Sammelklage gegen Vorratsdatenspeicherung (22.11.2006) |
Bürgerrechtler rufen zur Teilnahme an einer
"Sammel-Verfassungsbeschwerde" gegen die von der Bundesregierung
geplante Protokollierung der Nutzung von Telefon, Handy, Email und
Internet auf. Der Aufruf zur Erhebung einer Massenverfassungsbeschwerde
ist in der deutschen Geschichte einmalig. "Die von der Bundesregierung
geplante Totalprotokollierung der Telekommunikation der gesamten
Bevölkerung ist ebenfalls einzigartig", begründet der
Politikwissenschaftler Ralf Bendrath vom Arbeitskreis
Vorratsdatenspeicherung die Aktion. "Frau Zypries will vorsorglich
Informationen über unsere Telefonate, Bewegungen und Internetnutzung
sammeln lassen für den Fall, dass wir zu Verbrechern werden. Wir
sammeln vorsorglich Beschwerdeführer für den Fall, dass SPD und Union
dieses verfassungswidrige Vorhaben tatsächlich umsetzen sollten. Wenn
die Koalition unzählige Menschen bespitzeln lassen will, dann werden
sich auch unzählige Menschen in Karlsruhe dagegen zur Wehr setzen." An der vom Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung vorbereiteten Verfassungsbeschwerde kann sich jedermann beteiligen. Auf der Internetseite des Arbeitskreises (http://www.vorratsdatenspeicherung.de) befindet sich ein Meldeformular. Die Vertretung der Beschwerdeführer vor dem Bundesverfassungsgericht wird der Berliner Rechtsanwalt Meinhard Starostik übernehmen, der Mitglied in dem Verein "RAV - Anwält/innen für Menschenrechte" ist. Mit Dr. Rolf Gössner und Prof. Dr. Christoph Gusy unterstützen prominente Erstkläger die Verfassungsbeschwerde. Der Bremer Rechtsanwalt und Bürgerrechtler Rolf Gössner ist Präsident der Internationalen Liga für Menschenrechte (ILMR). Christoph Gusy ist Professor der Rechtswissenschaft an der Universität Bielefeld. Er begründet seine Teilnahme an der Verfassungsbeschwerde wie folgt: "Das geplante Gesetz begründet eine allgemeine, anlassunabhängige Duldungspflicht der Bürger im Hinblick auf mögliche polizeiliche Maßnahmen, welche ohne Wissen des Betroffenen und damit gleichfalls ohne Kontroll- oder Rechtsschutzmöglichkeit durchgeführt werden können. Eine derart allgemeine, breit angelegte Datenerhebung ist mit dem Grundrechtsschutz aus Artikel 10 des Grundgesetzes, dem Fernmeldegeheimnis, unvereinbar." "Die anlasslose, zwangsweise Protokollierung der Telekommunikation der gesamten Bevölkerung ist ein eklatanter Verfassungsverstoß", bekräftigt der Jurist Patrick Breyer vom Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung. "Es ist vollkommen unverhältnismäßig, die gesamte Bevölkerung zu erfassen, nur um gegen einige wenige Verdächtige leichter ermitteln zu können. Das Bundesverfassungsgericht hat bereits entschieden, dass 'eine Straftat von erheblicher Bedeutung, ein konkreter Tatverdacht und eine hinreichend sichere Tatsachenbasis' Voraussetzung jeder Erfassung von Verbindungsdaten ist und dass der Gesetzgeber das 'strikte Verbot der Sammlung personenbezogener Daten auf Vorrat' zu beachten hat. Wer gleichwohl das ziellose Anhäufen sensibler Kommunikationsdaten aller Deutschen befürwortet, macht sich des vorsätzlichen Verfassungsbruchs schuldig." Der Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung fordert, das deutsche Gesetzesvorhaben zumindest solange auszusetzen, bis der Europäische Gerichtshof über die von Irland im Juli eingereichte Nichtigkeitsklage gegen die EG-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung entschieden hat. Hintergrund: Das Bundesjustizministerium hat vor zwei Wochen einen Gesetzentwurf zur Einführung einer Vorratsdatenspeicherung in Deutschland vorgestellt. Danach soll ab Mitte 2007 zur verbesserten Strafverfolgung über einen Zeitraum von sechs Monaten nachvollziehbar werden, wer mit wem per Telefon, Handy oder Email in Verbindung gestanden hat. Bei Handy-Telefonaten und SMS soll auch der jeweilige Standort des Benutzers festgehalten werden. Anonyme Emailkonten und Anonymisierungsdienste sollen verboten werden. Mit Hilfe der gespeicherten Daten können Bewegungsprofile erstellt, geschäftliche Kontakte rekonstruiert und Freundschaftsbeziehungen identifiziert werden. Auch Rückschlüsse auf den Inhalt der Kommunikation, auf persönliche Interessen und die Lebenssituation der Kommunizierenden sind möglich. Die Furcht vor einem Bekanntwerden ihrer Kontakte könnte Informanten, Ratsuchende und Hilfsbedürftige in Zukunft davon abhalten, sich an Journalisten, Anwälte oder Beratungsstellen zu wenden. Der Informantenschutz, das Anwalts- und das Arztgeheimnis würden unterlaufen. Gegenwärtig dürfen Telekommunikationsanbieter nur die zur Abrechnung erforderlichen Verbindungsdaten speichern. Dazu gehören Standortdaten und Email-Daten nicht. Auch sonstige Verbindungsdaten werden auf Wunsch monatlich gelöscht. Durch die Benutzung von Pauschaltarifen ("Flat-Rates") kann eine Speicherung zudem bisher gänzlich vermieden werden. |
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