[Blog] Fehlalarm: EuGH erlaubt nicht Vorratsdatenspeicherung gegen Filesharing (19.04.2012) |
+++ Entscheidung zur Identifizierung von Internetnutzern gegenüber Rechtsinhabern betrifft Vorratsdatenspeicherung nicht +++ Der Europäische Gerichtshof hat heute ein schwedisches Gesetz "im Prinzip" abgesegnet, demzufolge ein Gericht anordnen kann, dass Internet-Zugangsanbieter mutmaßliche Rechtsverletzer gegenüber Rechteinhabern ("Abmahnkanzleien") namhaft zu machen haben, wenn ihnen die zur Auskunfterteilung erforderlichen Verbindungsdaten rechtmäßigerweise vorliegen. Netzpolitik.org schließt daraus fälschlich, der Europäische Gerichtshof habe die Nutzung von Vorratsdaten für Abmahnungen erlaubt. Tatsächlich aber hat das Gericht ausdrücklich nur für Fälle entschieden, in denen die verwendeten Daten "in Übereinstimmung mit den nationalen Rechtsvorschriften unter Beachtung der in Art. 15 Abs. 1 der Richtlinie 2002/58 festgelegten Voraussetzungen [...] gespeichert worden sind" (Abs. 37). Nach Art. 15 Abs. 1 der Richtlinie 2002/58 dürfen nationale Gesetze von der Pflicht zur Löschung von Verkehrsdaten mit Verbindungsende abweichen, sofern dies für die nationale Sicherheit sowie die Verhütung, Ermittlung, Feststellung und Verfolgung von Straftaten oder des unzulässigen Gebrauchs von elektronischen Kommunikationssystemen "in einer demokratischen Gesellschaft notwendig, angemessen und verhältnismäßig" ist. Die Vorschrift lässt offen, ob eine gezielte Sicherung bestimmter Daten aus besonderem Anlass oder eine anlasslose Vorratsdatenspeicherung aller Nutzer zugelassen wird. Auch der EuGH hat sich erneut nicht zur Frage der Notwendigkeit, Angemessenheit und Verhältnismäßigkeit einer verdachtslosen, flächendeckenden Vorratsdatenspeicherung geäußert. Nur unter der Voraussetzung also, dass ein Internet-Zugangsanbieter zulässigerweise Verkehrsdaten auf anderer Grundlage als der EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung speichert, kann (nicht: muss) das nationale Recht richterliche Auskunftsanordnungen zugunsten von Rechteinhabern erlauben, so der EuGH. Ob auch die Verwendung von Vorratsdaten zugelassen werden darf, brauchte der EuGH nicht zu entscheiden, denn Schweden hatte die EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung im maßgeblichen Zeitpunkt noch nicht umgesetzt (inzwischen schon). Der EuGH hat dem schwedischen Gericht aufgetragen, zu prüfen, ob die zur Auskunft heranzuziehenden Verkehrsdaten rechtmäßig auf anderer Grundlage als der EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung gespeichert waren (Abs. 37). Spannend an dieser Entscheidung ist die Frage, ob künftig auch deutsche Gerichte vor Auskunftsanordnungen prüfen müssen, ob die zur Auskunfterteilung erforderlichen Verkehrsdaten überhaupt legal gespeichert sind. Bisher findet eine solche Prüfung leider nur selten statt. Ob Internet-Zugangsanbieter jede Internetverbindung und zugewiesene IP-Adresse ohne Anlass "vorsorglich" protokollieren dürfen, ist hoch umstritten und noch nicht rechtskräftig entschieden. Unproblematisch ist die Zulässigkeit der Speicherung allerdings während der bestehenden Internetverbindung. Zusammen mit Speicheranordnungen im Verdachtsfall ermöglicht dies eine ausreichende Rechtsverfolgung auch ohne IP-Vorratsdatenspeicherung. Dennoch will die FDP-Bundesjustizministerin künftig eine verdachtslose Vorratsspeicherung aller Internet-Verbindungsdaten vorschreiben. Eine Auskunfterteilung an private Rechteinhaber wäre nach ihrem Gesetzentwurf zwar nicht möglich. Die Rechteinhaber könnten aber Strafanzeige wegen Urheberrechtsverletzung stellen und dann die Ermittlungsakte mitsamt der eingeholten Auskunft über die Identität des mutmaßlichen Rechtsverletzers einsehen. Dadurch droht die geplante IP-Vorratsdatenspeicherung Massenabmahnungen zu begünstigen, die oft Unschuldige treffen (laut Verbraucherzentrale etwa Menschen, die weder Computer noch DSL-Router besitzen oder zum fraglichen Zeitpunkt nachweislich nicht im Netz waren). Siehe auch:
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