Polizei darf auf Demos nur unter Auflagen filmen

Für Videoaufnahmen der Polizei auf Demonstrationen gelten strenge gesetzliche Regeln, erklärt der Bundesverwaltungsrichter Kurt Graulich, der an der Humboldt Universität Polizeirecht lehrt.

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Von
  • Ulrike Heitmüller

Auf inzwischen über 12.400 Aufrufe kommt ein Amateurvideo auf Youtube, auf dem zu sehen ist, wie Polizisten auf der Demonstration "Freiheit statt Angst" am 11. Oktober in Berlin Kameras halten. Polizeiwagen mit Kameras und der Aufschrift "TV-Übertragung" sind vor Ort, Polizisten filmen mit einem Stativ, andere Beamte haben ihre Kameras halb unter der Jacke verborgen. "Wir machen Übersichtsaufnahmen bei Demonstrationen, falls es Übergriffe gibt, das wird dann für oder gegen uns verwendet", erklärt ein Pressesprecher der Berliner Polizei.

Ob offen oder verdeckt: Alle Aufnahmen durch die Polizei bei einer öffentlichen Demonstration sind nur unter strengen Auflagen gestattet, sagt Kurt Graulich. Der Richter am Bundesverwaltungsgericht in Leipzig lehrt an der Humboldt-Universität in Berlin Polizeirecht. "Es gibt zwei Rechtslagen", sagt Graulich: Das Versammlungsgesetz und das Berliner Polizeigesetz, und eventuell wäre noch das Bundespolizeigesetz zu berücksichtigen, wenn auch Bundespolizei im Einsatz war.

Beim Versammlungsgesetz handele es sich um eine überkommene bundesrechtliche Grundlage – überkommen, weil es eine abweichende Gesetzgebung der Länder vorsehe, Berlin aber noch kein eigenes Gesetz erlassen habe. Nach § 12a Versammlungsgesetz darf die Polizei Bild- und Tonaufnahmen von Teilnehmern bei oder im Zusammenhang mit öffentlichen Versammlungen nur dann anfertigen, "wenn tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme rechtfertigen, dass von ihnen erhebliche Gefahren für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgehen", so der Gesetzestext.

Diese Regelung sei für Versammlungen, bei denen man befürchten muss, dass Sachen oder Menschen zu Schaden kommen, erklärt Graulich, aber "nicht, wenn von einem friedlichen Verlauf ausgegangen wird". Das nämlich rechtfertige keine Aufnahmen. Und hier wird es interessant: "Eigentlich muss eine Versammlung ja nicht erlaubt werden, sondern bloß angemeldet. Wenn aber mit erheblichen Gefahren zu rechnen wäre, würde die Versammlung ja verboten werden", erklärt Graulich. "Und dann kann man rückschließen: Wenn eine Versammlung nicht verboten wird, wird auch nicht mit erheblichen Gefahren gerechnet, sondern mit einem friedlichen Verlauf." Das heißt: Die Polizei darf Aufnahmegeräte bereithalten, aber sie darf sie nicht nutzen, so lange es friedlich bleibt. "Der Aufbau von Kameras ist ok, aber wenn gefilmt wird – das müssten sie erklären", sagt Graulich.

Über das Versammlungsgesetz hinaus gilt das Berliner Allgemeine Sicherheits- und Ordnungsgesetz (BerlASOG, kurz: Polizeigesetz). Darin regelt Paragraph 24 die "Datenerhebung bei öffentlichen Veranstaltungen und Ansammlungen". Das betreffe eher zufällige Ansammlungen, "zum Beispiel einen Pulk Fans nach einem Fußballspiel", erklärt der Verwaltungsrichter, "oder wenn sich bei einer Demonstration Gruppen von Gegendemonstranten bilden und etwas tun, was die Polizei als gefährlich ansieht. Dann darf die Polizei Bild- und Tonaufnahmen machen, muss sie aber nach spätestens zwei Monaten löschen." Ausnahme: Sie werden "zur Verfolgung von Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten benötigt [...] oder Tatsachen (rechtfertigen) die Annahme..., dass die Person künftig Straftaten von erheblicher Bedeutung begehen wird", wie es im Gesetzestext heißt.

Auch das Versammlungsgesetz sieht Löschfristen vor, es schreibt sogar vor, eventuelle Aufnahmen "unverzüglich zu vernichten, soweit sie nicht benötigt werden für die Verfolgung von Straftaten von Teilnehmern oder ... zur Gefahrenabwehr", so der Gesetzestext; in letzterem Fall hat die Polizei drei Jahre Zeit. Da "müssen die Betroffenen im politischen Raum nachfragen, ob Fotomaterial vorhanden ist und ob es rechtzeitig gelöscht wurde", sagt der Verwaltungsrichter.

Heikel seien Aufnahmen bei einer Demonstration noch aus einem ganz anderen Grund: "Das bewirkt einen enormen Einschüchterungseffekt", sagt Kurt Graulich. Das Bundesverfassungsgericht habe im Volkszählungsurteil von 1983 erstmals eine Wechselbeziehung festgestellt, dass man sich einerseits frei auf einer Demonstration bewegt und andererseits einer anonymen Datensammlung ausgesetzt ist. "Der Einschüchterungseffekt muss vermieden werden, damit die demokratische Freiheit gewahrt bleibt."

Ungeschickt sei das Mitführen von Kameras auch aus einem ganz anderen Grund, gibt Verwaltungsrichter Graulich zu bedenken: "Das ist rechtspolitisch natürlich schwierig, wenn man ausgerechnet eine Gruppe von Leuten damit konfrontiert, die sensibel wegen ihrer Daten sind."

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(Ulrike Heitmüller) / (vbr)