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Fluggastdatensammlung grundrechtswidrig - Klageschriften veröffentlicht (31.03.2008) Drucken E-Mail

Der Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung hat heute zwei Klageschriften des Europäischen Parlaments gegen die Fluggastdatenübermittlung in die USA veröffentlicht.[1] Daraus geht hervor, dass sowohl die Fluggastdatensammlung in den USA wie auch die von den EU-Staaten aktuell geplante Aufzeichnung des Reiseverhaltens grundrechtswidrig sind. 

Die Klageschriften rügen "die Verletzung der Grundrechte und die Verletzung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes" und führen im Einzelnen aus:

  1. Die Sammlung sämtlicher Fluggastdaten auf Vorrat verletze das Grundrecht auf Schutz des Privatlebens und auf Datenschutz. Der Zweck der gesammelten Daten werde nicht präzise bestimmt; den Behörden werde ein "Blankoscheck" für eine unvorhersehbare weitere Nutzung der Daten ausgestellt.
  2. Der mit der Datensammlung verfolgte Zweck, eine mögliche Strafverfolgung zu erleichtern, sei mit dem Zweck unvereinbar, zu dem die Daten erhoben würden, nämlich zur Abwicklung von Flugreisen. Die Nutzung der gesammelten Daten sei überdies nicht auf den Zweck der Terrorismusbekämpfung beschränkt.
  3. Sensible Daten der Passagiere über die rassische und ethnische Herkunft, politische Meinungen und religiöse Überzeugungen würden nicht effektiv vor staatlichem Zugriff geschützt.
  4. Das Recht auf Auskunft über gespeicherte Daten sowie auf Berichtigung, Löschung und Sperrung der Daten sei nicht gewährleistet.
  5. Das Recht, vor Gericht gegen den rechtswidrigen Umgang mit den eigenen Daten klagen zu können, sei nicht gewährleistet.
  6. Die Daten könnten an eine unbestimmte Vielzahl anderer Behörden und ausländischer Staaten weiter gegeben werden, wo sie keinerlei Schutz mehr unterlägen. Die Daten würden nicht nur zur Verfolgung von Straftaten, sondern beispielsweise auch für Zwecke eines "Passagierscreenings", also zur Errechnung eines "Risikowerts" der Einreisenden, genutzt.
  7. Es würden unverhältnismäßig viele Daten für eine unverhältnismäßig lange Zeit gesammelt. Die Daten eines Passagiers dürften nur gespeichert werden, wenn ihm ein Verstoß gegen die Einreisebestimmungen zur Last gelegt werde. Die Daten der übrigen Passagiere seien unverzüglich wieder zu löschen.

Vor dem Hintergrund der nun veröffentlichten Klageschriften fordert der Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung die Bundesregierung auf, die Verhandlungen über das schon in seinem Grundansatz menschenrechtswidrige Vorhaben einer europäischen Vorratsspeicherung von Flugpassagierdaten abzubrechen. SPD und Union müssen jetzt endlich eine entsprechende Bundestagsentschließung auf den Weg bringen, um den drohenden Verfassungsverstoß zu verhindern.

Der Jurist Patrick Breyer vom Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung erläutert: "Die Klagebegründung des Europäischen Parlaments könnte praktisch 1:1 übernommen werden, um das europäische Vorhaben zu Fall zu bringen. Das Verhältnismäßigkeitsgebot verbietet es, die Daten unschuldiger Passagiere über die Einreisekontrolle hinaus auf Vorrat zu speichern, nur weil die Informationen dem Staat in seltenen Fällen einmal nützlich werden könnten. Bei der Einreise stehen die erforderlichen Daten schon heute zur Verfügung. Das neue Vorhaben ist überflüssig und unter der Geltung der europäischen Grundrechte nicht zu realisieren. In seinem Urteil zum Kfz-Massenabgleich hat das Bundesverfassungsgericht bekräftigt, dass die Daten von Bürgern, nach denen nicht gefahndet wird, sofort wieder gelöscht werden müssen."

Der Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung will daher auch durch öffentlichen Druck Einfluss auf die europäischen Gesetzgeber ausüben. Ricardo Cristof Remmert-Fontes vom Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung kündigte an: "Der AK Vorrat wird sich in 2008 noch besser mit anderen europäischen Nicht-Regierungsorganisationen vernetzen, um gemeinsam und grenzüberschreitend gegen die zunehmende Datensammelwut und den Abbau rechtsstaatlicher Prinzipien in Europa zu demonstrieren. Es laufen konkrete Vorbereitungen für gemeinsame Aktionen und Kundgebungen."

Hintergrund:

Nachdem die EU-Kommission die Herausgabe der Klageschriften im letzten Jahr zunächst verweigerte,[2] konnte unter Einschaltung des Europäischen Bürgerbeauftragten nun ihre Freigabe erreicht werden. Die im Jahr 2004 beim Europäischen Gerichtshof eingereichten Klagen hatten im Mai 2006 Erfolg und führten zur Nichtigerklärung der Beschlüsse zur Flugdatenübermittlung in die USA.[3] Da der Gerichtshof seine Entscheidung jedoch auf formelle Fehler stützen konnte und die inhaltliche Vereinbarkeit mit den Grundrechten nicht prüfen musste, beschlossen die EU-Mitgliedsstaaten in der Folgezeit unter Verhandlungsführung von Bundesinnenminister Dr. Wolfgang Schäuble (CDU) ein formell rechtmäßiges, inhaltlich aber noch exzessiveres Nachfolgeabkommen mit den USA.[4] Der Deutsche Bundestag stimmte diesem Abkommen am 15.11.2007 mit den Stimmen von CDU, CSU und SPD zu.[5] Das Abkommen betrifft nur die Daten von Personen, die in die USA fliegen.

Etwa zur gleichen Zeit stellte die EU-Kommission jedoch einen Gesetzentwurf vor, wonach künftig auch die Flugreisen sämtlicher europäischer Bürger verdachtsunabhängig registriert und 13 Jahre lang in Datenbanken aufbewahrt werden sollen.[6] Erfasst werden sollen danach künftig sämtliche Flüge zwischen Europa und Nicht-EU-Staaten. Der Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung erklärte dazu, mit der geplanten staatlichen Registrierung sämtlicher Flugreisen drohe "die nächste verfassungswidrige Vorratsspeicherung. Falls die Bundesregierung dem EU-Vorschlag zustimmt, werden wir Verfassungsbeschwerde dagegen einlegen."[7] Im Februar 2008 lehnte der Bundesrat das Vorhaben in seiner gegenwärtigen Form ab, begrüßte aber den Grundansatz des Vorschlags, eine systematische Aufzeichnung aller Flugreisedaten vorzunehmen.[8]

Über uns:

Der Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung ist ein bundesweiter Zusammenschluss von Bürgerrechtlern, Datenschützern und Internet-Nutzern.

Quellen:

  1. Die Klageschriften des Europäischen Parlaments vom 26.07.2004: http://www.vorratsdatenspeicherung.de/images/requetes_pe_pnr_2004-07-26.pdf , Textversion: http://www.vorratsdatenspeicherung.de/images/requetes_pe_pnr_2004-07-26_ocr.pdf .
  2. Pressemitteilung des Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung vom 25.03.2007, http://www.vorratsdatenspeicherung.de/content/view/94/79/
  3. Pressemitteilung des Europäischen Gerichtshofs zur Nichtigerklärung der Fluggastdatensammlung vom 30.05.2006: http://curia.europa.eu/de/actu/communiques/cp06/aff/cp060046de.pdf
  4. Stellungnahme der Europäischen Datenschutzgruppe zum Nachfolgeabkommen vom 17.08.2007: http://ec.europa.eu/justice_home/fsj/privacy/docs/wpdocs/2007/wp138_de.pdf
  5. Das Parlament zur Ratifizierung des Abkommens vom 19.11.2007: http://www.bundestag.de/dasparlament/2007/47/innenpolitik/18230709.html
  6. Tagesschau vom 06.11.2007, http://www.tagesschau.de/ausland/fluggastdaten4.html
  7. Pressemitteilung vom 14.01.2008: http://www.vorratsdatenspeicherung.de/content/view/189/79/
  8. Entschließung des Bundesrats vom 15.02.2008: http://www.vorratsdatenspeicherung.de/content/view/199/79/
 
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