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[Blog] Protokoll der nicht-öffentlichen Anhörung zur Vorratsdatenspeicherung geleakt (10.06.2012) Print E-mail

Ein Kommentar von Patrick Breyer 

+++  EU-Beamter bedauert Nichtigerklärung des Gesetzes zur Vorratsdatenspeicherung durch das Bundesverfassungsgericht  +++  Änderungsvorschlag der EU-Kommission kommt verspätet und beharrt auf verdachtsloser Vorratsspeicherung aller Verbindungsdaten  +++  Innenexperte der Grünen für Umsetzung der Vorratsdatenspeicherung in Deutschland  +++

Das Wortprotokoll der nicht-öffentlichen Anhörung des Innenausschusses des Bundestags zur Vorratsdatenspeicherung am 02.05.2012 ist mir zugespielt worden.

Dr. Reinhard Priebe, Direktor für Innere Sicherheit in der Generaldirektion Inneres der EU-Kommission, war eingeladen, über das EU-Vertragsverletzungsverfahren zur Vorratsdatenspeicherung zu informieren (siehe auch Bundesregierung informiert über Vertragsverletzungsverfahren). Priebe bedauerte die Nichtigerklärung des verfassungswidrigen Gesetzes zur Vorratsdatenspeicherung durch das Bundesverfassungsgericht. Das Gericht habe Deutschland "in den Zustand der Vertragsverletzung ... versetzt". Deutschland verstoße gegen geltendes Recht. Nach Meinung des AK Vorrat ist das Gegenteil der Fall: Eine Umsetzung der Vorratsdatenspeicherung würde gegen geltendes Recht verstoßen (siehe unsere Handreichung). Deshalb ist Deutschland eine Umsetzung untersagt.

Priebe bekräftigte: "Zwangsgelder ... laufen erst ab dem Zeitpunkt, wenn der Gerichtshof entschieden hat." Bis zur Entscheidung des EU-Gerichtshofs über die Klage der EU-Kommission drohen also keine Zwangsgelder. Und auch im Fall einer Verurteilung wäre keine Nachzahlung für die Vergangenheit zu leisten, sondern nur ein Tagesbetrag. Jan Korte von der LINKEN erklärte, die vom Bundesverfassungsgericht gekippte Einführung der Vorratsdatenspeicherung habe die deutsche Wirtschaft "das Zehnfache" der denkbaren Zwangsgelder gekostet. Es ist dementsprechend auch ökonomisch sinnvoller, eine Verurteilung zu riskieren. Auch Herr Dr. Priebe relativierte die Höhe des Zwangsgelds im Vergleich zu dem, was Deutschland ohnehin an die EU zahlt: "Wir haben nichts dagegen, wenn die Nettozahlerposition Deutschlands durch ein Zwangsgeld noch leicht erhöht wird."

Jimmy Schulz (FDP) erklärte, man solle "abwarten, was der EuGH zu der Sache sagt". Der irische High Court hat angekündigt, eine Entscheidung des EU-Gerichtshofs darüber einzuholen, ob die EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung überhaupt mit unseren Grundrechten vereinbar und gültig ist. Priebe erklärte, die Kommission habe keine Zweifel an der Grundrechtskonformität. Ähnlich siegesgewiss war die EU-Kommission im Fall Schecke gewesen, bevor der Europäische Gerichtshof eine EU-Verordnung wegen Verstoßes gegen das Grundrecht auf Datenschutz für nichtig erklärte.

Was den angekündigten Änderungsvorschlag der EU-Kommission angeht, dämpfte Priebe die Erwartungen: Es sei nicht sicher, ob - wie ursprünglich angekündigt - bereits im Sommer ein Änderungsvorschlag vorgelegt werde. FDP-Abgeordnete kritisierten, dass die EU-Kommission Deutschland wegen Umsetzungsverzugs verklage, selbst aber mit dem angekündigten Änderungsvorschlag in Verzug sei. Priebe rechtfertigte dies mit dem Argument, ohne Vorratsdatenspeicherung genössen die deutschen Telekommunikationsunternehmen einen Wettbewerbsvorteil im Vergleich zu den übrigen EU-Unternehmen. Kein Wort dazu, dass sich diese Wettbewerbsverzerrung bereits durch eine Kostenerstattung beseitigen ließe, ohne dass EU-weit zur Totaldatenspeicherung gezwungen werden müsste.

Auch inhaltlich machte Priebe die Haltung seiner Kommissarin Malmström klar: "Es ist nicht zu erwarten, dass die Kommission einen Vorschlag macht, die Richtlinie aufzuheben. Dieser Vorschlag würde keine Mehrheit im Rat finden". Auch eine anlassbezogene Speicherung ("Quick Freeze") werde der neue Vorschlag nicht zulassen. Denn diese hätte im Fall der Morde in Norwegen und Toulouse nicht weiter geführt. In Wahrheit trat das norwegische Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung erst lange nach den Massakern in Kraft (im April 2012) und wurde der französische Täter nicht aufgrund von Vorratsdaten festgenommen. Dies wusste oder sagte im Innenausschuss leider niemand.

Immerhin gab der EU-Direktor zu: "Es gibt keine Statistiken, wie viel mehr Verbrechen begangen worden sind, weil es keine Vorratsdatenspeicherung gibt, oder wie viel mehr nicht verfolgt werden konnten." Das ist nicht die ganze Wahrheit: Nach Zahlen des wissenschaftlichen Dienstes des Bundestags gibt es EU-weit keinen einzigen Staat, in dem die Einführung eines Gesetzes zur Vorratsdatenspeicherung die Zahl der aufgeklärten Straftaten erkennbar erhöht hätte.

Priebe verharmloste die Tragweite einer Totalprotokollierung unserer Kontakte und Bewegungen: "Wenn Sie das vergleichen wollen, es ist so ähnlich wie Autokennzeichen." Zum Unsinn dieses Vergleichs siehe unsere FAQ.

Laut Priebe fordern Großbritannien und Frankreich gar eine Ausweitung der EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung. Der britische Premier will auch die Nutzung sozialer Netzwerke erfassen lassen (obwohl diese schon heute auf Vorrat speichern). Priebe kündigte an, die neue Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung werde "nicht mehr auf der Binnenmarktgrundlage allein" vorgelegt werden. Offenbar will man sich künftig auch auf das Recht der EU zur Regelung der polizeilichen Zusammenarbeit stützen. Allerdings hat die Vorratsdatenspeicherung mit grenzüberschreitender Zusammenarbeit nichts zu tun, weil Vorratsdaten in über 99% der Fälle rein national genutzt werden.

Der SPD-Innenpolitiker Hartmann forderte eine Vorratsdatenspeicherung mit dem Argument, zurzeit stehe die Speicherdauer im Belieben der Telekommunikationsanbieter. Das ist falsch. Zurzeit müssen alle Anbieter betrieblich nicht erforderliche Daten mit Verbindungsende löschen. Weil sie das nicht tun, haben wir sie angezeigt und zu Klagen aufgerufen.

Herr Wiefelspütz (SPD) behauptete, der damalige Bundeskanzler Schröder (SPD) und der damalige Außenminister Fischer (Grüne) hätten die EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung "mit betrieben". Er fragte den EU-Beamten schon einmal, "was passiert, wenn eine nächste Bundesregierung einen Gesetzentwurf in dieser Richtung mit drei Monaten vorlegt und mit einem abgespeckten Datenkranz".

Überraschend plädierte auch der innenpolitische Sprecher der Grünen Wolfgang Wieland für eine Umsetzung der Vorratsdatenspeicherung in Deutschland. Er lehne die Vorratsdatenspeicherung zwar ab, aber "Europäisches Recht ist umzusetzen, da kann es keinen vernünftigen Zweifel geben. Wir sehen keine Umsetzung, das ist die Kritik." Keine Rede vom grundrechtlichen Umsetzungsverbot, der Möglichkeit einer Abweichungsgenehmigung oder vom anstehenden EuGH-Verfahren, das hoffentlich zu einer Nichtigerklärung der Richtlinie führen wird.

Ergänzung vom 11.06.2012:

Wolfgang Wieland schreibt heute in einer Stellungnahme, die Bundesregierung solle sich in Brüssel gegen die EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung einsetzen. In diesem Fall wären Strafzahlungen wegen Nichtumsetzung anders zu beurteilen.

In der ursprünglichen Fassung dieses Beitrags hieß es, das Protokoll sei "uns" zugespielt worden. Gegenüber der ursprünglichen Fassung des Beitrags sind zum Zweck der Klarstellung die Worte "Er lehne die Vorratsdatenspeicherung zwar ab, aber" eingefügt worden.

Das Protokoll

Hier der volle Wortlaut des Protokolls der nicht-öffentlichen Sitzung vom 02.05.2012:

Unterrichtung durch den Leiter der EU-Direktion A (Innere Sicherheit), Dr. Reinhard Priebe, zur Vorratsdatenspeicherung

Stv. Vors. Frank Hofmann (Volkach): Ich rufe den TOP 1 auf und gebe das Wort an Herrn Dr. Priebe. Bei diesem wichtigen TOP bitte ich um vermehrte Aufmerksamkeit. Wir kommen danach möglicherweise in Konflikte und deswegen bitte erst einmal richtig zuhören, um danach die richtigen Fragen stellen zu können.

Dr. Reinhard Priebe (EU Kommission, Direktor Innere Sicherheit): Vielen Dank, Herr Vorsitzender. Meine Damen und Herren, Herr Staatssekretär, ich möchte mich bei Ihnen sehr herzlich bedanken, dass Sie mich eingeladen haben. Für diejenigen, die mich nicht kennen, ich leite in der Generaldirektion Inneres in der EU-Kommission die Abteilung Innere Sicherheit und bin für die Vorratsdatenspeicherungsrichtlinie federführend zuständig. Es war Ihr Wunsch, dass ich mich relativ kurz fasse, so dass wir für die Diskussion noch lange genug Zeit haben. Deswegen nur einige relativ kurze Bemerkungen über etwas, was eine lange und ewige Geschichte ist. Wir sprechen über eine Richtlinie, die 2006 verabschiedet worden ist. Die Umsetzung hätte spätestens in allen Mitgliedstaaten bis 2009 erfolgen sollen. Wir haben nicht nur in Deutschland mit der Umsetzung Probleme gehabt, sondern auch in anderen Mitgliedstaaten. Es gab eine relativ schleppende Umsetzung. Wir haben auch in drei Mitgliedstaaten Entscheidungen der obersten Verfassungsgerichte gehabt: in Deutschland, Rumänien und der Tschechischen Republik. Ich werde noch darauf zurückkommen.

Ich möchte kurz auf den sehr ausführlichen Evaluierungsbericht hinweisen, den die Kommission im April 2011, veröffentlicht hat. Da steht eigentlich alles drin und denjenigen, die sich für dieses Thema im Detail interessieren und die Diskussion sachverständig führen wollen, würde ich diesen Bericht noch einmal empfehlen. Wichtig ist, dass wir in der Evaluierung festgestellt haben, dass die Richtlinie in den einzelnen Mitgliedstaaten außerordentlich unterschiedlich umgesetzt worden ist. Das ist nicht erstaunlich und auch nicht rechtswidrig, weil die Richtlinie, so wie sie 2006 verabschiedet worden ist, viele Dinge nicht regelt und in anderen Dingen, wo sie regelt, den Mitgliedstaaten einen weiten Spielraum belässt. Das heißt, wir sind in einer etwas eigenartigen Situation und eine der Kritiken gegen die gegenwärtige Richtlinie ist, dass so vieles nicht geregelt ist. Das ist eine Kritik, die sehr selten bei uns ankommt. Normalerweise ist die Kritik gegen uns, dass wir uns nicht subsidiär genug verhalten und dass wir zu viel regeln.

Ein anderer Punkt in diesem Zusammenhang, den wir im Evaluierungsbericht auch hervorgehoben haben, ist, dass die Richtlinie vielleicht nicht die absolute Klarheit darüber hat, welchen Anwendungsbereich sie hat, und dass sie vielleicht auch in denjenigen Punkten, die sie regelt, den Mitgliedstaaten einen zu breiten Spielraum belässt.

Ich möchte in Erinnerung rufen, weil das für die Zukunft wichtig ist, dass die Richtlinie von 2006 auf einen Artikel im Vertrag über den Binnenmarkt gestützt ist. Das hat der Gerichtshof gutgeheißen. Alles, was wir an Reformen andenken, würde dem Umstand Rechnung tragen müssen, dass nach dem Lissaboner Vertrag eine andere Rechtsgrundlage für diesen Rechtsakt gewählt werden muss. Das ist nicht unwichtig, weil der Anwendungsbereich dieser Richtlinie als Binnenmarktrichtlinie auch die drei Efta-Länder Norwegen, Island und Liechtenstein einschließt. Im Falle Norwegens hat sich das im letzten Jahr bei dem Breivik-Anschlag als wichtig erwiesen. Wir haben von dem sehr wichtigen Urteil des BVerfG vom März 2010 Kenntnis genommen und nehmen diese Urteile, obwohl sie die EU-Institutionen nicht direkt binden, sehr ernst. Jegliche Überlegung, wie man dieses Instrument weiterentwickelt, wird sicher auch im Lichte dieser Entscheidungen gesehen werden. Aber wir haben auch zur Kenntnis genommen, dass das BVerfG sehr ausdrücklich gesagt hat, dass es an der Richtlinie nichts zu beanstanden hat. Wir haben, wenn ich das präventiv bemerken kann, sehr deutlich unter den vielen Bemerkungen des Gerichts in den Entscheidungsgründen zur Kenntnis genommen, dass ein Satz enthalten ist, der sagt, dass das Model des „Quick Freeze“ keine direkte und korrekte Umsetzung der Richtlinie wäre. Wir haben auch – ich sage das angesichts einer Entscheidung des höchsten Gerichts mit aller Zurückhaltung – mit etwas Bedauern zur Kenntnis genommen, dass das BVerfG in diesem Fall entgegen seiner überwiegenden Praxis das Gesetz mit sofortiger Wirkung aufgehoben hat. Was nichts anderes bedeutet, als dass es die Bundesrepublik Deutschland mit sofortiger Wirkung in den Zustand der Vertragsverletzung gegenüber dem Europäischen Gemeinschaftsrecht versetzt hat. Wir haben knapp zwei Jahre abgewartet, weil es normal ist, dass der deutsche Gesetzgeber nach dieser Aufhebung durch das BVerfG eine gewisse Zeit brauchte, um ein neues Gesetz zu verabschieden. Zwei Jahre zu warten, ist ungefähr die Periode, die das Gericht in anderen Fällen auch als Umsetzungsfrist für den nationalen Gesetzgeber festgelegt hätte. Jetzt allerdings nach diesem mehr als zweijährigen Abwarten sind wir in einer Situation, wo eine Klage vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) wegen der weiteren Nichtumsetzung der Richtlinie unausweichlich geworden ist. Das hat die Kommissarin Cecilia Malmström in letzter Zeit mehrfach gesagt, auch in bilateralen Gesprächen mit mehreren Bundesministern. Wir haben jetzt eine Situation, dass wir zwar eine sehr geringfügige partielle Umsetzung der Richtlinie haben. Aber wenn Sie mich zwingen würden, das prozentual auszudrücken, würde ich sagen, es bewegt sich im Bereich zwischen drei und fünf Prozent. Das Wesentliche der Richtlinie ist nicht umgesetzt worden. Der zweite Punkt ist, dass die Kommission bisher keinerlei konkrete Anhaltspunkte in den letzten Monaten dafür bekommen hat, dass ein Wille der Regierung besteht, ein Gesetz in den Bundestag einzubringen. Mit anderen Worten, dass eine Wahrscheinlichkeit besteht, dass eine Umsetzung der Richtlinie in Kürze erfolgen wird. Ich möchte auch darauf hinweisen, wie wir mit anderen Mitgliedstaaten stehen: Österreich und Schweden sind vom Gerichtshof verurteilt worden, gegen Schweden haben wir ein zweites Verfahren vor dem Gerichtshof vor einem Jahr eingeleitet. Schweden hat uns sein Umsetzungsgesetz vor einem Monat mitgeteilt und Österreich hat inzwischen auch umgesetzt. Rumänien befindet sich ungefähr in derselben Situation wie Deutschland. Auch wegen der Nichtumsetzung in Rumänien wird die Kommission in Kürze ein Verfahren vor dem Gerichtshof einleiten. Im Falle der Tschechischen Republik, wo der Verfassungsgerichtshof das nationale Gesetz auch aufgehoben hat, befinden wir uns in einer anderen Situation, weil die Aufhebung dort erst im letzten Jahr erfolgte. Wir werden aber diesen Mitgliedstaat genauso behandeln wie alle anderen. Das ist die Situation und ich kann Ihnen auch noch nähere Einzelheiten über den weiteren Ablauf geben. Ich bin von Frau Kommissarin Cecilia Malmström beauftragt worden, das hier so deutlich zu sagen: Die Kommission hat aufgrund der Abläufe und der Informationen, die wir in den letzten Monaten bekommen haben, eigentlich keine andere Wahl, als die Sache vor den EuGH zu bringen. Die Wahrscheinlichkeit ist sehr hoch, dass die Kommission auch ein Zwangsgeld gegen die Bundesrepublik Deutschland beantragen wird. Vielen Dank, Herr Vorsitzender.

Abg. Clemens Binninger (Berichterstatter): Herr Dr. Priebe, vielen Dank für die Ausführungen. Ich will nicht in den inhaltlichen Streit eintreten, weil wir den schon zur Genüge geführt haben und uns das heute nicht vom Gegenteil überzeugen wird. Ich habe zwei Fragen an Sie, die bei der Diskussion immer eine Rolle spielen.

Erstens: Wie lange schätzen Sie wird es dauern, auch aufgrund der Erfahrungen, die Sie bei Österreich und Schweden gemacht haben, die verurteilt wurden, bis der EuGH eine Entscheidung fällt, Deutschland zu einer Strafzahlungen zu verteilen? Von welchem Zeitraum gehen Sie da aus?

Zweitens: Es wird immer wieder gemutmaßt, dass die Kommission die Richtlinie ja sowieso überarbeiten und es sich deshalb gar nicht mehr lohnen würde, einen neuen Gesetzentwurf zu machen, der dann zum Zeitpunkt seiner Verabschiedung wieder inaktuell ist. Wie konkret ist dieses Überarbeitungsziel und können Sie etwas dazu sagen, wo überhaupt, bei welchen Inhalten der Richtlinie, eine Überprüfung in Erwägung gezogen wird und ob an dem Kernsatz der Richtlinie, nämlich der Verpflichtung der Unternehmen, dass sie die Daten für einen bestimmten Zeitraum anlasslos speichern sollen, gar nicht gerüttelt wird?

Abg. Michael Hartmann (Wackernheim) (Berichterstatter): Der Kollege Binninger hat mir eine Frage vorweggenommen, nämlich die Frage zur Überarbeitung. Das ist zentral wichtig hier in der Diskussion und wird auch immer wieder als Argument auf der einen wie auch auf der anderen Seite eingeführt. Deshalb, Herr Dr. Priebe, wäre es auch für uns sehr wichtig, zur Frage der Überarbeitung der Richtlinie ein paar klare Aussagen zu erhalten.

Ich möchte aber noch einen weiteren Punkt ansprechen, mit der Bitte, uns zu informieren. Die Diskussion in der Bundesrepublik Deutschland ist eine engagierte und eine breit laufende, auch was den Konflikt zwischen den beiden relevanten Ressorts in dieser Frage anbelangt. Er ist mit Sicherheit auch der EU-Kommission bekannt. Meine Frage: Haben Sie während des Prozesses Ihrerseits versucht, aktiv auf die Bundesregierung zuzugehen? Oder hat umgekehrt die Bundesregierung oder haben einzelne Ressorts aktiv kommuniziert mit Ihnen, um vielleicht einen Prozess herbeizuführen, der nicht zu diesem zentralen Konflikt führt und das, was Sie nachvollziehbarer Weise Deutschland zumuten müssen, unter Umständen hätte vermeiden können?

Meine nächste Frage: Wie wird seitens Ihrer Direktion und in der Kommission insgesamt eingeschätzt, dass sich ausgerechnet ein Land wie die Bundesrepublik Deutschland vor dem Hintergrund des bestehenden Urteils des Verfassungsgerichts, dass Sie richtig wiedergegeben haben, so verhält und so verweigert? Wird das anders bewertet als bei anderen Staaten, oder gilt auch da der juristische Gleichheitsgrundsatz? Zum einen wird das juristisch bestimmt so sein, aber wie wird das politisch gesehen und bewertet?

Im Übrigen ist es auch spannend für die Debatte insgesamt zu sehen, dass ausgerechnet die Justizministerin, deren Aufgabe es eigentlich ist, dafür zu sorgen, dass Recht und Gesetz eingehalten werden, als Chefin einer obersten Bundesbehörde es tatsächlich geschafft hat, den Medien gegenüberzutreten mit der Aussage: Ja, wir verstoßen gerade gegen geltendes Recht, aber das ist alles nicht so schlimm. Eine bemerkenswerte Position ausgerechnet einer Justizministerin, die bei so etwas wie dem Warnschussarrest oder anderen Themen weniger Schwierigkeiten hat, bestimmten Linien zu folgen. Vor dem Hintergrund möchte ich die Bundesregierung, die heute bei diesem Thema erstaunlicherweise nur durch das Innenressort hier im Ausschuss vertreten ist, fragen, was jetzt in dem Stadium, in dem wir uns befinden, getan wird. Lässt man das einfach ungeregelt laufen, oder nimmt man die Zwischenrufe der Kollegen der FDP-Fraktion auf? Sagt man, wir marschieren jetzt in diesen Vertragsverletzungsprozess, wir zahlen die Strafe, aber wir tun weiterhin nichts? Wie verhalten wir uns als wichtiges Land der EU bei diesem Thema? Wenn es um die Gesamtdarstellung unseres Landes geht und dies der Bundeskanzlerin nicht ganz gleichgültig sein könnte, was sagt sie dazu? Hat sie die beiden Ressortminister einmal einbestellt und ihnen den Kopf gewaschen, oder hat sie von ihrer Richtlinienkompetenz Gebrauch gemacht? Will die Bundesregierung, personifiziert durch die Bundeskanzlerin, die Richtlinie umsetzen, nicht umsetzen, irgend etwas anderes umsetzen, oder was soll geschehen und wann?

Abg. Jimmy Schulz (Berichterstatter): Herr Dr. Priebe, vielen Dank für Ihren Bericht. Ich will auch noch einmal auf die Evaluierung zurückkommen. Die war uns schon vor einer ganzen Weile versprochen worden und verzögert sich immer weiter. Vor allem auch die unklare Terminierung, erst war uns die Evaluierung für Ende letzten Jahres versprochen, dann für Juni/Juli, danach September und jetzt möglicherweise Ende des Jahres – auch diese Frist ist abgelaufen. So geht es nicht. Wir wollen eine Lösung finden und die können wir nur finden, wenn wir die Evaluierung vorzuliegen haben, weil wir den Internet-Providern nicht etwas zumuten wollen, von dem wir gar nicht wissen, was es sein wird, wenn wir es umgesetzt haben. Möglicherweise wird man bei der Evaluierung feststellen, dass das ganze Konzept einer Vorratsdatenspeicherung, die anlasslos alle Bürgerinnen und Bürger in Europa beschnüffelt und ausspioniert, vollkommen überflüssig ist. Es mag sein, dass dies das Ergebnis der Evaluierung sein könnte, es wäre jedenfalls ein vernünftiger Beschluss. Ich möchte nicht, dass wir gerade der wichtigen Zukunftsbranche in Deutschland einen solch hohen finanziellen Aufwand auflasten, bevor wir nicht wissen, was die EU hier vorhat. Wir sollten auch noch abwarten, was der EuGH zu der Sache sagt.

Vielleicht ist auch nicht ganz unbekannt, dass eine europäische Bürgerinitiative im Anmarsch ist, die sich gegen die Vorratsdatenspeicherung wenden wird. Auch da sollte man abwarten, was das europäische Volk dazu sagt. Ich glaube, das ist für die Europäische Kommission nicht ganz uninteressant.

Das Vertragsverletzungsverfahren ist nicht das einzige, was wir am Hals haben, es sind 74 oder sogar mehr. Es sind auf jeden Fall relativ viele und das ist eine wichtige Sache. Es gibt aber andere Verfahren, in denen wir schon längst zu Zahlungen verpflichtet sind, z. B. zum VW-Gesetz.

Gibt es einen ganz konkreten Termin für die Evaluierung und können Sie uns heute einen klaren Termin nennen? Das wäre für mich wichtig. Wie schätzen Sie das ein, wie das dann aussehen wird?

Abg. Jan Korte (Berichterstatter): Ich kann es kurz machen, weil der Kollege Jimmy Schulz schon alles Wesentliche gesagt und gefragt hat und ich das teile. Ich finde es schon grotesk, wenn insbesondere Kollege Clemens Binninger und Kollege Michael Hartmann, denen die Vorratsdatenspeicherung gar nicht schnell genug eingeführt werden kann, hier Krokodilstränen über Vertragsverletzungsverfahren vergießen, das ist ein bisschen bizarr. Wir haben gestern vom BMI die Antwort auf unsere Kleine Anfrage zu diesem Thema bekommen. Es laufen im Moment 68 Verfahren gegen die Bundesrepublik Deutschland, Spitzenreiter ist Kollege Peter Ramsauer mit 20 und Kollege Dr. Schäuble mit 13. Übrigens, Herr Kollege Hartmann, es wurden schon ganz viele eingeleitet, als alles noch SPD-geführte Ministerien waren. Dazu haben Sie nichts gesagt. Deswegen ist das relativ bizarr, jetzt darauf herumzureiten. Das zweite Problem ist, Herr Kollege Hartmann, dass sich die SPD darüber gar nicht aufregt, das ist das politische Problem, was wir haben. Sie finden das ganz gut und überholen verbal noch den Kollegen Clemens Binninger. Weil die koalitionsintern einiges zu klären haben, ist jetzt die SPD auf dem Law-and-Order-Kurs, das ist schon bizarr, zumal, wenn man in der Opposition ist.

Meine Frage konkret: Hat die Kommission Erkenntnisse, dass die Nichtumsetzung in den von Ihnen genannten Mitgliedstaaten zu einem empirisch belegbaren Anstieg von Kriminalität, organisierter Kriminalität, terroristischen Aktivitäten etc. geführt hat und gibt es konkrete Zahlen?

Die zweite Frage: Stimmen die Berichte in den Medien, dass die Kommission im August eine überarbeitete Fassung vorlegen will, und was bedeutet das für etwaige Vertragsverletzungsverfahren? Es gibt rechtlich die Möglichkeit zu beantragen, das Ganze auszusetzen, bis solche Entscheidungen geklärt sind.

Die dritte Frage: Der irische High Court hat angekündigt, eine Vorab-Entscheidung beim EuGH herbeiführen zu müssen. Was bedeutet das für die baldige Umsetzung sowohl für die Vertragsverletzungsverfahren als auch für die Überarbeitung und die Evaluierung der Richtlinie? Was bedeutet die Ankündigung des High Court in Irland für diese Fragen?

Meine letzte Anmerkung in Form einer Frage: Es ist interessant, dass bei Vertragsverletzungsverfahren die Bundesregierung nach ihren eigenen Auskünften davon ausgeht, wenn es ganz schlecht laufen würde, dass 32 Mio. Euro pro Jahr anfallen. Die vom BVerfG gekippte Einführung der Vorratsdatenspeicherung hat die deutsche Wirtschaft in dem Bereich bis jetzt das Zehnfache gekostet. Könnten Sie insbesondere als Bundesregierung etwas dazu sagen, wie Sie bei einer erneuten Umsetzung, die Sie anstreben, das mit den Kosten regeln wollen?. Dann sind Sie ja ganz konkret dafür verantwortlich, dass diese Kosten dann logischerweise auf die Verbraucherinnen und Verbraucher umgelegt werden. Das sind die Fragen, die die Fraktion DIE LINKE. interessieren.

Abg. Wolfgang Wieland (Berichterstatter): Herr Vorsitzender, wir sind da relativ gelassen. Wir waren immer Gegner der Vorratsdatenspeicherung und haben in Karlsruhe mit geklagt und haben mit gewonnen mit der Bundesministerin als Klägerin. Ich werde nicht vergessen, wie der Vorsitzende, Prof. Dr. Hans-Jürgen Papier, in der mündlichen Verhandlung sagte, das habe er in seiner langen Karriere bei diesem Gericht noch nie erlebt, dass es niemanden gibt, der einen Gesetzentwurf verteidigt. Es war auf der Regierungsseite niemand da und es war auch von den Regierungsfraktionen niemand da. Herr Jörg Ziercke musste sozusagen für den Gesetzgeber diese Aufgabe alleine übernehmen. Das möchte ich in Richtung des ganzen Diskussionseifers sagen. Da hätte man Sachargumente gut vortragen können, man hat es versäumt.

Frau Kollegin Piltz macht gerne in ihren Zwischenrufen darauf aufmerksam, dass dieser Bundestag mehrfach mit überwältigender Mehrheit beschlossen hat, er will keine Vorratsdatenspeicherung, das wurde mehrfach so beschlossen. Dann hat es die Exekutive, namentlich Dr. Otto Schily, auf dem Weg über Europa, geschafft, dass wir diese Richtlinie haben. Nun besteht da ein Problem. Ich sage, auch als jemand, der die Vorratsdatenspeicherung nicht will, einfach so zu tun, als könne man das bis zum St. Nimmerleinstag aussitzen, so kontroverse Ansichten zu haben wie der Kollege Jimmy Schulz, es gehe um die Ausspähung der europäischen Bevölkerung, oder wie Kollege Clemens Binninger und andere, die sagen, wir brauchen es möglichst sofort und dass wir es nicht haben, ist ein enormer Nachteile bei der Verfolgung schwerster Straftaten, so fundamental nach zwei Jahren noch gegenüberzustehen, das ist ein Armutszeugnis für diese Koalition. Es gibt auch den Vorschlag der Bundesjustizministerin – Quick Freeze und 7 Tage IP-Adressen zu speichern: Hätten sie sich doch wenigstens darauf geeinigt! Sie haben sich auf gar nichts geeinigt und sagen hier mehr oder weniger: Sorry. Vier Jahre lang lebt der Kollege Dr. Hans-Peter Uhl mit einer grässlichen Sicherheitslücke. Sie haben einen Brief geschrieben, wie groß die Sicherheitslücke durch den Wegfall der Vorratsdatenspeicherung ist, und da war das erst ein paar Monate her. Jetzt haben wir zwei Jahre und eine Regierung, die sich damit herausredet, es gibt ja auch andere Vertragsverletzungsverfahren, das ist ja gar nicht so schlimm. Das ist wie ein Angeklagter vor Gericht, der sagt, nun regen sie sich nicht auf, in den Gerichtssälen nebenan werden auch Strafprozesse geführt, ich bin nicht der einzige und habe auch schon 12 Vorstrafen. Das ist wirklich keine Haltung. Das BVerfG hat zur Vorratsdatenspeicherung nicht total nein gesagt. Das hätten wir gerne gehört, es hat es nicht getan. So dass es rechtlich eine Möglichkeit geben muss, auch eine verfassungskonforme Umsetzung dieser Richtlinie zu machen. Sie finden sie nur nicht, Sie finden sie nicht in Ihrer Koalition, liebe Frau Kollegin Piltz.

Die Fragen, die im Wesentlichen schon gestellt und für uns auch wichtig sind: Was wird mit Irland? Gibt es die Möglichkeit, die Entscheidung des EuGH insoweit abzuwarten? Dann die Frage, wenn Sie die Richtlinie überarbeiten, steht überhaupt zu erwarten, dass sich am Kern des Ganzen etwas ändern wird? Nämlich an der Verpflichtung, die Verkehrsdaten auf Vorrat zu speichern. Steht das zur Disposition, oder geht es nur um die Kautelen der Datensicherheit, wie aufbewahrt wird und anderes? Wie viel Revolution ist bei der Umwandlung zu erwarten? Weil uns immer von Seiten der Regierung gesagt wird, da sei Grundstürzendes an Überarbeitung zu erwarten.

Dr. Reinhard Priebe (EU Kommission, Direktor Innere Sicherheit): Zunächst zum Verfahren vor dem Gerichtshof: Ich kann nicht prognostizieren, wie sie das handhaben. Es ist relativ wahrscheinlich, dass die Kommission noch in diesem Monat eine Entscheidung treffen wird, den Gerichtshof zu befassen. Dazu muss die Klage abgefasst werden und dann ist es beim Gerichtshof anhängig. Ob die Erfahrungen mit den Verfahren gegen Österreich, Schweden und Griechenland, wo die Verfahren zwischen 7 und 15 Monate gedauert haben, irgendeinen Hinweis geben, wie lange es diesmal dauern wird, ich zögere, mich da auf Angaben einzulassen. Meines Erachtens kann man daraus weder in die eine noch in die andere Richtung irgendwelche Argumente herleiten, dass ein Hohes Gericht aus Irland das beabsichtigt. Das hören wir schon seit Monaten, ähnlich, wie wir hören, dass das Gesetz in Deutschland umgesetzt wird, es ist beim Gerichtshof noch nicht angekommen. Wir haben Informationen, dass der irische High Court beschlossen hat, vorzulegen, aber die Entscheidung noch nicht abgesetzt hat. Dann ist es aber beim EuGH anhängig. Der Gerichtshof macht normalerweise keine Verbindungen zwischen Vorlageverfahren in der Sache und Verfahren über Vertragsverletzungsverfahren. Wie Sie wissen, ist es in Vertragsverletzungsverfahren ständige Rechtsprechung seit halben Jahrhunderten, dass der Gerichtshof den Inhalt des nicht umgesetzten Aktes nicht überprüft. Darin liegt auch eine Logik, weil Mitgliedstaaten neben anderen ein Recht haben, einen Rechtsakt der EU anzugreifen. Aber die Frist dafür ist seit langem abgelaufen, und kein Mitgliedstaat hat diese Richtlinie angegriffen.

Um noch einmal auf das Zwangsgeld zu kommen: Hier gibt es Richtlinien und Leitlinien, die die Kommission sich selbst im letzten Jahr gesetzt hat. Welche Kriterien man anwendet, hängt auch mit dem Bruttosozialprodukt, der Größe des Mitgliedstaats und der Schwere des Verstoßes zusammen. Erstaunlicherweise sind diese Kriterien sehr ähnlich wie die Kriterien in deutschen Strafgesetzen zur Festlegung von Strafen, wo es auch eine Kombination von Schwere der Tat und Tagessätzen gibt. Es ist klar, dass in der Situation, in der wir uns befinden, niemand überrascht sein wird, dass die Kommission beim Gerichtshof einen Antrag stellen wird, der fühlbar sein sollte und hoffentlich auch dazu führt, dass das Umsetzungsgesetz Deutschlands kommt, bevor der Gerichtshof eine Entscheidung treffen muss. Zwangsgelder nach der bisherigen Rechtsprechung des Gerichtshofs laufen erst ab dem Zeitpunkt, wenn der Gerichtshof entschieden hat.

Heute ist der Gedenktag der Erklärung von Robert Schumann am 9. Mai, wo wir normalerweise frei haben und ich freue mich, dass wir an dem Feiertag, den wir „St. Schumann“ nennen, diese Richtlinie hier verteidigen kann. Wir wundern uns nur etwas. Als altgedienter Kommissionsbeamter sage ich: Die Zahl der anderweitig laufenden Vertragsverletzungen gegen Deutschland als Argument anzuführen, finde ich erstaunlich. In meinen jungen Jahren war ich Praktikant bei der Kommission und wir haben einen Besuch beim EuGH gemacht, da wurde uns berichtet, dass Deutschland der einzige Mitgliedstaat sei, der noch nicht beim Gerichtshof wegen Verstoßes gegen europäisches Gemeinschaftsrecht verklagt worden wäre. Die Verweisung auf andere Vertragsverletzungsverfahren ist bei uns ein Nichtargument. Wir sehen jedes Verfahren gesondert, das wird in unterschiedlichen Abteilungen geführt. Die Kriterien, wann die Kommission ihr Ermessen ausübt, einen Mitgliedstaat zu verklagen, das ist eine Ermessensentscheidung, und die Kriterien dafür, wann die Kommission ein Zwangsgeld beantragt, sind einheitlich. Jeder Mitgliedstaat wird gleich behandelt. Das ist auch hier in diesem konkreten Fall das besondere Problem. Die Kommission kann es sich nicht leisten, nachdem sie erfolgreich mehrere Mitgliedstaaten vor den Gerichtshof gebracht und auch Zwangsgelder beantragt hat, hier einfach die Nichtumsetzung in einem Mitgliedstaat zu ignorieren.

Um auf die Frage von Abg. Michael Hartmann einzugehen: Wir haben es an Vorankündigungen und Warnungen seit mehreren Monaten nicht fehlen lassen. Ich selbst habe mehrere Gespräche sowohl im Justiz- wie auch im Innenministerium geführt. Mein Staatssekretär war vorgestern sowohl im Innen- als auch im Justizministerium bei den Staatssekretären und meine Kommissarin hat kürzlich mit beiden Ministern geredet. Alles was kommt, ist im Bereich des zu Erwartenden. Wir haben sogar den Hinweis, den wir aus den Kreisen der Bundesregierung bekommen haben, dass die erste Begründung der Stellungnahme, der erste Schritt im Vertragsverletzungsverfahren keine Vorwarnung enthält, dass ein Zwangsgeld von der Kommission beantragt werden könnte, zum Anlass genommen, eine zweite begründete Stellungnahme an die Bundesregierung zu richten, damit es völlig klar ist, dass das, was im Vertrag steht, auch passieren kann. Nämlich, dass die Kommission ein Zwangsgeld gegen die Bundesregierung beantragt.

Zu der berechtigten Frage, wann endlich ein Vorschlag der Kommission zu einer Weiterentwicklung der Richtlinie kommt und ob es nicht Sinn macht, darauf zu warten. Es ist richtig, dass wir schon im Evaluierungsbericht im letzten Jahr gesagt haben, dass die Kommission einen Vorschlag vorlegen wird, um die Richtlinie in mehreren Aspekten zu verbessern. Auch deswegen habe ich auf diesen Bericht ausdrücklich hingewiesen. Es ist da sehr klar gesagt, in welchen Bereichen aus unserer Sicht ein Verbesserungsbedarf besteht – bessere Festlegung des Anwendungsbereichs, bessere Datensicherheit, Sicherheitsvorkehrungen. Übrigens auch ein Punkt, der uns aus der Wirtschaft vorgetragen wurde: Muss man nicht zwingend eine Entschädigung der Wirtschaftsunternehmen vorsehen? Das ist ein Punkt, über den die meisten Mitgliedstaaten nicht so sehr begeistert sind. Aber die Wirtschaft fordert das. Im Augenblick ist das in das Benehmen der Mitgliedstaaten gestellt, einige kompensieren, andere tun es nicht. Die Themen, die für eine Verbesserung anstehen würden, sind relativ klar. Warum dauert das so lange?

Wir sprechen über eine mögliche Verbesserung der Richtlinie. Es ist nicht zu erwarten, dass die Kommission einen Vorschlag macht, die Richtlinie aufzuheben. Dieser Vorschlag würde keine Mehrheit im Rat finden, oder deutlicher gesagt, er würde sehr wahrscheinlich mit einer oder maximal zwei Ausnahmen die Einstimmigkeit des Rates dagegen finden. Es geht nur um eine Verbesserung und die Kerncharakteristika dieses Instrumentes, dass man die Telekom-Unternehmen verpflichtet, die Daten, die sie ohnehin für wirtschaftliche Zwecke sammeln, und die sie ohnehin für eine gewisse kurze Zeit speichern, für eine möglicherweise etwas längere Zeit zu speichern und sie Sicherheitsbehörden unter eng umgrenzten Bedingungen zur Verfügung zu stellen. Dieser Kernbereich ist dem Instrument derartig inhärent, dass sich daran nichts ändern wird. Das heißt, es ist ein Charakteristikum dieses Instruments, dass Daten erst einmal anlasslos gespeichert werden. Das heißt nicht, dass auf alle diese Daten zugegriffen wird. Wenn Sie das vergleichen wollen, es ist so ähnlich wie Autokennzeichen.

Warum dauert das so lange? Wir wollten vermeiden, mit einem Vorschlag „in the rush“, hervorzukommen, der von allen Seiten kritisiert werden wird. Deswegen haben wir nach dem sehr ausführlichen, aufgrund einer ausführlichen Konsultation erstellten, Evaluierungsbericht letztes Jahr, noch einmal eine Runde von Konsultationen vorgenommen und haben dabei festgestellt, dass der Teufel im Detail steckt und es viele Schwierigkeiten gibt. Um ein Beispiel zu nennen, vielleicht ist es ein etwas formal juristisches Beispiel: Wir werden einen Reformvorschlag nicht mehr auf der Binnenmarktgrundlage allein vorlegen können. Welche Befugnisse, welche Institutionen im Lissabon-Vertrag wir haben, ist eine Schwierigkeit. Eine andere Schwierigkeit sind Einzelthemen wie Speicherungsdauer, das ist nur ein Thema. Wir haben festgestellt, seitdem der Evaluierungsbericht im Ministerrat vorgestellt wurde, dass die Meinungen der Mitgliedstaaten diametral auseinandergingen. Es gibt zwei Gruppen von Mitgliedstaaten. Es gibt eine Gruppe, das ist die überwältigende Mehrheit im Ministerrat, die der Kommission sehr stark davon abrät, überhaupt einen Vorschlag zu machen. Es gibt eine zweite Gruppe, die sagt, wenn ihr diese Richtlinie modifiziert, dann müssen wir sie verschärfen. Dann müssen wir eine längere Speicherungsdauer vorsehen und den Anwendungsbereich erweitern. Das sind keine kleinen Mitgliedstaaten, das sind größere Mitgliedstaaten wie Frankreich und das Vereinigte Königreich. Dann gibt es einige Wenige, die sagen, wir müssen die Datenschutzdimensionen erweitern. Jeglicher Vorschlag, den die Kommission hier machen wird, wird von beiden Seiten heftig kritisiert werden. Aber es wird auch zu sehr langwierigen Verhandlungen führen. Erstens im Ministerrat, aber auch noch viel länger im Europäischen Parlament. Aus diesem Grund ist die Möglichkeit, das Timing eines Vorschlags der Kommission für eine Änderung der Richtlinie aus unserer Sicht kein Argument, weiterhin die Richtlinie nicht umzusetzen. Hinzufügen muss man, dass der gegenwärtige Zustand so ist, dass die Richtlinie, so wie sie jetzt ist, und das ist einer der Kritikpunkte, so viel Spielraum in den Mitgliedstaaten lässt, dass den verschiedenen Befindlichkeiten in den Mitgliedstaaten – auf der einen Seite Sicherheitsbefindlichkeiten, auf der anderen Seite Datenschutzbefindlichkeiten – sehr weitgehend Rechnung getragen werden kann. Das ist ein Problem, weil dieses Instrument mit seiner uneinheitlichen Anwendung die polizeiliche Zusammenarbeit in Europa weniger fördert als sie es sollte. Das ist die augenblickliche Situation. Ich kann Ihnen keinen Termin nennen. Wir haben früher einmal gesagt, wir werden im Sommer einen Vorschlag vorlegen, aber ich bin nicht sicher, ob das so werden wird. Wir arbeiten daran, aber es ist kein Argument.

In unseren zahlreichen Kontakten mit Berlin haben wir auch immer darauf hingewiesen, dass es doch sehr bedauerlich wäre, wenn Deutschland als der größte Mitgliedstaat sich an dieser Vorbereitungsdiskussion für eine verbesserte Richtlinie so wenig beteiligt. Man kann diese Erwägung noch weiter führen: eine aktive Beteiligung in der Vorbereitungs- und Überlegungsphase, am besten durch eine zweckmäßige Umsetzung der gegenwärtigen Richtlinie, würde wahrscheinlich dazu führen, dass die reformierte Richtlinie noch erheblich besser ist als die jetzige. An der Notwendigkeit eines solchen Instruments aus Sicherheitsgründen besteht aus unserer Sicht kein Zweifel. Das haben wir auch im Evaluierungsbericht gesagt. Es gibt keine Statistiken, wie viel mehr Verbrechen begangen worden sind, weil es keine Vorratsdatenspeicherung gibt, oder wie viel mehr nicht verfolgt werden konnten. Es gibt aus all den Mitgliedstaaten, die die Richtlinie anwenden, sehr konkrete Beispiele, übrigens auch im Zusammenhang mit sehr wichtigen Vorfällen wie den Anschlägen in Toulouse oder dem Breivik-Anschlag in Norwegen, wie dieses Instrument in solchen Situationen effizient benutzt worden wäre. Es passiert praktisch nie, wenn ich das von Experten richtig verstanden habe, dass die Ermittlungen der Telekom-Verbindungen durch die Vorratsdatenspeicherungsinstrumente das alleinige Beweismittel in einer strafrechtlichen Verurteilung sind. Deswegen ist es praktisch unmöglich zu sagen, wenn wir das gehabt hätten, dann hätten wir jemanden verfolgt, hätten wir es nicht gehabt, wäre das unmöglich gewesen. Wir haben in der Kommission lange Beispiellisten, zum Teil vertraulich, weil es sich auf laufende Verfahren bezieht, mit denen die Mitgliedstaaten, die die Richtlinie anwenden, belegen, dass es ein wichtiges Ermittlungsinstrument ist.

Es wurde erwähnt, dass die Kosten für die Wirtschaft vielleicht höher sind als ein eventuelles Zwangsgeld, was der Gerichtshof gegen die Bundesrepublik festsetzt. Ich weiß nicht, ob man diese Ziffern vergleichen kann. Das Geld würde dann ja wohl aus unterschiedlichen Töpfen kommen. Ich halte eine solche Überlegung nicht für sehr gängig. Was aber wichtig ist – und das ist ein Aspekt, der sehr häufig vernachlässigt wird in diesen Diskussionen, wo es um Sicherheit im Datenschutz geht – es gibt noch den dritten Spieler: die Wirtschaft, die davon betroffen ist. Die Wirtschaft will Rechtssicherheit haben. Am liebsten wäre es ihnen, wenn sie keine Telekom Daten liefern müssten. Es ist auf die Dauer ein Binnenmarktproblem, wenn um Deutschland herum alle Telekom-Unternehmen in allen anderen Mitgliedstaaten gezwungen werden, diese Daten vorzuhalten und Kosten dafür aufzuwenden, und nur in Deutschland die Telekom-Unternehmen nicht gezwungen werden. Die Rechtssicherheit sollte auch dazu führen, diese Richtlinie möglichst schnell umzusetzen. Vielen Dank!

PSt Dr. Ole Schröder (BMI): Michael Hartmann hatte mich gefragt, was die Bundesregierung macht. Wir sind mitten im Abstimmungsverfahren. Das BMJ hat jetzt einen Gesetzentwurf vorgelegt, das BMI hat ihn ergänzt, d. h. wir befinden uns im Abstimmungsverfahren. Die Strafandrohung durch die Kommission wird das Ganze noch beschleunigen.

Abg. Dr. Hans-Peter Uhl: Zunächst vielen Dank, Herr Dr. Priebe, für die bestechend klare und logisch zwingende Art der Argumentation und die Behandlung aller Argumente, die bisher immer wieder vorgetragen wurden. Eigentlich sind alle Fragen beantwortet. Es wird eher keine neue Richtlinie geben, weil sich die Lager wechselseitig blockieren. Es wird das Charakteristikum des anlasslosen Speicherns bestehen bleiben, auch wenn es eine neue Richtlinie geben sollte. Wenn der Sachverhalt aber so ist, das es wohl kaum neues Recht geben wird, muss man als deutscher Mitgliedstaat geltendes Recht umsetzen. Dass die Kommission gezwungen ist, aus Gleichbehandlungsgründen auch gegen Deutschland vorzugehen, das wurde auch erklärt. Dass die Kommission wohl noch in diesem Monat den Antrag stellen wird, zum EuGH zu gehen, das wurde auch erklärt. Dass die Kommission ein Zwangsgeld in spürbarer Höhe gegen Deutschland beantragen wird, wurde erklärt. Dass man die Dauer des Verfahrens beim EuGH nicht voraussagen kann, ist logisch. Was mich jetzt noch interessiert: spürbares Zwangsgeld beantragt, Dauer des Verfahrens nicht vorhersehbar. Sie erwarten, dass die Beantragung eines spürbaren Zwangsgeldes den Mitgliedstaat Deutschland dazu bringen wird, noch vor Entscheidung durch den EuGH zu handeln, statt später zahlen zu müssen. Habe ich Sie da richtig verstanden? Heißt das, dass mit dem Beschluss, wohl noch in diesem Monat den EuGH anzurufen und ein Zwangsgeld zu beantragen, sozusagen die Zielgerade des Verfahrens erreicht ist, wo man sich als deutscher Mitgliedstaat entscheiden muss, zahlen oder umsetzen?

Abg. Gerold Reichenbach: Herr Dr. Priebe, ich habe zwei konkrete Nachfragen zu dem was der Bericht voraussichtlich enthalten wird und was nicht. Die erste konkrete Frage: Es heißt, der Vorschlag für eine veränderte Richtlinie wird das „Quick-Freeze“-Verfahren nicht als geeignetes Verfahren beinhalten. Habe ich Sie da richtig verstanden?

Die zweite Frage: Habe ich Sie richtig verstanden, dass zumindest jetzt noch offen ist und die Entscheidung ansteht, dass man entweder die Speicherfristen erhöht oder völlig offen lässt.

Wenn das richtig ist, habe ich an die Bundesregierung zwei Fragen: Beabsichtigt die Bundesregierung, unabhängig von der Dauer des Abstimmungsprozesses, das zu tun, was ich den Medien entnommen habe, was die Kanzlerin als Vorgabe gegeben hat, nämlich eine zügige Umsetzung der bestehenden Richtlinie? Oder ist das Ministerium der Auffassung, dass dies auch eine der Positionen der Kanzlerin ist, die, wie so häufig, alsbald wieder revidiert wird?

Die zweite Frage bezieht sich auf die EU-Kommission. Wird die Bundesregierung sich im Rat einbringen bei der Verhandlung über die neue Richtlinie und in welchem Sinne wird sie sich einbringen? Wird sie etwa dafür eintreten, dass die Speicherfristen nicht mehr festgelegt werden, oder dass sie eher verschärft werden? Wird sie im Rat dafür eintreten, dass das „Quick-Freeze“-Verfahren, obwohl es unter Umständen gar nicht als geeignet vorgesehen wird, dann doch aufgenommen wird, oder falls es in der Alternative steht, dann doch in der Richtlinie enthalten sein soll? Oder wird die Bundesregierung in dieser Richtung nicht vorstellig?

Abg. Manuel Höferlin: Herr Dr. Priebe, vielen Dank für das Kommen, es ist immer eine Freude, wenn ein EU-Beamter hier ist, das ist nicht so oft. Ich habe mich gefragt, warum jemand aus dem Bereich Innere Sicherheit hier ist statt aus dem Bereich Wirtschaft, weil es sich ja um Vollharmonisierung handelt, eigentlich ein Wirtschaftsthema. Ich habe zwei Vorbemerkungen. Sie haben ein wenig Kritik daran geäußert, dass das BVerfG das Gesetz in Deutschland aufgehoben hat. Sie meinten, das wäre ein starker Eingriff gewesen, anstatt zur Änderung der Gesetzeslage selbst eine Frist zu setzen. Ich habe mich etwas gewundert und finde es schade, dass das BVerfG nicht dem EuGH vorgelegt hat. Das wäre besser gewesen, dann hätten wir vielleicht viele Probleme nicht. Ich hoffe, dass der Irish Court das tun wird. Sie haben einleitend gesagt, es gebe eine schleppende Umsetzung der Richtlinie in der EU. Ich frage Sie, warum ist aus Ihrer Sicht die Richtlinie so schleppend europaweit umgesetzt worden?

Die zweite Frage: Halten Sie es für möglich, dass verfassungsrechtliche Probleme in den Mitgliedstaaten durchaus eine Relevanz dazu haben, ob man überhaupt in der Lage ist, in nationales Recht umzusetzen? Oder spielt das für die EU-Kommission aus Ihrer Sicht weniger eine Rolle, ob eine Richtlinie vielleicht verfassungswidrig sein könnte?

Die Evaluation haben Sie Anfang 2011 verschickt. Jetzt ist es12 Monate später und ich habe auf Nachfrage von Ihnen einige Punkte gehört. Sie haben gesagt, das Problem liegt mehr in der Abstimmung. Ich zitiere jetzt mit Ihren Worten: „Ich kann Ihnen keinen Termin nennen, wir arbeiten daran.“ PSt Dr. Ole Schröder hatte im Prinzip die gleiche Formulierung. Wie sehen Sie das Verhältnis dazu, dass vielleicht eine Bundesregierung und die Regierungskoalition mit diesem Satz eine verfassungskonforme Umsetzung einer Richtlinie versucht und Sie sich als gutes Vorbild europaweit mit dem Satz entschuldigen können?

Zum Thema Prüfung haben Sie gesagt, der EuGH würde bei der Feststellung der Vertragsverletzung den Inhalt nicht überprüfen. Wie funktioniert das, wenn es sich um Teilumsetzungen handelt, gerade hinsichtlich der Höhe der Strafzahlungen oder der Zwangsgelder? Ist es nicht vielmehr so, dass da insbesondere der EuGH sehr wohl und sehr intensiv den Inhalt der Richtlinie und im Vergleich dazu auch die Umsetzung überprüfen und dort auch inhaltlich arbeiten muss, und nicht einfach nur ein Feststellungsurteil trifft, ob etwas umgesetzt ist oder nicht. Es kann doch sein, dass es da sehr viel komplizierter ist.

Sie wollten zwar nicht provozieren, Sie haben es aber mit einer Bemerkung geschafft: „So ähnlich wie Autokennzeichen“, haben Sie gesagt. Wenn wir über IP-Adressen sprechen, mag der Vergleich stimmen, bspw. in dem „Quick-Freeze-Plus“ Vorschlag der Bundesjustizministerin gibt es durchaus Sachen, wo dieser Vergleich passen würde. Wenn es allerdings um Positionsdaten geht, wer wann wem eine SMS geschickt hat, ist der Vergleich zum Autokennzeichen mehr als hinkend. Vielleicht können Sie dazu noch eine Anmerkung machen.

Abg. Memet Kiliç: In dieser Diskussion hat mir einiges nicht gefallen, insbesondere bei Dr. Uhl. Wir reden so, als ob diese Richtlinie alleiniger Maßstab für die Bundesrepublik Deutschland wäre. Die Richtlinien sind mit ihrer politischen Zielsetzung für die Mitgliedstaaten verbindlich. Wie die umgesetzt werden obliegt den Mitgliedstaaten. Wenn es um die Grundrechte der Menschen geht, dann können die Mitgliedstaaten ihre hohen Standards bewahren. Das BVerfG hat das in der Vergangenheit oft gesagt, die Mitgliedstaaten sind nicht gezwungen, ihre hohen Standards von Bürgerrechten und Grundrechten zu senken, weil irgendwo eine Richtlinie steht. Was das BVerfG am 2. März 2010 gemacht hat, müsste auch für Sie interessant sein. Herr Dr. Priebe, wenn ich Sie richtig verstanden habe, haben Sie es auch bedauert, dass das BVerfG mit sofortiger Wirkung das Gesetz gekippt hat. Das sollten Sie nicht bedauern. Es ist sogar richtig, weil das BVerfG in einem Eilverfahren festgestellt hat, dass mehr als 70.000 Menschen sich beschwert haben, dass ihre Grundrechte von einem Gesetz malträtiert werden. Das BVerfG hat festgestellt, wer so ein schlechtes Gesetz auf den Tisch legt, ist auch nicht in der Lage, das in einer bestimmten Frist zu verbessern. Deshalb wurde es gekippt. Die Bundesregierung hatte mehr als zwei Jahre und zwei Monate Zeit, im engen Rahmen dieser Entscheidung einen Gesetzentwurf auf den Tisch zu legen, sie hat es nicht geschafft. Das BVerfG hat auch die Rahmenbedingungen beschrieben, was ein passendes Gesetz für unser GG sein könnte. Die Regierung ist trotzdem nicht in der Lage das zu schaffen. Daher sollte man es nicht bedauern, sondern sagen, die Bundesverfassungsrichter haben damals eine sehr weise Entscheidung getroffen. Die haben vielleicht geahnt, dass diese Regierung niemals in der Lage sein wird, einen grundgesetzkonformen Gesetzentwurf vorzulegen. Das ist die Wahrheit.

Abg. Dr. Dieter Wiefelspütz: Herr Dr. Priebe, ich danke Ihnen sehr, dass Sie hier Klartext gesprochen haben. Sie haben das sehr höflich gemacht. Ich will eine Frage an Sie richten, aber zunächst noch darauf hinweisen, Herr Dr. Priebe, man kann mit guten Gründen auch gegen die Vorratsdatenspeicherung sein. Wir haben in Europa und insbesondere in Deutschland eine sehr qualifizierte Diskussion dazu. Man kann mit guten Gründen auch gegen die Vorratsdatenspeicherung sein und das ist meine feste Überzeugung als jemand, der ein Anhänger der Vorratsdatenspeicherung ist.

Was man nicht machen kann – und hier bringe ich meine Betroffenheit als Parlamentarier zum Ausdruck – ist, mit Willen und Vorsatz Recht zu brechen gegenüber Europa. Die Richtlinie ist Europarecht und das zu bagatellisieren, macht mich vor dem Hintergrund der Qualitäten unseres Verfassungsstaates Deutschland betroffen. Das ist peinlich, was Sie gegenüber Europa dazu abgeben. Die Vorratsdatenspeicherung kann man ablehnen, aber was man nicht ablehnen kann als deutsche Bundesregierung und als Deutscher Bundestag, ist Recht und Gesetz. Recht und Gesetz ist auch etwas anderes als Law-and-Order. Recht und Gesetz ist die Grundlage unserer Zivilisation und auch die Grundlage europäischen Denkens. Dass das hier bagatellisiert wird als eine Petitesse, das finde ich hochpeinlich. Strafverschärfend kommt hinzu, dass diese Richtlinie unter dem maßgeblichen Einfluss Deutschlands entstanden ist. Das ist nichts anders als die Wahrheit. Die rot-grüne Bundesregierung, Herr Schröder und Herr Fischer, hat vor Jahren diesen Prozess mit betrieben. Ich erinnere mich sehr gut daran. Dass eine Justizministerin der Bundesrepublik Deutschland, dieses Verfassungsstaates, der weltweit seinesgleichen nicht kennt, mit Vorsatz Recht und Gesetz bricht, das macht mich fassungslos. Es ist ein unglaublicher Vorgang. Gerade weil ich respektiere, dass man gegen die Vorratsdatenspeicherung sein kann. Aber bitte nicht auf diesem Wege und nicht in Gestalt der Bundesregierung. Insoweit bedanke ich mich bei Ihnen für Ihre klaren Aussagen, weil auch in diesem Raum sehr häufig sehr Unterschiedliches und zum Teil vorsätzlich Irreführendes gesagt worden ist über die Haltung der Europäischen Kommission in dieser Angelegenheit.

Ich will einen zweiten Punkt ansprechen und zu einer Frage überleiten. Herr Dr. Priebe, ich sage Ihnen und das ist meine persönliche Auffassung, die Richtlinie ist ein paar Jahre alt und ich halte sie, als jemand, der Vorratsdatenspeicherung in einem gewissen Umfang für notwendig hält, nicht mehr für „State of the Art“. Ich finde es völlig überzogen, Speicherfristen anzuheben. Ich glaube, dass die Mindeststandards der Richtlinie, so wie sie jetzt vorliegt, eingeschmolzen werden könnten, ohne dass die Substanz dessen, was notwendig und sinnvoll ist in Sachen Vorratsdatenspeicherung, in Frage gestellt würde. Ich bin für drei Monate und für einen eingeschränkten Datenkranz. Das ist meine persönliche Auffassung. Wenn das nicht sehr realistisch ist, was andere Staaten angeht, mag das daran liegen, Herr Dr. Schröder, dass das große und wichtige Deutschland sich im Ministerrat in dieser Sache völlig ohne Handlungsfähigkeit darstellt, d. h. wir könnten viel mehr Einfluss nehmen auf Veränderungen, wenn wir eine klare Haltung an dieser Stelle hätten. Herr Dr. Priebe, ich glaube, dass wir bis zur nächsten Bundestagswahl aus Deutschland nicht liefern werden. Die nächste Bundesregierung wird vor der schwierigen Frage stehen: Wie machen wir das verfassungskonform. Wir haben das außerordentlich wichtige, anspruchsvolle, aber aus meiner Sicht richtige Urteil des BVerfG, das selbstverständlich eine verfassungskonforme Verabschiedung von Vorratsdatenspeicherung in Deutschland ermöglicht. Wenn man das übersieht, hat man das Urteil nie gelesen. Herr Kollege, ich weiß nicht, warum Sie sich zu dieser Frage äußern, wenn Sie das Urteil nicht gelesen haben. Die Frage ist, Herr Dr. Priebe, was passiert, wenn eine nächste Bundesregierung einen Gesetzentwurf in dieser Richtung mit drei Monaten vorlegt und mit einem abgespeckten Datenkranz. Was passiert dann? Haben Sie dazu eine Einschätzung, ist das möglich, oder ist das eine völlig absurde Idee?

Abg. Gisela Piltz: Danke, Herr Dr. Priebe, dass Sie heute gekommen sind. Ich halte es auch für klug, dass man Gespräche führt und insbesondere darauf hinweist, dass es so ist, dass wir uns um eine Lösung bemühen, die nicht einfach ist. Ich finde es interessant, was wir insbesondere von den Kollegen der SPD und von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hören. Herr Dr. Wiefelspütz, von Ihnen sind wir es gewohnt, dass wir in fünf Minuten 10 Pirouetten erleben, um am Ende zu sagen: Was will er eigentlich? Ich möchte darauf hinweisen, dass im grün-roten Koalitionsvertrag von Baden-Württemberg steht: Wir werden die Vorratsdatenspeicherung umsetzen. Ich finde es interessant, Herr Wolfgang Wieland, wir haben beide geklagt und haben beide erlebt, dass niemand dieses Gesetz verteidigt hat. So gesehen finden wir es spannend, wenn die SPD sagt, das muss jetzt alles gehen. Ich habe von Ihnen damals nichts gehört. Sie wussten, Sie würden verlieren, das war Ihnen dann peinlich. Herr Kollege Wolfgang Wieland hat auch auf die Geschichte hingewiesen. Dieser Bundestag hat mehrfach beschlossen, dass er das nicht möchte. Ihre Justizministerin ist es gewesen, die das in Brüssel anders umgesetzt hat. Da muss man sich fragen, wer werfe den ersten Stein. Egal was wir tun, wenn wir nichts tun, werden wir von den Grünen kritisiert, wenn wir etwas täten und etwas vorlegen würden, würden sie uns genauso kritisieren. Wenn wir darauf hinweisen, dass es 74 Vertragsverletzungsverfahren gibt – und niemand hier sagt, dass es klug ist, Vertragsverletzungsverfahren insbesondere in dieser Höhe zu ertragen, das ist nicht richtig. Aber was schon interessieren kann, das ist der Gerichtssaal. Es gibt viele Gerichtssäle schmucklos und ohne Öffentlichkeit, das interessiert keinen, in manchen sitzen Verteidiger als Opposition und Regierung zusammen und hoffen, dass jeder vorbei geht und nicht sieht, welche Verhandlung heute ist, z. B. zum VW-Gesetz. Dann kommt es noch darauf an, wo man herkommt. Da gibt es aber einen Gerichtssaal, der ist hell erleuchtet mit einer Werbung vor der Tür: Hier verhandeln wir die Vorratsdatenspeicherung, roter Teppich, großes Medienaufgebot. Das ist interessant, dass man das hier völlig anders betrachtet als alle anderen Verfahren. Deshalb meine Frage auch Sie, Herr Dr. Priebe. Ich kann mich erinnern, dass die zuständige Kommissarin gesagt hat, Deutschland hat bis Mitternacht Zeit, das umzusetzen. Das fand ich interessant, denn ich kann mich nicht erinnern, dass irgendein Kommissar das bei irgendeinem anderen Verfahren so gesagt hätte. Ich finde es auch interessant, warum das dann in der Kommission so entschieden und umgesetzt wird. Das ist ein schwieriges Thema, das ist klar. Die Evaluierung dauert bei Ihnen länger, schade, dass man Ihnen keine Frist setzen kann, sondern Sie nur uns.

Eine letzte Frage und dabei geht es um die Wirtschaft. Sie haben gesagt, das wäre schwierig, dass wir hier, dadurch dass man nicht speichern muss, die Wirtschaft entlasten. Das habe ich nicht verstanden. Es hat ja auch seine Vorteile, wenn man im Moment nichts investieren muss und damit Geld sparen könnte. Es ist auch so, dass die deutsche Wirtschaft sich an die Kommission gewandt hat wegen der zu befürchtenden Fehlinvestition. Wie weit spielt das bei Ihnen in der Kommission ein Rolle? Sie sind für die Innere Sicherheit zuständig. Inwieweit finden Konsultationen mit der Wirtschaft statt? Spielt das auch in anderen Ländern der EU eine Rolle?

Dr. Reinhard Priebe (EU Kommission, Direktor Innere Sicherheit): Ich glaube, es ist richtig, wenn einige von Ihnen wahrgenommen haben, dass diese Geschichte neben allen technischen Schwierigkeiten eine politische Dimension errungen hat. Ich spreche nicht von der deutschen Innenpolitik, das hat uns nichts anzugehen. Aber dass in einer so wichtigen Debatte, wo man auch verschiedener Meinung sein kann, das bestreitet niemand, und wo auch niemand bestreitet, dass vielleicht ein gewisser Verbesserungsbedarf da ist – das ist auch ein Bereich, der so viel mit IT zu tun hat, so dass ein Rechtsakt von 2006 schon uralt ist – dass da ein großer Mitgliedstaat relativ abwesend in der Debatte ist, das ist ein Politikum. Wir können nicht einen Mitgliedstaat nach dem anderen vor den Gerichtshof ziehen und dann bei Deutschland sagen: Die haben Schwierigkeiten und deswegen geht das nicht. Wir würden nicht die nächsten Schritte einleiten, so wie wir sie einleiten werden und würden diese Debatte nicht führen, wenn wir den geringsten Zweifel hätten, wenn wir meinten, dass die derzeitige Richtlinie gegen höherrangiges Europarecht verstößt. Nachdem wir jetzt die Grundrechtecharta haben, gibt es auch keinen fundamentalen Unterschied zwischen deutschem Datenschutz und deutschen Grundrechten und der Grundrechtecharta. Wenn wir da den geringsten Zweifel hätten – es kann natürlich immer ein Gericht geben, dass uns Lügen straft –, würden wir Vertragsverletzungsverfahren nicht weiter verfolgen. Übrigens ist das eine Position der Kommission als Ganzes, die wird auch mitgetragen von der für die Grundrechtecharta zuständigen Vizepräsidentin Viviane Reding. Frau Cecilia Malmström entscheidet über Vertragsverletzungsverfahren und Befassung des Gerichtshofs nicht allein, das ist die gesamte Kommission mit den 27 Kommissaren.

Ich möchte vermeiden, dass ich irgendetwas Falsches oder Missverständliches über das BVerfG gesagt habe. Ich war selbst einmal 3 ½ Jahre wissenschaftlicher Mitarbeiter eines Richters und fühle mich deswegen da noch ein bisschen zu Hause. Es ist sehr gut, dass das Urteil vor zwei Jahren das erste Mal schriftlich darüber reflektiert hat, dass eine Vorlage möglich wäre und zu dem Schluss gekommen ist, dass kein Anlass für die Vorlage besteht. Das ist schon ein guter Schritt, dass das BVerfG in Erwägung gezogen hat, dass man vielleicht auch mal nach Luxemburg vorlegen könnte. Es natürlich auch gut, dass das BVerfG in absoluter Eindeutigkeit, es steht im ersten Absatz der Entscheidung, zur Begründetheit sagt, wir haben hinsichtlich der Richtlinie nichts zu sagen. Aus unserer Sicht hätte es sonst sowieso vorlegen müssen. Das heißt, wenn ich das richtig verstehe, ich überlasse es aber den deutschen Grundgesetzexperten, das besser zu interpretieren, dass das BVerfG aus Anlass dieses Verfahrens nicht direkt ein Problem gesehen hat, dass diese Richtlinie deutschen Grundrechtsstandards widersprechen könnte. So legen wir das aus. Was ich gesagt habe, ist ein gewisses Bedauern, dass die Aufhebung mit sofortiger Wirkung erfolgte, weil sie Deutschland als Mitgliedstaat gegenüber der EU in die schwierige Situation versetzt hat, dass die Richtlinie nicht mehr umgesetzt war. Wenn ich mich richtig erinnere, hat ein Richter, der die abweichende Meinung geschrieben hat, Richter Schluckebier, das in seiner abweichenden Meinung auch etwas problematisiert. Das ist alles, was ich zu sagen haben. Natürlich nehmen wir solche Entscheidungen ernst und natürlich blicken wir auf diese Entscheidung. In unserem Evaluierungsbericht gibt es einen langen Absatz über die Entscheidungen der drei Verfassungsgerichte. Wir wären dumm, wenn wir nicht auf dieses Urteil und die beiden anderen Urteile schielen würden, wenn wir die Richtlinie reformieren. Wir wollen keinen Konflikt haben, sondern wir wollen, dass Sie mit Ihren obersten Gerichten bei der Umsetzung keine Schwierigkeiten haben. Es ist machbar und das hat das BVerfG ausdrücklich gesagt. Sie müssen aber auch verstehen, dass die EU-Organe nicht ständig nur auf das BVerfG oder das höchste Gericht eines Mitgliedstaates sehen können. Wir sind an das deutsche GG nicht gebunden, wir sind an die Grundrechtecharta gebunden. Aber das ist aus meiner Sicht kein Problem. In jedem Fall können die Damen und Herren in Karlsruhe stolz sein, welche Publizität dieses Urteil hat, sie haben es auch auf Englisch übersetzt. Ich hatte auch das Vergnügen, das PNR-Abkommen mit den Amerikanern zu verhandeln, und war erstaunt, dass mich die amerikanische Verhandlungsführerin gebeten hatte, das deutsche Urteil zur Vorratsdatenspeicherung und die Auswirkungen auf das PNR-Abkommen mit den Amerikanern der amerikanischen Delegation zu erklären. Die Publizität und die Außenwirkung ist groß genug und wir wissen alle, dass das deutsche Verfassungsgericht einen gewissen Einfluss auf die Verfassungsgerichte in anderen Mitgliedstaaten hat.

Wir denken schon, dass ein laufendes Verfahren, wo die Kommission ein Zwangsgeld beantragt hat, eine gewisse Auswirkung hat. Es hat frühere Verfahren dieser Art gegeben. Eines vor einigen Jahren gegen Frankreich in einem anderen Politikbereich, wo es zum Urteil gekommen ist. Wir haben nichts dagegen, wenn die Nettozahlerposition Deutschlands durch ein Zwangsgeld noch leicht erhöht wird. Aber es nicht unser Ziel. Unser Ziel ist die korrekte Umsetzung der Richtlinien, nicht, noch zusätzliche Haushaltsbeträge aus dem deutschen Haushalt in die EU zu transferieren.

Zur Speicherungsdauer, vielleicht habe ich mich da missverständlich ausgedrückt. Ich wollte nur sagen, dass es einige Mitgliedstaaten gibt, die, wenn sie sich über Speicherungsdauer äußern wollen, eher über eine Verlängerung als über eine Verkürzung reden wollen. Was wichtiger ist: Sie werden auch sehen, im Evaluierungsbericht vom letzten Jahr gibt es ein Schaubild, dass es eine Statistik gibt, in welchen Zeiträumen auf diese Daten zurückgegriffen wurde von den Behörden. Das ist eine völlig neutrale Information. Aber da sieht man schon, dass die Kurve relativ abnimmt, wenn man sieht, was nach sechs Monaten oder nach einem Jahr passiert ist. Die Franzosen haben ein Jahr. Man kann daraus gewisse Thesen herleiten, braucht man die sechs Monate oder nicht. Die gegenwärtige Regelung, wenn sie korrekt umgesetzt wird, verlangt sechs Monate. Es ist schon so, dass Sicherheitsbehörden sehr einheitlich sagen, eine Woche ist zu kurz, aber in den ersten Monaten ist es wichtig. Worauf das hinausläuft, das kann ich nicht sagen. Das ist aber interessant, wenn man das Schaubild ansieht.

Österreich hat sich lange schwer getan und ein hoher Beamter aus Wien hat mir einmal sehr stolz gesagt: Wir haben jetzt umgesetzt und unser Umsetzungsgesetz ist 100 Prozent konform mit dem Urteil des BVerfG. Ich glaube, in das österreichische Gesetz hineinzusehen, wie man intelligent und consumer-friendly und datenschutzfreundlich umsetzen kann, wäre eine ganz gute Empfehlung, wenn noch irgendwelche Inspirationen gebraucht werden.

Zur Wirtschaft: Wir haben den Brief, den Sie Frau Piltz erwähnt haben, natürlich bekommen. Meine Erfahrung ist auch wie in anderen Bereichen, PNR, SWIFT u. ä., die Wirtschaft will in erster Linie Rechtssicherheit haben. Sie will auch, wenn es sich um erhebliche Kosten handelt, nicht darauf sitzen bleiben. Sie würde vermutlich auch am liebsten haben, wenn solche Instrumente gar nicht bestehen. Man kann aber nicht auf Dauer eine solche Verpflichtung dem Telekom-Unternehmen in allen 26 Mitgliedstaaten auferlegen und tolerieren, dass dies dem größten Mitgliedstaat nicht auferlegt wird. Dann wird es auch wieder ein Binnenmarktproblem.

Zur Teilumsetzung: Ich habe schon gesagt, die Teilumsetzung ist im Augenblick minimal. Sie wird in unserem Antrag zum Zwangsgeld, wenn wir ihn stellen und das ist wahrscheinlich, dann mit einfließen, weil der Gerichtshof in früheren Urteilen gesagt hat, eine Teilumsetzung ist ein anderer Fall als eine Gesamtumsetzung. Aber wir sehen die gegenwärtige Teilumsetzung als so minimal an, dass sie fast vernachlässigbar ist. Das „Quick-Freeze“ und das „Quick-Freeze plus“, niemand bestreitet, dass das auch sinnvoll sein kann. Aber es ist nicht ausreichend, weil es nicht erlaubt, hinreichend in die Vergangenheit zurückzugehen. Es gibt viele Beispiele. Ich kann ein oder zwei andeutungsweise nennen. Der Breivik-Anschlag hat sofort dazu geführt, sowohl innerhalb der EU aber auch innerhalb Norwegens, herauszufinden, ob das ein Einzeltäter war, oder ob ein Netzwerk dahinter steckt. Mit anderen Worten, ob damit zu rechnen gewesen wäre, dass sich ähnliche Anschläge wiederholen würden. Auch beim Anschlag in Toulouse, wo sich bekanntlich erst nach einer gewissen Zeit ein weiteres Familienmitglied als potenzieller Mittäter herausstellte, wurde natürlich auf die Vorratsdatenspeicherung zurückgegriffen. Es ist eine theoretische Frage, nun zu fragen, was wäre passiert, wenn man das nicht hätte sein können. Solche Fälle und auch viele andere, nicht zuletzt die rechtsradikalen Fälle in Deutschland zeigen, dass das ein effizientes Ermittlungsinstrument ist.

Abg. Manuel Höferlin: Eine wichtige Frage war unbeantwortet geblieben: Warum die schleppende Umsetzung der EU? Sie haben gesagt, es wird EU-weit so schleppend umgesetzt. Warum?

Dr. Reinhard Priebe (EU Kommission, Direktor Innere Sicherheit): Das war erst einmal eine historische Anmerkung, es wurde schleppend umgesetzt. Inzwischen ist es umgesetzt von allen Mitgliedstaaten mit Ausnahme Deutschlands, Rumäniens und Tschechiens. Nur, in den beiden anderen Fällen, wo es Verfassungsgerichtsurteile gegeben hat, in Tschechien und Rumänien, hat die Regierung bereits das Parlament befasst und der Gesetzgebungsprozess läuft. Es ist ein Instrument, über das man verschiedener Meinung sein kann. Es ist natürlich höchst datenschutzrelevant, es greift in potenzielle persönliche Rechte ein. Dass das umstritten ist und es deswegen für einige Mitgliedstaaten schwierig war, die richtige Umsetzung zu finden, ist klar. Aber das gehört der Vergangenheit an, das ist nicht mehr der Fall.

PSt Dr. Ole Schröder (BMI): Man hat mich gefragt, auf welcher Grundlage wir umsetzen. Selbstverständlich auf der Grundlage der bestehenden Richtlinie. Wir bringen uns natürlich auch in die Diskussion ein. Da gibt es keine Probleme. Weil wir ein sehr detailliertes Urteil des BVerfG haben, das quasi einen Gesetzentwurf darstellt, wie eine solche Richtlinie verfassungskonform umgesetzt werden kann. Genauso bringen wir uns auch auf europäischer Ebene ein. Wir können uns erst dann einbringen, wenn eine mögliche Konkretisierung im JI-Rat diskutiert wird und das ist bisher nicht der Fall. Herr Dr. Priebe hat das angesprochen, weil die meisten Mitgliedstaaten extrem zurückhaltend sind, wenn es überhaupt um eine Veränderung geht. Die wollen bei der bestehenden Richtlinie bleiben. Insofern kann nicht davon gesprochen werden, dass Deutschland sich an einer Debatte über mögliche Veränderungen nicht beteiligt.

Abg. Dr. Franz Josef Jung: Ich möchte Ihnen, Herr Dr. Priebe, noch einmal für die aus meiner Sicht klaren und präzisen Ausführungen danken, auch wenn sie mich als Mitglied der Regierungskoalition teilweise betroffen gemacht haben. Herr Dr. Wiefelspütz, ich bin allerdings etwas optimistischer, was die Frage der Abwendung des Zwangsgeldes betrifft. Deshalb meine Nachfrage: Sie haben einen Vergleich zum Strafrecht gezogen im Hinblick auf die Frage, wie hoch ein derartiges Zwangsgeld sein könnte. Sie haben schon mehrere Verfahren mitverfolgen können. Können Sie Anhaltspunkte geben, wie hoch ein derartiges Zwangsgeld gegebenenfalls in einem solchen Fall gegenüber der Bundesrepublik Deutschland ausfallen könnte?

Abg. Michael Hartmann (Wackernheim): Ich möchte noch einige Anmerkungen machen. Zum einen, Herr Dr. Priebe, ein guter Beamter kann dennoch wertvolle Hinweise geben für die Politik, dass sie in Ihrer Weisheit vielleicht noch besser und klüger wird als sie schon ist. Insofern bin ich Ihnen sehr dankbar, dass Sie sich heute die Zeit nehmen, dieses zentral sehr wichtige Thema mit uns zu diskutieren. Machen wir uns doch bitte alle nichts vor. Es geht auch darum, dass eine Entscheidung für oder gegen die Vorratsdatenspeicherung nicht überall auf ungeteilte Popularität trifft. Aber manchmal ist das dann so, dass Entscheidungen, die nicht auf donnernden Applaus treffen, notwendig sind. Besonders dann, wenn es darum geht, auch rechtstreu zu agieren als entwickelter Staat in der Mitte Europas von dieser Größe, wie das in Deutschland der Fall ist. Die Schwierigkeiten mit der internen Diskussion hat jeder von uns. Die FPD in gewisser Weise auch, denn in Bayern regiert sie z. B. mit, die Grünen in Baden-Württemberg und angesichts der eigenen Vergangenheit innerhalb der rot-grünen Bundesregierung. Auch wir haben eine Gruppe von Netzaktivisten, die bekanntermaßen das Ganze sehr kritisch beleuchten. Auch die Union hat sogar in Person einer CSU-Abgeordneten eine prominente Person, die sich gegen diese ganze Debatte stellt. Das alles hilft uns nicht zu entscheiden. Mittlerweile müssen wir wenigstens folgende drei Fakten akzeptieren: Das Verfassungsgericht hat nicht gesagt, macht das nicht, es ist grundgesetzwidrig. Sondern das Verfassungsgericht hat gesagt, macht es besser als ihr es bisher gemacht habt. Das ist der Auftrag, der uns in diesem Urteil gestellt wird und der nicht umgesetzt wird. Angesichts dieser jammervollen Diskussion muss man tatsächlich sagen: Es ist fast schon egal, was vorgelegt wird seitens der Regierung. Es ist es in Wirklichkeit nicht, aber es wäre wichtig, dass vorgelegt wird. Dieser anhaltende Streit, der sich auch heute fortsetzt, dient niemandem. Bei der ganzen Geschichte finde ich bemerkenswert, wie sehr auch von den Kolleginnen und Kollegen der Linken ausgerechnet die zu hütenden Interessen der gewerblichen Wirtschaft hier ins Spiel gebracht werden. Das ist auch bei einem anderen Antrag zum Thema Visaerleichterungen so, dass da der Ost-Ausschuss der Deutschen Wirtschaft als Kronzeuge bei einem Antrag der Linken eingeführt wird. Ein nennenswerter Paradigmenwechsel. Bei der FDP erstaunt das weniger. Ich möchte in diesem Zusammenhang auf eines hinweisen: Im Moment haben wir durch diese ungeregelte Situation eine Lage, in der alles was die Sicherheitsbehörden brauchen oder nicht brauchen so oder so ins Belieben der Speicherdauer von Wirtschaftsunternehmen gestellt ist. Das ist ein Zustand, der rechtsstaatlich niemand auf Dauer befriedigen kann. Deshalb wäre unsere dringende Bitte, endlich etwas vorzulegen. Das sehe ich nicht, auch gerade nach den Aussagen des Staatssekretärs nicht. Ich weiß, dass er nichts anderes sagen kann. Was sollte er angesichts dieses Streits auch vortragen. Aber das ist für das Ansehen der Bundesrepublik und das Agieren auf der europäischen Bühne und auch für die innenpolitische Diskussion, die ja mal befriedet werden muss, mehr als unbefriedigend. Deshalb glaube ich, dass es alles andere als nur die Frage ist, ist man dafür oder dagegen. Es ist auch die Frage, ob man bereit ist, als Rechtsstaat rechtstreu zu bleiben, auch da, wo es einem nicht passt. Auch da, wo man vielleicht in einer Nachfolge steht, die man sich nicht unbedingt gewünscht hätte. Ich sehe jedenfalls nicht, dass Länder, in denen die FDP mitregiert, in denen die Grünen mitregieren, sich massiv dagegenstemmen. Wir müssen in unserer Gesamtabwägung auch überlegen, dass alle Innenminister, gleich was für ein Parteibuch sie haben, dieses Mittel als ein notwendiges und geeignetes ansehen. Genauso wie die EU-Kommission und auch genauso wie das Verfassungsgericht. Das einfach ignorant auszublenden, ist alles andere als Regierungskunst oder Regierungstechnik, es ist blamabel und peinlich und hilft niemand. Klären Sie endlich die Diskussion intern. Ich versichere Ihnen, wenn da etwas Vernünftiges vorgelegt wird, denn auch bei uns ist das Thema umstritten, werden Sie Mehrheiten in diesem Parlament finden. Auch bei Fraktionen, die nicht der Bundesregierung angehören. Legen Sie endlich einmal vor.

Abg. Wolfgang Wieland: Die Kollegin Gisela Piltz wies darauf hin, an der Stelle war es nicht ganz richtig, dass Gerhard Schröder und Joschka Fischer es gemacht hätten. Das war eine starke Ära und sie hat überall Spuren hinterlassen, bei allen. Aber 2005 war diese Ära zu Ende. Die Richtlinie ist von 2006, die wurde sicherlich von Dr. Schily im ganzen Prozess vorbereitet. Solange wir mit regierten, gab es aber dafür keine Mehrheit. Das zur Zeitschiene. Ich habe nie gesagt, dass wir uns als kleiner Partner gegen die SPD immer durchgesetzt hätten. So war es nicht, deswegen kennen wir die Probleme der FDP sehr genau. Nun kommt ein großes „Aber“. Europäisches Recht ist umzusetzen, da kann es keinen vernünftigen Zweifel geben. Wir sehen keine Umsetzung, das ist die Kritik. Was wir sehen, ist eine Bundesjustizministerin, die sich feiern lässt als Jeanne d´Arc der Bürgerrechte auf FDP-Parteitagen für die Aussage: Ich mache das nicht. Wir sehen eine CDU/CSU, die das offenbar auch sehr munter für wahlkampftauglich hält, zu sagen, wir wollen die Vorratsdatenspeicherung und wir sind die, die schon immer für den Schutz der Bürgerinnen und Bürger waren. Die geniale Arbeitsteilung, die nur dazu führt, dass die Bundesrepublik verklagt wird, die dazu führt, dass wir diesen Zustand haben, dass europäisches Recht nicht umgesetzt wird. Damit sind wir nicht zufrieden und nicht einverstanden mit dieser Art des Aussitzens, die Sie hier an den Tag legen.

Abg. Serkan Tören: Ich habe noch eine Anmerkung und eine Einladung an die SPD-Fraktion. Ich fand die Ausführungen zum Thema Europa hoch spannend und interessant. Ich würde gerne in Wolfsburg bei VW eine Veranstaltung mit dem Betriebsrat organisieren und Sie von der SPD-Fraktion alle dazu einladen. Ich würde gerne wissen, ob Sie dann auch Ihre Ausführungen zu Europa im Zusammenhang mit dem VW-Gesetz wiederholen würden. Das wird sicher auch den Betriebsrat vor Ort interessieren und auch Ihre Positionierung angesichts des Landtagswahlkampfes dort.

Dr. Reinhard Priebe (EU Kommission, Direktor Innere Sicherheit): Zur Frage der Strafzahlungen: Das ist noch ein bisschen früh und Sie werden verstehen, da das die Vorphase eines Gerichtsverfahrens ist, wollen wir da nicht zu konkret sein. Üblicherweise – und ich möchte auch nicht hinter den Schätzungen zurückbleiben, die ich in deutschen Zeitungen gelesen habe – schlägt die Kommission beim ersten Gang zum Gerichtshof ein Zwangsgeld mit einem festen Tagessatz vor, jedoch keinen Pauschalbetrag. Das ist die bisherige Praxis. Das steht nicht im Vertrag, aber das ist die Praxis. Nach den Leitlinien, die wir uns selbst letztes Jahr gesetzt haben – diese Fälle sind nicht so zahlreich und deswegen gibt es da noch nicht so viel Rechtsprechung, vor allem nach den Reformen des Lissaboner Vertrages – wird die Höhe des Tagessatzes aus vier Faktoren berechnet: Erst einmal gibt es da einen relativ geringen Grundbetrag, der ist für alle Mitgliedstaaten gleich. Dann ist die Dauer der Vertragsverletzung ein Kriterium, die in diesem Fall seit dem Datum der letzten Umsetzungsfrist wäre, nicht seit dem Datum der Entscheidung des Gerichts. Dann ein fester Länderfaktor, der sich aus der Größe des Mitgliedstaates berechnet, um das vereinfacht zu sagen aus der Wirtschaftskraft. Da würde Deutschland wahrscheinlich nicht gerade im unteren Bereich liegen. Als vierter Faktor die Schwere der Vertragsverletzung. Das sind die Kriterien. Es gibt da weder nach unten noch nach oben, soweit ich weiß, irgendwelche Begrenzungen. Wenn die Entscheidung in der Kommission getroffen wird, Klage zu erheben, dann würde auch diese Entscheidung, den entsprechenden Antrag zu stellen, mitgetroffen werden. Es wäre wahrscheinlich ein Fall, wo man hinsichtlich der Schwere der Verletzungen es eher als schwer denn als leicht ansehen würde. Das ist ziemlich offensichtlich. Ich will auch nicht verhehlen, dass es zwar viele Vertragsverletzungsverfahren der Kommission gegen Mitgliedstaaten gibt, aber es gibt nicht so viele, wo die „persévérance“, die Nachhaltigkeit der Vertragsverletzung so ausgeprägt ist. Es gibt Präzedenzfälle und Sie können sich gerne mal ein Urteil von vor drei oder vier Jahren des EuGH ansehen über die Nichtkontrolle der Fischerei durch Frankreich. Da hat der Gerichtshof noch nach dem alten System einen Betrag von 57 Mio. Euro pro 6-Monatszeitraum festgesetzt. Das kann man auf Tage umrechnen. Ich will aber keinerlei Anhaltspunkte für irgendwelche Spekulationen über genaue Beträge geben. Es ist auch nicht so wichtig. Es ist wichtig, dass hoffentlich die Umsetzung so schnell wie möglich erfolgt. Am besten bevor wir zum Gerichtshof gehen.

Abg. Dr. Franz Josef Jung: Herr Dr. Priebe, habe ich Sie richtig verstanden, dass die Höhe des Zwangsgeldes das Gericht festsetzt und dass in dem Antrag der Kommission aber noch nicht die Höhe beantragt wird?

Dr. Reinhard Priebe (EU Kommission, Direktor Innere Sicherheit): Doch!

Vors. Wolfgang Bosbach: Herr Dr. Priebe, der Innenausschuss bedankt sich bei Ihnen sehr herzlich. Unabhängig von unserer Haltung zur umstrittenen Frage der Vorratsdatenspeicherung grüßen Sie Europa vom Innenausschuss.

Beitrag von Patrick - Der Beitrag gibt die persönliche Meinung des Autors wieder.

 
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