Vorratsdatenspeicherung: Regierung unterdrückt Forschungsergebnisse (24.04.2012) [ergänzt] |
Das Bundesjustizministerium hat 2007 massiv politischen Einfluss auf
einen kritischen Forschungsbericht zur damals geplanten
Vorratsdatenspeicherung genommen. Als Konsequenz fordert der
Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung die Schaffung einer nur dem
Bundestag unterstellten unabhängigen Grundrechteagentur zur
systematischen Überprüfung aller Überwachungsgesetze.
Wie das ZDF-Magazin „Frontal21“ heute berichtete,[1] hat das Bundesjustizministerium 2007 einen kritischen Forschungsbericht geheim gehalten, bis der Bundestag das verfassungswidrige Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung verabschiedet und die Wissenschaftler ihre Kritik daran abgeschwächt hatten. Aus heute vom AK Vorrat erstmals veröffentlichten Aktenauszügen[2] ergibt sich, dass sich das mit dem Forschungsprojekt beauftragte Max-Planck-Institut für internationales und ausländisches Strafrecht gegenüber dem Bundesjustizministerium als Auftraggeber massiv für seine inhaltlichen Aussagen und Schlussfolgerungen zur staatlichen Telekommunikationsverbindungsüberwachung rechtfertigen musste. Praktisch jede Seite des Entwurfs des Abschlussberichts der Forscher wurde vom Bundesjustizministerium scharf kritisiert, Empfehlungen der Wissenschaftler wurden als „inakzeptabel“ verworfen. An den ersten 10 Seiten allein haben Bürokraten des Ministeriums über 40 Kritikpunkte angebracht und einen großen Teil der vereinbarten Vergütung zurückgehalten, solange die Forscher nicht ihren Abschlussbericht änderten. Das Forschungsinstitut hat dem politischen Druck teilweise nachgegeben und seine Kritik an der geplanten Vorratsdatenspeicherung deutlich entschärft:
Aus dem vom AK Vorrat veröffentlichten Aktenauszug ergibt sich außerdem, dass das Bundesjustizministerium der Projektleiterin des Forschungsinstituts im Juni 2007 untersagte, Schaubilder zu veröffentlichen, die den dramatischen Anstieg der staatlichen Identifizierung von Internetnutzern (IP-Adressen) schon ohne Vorratsdatenspeicherung offenbart hätten. Diese Schaubilder könnten „nicht für eine Veröffentlichung genehmigt werden“, weil „rechtspolitische Bedenken“ gegen eine Veröffentlichung „zum jetzigen Zeitpunkt“ bestünden, beschied das Bundesamt für Justiz.[3] 2007 protestierten Zehntausende gegen die geplante Vorratsspeicherung aller Telefon- und Internetverbindungsdaten. „Ich bin entsetzt darüber, wie politisch gesteuert vermeintlich unabhängige Ergebnisse regierungsfinanzierter Überwachungsforschung in Deutschland sind“, kommentiert Kai-Uwe Steffens vom Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung. „Politisch unliebsame Forschungsergebnisse wurden von der damaligen schwarz-roten Bundesregierung zensiert und bis nach der Verabschiedung von Überwachungsgesetzen geheim gehalten – ein Skandal! Eine unabhängige Überprüfung aller bestehenden Überwachungsbefugnisse in Hinblick auf ihre Wirksamkeit, Verhältnismäßigkeit, Kosten, schädliche Nebenwirkungen und Alternativen, wie sie zehntausende von Bürgern auf unseren jährlichen Demonstrationen gegen Überwachungswahn fordern,[4] ist unter diesen Bedingungen nicht möglich. Wir fordern den Bundestag daher auf, eine neu zu schaffende, unabhängige Grundrechteagentur mit dieser Aufgabe zu betrauen. Außerdem müssen Entwurfsfassungen von Forschungsberichten künftig sofort und unverändert veröffentlicht werden.“ Nachdem das Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung 2010 für verfassungswidrig erklärt worden ist, arbeitet das Bundesjustizministerium aktuell an der Wiedereinführung einer verdachtslosen Vorratsspeicherung der Internet-Verbindungsdaten sämtlicher Bürger Deutschlands.[5] Weitere Informationen:
Ergänzung: Heute ist auch die Entwurfsfassung des Forschungsberichts im Internet aufgetaucht: |
< Prev | Next > |
---|