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Bericht: Aktionen am 29.01.2007 zum Europäischen Datenschutztag in Berlin Drucken E-Mail

 Am 29.01.2007 begleitete der Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung, Ortsgruppe Berlin den Ersten Europäischen Datenschutztag mit Protestaktionen gegen die ausufernde Überwachung. Er war nachmittags an der Gedächtniskirche und abends vor der Landesvertretung Sachsen-Anhalt vertreten und warb für unsere Freiheitsrechte.

Ricardo Cristof Remmert-Fontes, Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung, berichtet

Wir verteilten einige tausend Flyer an verschiedenen Standorten in Berlin, waren mit einem Transparent auf dem Platz vor der Gedächtniskirche und schließlich vor der Landesvertretung während des Eintreffens der Gäste der Veranstaltung präsent. Auf dem Alexanderplatz waren wir mit einer Luftballonaktion präsent: über den Platz verteilt wurden Helium-gefüllte Luftballons platziert, die Aussagen trugen, wie: “Hier erhielt Journalist M. um 22:07 eine Nachricht von seinem Informanten”, “Hier telefonierte X 23 Minuten lang mit seiner Freundin” und ähnliches, um die Problematik der Vorratsdatenspeicherung plastisch begreifbar zu machen. Bedauerlicherweise erwiesen sich die Luftballons als wenig haltbar.

Insgesamt waren an diesem Tag über die Stadt verteilt und zu verschiedenen Zeiten ca. 15-20 Menschen unterwegs, welche zwar nicht offiziell, so doch wenigstens informell einige renommierte Organisationen vertraten: Humanistische Union e.V., FFII e.V., Piratenpartei Deutschland, Junge Demokratinnen, Freifunk-Initiative, Breitbandinitiative Berlin-Pankow und andere.

Während des ganzen Tages entspannten sich immer wieder interessante, manchmal schwierige Gespräche mit Passanten aller Alterstufen, ich will hier die für mich denkwürdigsten erwähnen.

Vor der Gedächtniskirche sprach ich mit einem älteren Herrn, der zunächst einmal die Meinung vertrat, daß zunehmende Überwachung des einzelnen Bürgers und des öffentlichen Raumes gut seien, wenn man damit schwere Straftaten verhindern könne. Selbverständlich verlieh er seiner Meinung Gewicht, indem er das Beispiel der eigenen Tochter, die Opfer eines Gewaltverbrechens (implizit: eines Sexualdelikts) werden könne, zitierte.

Ein starkes, weil emotionales Argument, daß man nicht ohne weiteres einfach mit dem Hinweis auf die Verhältnismäßigkeit der Mittel (immerhin eine direkte Folgerung des Grundgesetzes) entkräften kann: menschlich, allzu menschlich ist der Impuls der Rache, der Gewalt, wenn das eigene Fleisch und Blut betroffen ist. Menschlich der Wunsch, geltendes bzw. gar konstituierendes Recht zu brechen, indem dem Einzelinteresse nachgegeben wird. Niemand will schließlich “heimtückische Triebtäter” schützen - das “Heimtücke” und “Trieb” sich eigentlich ausschließen, soll nur am Rande erwähnt werden.

Wie auch immer dem sei, selbstverständlich bedeutet aber das Pochen auf rechtsstaatliche Grundsätze, hier mithin auf Datenschutz und eine Verhältnismäßigkeit der Mittel, nicht “Täterschutz”. Ein Rechtsbruch kann und soll verfolgt, und je nach Grad der Schwere, sanktioniert werden - dies gilt selbstverständlich für das von besagtem Herrn angeführte Beispiel (wiewohl ich mir Delikte vorstellen kann, wo ich keinen Bedarf für juristische bzw. staatliche Sanktionen sehe).

Aus gutem Grund aber, und dies setzte ich dem Herrn im Endeffekt erfolgreich auseinander, gibt es für juristische bzw. staatliche Sanktionen Schranken, wie den Verhältnismäßgkeitsgrundsatz.

Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz schützt das Rechtssystem davor, “auszuufern”. Er verhindert, simpel ausgedrückt, daß jemand, der ein Kaugummi klaut, mit dem Tod bestraft wird. Der Herr stimmte mit mir darüber überein, daß staatliches Handeln Grenzen haben kann und muß, um uns vor der Barberei (wie der des “3. Reiches”) dauerhaft zu schützen.

Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ist eng verknüpft mit den “Schranken-Schranken“: das Grundgesetz definiert bzw. konstituiert Normen und Werte, die nicht antastbar sind. Nicht ohne Grund steht gleich an erster Stelle im Grundgesetz die Menschenwürde. Aus ihr heraus wiederum lassen sich über den Artikel 20 GG ableiten, daß es ein Präjudikationsverbot gibt.

Eine pauschale Protokollierung der Kommunikation aller Bürger durch Exekutivorgane des Staates aber würde eine solche Präjudikation darstellen: man überwacht nur, wenn man einen Verdacht hat, ergo verdächtigt man alle Bürger, wenn man sie überwacht. Der Wunsch zu Protokollieren entspringt dem Wunsch nach Überwachung. Der Wunsch nach Überwachung entspringt gemeinhin einem Verdacht.  Ergo ist die Vorratsdatenspeicherung der Wunsch nach anlaßloser Überwachung von Verdächtigen, also aller Bürger. Da man kaum davon ausgehen kann, daß alle Bundesbürger Schwerverbrecher sind, deren Verbrechen einen Grundrechtseingriff rechtfertigen würden, kann man sagen, daß der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz verletzt wäre und gleichzeitig der konstituierende Rechtsgrundsatz des Präjudikationsverbots gebrochen wäre, muß man davon ausgehen, daß alle “präventiven” Überwachungsmaßnahmen, welche ausreichend breit engelegt sind, von Grund auf rechtswidrig sind. Wären die Grundsätze des Grundgesetzes unwichtig, gäbe es sie nicht, bräuchten wir keine “Schranken-Schranken”, hätten die “Väter des Grundgesetzes” diese nicht verankert. Wenn man diese letzten beiden Grundsätze jedoch nicht anerkennen würde, würde man das Grundgesetz an sich und hiermit den konstituierten Staat an sich nicht anerkennen.

Dieser Argumentation konnte sich der freundliche Herr nicht widersetzen, er nahm zum Schluß den Flyer und sagte, er werde sich noch einmal eingehend mit dem Thema beschäftigen. Da er ein durchaus intelligenter Mensch war, ging ich davon aus, sein Denken nachhaltig beeinflußt zu haben. Wir verabschiedeten uns freundlich und er ging nachdenklich mit seiner Frau des Weges.

 Solche Gespräche führte ich mehrfach an diesem Tage und sie machten mir Mut: Denn diese Reaktion zeigt eigentlich beispielhaft gleich mehrere Dinge. Erstens, daß unser Kampf nicht chancenlos ist, weil, zweitens, Menschen wenigstens teilweise lernfähig und einsichtig sein können. Drittens, daß es Grund zur Annahme gibt, daß “wir” Recht haben. Wie oft wir auch “Recht bekommen”, ist natürlich noch nicht entschieden.

Vor der Landesvertretung schließlich hatte ich gleich zwei weitere denkwürdige Gespräche: zum einen mit einem älteren Herrn, der sich als Wirrkopf herausstellte. Er widerholte mantrisch, daß jedes Mittel recht sein müße, um Verbrechen aufzuklären und daß niemand etwas zu befürchten habe, der nichts verbergen habe. Er gab mir leider keine Gelegenheit, meine Argumentation darzulegen, da er mich ständig unterbrach und schließlich versuchte, mich mit recht simplen rhethorischen Mitteln zu diskreditieren: so fragte er mich, als ich das Gespräch schon längst aufgegeben hatte, ob ich überhaupt wüßte, was Ermittlungsarbeit sei und ob ich überhaupt Steuern zahlen würde. Er hatt sich regelrecht in Rage geredet und ich bedauerte es nicht, daß er sich dann trollte.

Das zweite, leider zu kurze, Gespräch hatte ich mit einem Herrn von irgendeinem LKA (ich glaube mich erinnern zu können, daß es ein Herr Scholz von LKA Sachsen gewesen sei). Dieser ebenfalls sehr höfliche Herr bat mich aufrichtig, doch bitte mehr Vertrauen in die Behörden an sich zu haben, dort wolle niemand etwas böses und die Behörden würden alles daran setzen, um möglichen Mißbrauch ihrer Machtinstrumente zu verhindern.

Ich blieb ernst und sachlich und beschied ihm also, daß ich ihm persönlich möglicherweise vertrauen würde, aber doch leider, leider die jüngere Vergangenheit uns gelehrt habe, daß ein Vertrauen in die Behörden nicht immer eine gute Idee sei. Er konnte darauf nichts einwenden, musste aber auch eilen, da die Veranstaltung begann. Seine Frau, mit der ich mich bereits vorher, als sie wohl auf ihn wartete, unterhielt, verlangte außerdem nach ihm.

Interessanterweise wurde dieses “Argument”, man könne doch den deutschen Behörden und ihren Bediensteten grundsätzlich vertrauen, noch einmal während der Podiumsdiskussion (Audiomitschnitt, weitere Auszüge) von Herrn Dr. Wiefelspütz aufgegriffen.

Bericht in der Tagesschau (ab 10. Minute)

 
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