere Diskussion in puncto Bekämpfung der Internetpiraterie". Auf der Basis dieser Erkenntnisse solle es noch im im ersten Halbjahr zu einer Entscheidung kommen. Otto präferiert ein zweistufiges Warnmodell ("Two Strikes"). Dem dritten Schlag, also einer Sperrung von Internetzugängen, wie sie in Frankreich vorgesehen ist, hatte Otto bei der Musikmesse Midem am vergangenen Sonntag erneut eine klare Absage erteilt.

Der Studie zufolge sollen Rechteinhaber Hinweise auf illegale Nutzungen geschützter Werke zunächst an die Zugangsanbieter senden und diese unter Rückgriff auf Verbindungs- und Bestandsdaten den Anschlussinhaber ermitteln und verwarnen. Parallel schlägt die Forschungsstelle die Einrichtung einer Datenbank zur Erfassung von Wiederholungstätern vor. Diese soll im Einklang mit dem britischen Vorbild von Zeit zu Zeit in anonymisierter Form an Rechtehalter weitergegeben werden.

Als Sanktion ist weiterhin die schon jetzt bestehende Möglichkeit für Urheber und Verwerter vorgesehen, einen Auskunftsanspruch gegen einen Provider zu erwirken und so gerichtlich die Herausgabe der personenbezogener Daten hinter einer ermittelten IP-Adresse zu veranlassen. Darin sehen die Wissenschaftler einen Lösungsansatz, der "den Bürger erreicht".

Die Autoren der Studie hinterfragen den Auskunftsanspruch als "alleiniges Mittel zur Rechtsdurchsetzung im Internet". Aus Sicht der Unterhaltungsindustrie sei er "aus Gründen des Datenschutzes" nur schwer anwendbar und darüber hinaus anfällig für eine "als missbräuchlich empfundene Verwendung". Nutzern, die sich ihm unvermittelt ausgesetzt sähen, könnten ihn zudem als "zu scharfes Mittel" empfinden.

Exakte Voraussagen zu den Auswirkungen von Warnhinweisverfahren lassen sich auch im Hinblick auf Staaten, die bereits mit Three-Strikes-Modellen experimentieren, nicht machen, räumen die Verfasser ein. Erfahrungen, die etwa der französische oder irische Ansatz vermittelten, seien "noch nicht hinreichend aussagekräftig". Positive Effekte wie "Rechtskenntnis, Unrechtsbewusstsein und Gerechtigkeitsempfinden" seien durch die Aufklärung der Nutzer und eine sich daraus möglicherweise ergebende Verhaltensänderung aber zumindest wahrscheinlich. "Die Daten" zeigten, dass ein Bedürfnis bestehe, Netzbürgern "die Unterscheidung von legalen und illegalen Angeboten zu vereinfachen".

Stark umstritten seien auch die volkswirtschaftlichen Effekte von Urheberrechtsverletzungen beziehungsweise Warnhinweisen, heißt es auf den gut 400 Seiten. In Frankreich etwa seien die Umsatzzahlen der Musikbranche nach Inkrafttreten des heftig umstrittenen "Hadopi-Gesetzes" gar 2010 wieder gesunken. Andererseits sei unbestritten, dass eine "massenhafte, unlizenzierte Nutzung der Produkte der Kreativwirtschaft stattfindet". Es sei schwer vorstellbar, dass diese keine Umsatzminderungen der betroffenen Branchen zur Folge habe, zu Verunsicherungen der Marktakteure führe oder Investitionen hemme.

Bleiben die Hürden des Datenschutzes und des Einspannens der Provider in das Kooperationsverfahren. Zum Telekommunikationsgeheimnis und zum Recht auf informationelle Selbstbestimmung hält die Studie fest, dass es "auf die konkrete Ausgestaltung der Maßnahme" ankomme. Zu beachten sei das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Vorratsdatenspeicherung, das dem Führen einer schwarzen Liste mehrfacher Urheberrechtssünder aber nicht prinzipiell entgegenstehe.

Verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden ist der Untersuchung nach ferner die aus technischen Gründen unabdingbare Heranziehung der Zugangsanbieter. Das vorgeschlagene System sehe im Einklang mit der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) "gerade keine Überwachung durch den Provider vor". Zudem dürfe das Geschäftsmodell von Zugangsanbietern "nicht in einem Wegsehen und faktischen Profitieren an Urheberrechtsverletzungen in Verbindung gebracht werden". Dazu komme, dass das Versenden von Hinweisen an die Kunden sowie "Drosselungen von Bandbreiten etwa bei Überschreiten des vertraglich eingeräumten Datenvolumens" schon an der Tagesordnung seien.

Vom Branchenverband Eco kam unmittelbar nach Veröffentlichung der Studie vorsichtige Kritik. Man wolle die Studie in aller Ruhe bewerten, teilte Oliver Süme, Vorstand Politik, Recht und Regulierung mit, allerdings sehe man unabhängig davon bei den bislang diskutierten Warnhinweis- und Sanktionierungsverfahren grundsätzliche Probleme, “da sie zu einer Privatisierung der Rechstdurchsetzung ohne rechtstaatliches Verfahren führen”. Süme lehnte alle Maßnahmen ab, “die auf eine inhaltliche Kontrolle und Überwachung des Datenverkehrs der Internetnutzerinnen und -nutzer sowie eine Sanktionierung mutmaßlicher Urheberrechtsverletzer hinauslaufen.” Warnhinweise könnten die Rechteinhaber übrigens schon heute selbst versenden, auf der Basis der von Ihnen bei den Providern aktuell beantragten 300.000 Auskünfte jeden Monat. “Nur macht das leider niemand", so Süme.

Die Deutsche Telekom steht dem "Two Strikes"-Modell weiterhin ablehnend gegenüber. Gegenüber heise online erklärte heute ein Sprecher, dass es "für Hinweisschreiben oder gar Abmahnungen durch den Internetzugangsanbieter keinen gesetzlichen Rahmen" gebe. "Aus unserer Sicht ist das beste Mittel, ein attraktives legales Angebot bereitzustellen, um den Kunden eine Alternative zu den illegalen Portalen zu bieten", sagte er.

Die Bürgerrechtsorganisation Digitale Gesellschaft legte eine “Schattenstudie” vor, in der sie auf Probleme der Modelle in Frankreich, England und Irland hinwies, beispielsweise mit Blick auf die fehlende Treffergenauigkeit bei der Zuordnung von IP-Adressen. Die Bürgerrechtler sind grundsätzlich gegen "Strikes" aller Art: “Warnhinweise und Strafen sind vom selben Geist wie die auf Eis gelegte US-Gesetzgebung SOPA und und das ACTA-Abkommen geprägt: Statt Nutzer zu bestrafen, sollte die Energie lieber in den Aufbau von niedrigschwelligen und attraktiven Angebote gelegt werden,” sagte Markus Beckedahl, Gründer der Digitalen Gesellschaft und Mitglied in der Internet-Enquete des Bundestages. (hob)