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Mit Recht: Verfassungsbeschwerde gegen Vorratsdatenspeicherung eingereicht (28.11.2016) Drucken E-Mail

 Digitalcourage, der AK Vorrat und 23 betroffene prominente Verbände, Künstlerinnen, Journalisten, Anwältinnen und Ärzte klagen gegen die Vorratsdatenspeicherung.

Betroffene von Überwachung wehren sich

In einer Pressekonferenz am Montag, 28. November haben Meinhard Starostik, Rolf Gössner, Katharina Nocun, padeluun, Julia Hesse, Peer Heinlein und Patrick Breyer erklärt, warum sie gegen das Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung klagen. Anschließend brachten sie die Beschwerdeschrift und die 32.194 Unterstützungsunterschriften zum Bundesverfassungsgericht.

Unterstützt wird die Klage außerdem von Juli Zeh, Marc-Uwe Kling, ver.di-Chef Frank Bsirske, Friedhelm Hengsbach, Petra Pau, drei Bundesvorständen des Deutschen Journalistenverbands, Michael Kellner, Albrecht Ude, Halina Wawzyniak und Silke Lüder (vollständige Liste). Sie alle werden von der anlasslosen, massenhaften Telefon- und Internetüberwachung betroffen sein, wenn am 1. Juli 2017 die Vorratsdatenspeicherung beginnt.

„Es ist ein Unterschied, ob wir in einem Staat leben, in dem bei Verdacht ermittelt wird, oder in einem, in dem präventiv alle Bürgerinnen und Bürger überwacht werden“, sagt padeluun, Vorstand von Digitalcourage auf der Pressekonferenz. „Wir wollen keine kosmetischen Änderungen an der Vorratsdatenspeicherung, sondern sagen: Das muss weg.“

Das Maß an Überwachung ist längst übervoll

„Unsere Klage ergänzt die bisherigen juristisch erheblich und sinnvoll“, sagt Rechtsanwalt Meinhard Starostik. „Die tatsächlichen Überwachungsmaßnahmen haben so stark zugenommen, dass die Vorratsdatenspeicherung nicht mehr hineinpasst. Die Badewanne ist voll.“

Eine Auflistung aller existierenden Überwachungsgesetze (Überwachungsgesamtrechnung) macht deutlich, dass das Maß für Telefon- und Internetüberwachung längst übervoll ist. Digitalcourage und der AK Vorrat hatten bereits gegen das Vorgängergesetz geklagt. Dieses hat das Bundesverfassungsgericht 2010 für weitgehend verfassungswidrig erklärt. Mehr als 32.000 Menschen in Deutschland unterstützen die erneute Verfassungsbeschwerde mit ihrer Unterschrift.
Den Schutz der Kommunikation von und mit Geheimnisträgern kritisiert Rechtsanwalt Meinhard Starostik als nicht ausreichend:

„Das ist ein Schutz, der keiner ist, und das führt dazu, dass das Verhältnis Anwalt und Mandant, Arzt und Patient, Journalist und Quelle (…) empfindlich gestört wird.“ (Rechtsanwalt Meinhard Starostik)

Hinweisgeber durch Vorratsdatenspeicherung gefährdet

Frank Überall, Bundesvorsitzender des Deutschen Journalisten-Verbands, warnt: „Die Kompetenz der Journalisten zum Quellenschutz hilft gar nicht mehr, wenn Kontaktprofile erstellt werden.“

Katharina Nocun vom Whistleblower-Netzwerk argumentiert: „Unsere Hinweisgeber wollen nicht, dass die Kommunikation protokolliert und aufgezeichnet wird. Sie werden durch die Vorratsdatenspeicherung abgeschreckt und davon abgehalten, sich Hilfe zu suchen.“ Hinweisgeber.innen informieren die Öffentlichkeit beispielsweise über Korruptionsaffären, Betrugsfälle und Steuerhinterziehung. Weil sie oft Mitarbeitende sind, sind sie auf Vertraulichkeit angewiesen, wenn sie Kontakt zu Journalist.innen oder Anwält.innen aufnehmen.

„Jeder von uns kann eines Tages zum Hinweisgeber werden. Deshalb lehnen wir die verdachtsunabhängige Überwachung durch die Vorratsdatenspeicherung ab“, erklärt Katharina Nocun.

Überwachung der gesamten Bevölkerung ab 1. Juli 2017

„Die Vorratsdatenspeicherung ist das erste Überwachunggesetz, das sich gegen die ganze Bevölkerung richtet. Das ist der Dammbruch“, sagt Patrick Breyer von der Piratenfraktion Schleswig-Holstein. „Die Unterscheidung zwischen Inhalts- und Kommunikationsdaten stimmt nicht mehr. Wir wissen heute, nach dem aktuellen Stand der Forschung, dass Metadaten Rückschlüsse zulassen, die mindestens so tiefgreifend wie die Inhalte sind.“

Wer Kund.innen Kommunikations-Dienstleistungen anbietet, kann sich selbst strafbar machen, erklärt Peer Heinlein, Chef von mailbox.org: „Das Gesetz ist handwerklich und juristisch fehlerhaft. Dadurch werden Provider gefährdet, sich strafbar zu machen.“ Julia Hesse von LOAD e.V. sagt: „Auch aus der Tatsache, mit wem ich gesprochen habe, kann sich ein Bild ergeben, das die Grundrechte ad absurdum führt.“ Sie argumentiert: „Wenn Daten erst einmal erhoben wurden, wecken sie auch Begehrlichkeiten.“ Patrick Breyer betont die Bedeutung von Metadaten, deren Erfassung vertrauliche Kommunikation unmöglich macht:

„Bewusste Aussagen können wir kontrollieren, Metadaten sind für uns aber unvermeidbar. Sind sie erst einmal da, können sie verkauft werden oder einen falschen Verdacht seitens der Ermittlungsbehörden hervorrufen. So ein Verdacht kann Existenzen zerstören.“

Grundrechte versus Überwachungsstaat

„Die Internationale Liga für Menschenrechte geht davon aus, dass die Massenspeicherung von Telekommunikationsdaten einen unverhältnismäßigen Eingriff in das Grundrecht der informationellen Selbstbestimmung darstellt und auch in das Menschenrecht auf Privatheit eingreift“ sagt Rolf Gössner, Vorstandsmitglied der Internationalen Liga für Menschenrechte.

„Die Argumente sind objektiv auf unserer Seite, und das Gesetz hat einen Ideologieanteil: Werden wir ein Überwachungsstaat?“, sagt padeluun, Vorstand von Digitalcourage. „Nicht nur die Verfassungsrichter.innen, sondern auch die Politikerinnen und Politiker sollen uns anhören und sich endlich wieder für Demokratie und Rechtsstaat einsetzen.“

Schriftverkehr der Verfassungsbeschwerde

Vollständiger Schriftsatz der Verfassungsbeschwerde (PDF)
Schriftsatz mit ergänzenden Argumenten vom 20.12.2016 (PDF)

Stellungnahme der Bundesdatenschutzbeauftragten

Stellungnahme des rheinland-pfälzischen Landesdatenschutzbeauftragten

Stellungnahme des bayerischen Landesdatenschutzbeauftragten

Stellungnahme der Bundesregierung

Stellungnahme der bayerischen Staatsregierung

Schriftsatz der Beschwerdeführer vom 03.12.2018

Telekommunikation aller Menschen in Deutschland nicht mehr vertraulich

Die Verfassungsbeschwerde richtet sich gegen das Prinzip der Vorratsdatenspeicherung, weil dadurch die Telekommunikation aller Menschen in Deutschland nicht mehr vertraulich ist. Der Tagesablauf von allen Mobilfunknutzer.innen wird genauso vollständig ausgeforscht wie die individuelle Internetnutzung – und auch die Kommunikation mit Berufsgeheimnisträger.innen, etwa mit Ärzten, Rechtsanwält.innen, Geistlichen und Journalist.innen. Die Vorratsdatenspeicherung ist damit ein unverhältnismäßiger Eingriff in die Grundrechte des Telekommunikationsgeheimnisses sowie der Informations- und Pressefreiheit, wobei der tatsächliche Nutzen der Vorratsdatenspeicherung nicht nachgewiesen wurde.

Weiterführende Informationen

Liste mit allen Mitbeschwerdeführenden

  • Dr. Patrick Breyer, Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung, Piratenpartei Schleswig-Holstein
  • Deutscher Journalistenverband e.V
  • Frank Bsirske, Vorsitzender von ver.di, zu der auch die Deutsche Journalistinnen- und Journalisten-Union (dju) gehört
  • Digitalcourage e.V., Bielefeld
  • Dr. Rolf Gössner, Rechtsanwalt und Publizist, Vorstandsmitglied Internationale Liga für Menschenrechte
  • Wolfgang Grebenhof, Bundesvorstand, Deutscher Journalistenverband (DJV)
  • Peer Heinlein, Internetprovider mailbox.org, Berlin
  • Prof. em. Dr. Friedhelm Hengsbach SJ, Ökonom, Jesuit und Sozialethiker
  • Julia Hesse, Rechtsanwältin, LOAD e.V., Berlin
  • Peter Jebsen, Bundesvorstand, Deutscher Journalistenverband (DJV)
  • Michael Kellner, Politischer Bundesgeschäftsführer Bündnis 90/Die Grünen
  • Marc-Uwe Kling, Autor und Kabarettist, Berlin
  • Dr. med. Silke Lüder, stellvertretende Bundesvorsitzende Freie Ärzteschaft e.V.
  • Katharina Nocun, Beirat Whistleblower-Netzwerk, Berlin
  • padeluun, Digitalcourage e.V., Bielefeld
  • Petra Pau, MdB Die Linke, stellvertretende Bundestagspräsidentin
  • Kai-Uwe Steffens, Arbeitskreis gegen Vorratsdatenspeicherung, Petent beim Bundestag
  • Rena Tangens, Digitalcourage e.V., Bielefeld
  • Prof. Dr. Frank Überall, Vorsitzender Bundesvorstand, Deutscher Journalistenverband (DJV)
  • Albrecht Ude, Journalist und Recherchetrainer, Netzwerk Recherche, Berlin
  • Halina Wawzyniak, Rechtsanwältin und MdB, Netz- und Rechtspolitische Sprecherin der Fraktion Die Linke im Bundestag
  • Dr. Juli Zeh, Juristin und Schriftstellerin

Foto: Tom Kohler

Text: Digitalcourage

Zum Fortgang des Verfahrens

Es gibt jetzt auch ein Aktenzeichen: 1 BvR 2683/16

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Aktueller Stand: Das Bundesverfassungsgericht will 2019 über die Verfassungsbeschwerde entscheiden. Ein Termin ist noch nicht bekannt.

 
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