Die Bringschuld haben die Überwachungsfreunde

Eine Replik auf den FAZ-Artikel "Die über Leichen surfen" zur Forderung der Vorratsdatenspeicherung

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In einem bemerkenswerten Beitrag für die FAZ "Die über Leichen surfen" von gestern hält der Autor Jasper von Altenbockum den Kritikern der Vorratsdatenspeicherung, und dabei ganz konkret uns vom Arbeitskreis, systematische Desinformation beim Umgang mit Statistiken vor. Im Einzelnen geht es um unsere Interpretationen der Ergebnisse von Untersuchungen des Max-Planck-Instituts für internationales und ausländisches Strafrecht und des Wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestags. So weit so gut. Einem solchen Diskurs kann und sollte man sich durchaus stellen, wenn er denn seriös begonnen wird.

Problematisch wird es, wenn so ein Anstoß zu einem Diskurs auf einem Denkfehler beruht. Unsere Position war und ist, dass diese Statistiken nicht als Beweis für die Wirksamkeit der Vorratsdatenspeicherung taugen. Genau solche Beweise sind aber erforderlich, wenn man ein die Grundrechte schädigendes Gesetz fordert. Nicht der, der die Grundrechte schützen will, ist dabei in der Bringschuld, sondern der, der sie einschränken will. Und genau solche Statistiken, die die Wirksamkeit der Maßnahme beweisen, gibt es eben nicht.

Gleichermaßen ist es eine bewährte Übung in freiheitlich-demokratischen Staaten, Gesetze nicht wegen einzelner Vorfälle auf den Weg zu bringen. Der Bedarf für ein Gesetz sollte sich immer aus strukturellen Unzulänglichkeiten des Ist-Zustands ergeben. Wer nur mit "dort konnte dies nicht aufgeklärt werden" argumentiert, begibt sich auf nicht tragfähiges Eis. Zumal die meisten Vorfälle, die von den Befürwortern der Vorratsdatenspeicherung angeführt wurden, bei näherer Betrachtung gar keine Notwendigkeit der Überwachung im Einzelfall implizieren. Denn auch hier gilt, dass die Last der Beweisführung bei den Befürwortern liegt. Und dazu genügt es nicht zu zeigen, dass im konkreten Fall das Fehlen von Vorratsdaten zum Scheitern der Ermittlungen beigetragen hat. Zwingend nötig, also gemäß den rechtsstaatlichen Prinzipien von Zweckdienlichkeit und Erforderlichkeit, ist der Beweis, dass nur mit Vorratsdaten eine erfolgreiche Strafverfolgung möglich gewesen wäre, und keine anderen, die Grundrechte schonenden Verfahren zum Ermittlungserfolg hätten führen können. Und dieser Beweisführungspflicht kommen die Befürworter in all den Fällen nicht nach.

Genau diesem Denkfehler, diesem strukturellen Defizit in der Argumentation der Überwachungsfreunde, verfällt dann auch der Autor in seinem heutigen Beitrag. Besonders deutlich wird dies im vorletzten Absatz:

Konsumenten von Kinderpornographie lässt sich mangels gespeicherter Daten meist nur dann etwas nachweisen, wenn sie im Internet jeweils in Echtzeit verfolgt und auf frischer Tat "erwischt" werden. Der monströse Aufwand, der so getrieben werden müsste, um das Verbot von Kinderpornographie (und mithin Kindesmisshandlung) durchzusetzen, überfordert jede Strafverfolgungsbehörde.

Hier wird die Forderung nach einem zweifelsfrei grundrechtsschädigenden Gesetz mit dem Argument untermauert, mögliche andere Lösungen - das "quick-freeze"-Verfahren sowie die Verbesserung von Ausbildung, Ausrüstung und Personalstärke der Polizei seien genannt - wären zu aufwendig. Dieses Argumentefundament ist aber in einem Rechtsstaat, der diesen Titel verdient, nicht tragfähig. Denn eine Beschädigung von fundamentalen Rechten, die aus gutem Grund das Prädikat "unveräußerlich" tragen, kann unmöglich dadurch gerechtfertigt werden, dass Alternativen zu teuer seien. Das ist in einem Rechtsstaat mit freiheitlich-demokratischer Grundordnung, der zudem noch zu den wohlhabendsten Ländern der Welt gehört, nicht denkbar. Wer das dennoch fordert, muss sich den Vorwurf gefallen lassen, die Grundrechte der Menschen verkaufen zu wollen. Für Geld. So jemand ist gut beraten, seine Bezugskoordinaten zu den höchsten Rechtsgütern, die uns die Geschichte gelehrt und unsere Gegenwart zu bieten hat, neu einzueichen. Und nicht denen, die diese Rechtsgüter schützen wollen, letztendlich vorzuwerfen, dass sie das nicht nötig haben.

Dieser Beitrag gibt die persönliche Meinung des Autors Kai-Uwe Steffens wieder und ist kein offizielles Statement des Arbeitskreises Vorratsdatenspeicherung.