Sachsen-Anhalts Justizministerin zweifelt am Nutzen der Vorratsdatenspeicherung

Angela Kolb, Leiterin des Justizressorts in Sachsen-Anhalt, sieht die verdachtsunabhängige Protokollierung der Nutzerspuren als Anfang einer Spirale von immer mehr Forderungen der Sicherheitsbehörden.

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Die sachsen-anhaltinische Justizministerin Angela Kolb hat die fortwährende Aufrüstung der Kompetenzen der Sicherheitsbehörden zur Bekämpfung von Terrorismus und anderen Straftaten kritisiert. "Ich bin kein Verfechter der Vorratsdatenspeicherung", wandte sich die SPD-Politikerin etwa gegen die vor einem Jahr vom Bundestag beschlossene verdachtsunabhängige Protokollierung der Nutzerspuren. "Ich habe Zweifel, ob auch nur eine Straftat des internationalen Terrorismus damit zu verhindern ist", begründete die Rechtsexpertin ihre Haltung auf dem Vorbereitungsgipfel für das Internet Governance Forum (IGF) der UN in Berlin am Dienstag. Man müsse realistisch sein, gerade was die Strafverfolgungsbehörden angehe. Diese hätten kaum Personal, um die sechs Monate aufbewahrten Verbindungs- und Standortdaten auszuwerten. Somit entstünden letztlich "nur Datenfriedhöfe".

Die Logik der Vorratsdatenspeicherung führt laut Kolb in eine Spirale, "wo es immer den Ruf nach Mehr gibt". Sie habe daher die Hoffnung, "dass uns Karlsruhe sagt, was rechtlich zulässig ist", sagte sie in Bezug auf die laufenden Klagen gegen die sechsmonatige Aufbewahrung der Verkehrsdaten beim Bundesverfassungsgericht. Den Gesetzgebern legte sie zudem ans Herz, vor dem Beschluss neuer Sicherheitsgesetze zuerst die bereits ergangenen einschlägigen Entscheidungen der Wahrer des Grundgesetzes zu lesen. Sie sei daher auch gespannt, wie die Karlsruher Richter die Novelle des Gesetzes für das Bundeskriminalamt einschließlich heimlicher Online-Durchsuchungen sehen. Das umkämpfte Vorhaben will der Bundestag am Mittwoch verabschieden. Der frühere Bundesinnenminister Gerhart Baum (FDP) und die Grünen haben bereits angekündigt, dagegen Verfassungsbeschwerde einzulegen.

Im Kampf gegen besondere Kriminalitätsherde im Internet wie die Kinderpornographie hielt Kolb Vereinbarungen der Internetwirtschaft oder der Finanzdienstleister für sinnvoller, "bestimmte Praktiken nicht zu akzeptieren". Helfe das nicht, liebäugelte die Leiterin des Justizressorts in Magdeburg mit Websperren. Das Recht des Nutzers, wirklich jede einzelne Webseite aufzurufen, dürfe jedenfalls nicht höher angesiedelt werden als der "Schutz des Bürgers". Generell gab sie die Losung aus, sich auf die Werte des Grundgesetzes zu besinnen und diese im digitalen Raum umzusetzen. In die internationale Diskussion auf dem IGF im Dezember im indischen Hyderabad könne Deutschland etwa das Recht auf informationelle Selbstbestimmung einbringen.

Der Bundesdatenschutzbeauftragte Peter Schaar warnte ebenfalls vor einem Rüstungswettlauf bei der inneren Sicherheit. Die Forderung des britischen Innenministeriums, nach den Verkehrsdaten auch die Kommunikationsinhalte im Internet von den Providern speichern zu lassen, bezeichnete er als letztlich konsequenten Gedankengang der Überwacher. Um die Daten noch irgendwie zeitnah zumindest teilweise auswerten zu können, müssten sie auch auf einem zentralen Server stehen. Die Frage sei nur, wie man aus dem an den Kalten Krieg erinnernden Überwachungswettbewerb wieder herauskomme. Dazu müsste es die Politik ein Stück weit in Kauf nehmen, dass es unbeobachtete Räume im Internet gebe, solange kein konkreter Verdacht gegen einzelne Nutzer bestehe. Auch Schaar setzte seine Hoffnung zur Stützung dieses Gedankengangs auf das Bundesverfassungsgericht.

"Ich habe Angst davor, dass immer mehr Leute immer mehr Daten über mich speichern müssen", schloss sich Hans Peter Dittler von der deutschen Abteilung der Internet Society (ISOC) den Bedenkenträgern an. Die Sammelwut vergrößere die Wahrscheinlichkeit, dass irgendwo mal etwas schief geht oder sich jemand unrechtmäßig verhält. Zugleich steige mit dem Web 2.0 und seinen Blogs oder sozialen Netzwerken die Möglichkeit, persönliche Informationen von sich selbst preiszugeben.

Im Mitmachnetz würden die Nutzer zumindest bei größeren Anbietern von Kommunikationsplattformen und Netzgemeinden aber verstärkt auch selbst eine Kontrollfunktion ausüben, warnte Philipp Weidenhiller, Geschäftsführer des Schülerportals spickmich.de, vor überzogenen Sorgen. Wenn ein Betreiber Daten missbrauche, verbreite sich das rasant über die ganze Seite und führe zu massiven Protesten. Die meisten Community-Anbieter böten zudem sehr präzise Möglichkeiten für Voreinstellungen zum Schutz der Privatsphäre. So könne man etwa festlegen, wer Bilder auf einer Profilseite aufrufen dürfe. Derlei Präferenzbestimmungen müssten von Anfang an aber auch datenschutzfreundlich eingestellt sein, sah Schaar hier auch die Provider in der Pflicht.

Zu den Auseinandersetzungen um die Terrorismus-Bekämpfung, die erweiterte Anti-Terror-Gesetzgebung, die Anti-Terror-Datei sowie die Online-Durchsuchung siehe auch:

(Stefan Krempl) / (pmz)