[Blog] Etwas über girogo, paypass und "Plastik" im allgemeinen (20.06.2012)

Ein Kommentar von Michael.

Die vom Deutschen Sparkassen- und Giroverband (DSGV) von der "Deutschen Kreditwirtschaft" mit ordentlich viel PR-Rummel vorangetriebene Einführung von mit einem RFID-Funkchip versehenen ec-Karten unter dem Namen "girogo" hat in den letzten wenigen Wochen erstmalig Negativ-Schlagzeilen gemacht. Was ist an der Kritik dran und worum geht es eigentlich?

 

 Hannover und sein weiteres Umfeld dienen zurzeit als Testgebiet, in dem in großer Zahl ec-Karten ausgegeben werden, die mit einem RFID-Funkchip ("RFID-Tag") versehen sind. Hintergrund ist das u.a. von Sparkassen und Volks- und Raiffeisenbanken initiierte und massiv geförderte "girogo"-Zahlsystem.

Hinter "girogo" steckt inhaltlich nichts anderes als die Idee der bislang bemerkenswert erfolglosen "Geldkarte" - ein eigens dafür eingerichteter fiktiver Kontobereich kann mit einigen Hundert Euro aufgeladen werden, danach können Kleinbeträge bis zu 20 Euro hiervon abgebucht werden. Die Bezahlabwicklung soll schneller und unkomplizierter sein als das Bezahlen mit Bargeld oder per ec-Karte bislang (mit Pin-Eingaben-Autorisierung heisst das ec-Cash-Verfahren bzw. beim Leisten einer Unterschrift auf dem Kassenbon ec-Lastschriftverfahren).

Die "girogo"-fähige ec-Karte führt man bis auf mindestens einige Zentimeter an das Lesegerät der Kasse heran und in weniger als einer Sekunde soll die dann aufgebaute Funkkommunikation zwischen Karte und Lesegerät bzw. dem daran angeschlossenen IT-System die Abbuchung des Kassenbetrages erfassen und zur Verarbeitung annehmen.

Solange es keine technischen Probleme gibt wird es in der Realität auch sicher nicht ganz anders ablaufen - ein beschleunigtes Zahlungsverfahren mit weniger lästiger Wartezeit ist dann auch das Argument, mit der für die Akzeptanz von "girogo" geworben wird.

Es ist kaum anzunehmen, dass die Sparkassen Banken der "Deutschen Kreditwirtschaft" nur aus Interesse an weniger Wartezeit eine vermutlicherweise Hunderttausende bis Millionen Euro teure Kampagne samt "Roadshow" und eigenem Präsenzladen in der teuersten Einkaufsmeile Hannovers aus dem Boden stampfen. Was sind also die eigentlichen Gründe für "girogo" und was ist die Kritik?

"Plastik" regiert die Welt.

Der im Jargon von Bankern und Betriebswirtschaftlern als "Plastik" bezeichnete bargeldlose Zahlungsverkehr nimmt anteilsmäßig und absolut jährlich zu und es ist das Bestreben jeder Bank, möglichst wenig Bargeldzahlungen bearbeiten zu müssen, denn diese sind mit viel Aufwand, sprich: Kosten verbunden. Einzelhändler und Geschäfte haben das gleiche Interesse aus gleichen Gründen.

 Nachdem das mächtige US-amerikanische und global agierende Kreditkarten-Unternehmen "Mastercard" seit einiger Zeit versucht, mittels eigenem RFID-Funkchip-System namens "paypass" den gerade erst im Entstehen befindlichen Markt des "berührungslosen Zahlungsverkehrs" an sich zu reissen und bei der Anwerbung von Händlern und Geschäften zum Einsatz ihres Systems offensiv vorgeht, sehen sich Sparkassen und Volksbanken im Zugzwang, denn:

Es geht um viel Geld

Für jede mittels Geldkarte, ec-Cash- oder "girogo"-System durchgeführte Zahlung werden 0,3% der Transaktionssumme als Gebühr erhoben, die die Händler und Geschäfte an die Systembetreiber der Zahlungssysteme abführen müssen. Kreditkartenunternehmen lassen sich sogar 2 bis 4% dafür bezahlen, dass die Abwicklung des Bezahlvorganges im Supermarkt nicht mit Bargeld, sondern elektronisch durchgeführt wird.

Der gesamte Umsatz des deutschen Einzelhandels betrug 2011 etwa 380 Milliarden Euro (woanders spricht man von 414 Milliarden Euro). Zwar ist nicht klar, welchen genauen Anteil davon die für "girogo" interessanten Zahlungen in Höhe bis zu 20 Euro davon bislang haben, sicher ist allerdings, dass es hier um einen den Wünschen der Banken und Geschäften nach besonders zukunftsträchtigen Markt handelt, den man gerne für sich selber beanspruchen möchte.

Ausgehend von der vefügbaren Zahlen dürfte man ganz sicher von einem Geschäft in Höhe von einigen Zehn bis hin zu Hunderten Millionen Euro pro Jahr rechnen, das sich alleine aus den abgerechneten Gebühren der Zahlungen ergibt.

Kritik

Es gibt reichlich konkrete Kritik an den "girogo"-Karten, ausgelöst von Untersuchungen und Recherchen eines hannoverschen Datenschutz-Unternehmens und von einem Mitglied aus dem Chaos Computer Club Frankfurt. Siehe hierzu die Veröffentlichungen im Spiegel (19.5.2012 und 12.6.2012) und die "girogo"-Seite im Wiki des AK Vorrat .

Ich möchte abseits der konkreten Fragen zu Umfang und Sicherheit der "girogo"-Daten an dieser Stelle den Augenmerk auf zwei andere Bedenken richten.

Grundsatzproblematik RFID

Den RFID-Begriff sucht man in der derzeitigen Diskussion meistens vergebens. Öfters wird von "NFC-Zahlungen" gesprochen, was weniger negativ konnotiert ist und leicht zur Verwechslung mit dem Einsatz von "Near Field Communication"-Buchungsvorgängen mittels immer mehr in Mode kommenden NFC-fähigen Handys führt.

Nebenbei, aber wichtig: Eine besondere Aufmerksamkeit verdienen die aufkommenden Bezahl- und Abbuchungsmethoden mittels NFC-Mobiltelefone, denn hier werden Bezahlvorgänge mit reichlich sensiblen Subinformationen über die TK-Anbieter abgewickelt.

Durch "girogo" erfahren RFID-Chips endlich die große Verbreitung und Anwendung, von der die RFID-Industrie seit vielen Jahren träumt und schwärmt, die aber auch dank der Arbeit des FoeBuD (siehe BigBrother-Awards 2003 , 2011 und 2012 ) bislang nie umgesetzt werden konnte. Vermutlich ist die Wahrscheinlichkeit, das ein Mensch heutzutage eine ec-Karte mit sich herumträgt größer als die des Mit-Sich-Tragens eines neuartigen ebenfalls RFID-verwanzten elektronischen Personalausweises - dann wären wir soweit: RFID-Chips für alle!

Für RFID-Chips gibt es bis heute weder eine Kennzeichnungspflicht noch eine vernünftige, sachliche und breite Aufklärung der Bevölkerung. Vor allem aber geht durch die Möglichkeit des berührungslosen und unbemerkten Auslesens von Daten ein massiver Verlust an Informationskontrolle einher, der sich mit dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung nicht vereinbaren lässt.

Da spielt es auch keine Rolle, wie groß die Distanz zwischen Funkchip in der Geldbörse an unseren Hintern und dem auslesenden RFID-Scanner tatsächlich ist, es geht um die prinzipelle Ermöglichung von Profilbildung und digitaler Rasterung des Verhaltens von Menschen in mannigfachen Variationen.

Bei den unbemerkt auslesbaren Funkchip-Daten handelt es sich keinesweges um Daten ohne Personenbezug, wie die Sparkassen regelmässig falsch behaupten. Es handelt sich vielmehr um personenbeziehbare Daten, denn viele RFID-ID-Nummern lassen sich personalisieren. Sei es durch Hinzuziehung anderer Daten aus dem gleichen System (Banken- und Geschäftskundendatenbanken bzw. Warenwirtschaftssystemen), sei es durch die Verknüpfung und Verarbeitung mit Informationen aus anderen Zusammenhängen.

Das Recht auf Anonymität

Viel wesentlicher aber stellt sich die Frage des Rechts und Sinns anonymen Handelns. Mit der Aufgabe oder Stigmatisierung des Bezahlens mit Bargeld geben wir einen wesentlichen Bestandteil anonymen Handelns in unserer Gesellschaft auf

[Update: In Italien sind Bargeldbezahlungen seit Dezember 2011 nur noch bis 1000 Euro erlaubt . Begründung: Eindämmung von Steuerhinterziehung. Am liebsten hätte man ein "bargeldloses" Land ... ]

In der derzeitigen Debatte erfährt die Frage, wie wichtig anonymes Bezahlen für unsere Gesellschaft ist, noch gar keine Aufmerksamkeit. Das ist auch der Grund für mich, diesen Blog-Beitrag hier zu verfassen, denn ich bin der Meinung, dass Anonymität substantiell für ein demokratisches Zusammenleben ist.

Das OLG Hamm hat in seinem Urteil vom August letzten Jahres die Bedeutung anonymer Meinungsäußerungen eindrucksvoll unterstrichen, im AK Vorrat haben wir uns im Sommer letzten Jahres offen gegen das geplante Verbot anonymen Bezahlens im Internet stark gemacht und zudem zwei lesenswerte Hefte zur Bedeutung anonymen Handelns zusammengestellt ("Ein Recht auf Anonymität" und "What's in a name?" ).

Fazit

Umstritten dürfte sein, ob und inwiefern ein generelles Verbot von RFID-Chips in Waren bzw. Dingen des alltäglichen Gebrauchs durchzusetzen oder vernünftig sei.

Für mich unstrittig sind dagegen folgende drei Forderungen:

  1. Eine bußgeldbewerte Kennzeichnungspflicht von RFID-Tags.
  2. Eine sachliche, umfangreichene und ausgewogene Aufklärung derjenigen Menschen, die mit RFID-Tags in Gebrauchsgegenständen des Alltags konfrontiert werden.
  3. Die freie Wahl darüber, ob man Gegenstände mit oder ohne RFID-Tags benutzen will oder nicht, ausgeführt als Opt-In-Lösung.

Weiterhin halte ich Überlegungen der Abwägung für wichtig: Für welchen Vorteil (schnellere Abwicklung an den Kassen, mehr Gewinn für Händler und Banken) nehmen wir welche Folgen hin (Aufgabe der Anonymität, Informationskontrollverlust, Abbau von Arbeitsplätzen, Schaffung "digitaler Risken" mit Langzeitwirkung). Oder eben auch nicht.

Mein Eindruck ist, dass insbesondere Unternehmen und Banken nicht in gesellschaftlichen Zusammenhängen denken bzw. mit diesen Perspektiven gar nicht erst denken können. Manchmal liegt es dabei wohl einfach an einem an verengten Blick auf das Tagesgeschäft, dessen Hektik keinen Platz für grundsätzlichere Gedanken lässt.

Es wäre schön aber es ist nicht damit zu rechnen, wenn bzw. dass sich das in Zukunft ändern könnte.

Auf jeden Fall herrscht Diskussions- und Aufklärungsbedarf.

Dieser Beitrag gibt die persönliche Meinung des Autors Michael wieder und ist kein offizielles Statement des Arbeitskreises Vorratsdatenspeicherung. Weitere Meldungen von Mitgliedern des AK Vorrat finden Sie in der Rubrik Informationen / Blog .