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"Denkt ihr noch normal?" - Infostand zur Vorratsdatenspeicherung in Siegen (03.07.2007) Print E-mail

Die Siegener Ortsgruppe des Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung informierte mit einem Informationstisch am Samstag, den 30.06.2007 über die geplante Totalprotokollierung der Telekommunikation. Hier der Erfahrungsbericht der engagierten Aktivisten.

Reaktionen

“Kann man hier irgendwo unterschreiben?”
Die wenigen Jugendliche, die kamen, waren etwas sorglos… schade, dass wir keine Kaufverträge für Staubsauger dabei hatten.

“Denkt ihr noch normal?”
Nicht aus der Sicht einer Verrückten…

“Das stimmt doch alles gar nicht!”
Tatsächlich, wir haben für unsere Bodenplakate nicht geprüft, ob die Namen stimmen. Intelligenzbestie des Tages.

“Gehen Sie weg!”
Unsere tragbare Mega-Kamera aus Pappe machte den Leuten weit mehr Angst als die echten…

“Lass mich in Ruhe!”
Sag das mal dem Schäuble…

“Das ist mit nicht hart genug - viel zu alltäglich.”
Müssen wir uns von einer 70jährigen sagen lassen, dass unsere Sprüche nicht hart genug sind?

“Ach, geben sie mir gleich noch vier, für meine anderen Kinder…”
Die alten Damen waren einfach die besten!

“Von der Stimmlage her passt das schon ganz gut, Sie müssen nur noch ein wenig üben und sich in einen Rollstuhl setzen.”
Kamera ertappt… diese Frau nahm auch noch ein paar Schäublonen mit.

“Ist mir doch egal, ob Sie wissen, dass ich zehnmal im Monat zum Arzt gehe!”
Mir auch - wie steht’s mit der Krankenkasse?

“Auch schon ziemlich spät”
19:15 Uhr… Informieren macht müde!

“Danke!”
Viele, viele Male. So macht das Spaß!

Bericht

 Mit der üblichen halben Stunde Verspätung und einigen Schwierigkeiten beim Aufbau des Zeltes wurde es halb zehn, bevor unsere ersten Schilder an Telefonzellen, Bauzäunen, Bäumen, Mülleimern, Laternenpfählen und am Boden klebten. Im Laufe des Tages haben wir den Schilder-Wald kontinuierlich erweitert. Erstaunlich ist, dass bereits um 9:06 Uhr die erste Vollmacht für die Verfassungsklage unterschrieben wurde und es darüber hinaus den ganzen Tag auch nicht geregnet hat.

Etwa im Abstand von 70 Metern zu unserem Infostand hatten wir Schilder angebracht. Je geringer der Abstand zum Stand wurde, desto mehr Schilder wurden es. In einem Radius von 15 Metern hatten wir dann auch Din A3-Schilder am Boden verklebt. Der Infostand selbst bestand aus einem Bistrotisch, den wir vor dem Zelt platziert und sowohl ihn als auch das Zelt mit einem Ortsgruppen-Logo verziert hatten.

Eine 1,50m lange schwarze Überwachungskamera aus Pappe, die man sich über den Kopf ziehen konnte, stellte sich als ein idealer Aufmerksamkeitsgenerierer heraus. Mit der Kamera haben wir zwei verschiedene Taktiken gefahren:

  1. Ohne ein Wort zu sagen mit der Kamera hinter Menschen eine Weile hergehen oder sich auch bewusst regungslos neben wartende Personen stellen
  2. Bei der 'Verfolgung' von Personen laut und mit spitzer Stimme die Sätze „Zu ihrer eigenen Sicherheit werden sie ab jetzt überwacht“, „Sie sind jetzt sicher“, „Sie sind jetzt vor Terrorismus geschützt“ oder „Seien sie froh, dass sie jetzt sicher sein können“ gerufen.

Wir konnten beobachten, dass regelmäßig nach einer Verfolgungstour verstärkt Menschen das Gespräch mit uns von sich aus suchten. Darüber hinaus haben wir uns größtenteils defensiv verhalten und auf die Wirkung der Schilder gehofft. Häufig konnten wir beobachten, dass es genügt, wenn sich eine Person über ein Schild beugt und eine Weile stehen bleibt, bis sich eine Traube zwischen 5-10 Menschen um den Schilderwald in unmittelbarer Nähe des Infostandes versammelt hat. 

Einige erstaunliche Reaktionen sollen hier besondere Erwähnung finden:

  • Auf einer Verfolgungs-Tour, bei denen die o. g. Aussagen zum Einsatz kamen, hat eine Dame (ca. Mitte 50) in einer Sprechpause die Kamera am Objektiv gefasst, zu sich gezogen und gesagt: "Von der Stimmlage her passt das schon ganz gut, Sie müssen nur noch ein wenig üben und sich in einen Rollstuhl setzen."
  • Eine andere Dame (jenseits der 70) steuerte zielstrebig auf uns zu und unterhielt sich mit uns sehr nett eine Viertelstunde lang. Daran anschließend hat sie einiges an Infomaterial mitgenommen, um ihren Bekanntenkreis zu überzeugen und sich sehr an unseren Schildern interessiert gezeigt. Wir haben ihr dann angeboten, sie könne doch welche mitnehmen und ihr unseren Restbestand gezeigt, den sie dann eifrig untersucht hat. Aber keines der Schilder wollte ihr so recht gefallen, sie seien alle nicht „heftig“ genug. Selbst ein 'Murat hat hier 20 Minuten nach Afghanistan telefoniert', diverse Sexhotline-Varianten oder Anspielungen auf die Speicherung der sexuellen Präferenzen wären „zu lasch“ und würden doch niemanden richtig schocken. Für unsere nächste Aktion wünsche sie uns daher viel Glück, wir sollten aber noch an heftigeren Sprüchen arbeiten, damit die Leute auch wirklich aufgerüttelt werden.

Die wenigen verstimmten Reaktionen einiger Bürger sind nicht weiter erwähnenswert, da sich ihre Äußerungen im Bereich von 'Ihr habt sie doch nicht alle' über 'Ihr habt zuviel Zeit' bis hin zu 'Ihr lügt doch' bewegt haben. Überwachungshardliner haben wir auch nur eine Hand voll angetroffen.

Insgesamt harrten wir zu dritt bis um 17:00 Uhr aus. An dieser Stelle sei nicht verschwiegen, dass wir für weitere helfende Hände sehr offen sind und jeden herzlich begrüßen, der sich uns anschließen möchte. Der Informationstag hat unsere Erwartungen, die wir zugegeben bewusst niedrig gehalten haben, deutlich übertroffen. So konnten wir eine Menge guter Gespräche führen und dabei auch einige Menschen für das Thema sensibilisieren, denen es bisher eher fremd war.

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