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[Blog] Ermittlern fehlen keine Netzdaten (06.02.2012) Drucken E-Mail

Anlässlich der Veröffentlichung einer vernichtenden Studie des Max-Planck-Instituts hat das Bundesinnenministerium alte BKA-Zahlen noch einmal aufgewärmt und in einen "Abschlussbericht" gepackt (pdf). Die taz fällt auf die Zahlen herein und folgert daraus, den Ermittlern fehlten Netzdaten. Hier eine kurze Richtigstellung.

Dass den Ermittlern keine IP-Adressen fehlen, zeigt sich daran, dass auch ohne IP-Vorratsdatenspeicherung unter allen polizeilich bekannten Internetdelikten eine Aufklärungsquote von 71% erzielt wird (2010). Diese Aufklärungsquote übersteigt diejenige für nicht im Internet begangene Straftaten bei Weitem (55%). Solange Straftaten im Internet ohne Vorratsdatenspeicherung weit häufiger aufgeklärt werden als sonstige Straftaten, ist es nicht zu rechtfertigen, ausgerechnet im Internet jedes Lesen eines Zeitungsartikels und jede Meinungsäußerung nachverfolgbar machen zu wollen.

Nach Einführung einer sechsmonatigen IP-Vorratsdatenspeicherung im Jahr 2009 ist die Aufklärungsquote bei Internetdelikten nicht etwa angestiegen, sondern sogar zurückgegangen. Dies beruht darauf, dass eine Vorratsdatenspeicherung Straftäter zum Einsatz von Umgehungsstrategien veranlasst (z.B. Internetcafés, offene Netzzugänge, Anonymisierungsdienste, unregistrierte Prepaidkarten, nicht-elektronische Kommunikationskanäle), so dass ihre Kommunikation selbst im Verdachtsfall nicht mehr zu überwachen ist. Eine IP-Vorratsdatenspeicherung schadet damit der Verfolgung von Straftaten und nutzt ihr nicht.

Soweit 84% der Auskunftersuchen des BKA zu IP-Adressen erfolglos geblieben sein sollen, schreibt das BKA dazu selbst:

Die BKA-interne Vollerhebung bildet, bedingt durch den gesetzlichen Auftrag des BKA, nur einen bestimmten Ausschnitt der aufgrund fehlender Mindestspeicherfristen erfolglosen Straftatenaufklärung sowie Gefahrenabwehr ab. Die Ergebnisse sind insofern für eine Argumentation zu möglichen Auswirkungen auf die Aufklärungsquoten der bundesweiten Polizeilichen Kriminalstatistik [PKS] nicht aussagekräftig.

Die Erhebung liefert letztlich aufgrund ihrer Konzipierung keine belastbaren Aussagen zur Aufklärungshäufigkeit wie eine Aufklärungsquote der Polizeilichen Kriminalstatistik. So wird nicht erfasst, ob die zugrundeliegende Straftat bei positiver Antwort des Providers letztlich aufgeklärt werden konnte.

Das Max-Planck-Institut kommentiert die verzerrten BKA-Zahlen wie folgt:

Auch die im Zusammenhang mit einer Anfrage im Bundestag von 2010 bekannt gewordenen Informationen aus Erhebungen des Bundeskriminalamts, die sich auf den Zeitraum zwischen März und September 2010 beziehen, sind für die Abschätzung der Auswirkungen des Wegfallsder Vorratsdatenspeicherung auf die Aufklärungsquoten nicht geeignet. Denn Bezugszahlen zu den in der Antwort genannten Abfragen, die erfolglos geblieben seien, sind nicht enthalten. Ferner ergeben sich keine Hinweise darauf, warum in einem Ermittlungsverfahrender einzige Schlüssel zur Aufklärung (bzw. zur Anklagefähigkeit) Verkehrsdaten gewesen sein sollen. Schließlich zeigt die Informationsaufbereitung, dass sich die Abfragen im Wesentlichen auf Bestandsdaten (hinter einer dynamischen IP-Adresse) und ganz überwiegend auf Verbreitung oder Besitz von Kinderpornografie beziehen, und dass der Zeitraum zwischen Nutzung einer dynamischen IP-Adresse und der Abfrage nicht bekannt sei. [...]

Die deliktsspezifischen Aufklärungsquoten in den Bereichen der Computerkriminalität sowie der so genannten Internetkriminalität geben ebenfalls keine Hinweise dafür her, dass durch die Phase der Vorratsdatenspeicherung Veränderungen in der Tendenz der Aufklärungsraten eingetreten wären. [...]

Insbesondere gibt es bislang keinen Hinweis dafür, dass durch eine umfängliche Verfolgung aller Spuren, die auf das Herunterladen von Kinderpornografie hindeuten, sexueller Missbrauch über den Zufall hinaus verhindert werden kann. 

Der AK Vorrat kommentierte eine frühere Fassung der unwissenschaftlichen BKA-Zahlen wie folgt:

Aus den folgenden Gründen belegen diese Zahlen keine „blinde Flecken in der Verbrechensbekämpfung“ oder „Schutzlücken“:

1. Wären im Fall einer Vorratsdatenspeicherung nicht ebenso viele Auskünfte unterblieben? Das Bundeskriminalamt liefert keine Vergleichswerte für die Zeit, als in Deutschland alle Verbindungen auf Vorrat erfasst wurden (2009). Deswegen belegen die Zahlen nicht, dass gegenwärtig weniger Auskünfte erteilt würden. 147 der ergebnislosen Auskunftsersuchen des BKA betrafen beispielsweise Internetverbindungen, die im Zeitpunkt der Anfrage (25.05.2010) bereits länger als sechs Monate zurück lagen (Zeitstempel: 29.05.2009-11.09.2009) und deswegen auch im Fall einer sechsmonatigen Vorratsdatenspeicherung ergebnislos geblieben wären. Das Bundeskriminalamt liefert auch keine Vergleichswerte für die Zeit vor Einführung der Vorratsdatenspeicherung. Deswegen belegen die Zahlen nicht, dass gegenwärtig weniger Auskünfte erteilt würden als seit jeher.

2. Wäre im Fall der Auskunfterteilung eine Identifizierung des Verdächtigen möglich gewesen? Das Bundeskriminalamt beantwortet diese Frage nicht. Deshalb kann nicht davon ausgegangen werden, dass weitere Auskünfte zur Identifizierung weiterer Straftäter geführt hätten. In vielen Fällen verwenden Straftäter Internet-Cafés, offene Internetzugänge (WLAN), Anonymisierungsdienste, öffentliche Telefone, unregistrierte Handykarten usw. Eine Auskunft über den Anschlussinhaber ermöglicht eine Identifizierung des Nutzers in diesen Fällen nicht.

3. Wäre es im Fall der Auskunfterteilung zur Verurteilung des Verdächtigen gekommen? Das Bundeskriminalamt beantwortet diese Frage nicht. Deshalb kann nicht davon ausgegangen werden, dass Auskünfte letztlich zur Verurteilung von Straftätern geführt hätten. Nach einer Untersuchung des Max-Planck-Instituts im Auftrag des Bundesjustizministeriums kam es in 72% der Verfahren mit erfolgreicher Verbindungsdatenabfrage gleichwohl zu keiner Verurteilung.

4. Hat das Bundeskriminalamt Auskünfte angefordert, obwohl es von vornherein wusste, dass sie nicht erteilt werden können? Das Bundeskriminalamt beantwortet diese Frage nicht. Es liegt nahe, dass das Bundeskriminalamt die Zahl erfolgloser Auskunftsersuchen durch erkennbar aussichtslose Anfragen in die Höhe getrieben hat. Dem Bundeskriminalamt liegt eine Liste vor, wie lange welches Unternehmen Verbindungsdaten aufbewahrt (maximal eine Woche). Dennoch lagen 209 der ergebnislos angefragten Internetverbindungen länger als 10 Tage zurück, 147 weitere Internetverbindungen lagen sogar länger als sechs Monate in der Vergangenheit. In Anbetracht dieser von vornherein aussichtslosen Anfragen sind die vom Bundeskriminalamt ermittelten Zahlen manipuliert und wertlos. Dass die Untersuchung des Bundeskriminalamts von vornherein auf ein feststehendes Ergebnis abzielte, zeigt schon die Bezeichnung der verwendeten Erhebungsbögen: „Erhebungsbogen zur Begründung des polizeilichen Bedarfs der Auskunft über längerfristig gespeicherte Verkehrsdaten“

5. In wie vielen Fällen kann das Bundeskriminalamt generell Täter mangels Spuren nicht identifizieren? Ohne eine Antwort auf diese Frage muss davon ausgegangen werden, dass physisch anwesende Täter oder Absender von Briefen seltener identifizierbare Spuren hinterlassen als Täter von Telefon- oder Internetdelikten. Es ist nicht einzusehen, warum Telefon und Internet gläserner sein sollten als persönliche Kontakte und die Post. Tatsächlich wurden Internetdelikte auch ohne Vorratsdatenspeicherung zuletzt zu 71% aufgeklärt, während sonstige Straftaten nur zu 55% aufgeklärt wurden. Während vier Fünftel aller im Internet begangenen Straftaten aufgeklärt werden, bleibt etwa jeder zweite Raub unaufgeklärt.

3.1.2 Auswirkungen auf die Strafverfolgung sind nicht belegt [...]

1. Welche Aufklärungsquote ergibt sich bei einer statistisch repräsentativen Stichprobe? Die Zahlen des Bundeskriminalamts betreffen lediglich 1.157 „Auskunftsersuchen des BKA, die im Zeitraum vom 02.03. bis 17.09.2010 gestellt und erfasst wurden“. Es ist bereits ungeklärt, welche  Auskunftsersuchen des BKA für die Auswertung erfasst wurden und nach welchen Kriterien die Auswahl erfolgte. 70% der für die Studie ausgewerteten Auskunftsersuchen betrafen zudem die Verbreitung von Kinderpornografie. Tatsächlich handelte es sich bei den 206.909 Straftaten, die 2009 im Internet begangen und polizeilich registriert wurden, aber zu 82% um Betrugsdelikte und nur zu 3% um die Verbreitung kinderpornographischer Schriften. Von den 6 Mio. Straftaten, die 2009 insgesamt registriert wurden, betrafen sogar nur 0,1% die Verbreitung kinderpornographischer Schriften. Die Zahlen des Bundeskriminalamts betreffen mithin nur einen sehr kleinen Teil der strafrechtlichen Ermittlungsverfahren, weil das Bundeskriminalamt dafür nur ausnahmsweise zuständig ist (§ 4 Abs. 2 BKAG). Die Zahlen des Bundeskriminalamts betreffen außerdem einen nicht repräsentativen Teil der Deliktsformen, nämlich vorwiegend die Verbreitung kinderpornographischer Schriften, obwohl diese tatsächlich nur einen sehr kleinen Teil der Kriminalitätswirklichkeit ausmacht. Die Zahlen des Bundeskriminalamts lassen daher keinen Rückschluss auf die Frage zu, ob das Ende der Vorratsdatenspeicherung Auswirkungen auf die Strafverfolgung insgesamt hatte.

2. Wie sind die Zahlen des Bundeskriminalamts mit der hohen Aufklärungsquote vor Geltung einer Vorratsdatenspeicherung in Deutschland in Einklang zu bringen? Internetdelikte wurden im Jahr 2008 auch ohne Vorratsdatenspeicherung zu fast 80% aufgeklärt, während sonstige Straftaten zu 55% aufgeklärt wurden. Warum diese Aufklärungsquoten nicht auch heute wieder erreicht werden sollen, erklärt das Bundeskriminalamt nicht schlüssig. Der Hinweis des Bundeskriminalamts auf die zunehmende Verbreitung von Flatrates verfängt nicht. Denn schon 2008, als Internetanbieter nicht auf Vorrat speicherten, nutzten 86% der Deutschen eine Internet-Flatrate und wurden gleichwohl 79% der registrierten Internetdelikte aufgeklärt. Deshalb ändern die Zahlen des Bundeskriminalamts nichts daran, dass auch gegenwärtig ohne Vorratsdatenspeicherung vermutlich eine weit überdurchschnittliche Aufklärungsquote bei Internetdelikten erzielt wird.

3. Wäre im Fall einer Vorratsdatenspeicherung ein größerer Teil der vom Bundeskriminalamt verfolgten Straftaten aufgeklärt worden? Das Bundeskriminalamt beantwortet diese Frage nicht. Deshalb kann nicht davon ausgegangen werden, dass weitere Auskünfte zur Aufklärung weiterer Straftaten geführt hätten. Das Bundeskriminalamt teilt etwa nicht mit, wie viele Ermittlungsverfahren trotz erteilter Auskunft eingestellt werden mussten. Das Bundeskriminalamt liefert ferner keine Vergleichswerte für die Zeit, als in Deutschland alle Verbindungen auf Vorrat erfasst wurden (2009). Deswegen belegen die Zahlen nicht, dass gegenwärtig weniger Straftaten aufgeklärt würden als bei Geltung einer Vorratsdatenspeicherung. Das Bundeskriminalamt liefert schließlich keine Vergleichswerte für die Zeit vor Einführung der Vorratsdatenspeicherung. Deswegen belegen die Zahlen nicht, dass gegenwärtig weniger Straftaten aufgeklärt würden als seit jeher.

4. Wären im Fall einer Vorratsdatenspeicherung mehr Täter verurteilt worden? Das Bundeskriminalamt beantwortet diese Frage nicht. Deshalb kann nicht davon ausgegangen werden, dass weitere Auskünfte letztlich zur Verurteilung weiterer Straftäter geführt hätten. Nach einer Untersuchung des Max-Planck-Instituts im Auftrag des Bundesjustizministeriums kam es in 72% der Verfahren mit erfolgreicher Verbindungsdatenabfrage gleichwohl zu keiner Verurteilung. 

Und schließlich der Kommentar von Prof. Dr. Thomas Hoeren, Universität Münster:

Die BKA-Liste ist das Unseriöseste, was man sich vorstellen kann. Der Punkt ist: 'Hätte, hätte, hätte...' ist kein wissenschaftliches Argument. Ob man etwas aufgeklärt hätte, wenn man die Telefondaten oder ähnliches gehabt hätte, das weiß man ja gar nicht.

Weitere Informationen zu den BKA-Zahlen finden sich in den folgenden Artikeln:

Blog-Beitrag von Patrick - Dieser Beitrag gibt die persönliche Meinung des Autors wieder.
 
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