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Neue Internetpolitik De Maizière trifft Schäubles Feinde

Überwachen, sperren, Daten sammeln: Noch jede Bundesregierung hat sich den Zorn von Internetaktivisten zugezogen. Doch der neue Innenminister de Maizière denkt um. Er traf Datenschützer, Behörden- und Verbandsvertreter zu einem Gipfel - und lud die schärfsten Kritiker seines Vorgängers Schäuble ein.
Innenminister Thomas de Maizière: Dialog mit der "Internetgemeinde"

Innenminister Thomas de Maizière: Dialog mit der "Internetgemeinde"

Foto: GEORGES GOBET/ AFP

Es ist etwas Unerhörtes geschehen am Montag in Berlin: Innenminister Thomas de Maizière (CDU) saß an einem Tisch mit Leuten, die bislang als erbitterte Gegner der Politik seines Hauses gelten. Mit Patrick Breyer vom Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung  zum Beispiel. Mit Andy Müller-Maguhn, Sprecher des Chaos Computer Club  (CCC). Und mit Markus Beckedahl, Gründer des Blogs Netzpolitik.org .

Lauter Leute, die in den vergangenen Jahren gegen viele Projekte gleich mehrerer Bundesregierungen Sturm gelaufen sind: die Vorratsdatenspeicherung, die Online-Durchsuchung, den biometrischen Pass, die Gesundheitskarte - und zuletzt gegen Ursula von der Leyens Zugangserschwerungsgesetz gegen Kinderpornografie im Netz, das inzwischen auf Eis gelegt ist.

"Man muss anerkennen, dass sich der Minister der Diskussion stellt", sagte Andy Müller Maguhn, Netzpolitik-Aktivist der ersten Stunde, zu SPIEGEL ONLINE. Patrick Breyer vom AK Vorratsdatenspeicherung lobte: "Der Minister hat verstanden, dass sich das Vertrauen der Netzgemeinde nur durch ihre frühzeitige Einbindung in Überlegungen der Politik und durch tatsächliches Aufgreifen unserer inhaltlichen Forderungen gewinnen lässt."

So viel Harmonie war nie zwischen den digitalen Einheimischen und dem obersten Wächter über die innere Sicherheit - auch wenn die Netz-Aktivisten nach der Veranstaltung übereinstimmend sagten, man müsse abwarten, was aus den Vorschlägen und der Diskussion werde.

Verhältnis "eher zerrüttet"

An dem Treffen  nahmen auch Verbraucherschützer teil, außerdem der Bundesdatenschutzbeauftragte Peter Schaar, Universitätsjuristen und diverse Behörden- und Verbandsvertreter. Das ist ein Novum.

Das Verhältnis zwischen der "Internetgemeinde" und dem Staat sei derzeit "eher zerrüttet", bekannte de Maizière zu Beginn freimütig. Man wolle versuchen, das zu ändern. Dann hörte er fast drei Stunden lang zu. Noch drei weitere derartige Runden soll es in diesem Jahr geben, unter anderem zu Internetkriminalität und Online-Inhalten. Die Enquete-Kommission des Bundestags zu diesen und ähnlichen Themen, die 2010 ihre Arbeit aufnehmen soll, sei sicher eine gute Sache, ließ de Maizière durchblicken. Aber er wolle mit dem Thema Netzpolitik nicht warten, bis sie ihren Bericht vorlege - denn das werde erwartungsgemäß dauern.

Bei der ersten Runde zum Thema "Datenschutz und Datensicherheit" zeigten sich vor allem drei Dinge:

  • Konkrete, pragmatische Forderungen kamen weniger von Verbandsvertretern als von den Netzpolitik-Aktivisten aus CCC und AK Vorratsdatenspeicherung.
  • An manchen Stellen herrscht erstaunliche Übereinkunft darüber, was sich verbessern ließe - und auch über Bereiche, aus denen sich der Staat weitgehend heraushalten sollte.
  • An einem zentralen Punkt dagegen gibt es fundamentale Meinungsverschiedenheiten zwischen dem Juristen de Maizière und den Netzaktivisten - ein echter datenschutzpolitischer Konsens liegt nach wie vor in weiter Ferne.

Geprägt war das Gespräch von einer unaufgeregten Atmosphäre, was angesichts der teils heftigen Attacken im vergangenen Jahr überraschte. Der eine oder andere Diskutant konnte sich zwar den Hinweis nicht verkneifen, dass der Staat mit seiner Begeisterung fürs Datensammeln nicht gerade Vertrauen erworben habe. Die eigentliche Debatte aber kreiste dann weniger um die Vorratsdatenspeicherung - die derzeit vom Bundesverfassungsgericht geprüft wird - oder um beschlossene Projekte wie den digitalen Personalausweis und die sogenannte De-Mail.

Der Minister wollte konkrete Vorschläge für künftiges politisches Handeln hören. Und die bekam er.

"Datenbrief" für die Bürger?

Die am häufigsten formulierte Forderung: Die Datenschutzbehörden, allen voran der Bundesbeauftrage Schaar, müssten materiell und personell besser ausgestattet werden. In vielen Fällen mangele es nicht an gesetzlichen Regelungen, sondern an deren Durchsetzung, sagte Patrick Breyer vom AK Vorratsdatenspeicherung.

Großer Popularität erfreute sich eine Forderung, die der CCC seit einiger Zeit erhebt: Unternehmen und Behörden müssten dazu gebracht werden, ihre personenbezogenen Datensammlungen den Betroffenen regelmäßig offenzulegen. Der CCC schlägt einen "Datenbrief" vor, der Bürgern zum Beispiel im jährlichen Turnus zukommen könnte. Er soll alles enthalten, was der Staat und vielleicht auch Privatunternehmen über sie wissen.

De Maizière versprach, über das Konzept nachzudenken - wandte aber ein, eine derartig gebündelte Übermittlung könne dazu führen, dass die Daten anfälliger für Missbrauch würden.

Ausführlich wurden Möglichkeiten diskutiert, Datenschutz und -sicherheit durch technische Vorgaben zu verbessern. Ein genereller Datenschutz-TÜV für Hard- oder Software erschien kaum einem in der Runde sinnvoll, geschweige denn machbar. Viel Zustimmung findet dagegen die im Koalitionsvertrag erwähnte Möglichkeit, Angebote nach bestimmten Kriterien zu zertifizieren - also gewissermaßen staatlich sanktioniertes Lob an Anbieter mit besonders missbrauchsicheren Angeboten zu verteilen.

Zentraler Streitpunkt: Ist Datensammeln per se ein Problem?

Einen fundamentalen Gegensatz zwischen Innenminister und Netzpolitik-Aktivisten gibt es aber: Datensammlungen halte er nicht per se für problematisch, sagte de Maizière. Er begründete diese Position juristisch: "Das Grundrechtsproblem entsteht nicht durch die Sammlung, sondern durch den Zugriff." Auch Autokennzeichen machten es schließlich theoretisch möglich, jeden Bürger zu verfolgen. Das sehen Netzpolitik-Aktivisten wie Andy Müller-Maguhn anders.

"Wenn Daten erst einmal vorhanden sind, entstehen auch Begehrlichkeiten und Probleme beim Schutz", sagte der CCC-Sprecher zu SPIEGEL ONLINE. Die jüngere Vergangenheit habe gezeigt, wie oft heikle Daten doch in die Öffentlichkeit geraten oder missbraucht werden. "Wie schwerwiegend solche Datenunfälle sind, hängt letztlich aber davon ab, welche Daten vorliegen."

Auch wenn es noch zentrale Konfliktpunkte gibt - einen Dialog hat der Innenminister wohl tatsächlich in Gang gebracht. AK Vorratsdatenspeicherung  und CCC  nutzten dankbar die Gelegenheit, Positionen und Forderungen gleich noch mal in Arbeitspapieren zusammenzufassen und online zu stellen.

Und auch das Ministerium will die Möglichkeiten des Netzes für den Dialog nutzen. Auf der Plattform E-Konsultation.de  sind Bürger eingeladen, sich an der Debatte über die digitale Zukunft zu beteiligen.

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