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Bericht vom Dialog mit dem Innenminister (21.01.2010) Drucken E-Mail

 Am 18.01.2010 diskutierte Bundesinnenminister de Maizière in Berlin erstmals auch mit Mitgliedern der Bürgerrechtsbewegung über Datenschutz und Datensicherheit im Internet. Patrick Breyer war für den Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung dabei. Hier sein Bericht von der Veranstaltung:

Einleitend sagte der Minister, dass ihm der Dialog mit der Netzgemeinde wichtig sei. Die vorliegende Veranstaltung sei ein Element, um ihr Vertrauen zu gewinnen. Er bedauere, dass die Internetgemeinde - den Begriff "Internetgemeinde" fand er bemerkenswert - einen generellen Verdacht gegenüber dem Staat entwickelt habe.

In meinem späteren Statement habe ich darauf hingewiesen, dass wohl die große Mehrheit von uns keinen generellen Verdacht gegenüber dem Staat als solchem hat, sondern gegenüber seinen Funktionsträgern der letzten Jahre und ihrer Politik. Es geht also um inhaltliche Differenzen und nicht um Atmosphäre. Wir glauben durchaus, dass dem Staat eine wichtige Rolle beim Datenschutz zukommt und finden - anders als die anwesenden Vertreter der Wirtschaft (u.a. BITKOM, XING, eco) meinten -, dass der Staat mehr für den Datenschutz tun muss. Auch wenn das Internet international ist (mit diesem Argument zog die Wirtschaft gegen mehr Datenschutz ins Feld), muss Deutschland bei dem Datenschutz eine Vorreiterrolle übernehmen, bevor das Ausland mitzieht. Wenn der Minister Vertrauen gewinnen will - habe ich weiter gesagt -, muss er die Netzgemeinde erstens schon im Ideenstadium angedachter Vorhaben einbinden. Wenn Dinge wie De-Mail oder elektronischer Personalausweis erst jetzt diskutiert werden, nachdem sie bereits beschlossen sind, kann man kein Vertrauen schaffen. Zweitens muss die Politik, wenn es ihr um unser Vertrauen geht, auch unsere inhaltlichen Forderungen aufgreifen und umsetzen.

De Maizière sagte später, diese Erwartungen seien bei ihm angekommen. Er erwarte von der Netzgemeinde aber umgekehrt auch, dass sie im Dialog mit der Politik in verständlicher Sprache schreibe, sich auf ihre Gesprächspartner einstelle und sich nicht über Politiker als unfähig lustig mache, nur weil sie sich einmal mit einem Begriff vertan haben (Anm.: "Was sind jetzt nochmal Browser?").

Um konkrete Vorschläge zur Verbesserung des Datenschutzes ging es hauptsächlich auf der Veranstaltung.

So stellte Sarah Spieckermann von der Wirtschaftsuniversität Wien drei Thesen auf: Erstens müssten dezentrale Systeme zentralen Systemen vorgezogen werden (ich habe später als Beispiel genannt: USB-Stick bei dem Patienten statt zentraler Speicherung von Gesundheitsdaten). Zweitens müssten Systeme Anonymität schon von ihrem Design her unterstützen. Drittens müssten Systeme ein Verfalldatum persönlicher Daten unterstützen. Alle drei Punkte solle der Gesetzgeber vorschreiben.

De Maizière vertrat vom Grundansatz her die Meinung, das Internet sei gegenüber dem "wirklichen" Leben nichts vollkommen anderes, sondern grundsätzlich sollten online wie offline dieselben Regeln gelten.

Er kündigte an, er werde über die u.a. von Andy Müller-Maguhn (CCC) und Markus Beckedahl (Netzpolitik.org) vorgetragene Forderung nach einem "Datenbrief" nachdenken (jede datenspeichernde Stelle soll danach diejenigen Personen, über die sie Daten speichert, jährlich über die gespeicherten Daten informieren). Der Minister meinte, man müsse dabei mitbedenken, dass man mit einem solchen Datenbrief möglicherweise eine Zusammenführung von Daten erreiche, die nicht erwünscht sei.

Meine persönliche Meinung ist, dass die Grundidee des geltenden Datenschutzgesetzes (einmalige Benachrichtigung von der Tatsache der Datenspeicherung und Auskunft über die gespeicherten Daten auf Anforderung) gut ist. Man wird aber erstens auch eine ungefragte Information über die Dauer der Speicherung der einzelnen Datentypen fordern müssen, damit man datensparsamere Unternehmen herausfinden und wählen kann. Zweitens gibt es gegenwärtig zu viele Ausnahmen von dem Auskunftsanspruch.

De Maizère sagte weiter, aus Sicht der öffentlichen Sicherheit sei nicht die Sammlung von Daten das Problem, sondern der Zugriff darauf. Als Beispiel nannte er Sozialdaten und Kfz-Kennzeichen, die es schon immer gebe und bei denen nur der Zugriff auf die Daten geregelt werden müsse.

Diese Aussage brauche ich nicht weiter zu kommentieren. Dass nur nicht gespeicherte Daten sichere Daten sind, wissen alle von uns.

De Maizière vertrat die Auffassung, Unterlassungs- und Schadensersatzansprüche, die eventuell an Verbraucherzentralen abtretbar sein könnten, entfalteten eine gute Wirkung.

Entschädigungen für Datenpannen und ein Klagerecht für Verbraucherverbände gegen Datenschutzverletzungen haben wir in der Tat in unserem Positionspapier gefordert.

Der Bundesinnenminister erwog ferner, ob eine Beweislastumkehr hilfreich sein könnte. Er meinte damit wohl, dass es nicht Aufgabe der Kunden eines Unternehmens sein kann, diesem ein Verschulden an einer Datenpanne nachzuweisen, bevor Schadensersatz gefordert werden kann.

Der Minister meinte, die Betroffenen seien mit dem Schutz ihrer Daten überfordert. Weder sei es die richtige Lösung dieses Problems, dass der Staat nichts tue, noch dass er alles reguliere. Der richtige Weg sei, wenn der Staat ein freiwilliges Angebot zu sicherer Kommunikation mache, und nichts anderes sei De-Mail.

Unsere grundsätzlichen Einwände gegen De-Mail finden sich in unserem Positionspapier wieder. De-Mail stärkt nicht die Datensicherheit, sondern erhöht die Gefahr von Datenpannen und Missbrauch. Auch wird die vermeintliche Freiwilligkeit faktisch schon bald nicht mehr gegeben sein, je mehr Unternehmen und Behörden eine De-Mail-Adresse verlangen.

Der Bundesinnenminister lehnte den Vorschlag des Verbraucherzentrale Bundesverbands, eine staatliche Marktaufsicht über die Datenverarbeitung einzuführen, ab. Er stellte die Frage, ob es sinnvoll sei, eine Produktzulassung einzuführen, also etwa von Microsoft eine Zulassung eines neuen Betriebssystems zu fordern. Diese Option sieht er aber wohl kritisch und hält öffentliche staatliche Warnungen vor unsicheren Produkten für sinnvoller.

Ich habe zu diesem Punkt angemerkt, dass es zwar keiner Vorabzulassung von Hard- und Software bedarf, dass man aber durchaus von kommerziellen Herstellern erwarten kann, dass sie ihre Produkte nicht in einer Einstellung auf dem deutschen Markt verkaufen, in der die Kunden per Default gegen Datenschutzrecht verstoßen (z.B. protokollierende Webserver-Software). Es ist nicht erforderlich, technische Anforderungen staatlicherseits festzulegen, aber die bestehenden Anforderungen des Datenschutzrechts müssen technisch umgesetzt werden (privacy by design).

Der Minister meinte, Datenschutz durch Technik höre sich zwar gut an. Die Geschichte habe aber gezeigt, dass der Staat gescheitert sei, wo er die Gestaltung von Technik habe vorschreiben wollen. Auch die Festschreibung eines Vorrangs dezentraler Lösungen vor zentralen Informationssystemen würde in der Praxis seiner Meinung nach wenig bewirken.

Ferner merkte der Minister an: "Diejenigen, die die Privatsphäre schützen wollen, wollen das Internet nicht nutzen, und die, die es nutzen wollen, wollen nicht geschützt werden."

Diese Meinung halte ich für falsch. Datenschutz ist zwar wie jeder Grundrechtsschutz ein Minderheitenschutz. Auch wenn er nur einer Minderheit wichtig ist, ist aber gerade der Schutz der Daten dieser Personen für unsere gesamte Gesellschaft von großer Bedeutung. Wir profitieren etwa alle davon, wenn vertrauliche Beratung und Aufklärung möglich ist (z.B. kann Pädophilen durch Behandlung und Beratung geholfen und können Kinder geschützt werden) und wenn eine vertrauliche Information der Presse möglich ist (Aufdeckung von Missständen).

Interessant fand ich die Forderung von Sascha Lobo, die Politik müsse weg von einer PR-orientierten Vorgehensweise (Dr. Schäuble habe erklärt, die Internetsperren seien von der CDU lanciert worden, um sich von anderen Parteien abzusetzen) und hin zu einer wissenschaftsorientierten, vernunftsbasierten Politik.

Der Bundesinnenminister merkte zu diesem Vorschlag an, der Traum einer wissenschaftlichen Politik sei von Popper als unfreiheitlich gebrandmarkt worden und sei nicht demokratisch umzusetzen.

In unserer Stellungnahme fordern wir die Schaffung einer Deutschen Grundrechteagentur, die alle bestehenden und geplanten Befugnisse und Programme der Sicherheitsbehörden systematisch und nach wissenschaftlichen Kriterien auf ihre Wirksamkeit, Kosten, schädlichen Nebenwirkungen, auf Alternativen und auf ihre Vereinbarkeit mit unseren Grundrechten untersucht (systematische Evaluierung). Ich halte das durchaus für machbar und auch für demokratisch, weil am Ende die Volksvertreter entscheiden, ob und welche Schlussfolgerungen aus den Ergebnissen der Analyse zu ziehen sind. Die Innenpolitik blockt leider seit jeher alle Forderungen nach einer empirischen Evaluierung ihrer Tätigkeit ab, ob also bestimmte Instrumente überhaupt wirksam sind und welche Auswirkungen sie haben. Daran haben die Behörden kein Interesse, weil eine wissenschaftliche Auswertung sie Befugnisse kosten könnte.

In seinem Abschlussstatement meinte der Minister zum Ergebnis der Veranstaltung, für Gesetze (zum besseren Datenschutz) sei es "vielleicht zu schnell".

Es ist eine Enttäuschung, dass der Minister aus der gesamten Diskussion und den vielen Verbesserungsvorschlägen offenbar keinerlei gesetzliche Konsequenzen ziehen will. Dabei ist der Gesetzgeber dringend gefragt, die Durchsetzung des Datenschutzes zu verbessern und das Datenschutzniveau zu erhöhen, soll es nicht nahezu wöchentlich zu weiteren Persönlichkeitsverletzungen kommen (Markus Beckedahl kündigte an, er werde morgen einen weiteren Fall des Verlusts der Daten von 40.000 Kindern und Jugendlichen bekannt geben).

Abschließend vertrat der Minister die Auffassung, die Internetgesetzgebung solle möglichst im Konsens aller Beteiligten beschlossen werden (er habe schon die Rentengesetzgebung nach diesem Prinzip begleitet :-) . Am Abschluss des Verfahrens stehe aber wie immer die Mehrheitsentscheidung des Bundestags.

Ende März soll die nächste Dialogveranstaltung stattfinden, wobei der Teilnehmerkreis noch nicht festgelegt ist.

Meine zusammenfassende Bewertung ist, dass die Veranstaltung eine gute Gelegenheit war, unsere Positionen dem Minister persönlich deutlich zu machen, wenngleich das aus Zeitgründen natürlich nur in Teilen möglich war (jeder Teilnehmer kam zweimal für vielleicht fünf Minuten zu Wort). Ob die Veranstaltung irgendwelche konkreten Wirkungen entfalten wird, steht in den Sternen. Immerhin können wir in Zukunft auf eine bessere Einbindung und Beteiligung als in der Vergangenheit hoffen. Die Politik nimmt uns jetzt (erzwungen durch unsere Aktionen) ernst, aber um unsere Forderungen durchzusetzen, werden wir weiterhin öffentlichen Druck und Aktionen brauchen.

Weitere Informationen:

 
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