Bundestag verabschiedet Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung und TK-Überwachung

Mit den Stimmen der großen Koalition hat das Parlament den Regierungsentwurf zur Neuregelung der Telekommunikationsüberwachung gebilligt. Die Opposition sprach von einem "tiefschwarzen Tag für die Bürgerrechte in Deutschland".

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Der Bundestag hat am heutigen Freitag mit den Stimmen der großen Koalition den heftig umstrittenen Regierungsentwurf zur Neuregelung der Telekommunikationsüberwachung (PDF-Datei) und anderer verdeckter Ermittlungsmaßnahmen mit den Änderungen aus dem Rechtsausschuss verabschiedet. Die Oppositionsparteien votierten geschlossen gegen das Vorhaben, mit dem auch die EU-Vorgaben zur Vorratsspeicherung von Telefon- und Internetdaten in nationales Recht umgesetzt werden sollen. Bei der von den Grünen und den Liberalen geforderten namentlichen Abstimmung sprachen sich insgesamt 366 von 524 anwesenden Abgeordneten für den Entwurf aus, 156 dagegen. Zudem gab es zwei Enthaltungen. Einzelheiten werden sich erst aus der Veröffentlichung der detaillierten Namensliste ablesen lassen.

Bundesjustizministerin Brigitte Zypries verteidigte bei der knapp einstündigen Debatte am historisch bedeutsamen 9. November die Initiative zur sechsmonatigen Aufbewahrung der Verbindungs- und Standortdaten erneut mit dem Hinweis: "Wir sind hier nicht auf dem Weg in den Überwachungsstaat." Es würden nur die Daten gespeichert, "die ohnehin generiert werden". In diesem Zusammenhang müssten künftig auch bei der Nutzung von Flatrates Verbindungsinformationen aufbewahrt werden. Zudem würde die EU-Richtlinie in "minimaler Weise" umgesetzt. Es gehe darum, den Terrorismus besser zu bekämpfen.

Der CDU-Abgeordnete Siegfried Kauder warf den Gegnern des Vorhaben in der erregt geführten Debatte zur 2. und 3. Lesung des Gesetzentwurfs vor, mit ihren Beschwörungen von Big Brother und Orwell zu "zündeln". Die Koalition wolle "keinen gläsernen Menschen, wir wollen einen gläsernen Verbrecher". Es gelte, "die innere Sicherheit in diesem Land zu stärken". Zugleich würden etwa Journalisten aber gegenüber dem jetzigen Zustand beim Schutz vor Überwachung besser gestellt. Auch für Klaus Uwe Benneter von der SPD-Fraktion ist die "wirksame Strafverfolgung eine der wesentlichen Aufgaben, die der Staat leisten muss". Die Bürger würden nicht alle unter Generalverdacht gestellt. "Das wäre sonst auch bei den Konten der Fall", da auch darauf bereits zugegriffen werden könne.

Der rechtspolitische Sprecher der Grünen, Jerzy Montag, sprach dagegen in dem heftigen Schlagabtausch von einem "tiefschwarzen Tag für die Bürgerrechte in Deutschland". Alle Punkte, welche Zypries zur Verteidigung des Entwurfs vorgebracht habe, "ist in der Sache falsch und unrichtig". So dürften die Maßnahmen schon bei Straftatbeständen genutzt werden, auf die nur eine Geldstrafe stehe. Der Schutz des Kernbereichs der privaten Lebensgestaltung am Telefon werde mit den gewählten Formulierungen "nie möglich". Das "bedeutet für Ihr Gesetz, dass Sie immer abhören wollen". Der Journalisten- und der Informantenschutz werde durch das Gesetz "ausgehöhlt".

Für die FDP betonte Jörg van Essen, dass die Bürger mit dem Vorstoß "unter Generalverdacht" gestellt würden. Entgegen der Behauptung der Justizministerin werde die EU-Direktive auch nicht Eins zu Eins umgesetzt, sondern vielmehr auf erhebliche Straftaten und solche, die mit Telekommunikation zu tun haben, erweitert. Die Konsequenz kann für den Liberalen nur lauten: "Das Gesetz muss gekippt werden." Ex-Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger ergänzte, dass mit der Vorratsdatenspeicherung sehr wohl nachzuvollziehen sei, wie das Telekommunikationsverhalten eines Bürger sei: "Es ist unstreitig, dass daraus Profile erstellt werden können." Das Bundesverfassungsgericht habe dagegen schon die Erhebung entsprechender Kommunikationsdaten als grundrechtsrelevant eingeschätzt.

Eine "Totalregistrierung menschlichen Kommunikationsverhaltens ohne jeden Verdacht und ohne jeden Anlass" beklagte Jan Korte, Innenexperte der Linken. Der Koalition warf er eine "exorbitante Datensammelwut" vor. Auf die Verbindungsdaten dürfte schon bei einer "Beleidigung am Telefon" oder dem "illegalen Herunterladen von Klingeltönen" zugegriffen werden. Generell seien "bei solchen gigantischen Datenmengen der Missbrauch und die Weckung von Begehrlichkeiten vorprogrammiert". Über die Auswirkungen auf die Bevölkerung und die Grundrechte auf freie und unangepasste Kommunikation müsse man sich im Klaren sein

Der Entwurf gilt als eines der umstrittensten Vorhaben von Schwarz-Rot in dieser Legislaturperiode. Datenschützer bemängelten immer wieder tiefe Eingriffe in die Grundrechte, eine Generalverdächtigung der Bürger und eine Abkehr von bislang ehernen Prinzipien zur Datensparsamkeit und Datenvermeidung. Auch Verbände von Berufsgeheimnisträgern wie Ärzten, Journalisten oder Anwälte brachte die Bundesregierung mit ihrem Zwei-Klassen-Recht beim Vertrauensschutz gegen sich auf. Sachverständige appellierten in zwei gesonderten parlamentarischen Anörungen für umfassenden Korrekturen und eine Aufschiebung der Massendatenvorhaltung. Wirtschaftskreise haben ihre Kritik vor allem bezogen auf die fehlende Entschädigungsregelung ebenfalls aufrecht erhalten.

Zudem gab es massive Proteste aus weiten Kreisen einer sich neu formierten Bürgerrechtsbewegung unter dem Dach des Arbeitskreises Vorratsdatenspeicherung, die sich in Form einer Großdemo in Berlin, bundesweiten Kundgebungen sowie einer aktuellen Online-Demonstration Bahn brachen. Tausende Bürger sowie Vertreter von Oppositionsparteien haben nun Verfassungsbeschwerden gegen den neuen Überwachungsvorstoß angekündigt. Montag kündigte die Unterstützung der Grünen für alle an, "die sich gegen dieses Gesetz zur Wehr setzen werden". Kauder hat dagegen nach eigenen Angaben "keine große Sorgen, dass das Gesetz auch vor dem Bundesverfassungsgericht hält".

Zum aktuellen Stand und der Entwicklung der Debatte um die erweiterte Anti-Terror-Gesetzgebung, die Anti-Terror-Datei sowie die Online-Durchsuchung siehe:

(Stefan Krempl) / (jk)