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				 Die im Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung zusammengeschlossenen 
Bürgerrechtler, Datenschützer und Internetnutzer weisen Versuche der SPD 
zurück, eine Vorratsspeicherung von Internetverbindungsdaten mit dem 
Vorgehen gegen Kinderpornografie zu rechtfertigen. Wörtlich heißt es in 
dem heute versandten Schreiben an die Parteivorsitzenden der 
Ampelparteien: 
  
Koalitionsverhandlungen: Aus für die Vorratsdatenspeicherung in Deutschland! 
 Sehr geehrte...,  
       
      gemeinsam mit zehn weiteren Bürgerrechts- und Berufsverbänden
      haben wir kürzlich ein Ende des Gesetzes zur verdachtslosen
      Vorratsspeicherung von Verbindungs-, Standort- und Internetdaten
      gefordert und die Vorratsdatenspeicherung von
      Telekommunikationsdaten in Deutschland als schädlichste
        Altlast der Großen Koalition bezeichnet. 
       
      Da die Befürworter laut Medienberichten insbesondere mit der
      Bekämpfung von Kinderpornografie argumentieren, möchten
      wir Sie gern auf Folgendes hinweisen: 
       
      1. Wie vierzehn Personen aus Zivilgesellschaft, Netzgemeinde,
      Journalismus, Recht und Wissenschaft sowie eines Vereins von
      Missbrauchsopfern schon vor Jahren in einem Offenen Brief
      auseinandergesetzt haben [1], ist eine Vorratsdatenspeicherung
        völlig ungeeignet zum Schutz von Kindern. Das
      Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales
      Strafrecht schreibt wörtlich: "Insbesondere gibt es bislang keinen
      Hinweis dafür, dass durch eine umfängliche Verfolgung aller
      Spuren, die auf das Herunterladen von Kinderpornografie hindeuten,
      sexueller Missbrauch über den Zufall hinaus verhindert werden
      kann." Umgekehrt gilt, dass anonyme Kommunikation Kinder schützt,
      indem sie anonyme Beratung, Selbsthilfe und Anzeigen ermöglicht. 
       
      2. Nach einer Untersuchung des eben bereits erwähnten
      Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales
      Strafrecht erfolgen weniger als 5% der staatlichen
        IP-Auskunftsersuchen wegen eines Verdachts des Austauschs
      kinder- oder jugendpornografischer Darstellungen über das
      Internet. [2] Auch laut polizeilicher Kriminalstatistik 2020
      betreffen nur 5% der polizeilichen Ermittlungen wegen
      Internetdelikten Fälle des Austauschs kinder- oder
      jugendpornografischer Darstellungen im Internet. 
       
      3. Solche Ermittlungen waren schon vor Inkrafttreten einer
      IP-Vorratsdatenspeicherung zum 01.01.2009 überdurchschnittlich
        erfolgreich (Aufklärungsrate 2008: 80%), sogar etwas
      erfolgreicher als nach Inkrafttreten einer
      IP-Vorratsdatenspeicherung am 01.01.2009 (Aufklärungsrate 2009:
      76%). Dies beruht darauf, dass eine Vorratsdatenspeicherung
      Straftäter zum Einsatz von Umgehungsstrategien veranlasst (z.B.
      Postversand von CD-Roms, Internetcafés, offene Netzzugänge,
      Anonymisierungsdienste, unregistrierte Prepaidkarten,
      nicht-elektronische Kommunikationskanäle), so dass ihre
      Kommunikation selbst im Verdachtsfall nicht mehr zu überwachen
      ist. Es ist demnach nicht nachzuweisen, dass eine
      IP-Vorratsdatenspeicherung überhaupt einen statistisch
      signifikanten Beitrag zu der Zahl der aufgeklärten Straftaten
      leistete, nachdem selbst die sechsmonatige
      IP-Vorratsdatenspeicherung im Jahr 2009 die Aufklärungsquote nicht
      gesteigert hat. Im Jahr 2020 wurde die Verbreitung pornografischer
      Schriften laut Kriminalstatistik zu 91,3% aufgeklärt - ohne
        dass eine Pflicht zur IP-Vorratsdatenspeicherung in Kraft ist! 
       
      4. Die Bedeutung einer IP-Vorratsdatenspeicherung wird oft
      verharmlost; auch der EuGH hat sie zuletzt leider nicht mehr
      ausgeschlossen, wenn sie mit der Bekämpfung schwerer Kriminalität
      und der Verhütung schwerer Bedrohungen der öffentlichen Sicherheit
      begründet wird (zuletzt Generalanwalt beim EuGH, 18.11.2021 -
      C-793/19, C-794/19, Abs. 81). Es gilt aber eine politische
      Entscheidung zu treffen. Vorratsdatenspeicherung ist immer ein
      Dammbruch. Eine generelle und undifferenzierte Vorratsspeicherung
      unserer Identität im Internet ermöglicht die Erstellung
        aussagekräftiger Persönlichkeits- und Bewegungsprofile praktisch
        jeden Bürgers in noch höherem Maße als Telefon-Verbindungsdaten: 
      Die Kenntnis der Identität eines Internetnutzers macht in
      Verbindung mit sogenannten "Logfiles" der Diensteanbieter
      potenziell unsere gesamte Internetnutzung nachvollziehbar - nicht
      nur, mit wem wir in Verbindung standen (wie bei
      Telefon-Verbindungsdaten), sondern sogar die Inhalte, für die wir
      uns im Netz interessiert haben (jede unserer Eingaben, jeder
      unserer Klicks, jeder unserer Downloads, jeder unserer
      Beiträge/Posts im Netz). Aus der IP-Adresse lässt sich auch der
      Aufenthaltsort ableiten - nach neuen Forschungsergebnissen sogar,
      ob sich der Nutzer zu Hause, auf der Arbeit oder unterwegs
      befindet. 
      Dies ist vergleichbar, als wenn jedem Bürger auf Schritt und Tritt
      ein Überwacher folgen würde. 
       
      5. Eine generelle und undifferenzierte Vorratsspeicherung unserer
      Identität im Internet hätte unzumutbare Auswirkungen: Sie würde
      das Ende der Anonymität im Internet bedeuten. Sie würde es
      unmöglich machen, das Internet frei vom Risiko staatlicher
      Beobachtung (z.B. auch wegen eines falschen Verdachts),
      missbräuchlicher Offenlegung durch Mitarbeiter des Anbieters und
      versehentlichen Datenverlustes (z.B. T-Mobile-Datenverlust) zu
      nutzen. Dadurch hätte auch eine IP-Vorratsdatenspeicherung
      unzumutbare Folgen, wo Menschen nur im Schutz der Anonymität
      überhaupt bereit sind, sich in einer Notsituation beraten und
      helfen zu lassen (z.B. Opfer und Täter von Gewalt- oder
      Sexualdelikten), ihre Meinung trotz öffentlichen Drucks zu äußern
      oder Missstände bekannt zu machen (Presseinformanten, anonyme
      Strafanzeigen, ausländische Dissidenten). 
       
      6. Eine generelle und undifferenzierte Vorratsspeicherung unserer
      Identität im Internet stünde in keinerlei Verhältnis zu ihrem
        möglichen Nutzen: Schon heute werden Internetdelikte
      überdurchschnittlich häufig aufgeklärt; die Einführung einer
      sechsmonatigen IP-Vorratsdatenspeicherung im Jahr 2009 erhöhte
      diese Aufklärungsquote nicht. Eine flächendeckende
      Vorratsdatenspeicherung droht die Aufklärung von Straftaten
      umgekehrt sogar zu erschweren, weil sie ein verstärktes Ausweichen
      auf Anonymisierungstechniken und andere Kommunikationskanäle nach
      sich zieht und dadurch selbst gezielte, verdachtsabhängige
      Überwachungsmaßnahmen vereitelt, wo sie heute noch möglich sind. 
       
      Verbreitete Irrtümer und Populismen zur IP-Vorratsdatenspeicherung
      haben wir in einer Broschüre richtiggestellt, auf die wir
      ebenfalls hinweisen möchten [3]. 
       
      Wir appellieren abschließend an Sie, in den
      Koalitionsverhandlungen ein klares Bekenntnis zur Aufhebung
        jeder Form der Vorratsdatenspeicherung von
      Telekommunikationsdaten (§113a ff. TKG) in Deutschland zu
      beschließen. 
       
      Für Rückfragen und Expertise stehen wir jederzeit zur Verfügung! 
       
      Mit besten Grüßen 
      Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung 
      Web: http://www.vorratsdatenspeicherung.de
  
       
      [1]
      https://www.daten-speicherung.de/index.php/intelligente-strategien-fuer-ein-sicheres-netz-ip-vorratsdatenspeicherung-stoppen/#kinder 
      [2] BT-Drs. 16/8434, 78, http://dipbt.bundestag.de/dip21/btd/16/084/1608434.pdf. 
      [3]
      http://wiki.vorratsdatenspeicherung.de/images/Populismen-zu-vds-und-ueberwachung.pdf
      (ab Seite 45) 			 |