Hintergrund

Die Vorratsdatenspeicherung ist ein Begriff aus dem deutschen Datenschutz- und Telekommunikationsrecht. Er bezeichnete ursprünglich die Speicherung von personenbezogenen Daten für eine spätere Verarbeitung, wobei der Verarbeitungszweck zum Zeitpunkt der Speicherung noch nicht klar feststeht.

Erforderlichkeitsgrundsatz

Eine Speicherung von personenbezogenen Daten auf Vorrat und ohne Einwilligung des Betroffenen verstößt nach geltendem Recht gegen den so genannten Erforderlichkeitsgrundsatz. Dieser besagt, dass personenbezogene Daten grundsätzlich nur dann gespeichert werden dürfen, wenn dies zu einem bestimmten, gesetzlich zugelassenen Zweck erforderlich ist. Daten, deren Speicherung nicht, noch nicht oder nicht mehr erforderlich ist, müssen gelöscht werden.

www.vorratsdatenspeicherung.de/

Vorratsdatenspeicherung in der Telekommunikation

In der politischen Diskussion wird der Begriff Vorratsdatenspeicherung mittlerweile als Synonym für die Speicherung von Telekommunikationsdaten für Strafverfolgungszwecke verwendet: Telekommunikationsanbieter sollen verpflichtet werden, die für Abrechnungszwecke erhobenen Verkehrsdaten ihrer Kunden, Standortdaten und eindeutige Geräteidentifikationen für einen bestimmten Zeitraum zu speichern (Mindestspeicherfrist), damit Polizei und Nachrichtendienste jederzeit und auch im Nachhinein darauf zugreifen können.

Als Eingriff in verfassungsrechtlich geschützte Grundrechte wie das Fernmeldegeheimnis ist die Vorratsdatenspeicherung äußerst umstritten. Außerdem wird von Kritikern angeführt, dass der Informantenschutz für Journalisten eingeschränkt wird und somit kritische Berichtserstattung erschwert wird. Dies käme faktisch einer Einschränkung der Pressefreiheit gleich. Auch die Schweigepflicht von Rechtsanwälten und Ärzten ist davon betroffen.

Nach bisherigem Recht müssen die Anbieter die Verkehrsdaten nach Beendigung der Verbindung unverzüglich löschen, es sei denn, sie benötigen die Daten zu Abrechnungszwecken (§ 96 Absatz 2 Telekommunikationsgesetz). Zu Abrechnungszwecken nicht erforderlich sind beispielsweise Standortdaten, IP-Adressen und E-Mail-Verbindungsdaten. Abrechnungsdaten sind auf Wunsch des Kunden zum Zeitpunkt des Rechnungsversandes zu löschen (§ 97 Absatz 4 Telekommunikationsgesetz). Durch die Benutzung von Pauschaltarifen kann eine Speicherung zudem bisher gänzlich vermieden werden (z. B. bei einer Flatrate – da hier ja fann keine Einzelverbindungen anfallen). In der Praxis bewahren einige Anbieter auch abrechnungsirrelevante Verkehrsdaten eine bestimmte Zeit auf, um bei Unstimmigkeiten bezüglich der Telefonrechnung die von ihnen erbrachten Leistungen besser nachweisen zu können. In einem Urteil vom 7. Dezember 2005 gegen T-Online hat das Landgericht Darmstadt diese Praxis allerdings verboten.

Der 15. Deutsche Bundestag hat in einem am 17. Februar 2005 gefassten Beschluss die geplante Mindestspeicherfrist und damit eine Speicherung von Verkehrsdaten auf Vorrat ausdrücklich abgelehnt. Er hat die Bundesregierung aufgefordert, den Beschluss auch auf EU-Ebene mitzutragen.

Fast auf den Tag genau ein Jahr später hat der 16. Deutsche Bundestag am 16. Februar 2006 die Bundesregierung aufgefordert, den so genannten Kompromissvorschlag für eine EG-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung im Rat der Europäischen Union zu unterstützen. Der Beschluss wurde mit den Stimmen der Großen Koalition (CDU-CSU/SPD) gegen die Stimmen von FDP, Linkspartei und Bündnis 90/Die Grünen gefasst.

Europäische Richtlinie

Lange wurde darüber diskutiert, ob und inwieweit der Rat der Europäischen Union die Mitgliedstaaten durch einen Rahmenbeschluss zur Vorratsspeicherung von Telekommunikationsdaten verpflichten kann (wofür es nicht die erforderliche Einstimmigkeit in der EU gab) oder ob ein derartiger Beschluss der Zustimmung des EU-Parlaments bedarf, beispielsweise über eine EG-Richtlinie.

Am 14. Dezember 2005 stimmte das Parlament der Europäischen Union schließlich mit den Stimmen der Christdemokraten und der Sozialdemokraten mit 378 Stimmen (197 Gegenstimmen, 30 Enthaltungen) für die umstrittene Richtlinie über die Vorratsdatenspeicherung.

Am 21. Februar 2006 stimmte der EU-Rat ohne weitere Aussprache durch die Innen- und Justizminister mehrheitlich für die Richtlinie; die Vertreter Irlands und der Slowakei stimmten gegen die Richtlinie. Gegner dieser Entscheidung wie der irische Justizminister bezweifeln die Verfassungsmäßigkeit; Irland reichte am 6. Juli 2006 gegen die Richtlinie Klage (Az. C-301/06) vor dem Europäischen Gerichtshof ein.

Zwischen Vorstellung des Richtlinienentwurfs und der entscheidenden Lesung lagen nur drei Monate. Damit ist es das bisher schnellste Gesetzgebungsverfahren in der EU-Geschichte. Kritiker bemängeln eine dadurch fehlende Debattiermöglichkeit.

Umsetzung in Deutschland

Die Frist für die Umsetzung der Richtlinie über die Vorratsdatenspeicherung läuft gemäß Artikel 15 Absatz 1 der Richtlinie am 15. September 2007 ab, darf allerdings für die Dienste Internetzugang, Internet-Telefonie und E-Mail bis längstens zum 15. März 2009 aufgeschoben werden. Hierzu ist eine besondere Erklärung der Mitgliedsstaaten notwendig. Eine solche Erklärung haben 16 der 25 Mitgliedsstaaten abgegeben, darunter Deutschland und Österreich.

Die deutsche Bundesjustizministerin stellte im November 2006 den Entwurf eines Gesetzes zur Neuordnung der verdeckten Ermittlungsmaßnahmen im Strafverfahren vor. Der Gesetzentwurf enthält auch Regelungen zur Umsetzung der Vorratsdatenspeicherungs-Richtlinie. Er ist Mitte 2007 im Bundestag verabschiedet worden.

Nach dem Gesetzentwurf sollen die folgenden Daten sechs Monate lang auf Vorrat gespeichert werden:

  1. Anbieter von Telefondiensten einschließlich Mobilfunk- und Internet-Telefondiensten speichern
    1. die Rufnummer des anrufenden und des angerufenen Anschlusses sowie die Rufnummern, an die der Anruf im Falle von Um- oder Weiterschaltungen geleitet wird
    2. den Beginn und das Ende der Verbindung nach Datum und Uhrzeit unter Angabe der zugrunde liegenden Zeitzone
    3. in Fällen, in denen im Rahmen des Telefondienstes unterschiedliche Übermittlungsdienste genutzt werden können, Angaben zu dem jeweils genutzten Dienst
    4. im Fall mobiler Telefondienste ferner:
      1. die Kennung der Mobilfunkkarte des anrufenden und des angerufenen Anschlusses
      2. die Kennung des anrufenden und des angerufenen Endgerätes
      3. die Bezeichnung der durch den anrufenden und den angerufenen Anschluss bei Beginn der Verbindung genutzten Funkzellen
      4. im Fall im voraus bezahlter Dienste auch die erste Aktivierung des Dienstes nach Datum, Uhrzeit und Bezeichnung der Funkzelle
    5. im Fall von Internet-Telefondiensten auch die Internetprotokoll-Adresse des anrufenden und des angerufenen Anschlusses
  2. Anbieter von Diensten der elektronischen Post (E-Mail) speichern
    1. die E-Mail-Adresse und die Benutzerkennung des Absenders sowie die E-Mail-Adresse des Empfängers der übermittelten Nachricht
    2. die Internetprotokoll-Adresse des Absenders der übermittelten Nachricht
    3. den Beginn und das Ende der Nutzung des Dienstes unter der zugewiesenen Internetprotokoll-Adresse nach Datum und Uhrzeit unter Angabe der zugrunde liegenden Zeitzone
  3. Anbieter von Internetzugangsdiensten speichern
    1. die dem Teilnehmer für eine Internetnutzung zugewiesene Internetprotokoll-Adresse
    2. eine eindeutige Kennung des Anschlusses, über den die Internetnutzung erfolgt
    3. den Beginn und das Ende der Internetnutzung unter der zugewiesenen Internetprotokoll-Adresse nach Datum und Uhrzeit unter Angabe der zugrunde liegenden Zeitzone
  4. Anbieter von Mobilfunknetzen für die Öffentlichkeit speichern zu den Bezeichnungen der Funkzellen Daten, aus denen sich die geografische Lage der jeweiligen Funkzelle sowie die Hauptstrahlrichtung der Funkantenne ergibt.

Der Begründung des Gesetzentwurfs zufolge sollen auch Anonymisierungsdienste zur Vorratsspeicherung verpflichtet sein. Auch Privatpersonen sind zur Speicherung verpflichtet, etwa wenn sie kostenlos einen öffentlichen WLAN-Zugang oder einen E-Mail-Dienst anbieten. Dagegen sind Anbieter von Webseiten, Foren und Chat-Diensten nicht betroffen. Inweiweit die Short Message beim Handy gleichzustellen ist mit einer Instant Message beispielsweise beim Telefon Skype, ist eine Grauzone.

Anbieter von Internetzugang, Internet-Telefonie und E-Mail sollen bis zum 15. März 2009 auf Vorrat speichern dürfen, aber nicht müssen.

Genutzt werden sollen auf Vorrat gespeicherte Verbindungsdaten nur für die Verfolgung von Straftaten, für Zwecke der Datenschutzkontrolle, der Datensicherung und zur Sicherstellung eines ordnungsgemäßen Betriebes der Datenverarbeitungsanlage (§ 110b TKG-E). Zugriff sollen danach Polizei, Staatsanwaltschaften und Gerichte sowie ausländische Staaten im Rahmen von Rechtshilfeübereinkommen erhalten. Geheimdienste und private Rechteinhaber sollen dagegen keinen Zugriff auf vorratsgespeicherte Verbindungsdaten erhalten. Auf dem Gebiet der Strafverfolgung ist der Zugriff zur Verfolgung "erheblicher oder mittels Telekommunikation begangener Straftaten" zulässig (§ 100g Strafprozessordnung). Darunter fallen etwa in Internet-Tauschbörsen begangene Urheberrechtsverletzungen.

Bestehen bleiben soll die Identifizierungspflicht für Nutzer rufnummernbasierter Telekommunikationsdienste (§ 111 TKG). Darunter fallen Telefon, Handy und Internet-Telefonie. Der Gesetzentwurf zur Einführung der Vorratsdatenspeicherung sieht vor, dass künftig auch E-Mail-Anbieter ihre Kunden zu identifizieren haben. Anonyme E-Mail-Dienste sollen also verboten werden. Die Anbieter der betroffenen Dienste haben vor der Freischaltung des Nutzers eine Reihe von Daten abzufragen und in eine Datenbank einzuspeichern:

  1. vergebene Rufnummer bzw. E-Mailadresse
  2. Name und Anschrift des Inhabers
  3. Datum des Vertragsbeginns
  4. Geburtsdatum des Inhabers
  5. bei Festnetzanschlüssen die Anschrift des Anschlusses

Die Anbieter sind berechtigt, aber nicht verpflichtet, die Richtigkeit der Angaben des Kunden zu überprüfen, etwa anhand eines Personalausweises (- oder wie es auch heute schon Praxis ist, indem man einen Einkaufsgutschein mit Code in seinem E-Mailpostfach vorfindet, der dann eine Identifizerung der Adresse bei einem Online-Shop ermöglicht). Gelöscht werden die Daten ein bis zwei Jahre nach Vertragsende (§ 95 Abs. 3 TKG). Zur Erfüllung ihrer gesetzlichen Aufgaben haben eine Vielzahl von Stellen Zugriff auf diese Bestandsdaten (§§ 112, 113 TKG): Gerichte, Strafverfolgungsbehörden, Polizeivollzugsbehörden des Bundes und der Länder für Zwecke der Gefahrenabwehr, Zollkriminalamt und Zollfahndungsämter für Zwecke eines Strafverfahrens, Zollkriminalamt zur Vorbereitung und Durchführung von Maßnahmen nach § 39 des Außenwirtschaftsgesetzes, Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder, Militärischer Abschirmdienst, Bundesnachrichtendienst, Notrufabfragestellen, Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht, Zollverwaltung zur Schwarzarbeitsbekämpfung.

Über diese Kundendatenbank hinaus sind Anbieter von Telekommunikationsdiensten verpflichtet, individuelle Auskünfte über Bestandsdaten zu erteilen (§ 113 TKG). Diese Regelung erlaubt es beispielsweise, bei einem Internetzugangsanbieter zu erfragen, welchem Kunden eine dynamisch vergebene IP-Adresse zu einem bestimmten Zeitpunkt zugewiesen war. Abgefragt werden können auch Passwörter, PINs und PUKs. Auskunft ist zu erteilen für die Verfolgung von Straftaten und Ordnungswidrigkeiten, zur Abwehr von Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung und für die Erfüllung der gesetzlichen Aufgaben der Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder, des Bundesnachrichtendienstes und des Militärischen Abschirmdienstes.

Der deutsche Gesetzesentwurf zur Änderung des Telekommunikationsgesetzes (BT-Drs. 16/2581) könnte die Umsetzung der EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung praktisch vorwegnehmen. Im derzeitigen § 96 II TKG heißt es: "Die gespeicherten Verkehrsdaten dürfen über das Ende der Verbindung hinaus nur verwendet werden, soweit sie zum Aufbau weiterer Verbindungen oder für die in den §§ 97, 99, 100 und 101 genannten Zwecke erforderlich sind. Im Übrigen sind Verkehrsdaten vom Diensteanbieter nach Beendigung der Verbindung unverzüglich zu löschen." Dem Änderungsgesetzentwurf zufolge soll die Speicherung von Verkehrsdaten auch "für die durch andere gesetzliche Vorschriften begründeten Zwecke" erlaubt werden (Art. 2 Nummer 18 a).

Rechtfertigung

Gerechtfertigt werden Vorschriften zur Vorratsdatenspeicherung mit ihrer Notwendigkeit zur Kriminalitätsbekämpfung einerseits und ihrem beschränkten Anwendungsbereich andererseits.

Kriminalitätsbekämpfung

Zur Begründung der Vorratsdatenspeicherung verweist die Richtlinie über die Vorratsdatenspeicherung auf die beträchtliche Zunahme elektronischer Kommunikation in den letzten Jahren. Sowohl wissenschaftliche Untersuchungen als auch praktische Erfahrungen in mehreren Mitgliedstaaten zeigten, dass Daten über die Nutzung elektronischer Kommunikationsmittel ein notwendiges und wirksames Ermittlungswerkzeug für die Strafverfolgung, insbesondere in schweren Fällen wie organisierter Kriminalität und Terrorismus, darstellten. Deswegen müsse gewährleistet werden, dass diese Daten den Strafverfolgungsbehörden für einen bestimmten Zeitraum zur Verfügung stehen. Wegen neuer Geschäftsmodellen wie Pauschaltarifen, Prepaid- und Gratisdiensten würden Verkehrsdaten von den Betreibern nicht in demselben Umfang gespeichert wie in früheren Jahren. Dies erschwere den Behörden die Erfüllung ihrer Pflichten im Zusammenhang mit der Verhütung und Bekämpfung der organisierten Kriminalität und des Terrorismus. Straftäter könnten miteinander kommunizieren, ohne befürchten zu müssen, dass die Strafverfolgungsbehörden ihnen durch Auswertung der Daten auf die Spur kommen.

Konkret wird argumentiert, bei der Aufklärung der Anschläge auf Madrid im Jahr 2004 etwa hätten Telekommunikationsdaten einen entscheidenden Beitrag geleistet. Zum Schutz des Lebens potenzieller Opfer von Terroranschlägen und anderer Straftaten müssten alle verfügbaren Mittel ausgeschöpft werden. Auch zur Bekämpfung von Kindesmissbrauch, organisierter Kriminalität, Rechtsradikalismus und Phishing sei eine Vorratsdatenspeicherung erforderlich.

Beschränkter Anwendungsbereich

Zum Beleg der Verhältnismäßigkeit der Vorratsdatenspeicherung wird ihr eingeschränkter Anwendungsbereich angeführt. Inhalte der Telekommunikation würden nicht erfasst. Bewegungsprofile würden nicht erstellt. Verbindungsdaten würden bereits heute zu Abrechnungszwecken gespeichert. Der staatliche Zugriff auf die Daten erfolge nur im Einzelfall und unterliege hohen Voraussetzungen.

EG-Richtlinie

Deutsche Politiker verweisen oft darauf, dass Deutschland in den Verhandlungen über die Richtlinie erhebliche Verbesserungen gegenüber dem ursprünglichen Entwurf ausgehandelt habe. Dies betreffe die Punkte Mindestspeicherfrist, erfolglose Anrufversuche und Standortdaten. Die Zustimmung zu dem letztlich beschlossenen Kompromissvorschlag sei erforderlich gewesen, um weiter gehende Speicherpflichten zu verhindern. Zur Umsetzung der Richtlinie sei Deutschland nun verpflichtet. Die Nichtigkeitsklage Irlands beseitige die Umsetzungspflicht nicht. Bei der Umsetzung werde Deutschland über die Mindestanforderungen der Richtlinie nicht hinausgehen.

Kritik

Datenschützer sowie linke und liberale Parteien protestierten und stellten den Sinn einer solchen Maßnahme zur Debatte, sie weise den Weg Richtung Überwachungsstaat: Wenn man sich nicht sicher sein könne, frei kommunizieren zu können, leide darunter die Zivilgesellschaft, und Bürger würden vor politischen Äußerungen im Internet zurückschrecken. Anonyme Seelsorge- und Beratungsdienste seien ebenso gefährdet, da weniger Menschen es wagen würden, diese Dienste zu nutzen. Eine Ausweitung über den "Kampf gegen den Terror" hinaus auf minderschwere Delikte sei zu befürchten, wie etwa das Beispiel der Diskussionen um den genetischen Fingerabdruck zuvor gezeigt habe. Die im Antrag der Regierungsfraktionen vom 7. Februar 2006 enthaltene Formulierung der Verwendung der gespeicherten Daten "zu Zwecken der Strafverfolgung auf die Ermittlung, Aufdeckung und Verfolgung erheblicher oder mittels Telekommunikation begangener Straftaten" scheint diese Befürchtungen zu bestätigen. Der Deutsche Journalisten-Verband sieht die Pressefreiheit und den Informantenschutz in Gefahr, wie er in einer Mitteilung vom 22. Februar 2006 in Reaktion auf die Verabschiedung der EU-Richtlinie ausführt.

Viele Kritiker befürworten deshalb das einzelfallbezogene Quick-Freeze-Verfahren als eine rechtsstaatlich unbedenkliche Alternative zur allgemeinen Vorratsdatenspeicherung.

Im Einzelnen werden die folgenden Kritikpunkte genannt:

Eingeschränkter Nutzen

Die Speicherung von Verkehrsdaten sei notwendigerweise vergangenheitsbezogen und könne daher im Wesentlichen nur der nachträglichen Aufklärung bereits begangener Straftaten dienen. Eine abschreckende Wirkung durch ein höheres Entdeckungsrisiko sei nicht nachweisbar und in Staaten, in denen eine Vorratsspeicherung erfolge, nicht zu beobachten. Unter Berücksichtigung der vielfältigen Umgehungsmöglichkeiten, die vor allem von professionellen Straftätern genutzt würden (z. B. Nutzung von Telefonzellen, fremder Handys, Internetcafes), könne eine Vorratsdatenspeicherung nur in wenigen und regelmäßig wenig bedeutenden Einzelfällen von Nutzen sein. Ein Einfluss auf das Kriminalitätsniveau insgesamt sei in der Praxis nicht zu beobachten. Die Eignung zur Bekämpfung organisierter Kriminalität oder zur Verhütung terroristischer Anschläge sei als äußerst gering bis nicht gegeben einzuschätzen. Durch eine Vorratsdatenspeicherung hätten weder die Anschläge des 11. September 2001 noch die Attentate in Großbritannien im Juli 2006 verhindert werden können. Auch die geplanten Anschläge in deutschen Zügen 2006 hätten nicht verhindert werden können.

Nach einer Studie des Bundeskriminalamts vom November 2005 konnten in den letzten Jahren 381 Straftaten wegen fehlender Telekommunikationsdaten nicht aufgeklärt werden. Diese 381 Fälle machten allerdings nur 0,006% der 6,4 Mio. jährlich begangenen Straftaten aus. Laut Kriminalstatistik blieben Jahr für Jahr 2,8 Mio. Delikte aller Art unaufgeklärt. Vor diesem Hintergrund sei nicht einzusehen, warum gerade die Nutzer von Telefon, Handy und Internet überwacht werden sollten, zumal die Aufklärungsquote in diesem Bereich schon ohne Vorratsdatenspeicherung überdurchschnittlich hoch sei.

Missbrauchs- und Irrtumsrisiko

Telekommunikationsdaten hätten einerseits eine sehr hohe Aussagekraft und erlaubten Rückschlüsse über die gesamte Lebenssituation der Betroffenen, seien andererseits aber nicht eindeutig einer Person zuzuordnen. Deshalb entfalteten die Daten einerseits eine große Anziehungskraft auf Personen, die ihren Missbrauch beabsichtigen, könnten andererseits aber auch zu falschen Verdächtigungen führen. Auf Seiten des Staates sei eine Nutzung der Daten zum Vorgehen gegen politische Gegner und staatskritische oder sonst unliebsame Organisationen und Personen zu befürchten. Auch die Nutzung zur Wirtschaftsspionage durch ausländische Staaten sei zu befürchten. Ferner drohe ein Missbrauch durch Private, etwa durch kriminelle Erpresser oder Sensationsjournalisten.

Verursachung von Hemmungen, Abschreckungswirkung

Das Wissen, dass das eigene Verhalten protokolliert wird und in Zukunft gegen den Kommunizierenden eingesetzt werden könnte, wirke abschreckend. Dieses Wissen könne Menschen in Not davon abhalten, die Hilfe von Beratungsstellen, Ärzten, Psychologen, Rechtsanwälten oder Seelsorgern in Anspruch zu nehmen. Whistleblower (Informanten) könnten davon abgehalten werden, Missstände an die Presse oder Behörden zu melden. Menschen könnten davon abgehalten werden, sich staatskritisch zu engagieren. Mittelbar gefährde dies die gesamte offene Gesellschaft, deren Funktionieren die Unbefangenheit der Bürger voraussetze.

Kontraproduktive Wirkung

Eine Vorratsdatenspeicherung begünstige die Entwicklung und Verbreitung technischer Mittel zur Verschleierung elektronischer Spuren. Dies könne eine Überwachung selbst in konkreten Verdachtsfällen vereiteln.

Wirtschaftliche Auswirkungen

Eine Vorratsdatenspeicherung ziehe Investitions- und Unterhaltungskosten in dreistelliger Millionenhöhe nach sich. Dies könne die Insolvenz kleiner Anbieter, die Einstellung kostenloser und die Verteuerung kostenpflichtiger Dienste zur Folge haben.

Google Mail hat bereits angekündigt, seinen Dienst zu schließen, wenn die Deutsche Vorratsdatenspeicherung umgestzt wird.

Juristische Argumente

Juristisch wird argumentiert, eine Vorratsdatenspeicherung verstoße gegen die Grundrechte der Kommunizierenden und der Telekommunikationsunternehmen. In Deutschland liege ein Verstoß gegen das Fernmeldegeheimnis und das Recht auf informationelle Selbstbestimmung, gegen die Meinungs-, Informations- und Rundfunkfreiheit, gegen die Berufsfreiheit und gegen das Gleichbehandlungsgebot vor. Auf europäischer Ebene sei ein Verstoß gegen die Europäische Menschenrechtskonvention gegeben, und zwar gegen das Recht auf Achtung des Privatlebens und der Korrespondenz, gegen die Meinungsfreiheit und gegen das Recht auf Achtung des Eigentums.

Der Nutzen einer Vorratsdatenspeicherung sei gegenüber ihren schädlichen Folgen unverhältnismäßig gering. Eine verdachtsunabhängige Protokollierung des Telekommunikationsverhaltens der gesamten Bevölkerung sei exzessiv. Über 99% der von einer Vorratsdatenspeicherung Betroffenen seien unverdächtig und hätten keinen Anlass zu einer Protokollierung ihrer Kommunikation gegeben. Untersuchungen zufolge würden weniger als 0,001% der gespeicherten Daten von den Behörden tatsächlich abgefragt und benötigt.

Oft wird das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 12. März 2003 (Az. 1 BvR 330/96) zitiert, in dem es heißt: "Die schwerwiegenden Eingriffe in das Fernmeldegeheimnis sind nur verhältnismäßig im engeren Sinne, wenn die Gegenbelange entsprechend gewichtig sind. Das Gewicht des Strafverfolgungsinteresses ist insbesondere von der Schwere und der Bedeutung der aufzuklärenden Straftat abhängig (vgl. BVerfGE 100, 313 <375 f., 392> ). Insofern genügt es verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht, dass die Erfassung der Verbindungsdaten allgemein der Strafverfolgung dient (siehe oben aa). Vorausgesetzt sind vielmehr eine Straftat von erheblicher Bedeutung, ein konkreter Tatverdacht und eine hinreichend sichere Tatsachenbasis für die Annahme, dass der durch die Anordnung Betroffene als Nachrichtenmittler tätig wird. […] Entscheidend für das Gewicht des verfolgten Anliegens ist auch die Intensität des gegen den Beschuldigten bestehenden Verdachts (vgl. BVerfGE 100, 313 <392> ). Voraussetzung der Erhebung von Verbindungsdaten ist ein konkreter Tatverdacht. Auf Grund bestimmter Tatsachen muss anzunehmen sein, dass der Beschuldigte mit hinreichender Wahrscheinlichkeit Straftaten von erheblicher Bedeutung begangen hat (vgl. auch BVerfGE 100, 313 <394>)."

Die Richtlinie über die Vorratsdatenspeicherung sei wegen Verstoßes gegen die Gemeinschaftsgrundrechte und wegen fehlender Rechtsgrundlage nichtig. Der Europäische Gerichtshof habe in seinem Urteil vom 30. Mai 2006 zur Übermittlung von Fluggastdaten festgestellt, dass die Europäische Gemeinschaft für den Bereich der öffentlichen Sicherheit und der Strafverfolgung nicht zuständig sei. Eine Pflicht zur Umsetzung der Richtlinie über die Vorratsdatenspeicherung bestehe nicht, weil die europäischen Organe bei Erlass der Richtlinie ihre von den Mitgliedstaaten eingeräumten Kompetenzen überschritten hätten. Das Bundesverfassungsgericht habe in seinem Maastricht-Urteil entschieden, dass derartige Rechtsakte im deutschen Hoheitsbereich nicht verbindlich seien und die deutschen Staatsorgane aus verfassungsrechtlichen Gründen gehindert seien, diese Rechtsakte in Deutschland anzuwenden. Dabei komme es nicht darauf an, ob der Europäische Gerichtshof bereits über die Rechtmäßigkeit der Rechtsakte entschieden habe.

In einem Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestags vom 3. August 2006 zur "Zulässigkeit der Vorratsdatenspeicherung nach europäischem und deutschem Recht" heißt es: "Es bestehen Bedenken, ob die Richtlinie [über die Vorratsdatenspeicherung] in der beschlossenen Form mit dem Europarecht vereinbar ist. Dies betrifft zum einen die Wahl der Rechtsgrundlage, zum anderen die Vereinbarkeit mit den im Gemeinschaftsrecht anerkannten Grundrechten." Weiter sei "zweifelhaft, dass dem Gesetzgeber aufgrund der europarechtlichen Vorgaben eine verfassungsgemäße Umsetzung gelingen wird."

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Argumente der Befürworter einer Vorratsdatenspeicherung kritisch beleuchtet

Verbindungsdaten sind zur Bekämpfung von Terrorismus und organisierter Kriminalität unverzichtbar

Falsch.Zur Kriminalitätsbekämpfung sind auch ohne eine Totalprotokollierung jeder Benutzung von Telefon, Handy, E-Mail und Internet genügend Verbindungsdaten verfügbar:

  • Zu Abrechnungszwecken werden bestimmte Verbindungsdaten ohnehin gespeichert, in Deutschland bis zu sechs Monate lang.
  • Darüber hinaus können die Sicherheitsbehörden bei Bedarf eine richterliche Anordnung beantragen, derzufolge die Verbindungsdaten bestimmter Verdächtiger aufzuzeichnen sind.
  • Die terroristischen Anschläge in Madrid im Jahr 2004 konnten mit Hilfe von Verbindungsdaten aufgeklärt werden, die ohnehin verfügbar waren. Eine Vorratsdatenspeicherung war nicht erforderlich.
  • Bis zum Beschluss der Vorratsspeicherungs-Richtlinie im Jahr 2006 gab es weltweit nur wenige Länder mit Vorratsspeicherungspflichten. In keinem Land gab es eine so umfassende Protokollierung wie in der EU-Richtlinie vorgesehen. Die weltweiten Sicherheitsbehörden sind bisher stets ohne eine Totalprotokollierung der Telekommunikation ausgekommen.

Das Bundeskriminalamt nennt in einer Untersuchung 381 Fälle, in denen den Ermittlungsbehörden Verbindungsdaten fehlten – gemessen an den 6 Mio. pro Jahr begangenen Straftaten eine verschwindend geringe Zahlvon 0,001%. Bei diesen Fällen ging es nur um die Aufklärung bereits begangener Taten, nicht um die Verhinderung von Straftaten. Überdies wiesen von diesen 381 Taten nur zwei Bezüge zu Terrorismus auf, obwohl die Bekämpfung des Terrorismus immer wieder als Grund für die Vorratsdatenspeicherung vorgeschoben wird. Laut Bundeskriminalamt fehlen Verbindungsdaten im Wesentlichen nicht bei der Bekämpfung von Terrorismus und organisierte Kriminalität, sondern bei der Verfolgung des Austauschs von Kinderpornografie im Internet sowie bei Ermittlungen wegen Betrugsdelikten. Bei diesen Straftaten wird allerdings bereits ohne Vorratsdatenspeicherung die höchste Aufklärungsquote aller Straftaten erreicht. Außerdem ist bei Betrugsdelikten Prävention sehr viel wirkungsvoller als Strafverfolgung. Eine Sensibilisierung der Internetnutzer kann etwa verhindern, dass sie leichtgläubig auf Identitätsdiebstahl ("Phishing-Mails") hereinfallen und Schaden erleiden.

Eine Vorratsdatenspeicherung ist gegen Terrorismus und organisierte Kriminalität wirkungslos:

  1. Ernsthafte Kriminelle bleiben unentdeckt, weil sie Umgehungsstrategien einsetzen (z. B. wechselnde Benutzung unregistrierter Prepaid-Handykarten) oder auf andere Kommunikationskanäle ausweichen (z. B. Post, persönliche Treffen).
  2. Der Präsident des Europäischen Verbands der Polizei Heinz Kiefer warnte 2005: "Für Kriminelle bliebe es einfach, mit relativ simplen technischen Mitteln eine Entdeckung zu verhindern, z. B. durch den Einsatz und häufigen Wechsel im Ausland gekaufter, vorausbezahlter Mobiltelefonkarten. Das Ergebnis wäre ein enormer Aufwand mit wenig mehr Wirkung auf Kriminelle und Terroristen, als sie etwas zu verärgern."
  3. Klaus Jansen, Vorsitzender des Bundes Deutscher Kriminalbeamter, klagt bereits heute: "Da es sich herumgesprochen hat, dass Telefongespräche relativ leicht abgehört werden können, reden die Verdächtigen nur noch selten offen am Telefon". Wenn eine Vorratsdatenspeicherung kommt, werden sich Kriminelle auch darauf schnell einrichten.

Auch sonst verhindert eine Vorratsdatenspeicherung keine Kriminalität. Irland, das 2002 eine dreijährige Vorratsdatenspeicherung eingeführt hat, hat keinen Rückgang der Kriminalitätvermelden können.

Wirklich nützlich für die Arbeit der Sicherheitsbehörden wären andere Maßnahmen, etwa verbesserte Zugriffsmöglichkeiten auf ausländische Verbindungsdaten. Sicherheitsbehörden klagen, dass Auskünfte über Verbindungsdaten aus anderen EU-Staaten nur sehr langsam, aus Nicht-EU-Staaten überhaupt nicht zu erlangen sind. Dies beeinträchtige ihre Arbeit viel stärker als das Fehlen von Verbindungsdaten im Inland. Etwa 80% der Ermittlungen im Bereich Terrorismus und organisierte Kriminalität weisen internationale Bezüge auf.

Wenn auch nur ein schweres Verbrechen verhindert werden kann, rechtfertigt dies schon die gesamte Datensammlung

Falsch.

Zunächst einmal wird es kaum jemals vorkommen, dass mithilfe von Verbindungsdaten eine Straftat verhindert werden kann; höchstens können bereits begangene Straftaten aufgeklärt werden.

Selbst, wenn im Ausnahmefall einmal die Verhinderung einer Straftat gelingen könnte, rechtfertigt dies nicht die Aufzeichnung der Kommunikation der gesamten Bevölkerung. Würde die Verhinderung eines Verbrechens jegliche Maßnahme rechtfertigen, müssten wir die Grundrechte aufgeben, auch das Folterverbot und den Schutz der Menschenwürde. All diese Menschen- und Bürgerrechtekönnen der Verbrechensbekämpfung nämlich im Einzelfall im Weg stehen. Insgesamt dienen die Grundrechte aber der Erhaltung einer freien Gesellschaft und einer lebendigen Demokratie, letztlich also dem Wohl der gesamten Bevölkerung. Diese Werte sind für uns wichtiger als der Versuch, möglichst jede Straftat zu verhindern.

Wer jede Straftat verhindern will, müsste konsequenterweise auch für ein Tempolimit auf Autobahnen, für strenge Rauchverbote und für Alkohol-Werbeverbote eintreten. Auch diese Maßnahmen könnten die Anzahl von Todesfällen erheblich senken. Wer dagegen eine "Bevormundung" der Bürger ablehnt und deswegen Verkehrsopfer und Krebstote in Kauf nimmt, kann nicht glaubwürdig jedes einzelne "Verbrechen" verhindern wollen.

Falsche Prioritätensetzung

Wer ständig mehr Sicherheit fordert, lenkt von den Versäumnissen und der falschen Prioritätensetzung der Politik ab. Während die Politik versucht, durch eine lückenlose Überwachung und Kontrolle der Bevölkerung möglichst auch noch den letzten Straftäter zu bestrafen, nimmt sie bewusst in Kauf, dass tausende von Menschen jedes Jahr an den Folgen z. B. von Tabak, Alkohol und Verkehrsunfällen sterben. Zugunsten des Profits einzelner Wirtschaftszweige (Tabakindustrie, Brauereien, Autoindustrie) bleibt die Politik untätig, wo sie Krankheit und Tod unzähliger Menschen leicht verhindern könnte und müsste. Auch bei der Bekämpfung von Arbeitslosigkeit und Armut – seit einigen Jahren die wichtigsten Sorgen der Menschen – hat die herrschende Politik in den letzten Jahren beständig versagt, wie die Statistiken zeigen.

Die Auswirkungen von Kriminalität sind im Vergleich zu diesen Problemen ungleich geringer:

  • Eurostat zufolge sterben weniger als 0,002% der Europäer jährlich als Opfer einer Straftat, terroristische Anschläge eingeschlossen.
  • Der Weltgesundheitsorganisation zufolge beruht der Verlust gesunder Lebenszeit für Westeuropäer zu 92% auf Krankheiten, zu 2% auf Verkehrsunfällen, zu 1% auf Stürzen, zu 1,7% auf Suizid und nur zu 0,2% auf Gewalt und Straftaten. Die großen Gesundheitsrisiken sind andere als Kriminalität: Bluthochdruck, Tabak, Alkohol, Cholesterin, Übergewicht, Fehlernäherung und Bewegungsmangel sind die Hauptrisikofaktoren. Auch dass uns Lebensrisiken wie Armut, Arbeitslosigkeit oder Naturkatastrophen treffen, ist weitaus wahrscheinlicher als das Risiko, Opfer einer Straftat zu werden.
  • Würde man z. B. den Tabakkonsum nur um 2% reduzieren, dann würde man der Gesundheit der Bevölkerung einen größeren Dienst erweisen als durch die Verhinderung sämtlicher Gewalttaten einschließlich Terrorismus.

Wer ständig neue Maßnahmen zur Kriminalitätsbekämpfung fordert, verfehlt damit die wirklichen Probleme der Menschen, mit denen sie täglich zu kämpfen haben. Die Kriminalitätsrate hat schon immer in der gleichen Größenordnung wie heute gelegen, ohne unsere Gesellschaft dadurch ernsthaft zu gefährden.

Nachteile

Wer die einzelne, schreckliche Straftat in den Mittelpunkt stellt, ignoriert, dass die Nachteile einer Totalprotokollierung deren Nutzen bei weitem überwiegen. Weil die Nachteile einer generellen Kommunikationsprotokollierung für unsere Gesellschaft deren Vorteile bei weitem überwiegen, ist eine Vorratsdatenspeicherung unverhältnismäßig. Selbst der Schutz vor Verbrechen rechtfertigt keine unverhältnismäßigen Maßnahmen.

  1. Eine Vorratsspeicherung schreckt Informanten von Journalisten davon ab, wichtige Informationen über Missstände per Telefon, Fax oder Internet weiterzugeben. Informanten müssten ständig damit rechnen, dass ihr Kontakt mithilfe von Verbindungsdaten aufgedeckt werden kann.
  2. Wer bei einem Anwalt, einem Arzt oder einer Beratungsstelle (z. B. Eheberatung, Suchtberatung, Telefonseelsorge) Rat sucht, müsste bedenken, das der Kontakt Rückschlüsse auf sein persönliches Problem (z. B. Ermittlungsverfahren, Krankheit, Ehekrise, Suchtproblem) zulassen kann und im Fall des Bekanntwerdens Nachteile drohen. Für Prominente, denen die Sensationspresse auf Schritt und Tritt nachspioniert, ist dies eine besondere Gefahr.
  3. Vertrauliche Verhandlungen in der Wirtschaft über Großaufträge oder Fusionen würden behindert, weil die Beteiligten mit Wirtschaftsspionage rechnen müssten. Konkurrenzunternehmen könnten auf Verbindungsdaten zugreifen, um Aufträge "wegzuschnappen" oder Zusammenschlüsse zu verhindern.
  4. Politiker würden erpressbar, weil ihre Kontakte zu umstrittenen Personen (z. B. Lobbyisten, Industrielle) nachvollziehbar würden.
  5. Die Arbeit von politischen Aktivisten (z. B. Globalisierungskritiker, Castorgegner) würde behindert, weil sie mit einer – auch nachträglichen – Aufdeckung ihrer Netzwerke durch den Verfassungsschutz rechnen müssten.

Insgesamt würde die Unbefangenheitweiter Teile der zwischenmenschlichen Kommunikation verlorengehen, und zwar spätestens, wenn der erste Missbrauchsfall an das Licht der Öffentlichkeit gelangt. Abhörskandale hat es bereits in Griechenland und Italien gegeben. In den USA können Verbindungsdaten käuflich erworben werden. In Deutschland ist Missbrauch mit Bonusmeilen-Daten und die Bespitzelung von Journalisten durch Geheimdienste bekannt geworden. Dass auch vorratsgespeicherte Kommunikationsdaten missbraucht würden, ist nur eine Frage der Zeit – und der Geldsumme, die z. B. einem Telekom-Mitarbeiter für eine Auskunft angeboten wird.

Kommunikationsinhalte werden nicht gespeichert

Das ist für sich genommen zwar richtig, aber irreführend. In vielen Fällen lässt sich der Kommunikationsinhalt nämlich anhand der Verbindungsdaten rekonstruieren.

Schon die Person des Gesprächspartners lässt oft Rückschlüsse auf den Gesprächsinhaltzu. Es liegt auf der Hand, weshalb jemand eine Ehe- oder Drogenberatungsstelle anruft, einen auf Geschlechtskrankheiten spezialisierten Arzt, einen Fachanwalt für Steuerstrafrecht oder eine Telefonsexnummer. Bei Politikern können Kontakte zu Lobbyisten oder zu Prostituierten von Interesse sein.

Bei der Nutzung des Internet werden die abgerufenen Inhalte, die Klicks und Suchwörter des Nutzers oft von dem Anbieter freiwillig mitprotokolliert ("Server-Logfiles"). Hier genügen schon die Verbindungsdaten des Internet-Zugangsanbieters (IP-Adresse), um die Kommunikationsinhalteminuziös nachvollziehenzu können.

Es besteht die Gefahr, dass die Vorratsdatenspeicherung in Zukunft auf Kommunikationsinhalte ausgedehntwird. In Italien werden beispielsweise SMS bereits gespeichert. Mit dem Argument, dass die Daten zur Strafverfolgung benötigt werden, lässt sich in Zukunft durchaus auch eine Inhaltsspeicherung rechtfertigen.

Verbindungsdaten werden bereits heute gespeichert

Das ist in dieser pauschalen Form falsch.

Derzeit dürfen Telekommunikationsanbieter nur die Verbindungsdaten speichern, von denen die Rechnungshöhe abhängt (§ 97 Absatz 3 Telekommunikationsgesetz). Deswegen dürfen etwa Handy-Standortdaten (Wer hat wo telefoniert?) und E-Mail-Verbindungsdaten (Wer hat wem eine E-Mail geschickt?) bisher nicht gespeichert werden. Bei Pauschaltarifen ("flatrates") dürfen bisher keinerlei Verbindungsdaten gespeichert werden, weil dies nicht zur Abrechnung erforderlich ist.

Auch in Bezug auf Abrechnungsdaten kann der Kunde bisher deren monatliche Löschungmit Rechnungsversand verlangen. Der Kunde kann auch verlangen, dass Rufnummern vor vornherein nur um drei Stellen verkürzt gespeichert werden. Macht der Kunde von diesen Rechten keinen Gebrauch, werden die Daten meist 80 oder 90 Tage lang gespeichert und nicht sechs Monate lang wie mit der Vorratsdatenspeicherung geplant.

Es werden somit nicht alleVerbindungsdaten gespeichert und auch diese nicht so lange wie mit der Vorratsdatenspeicherung geplant.

Der Zugriff auf die gespeicherten Daten ist nur unter engen Voraussetzungen (z. B. richterliche Anordnung) zulässig

Falsch. Verbindungsdaten werden schon heute zehntausende Male im Jahr abgefragt, die Identität von Telefon-, Handy-, E-Mail- und Internetnutzern (Bestandsdaten) wird sogar mehrere Millionen Mal jährlich abgefragt (3,4 Mio. mal im Jahr 2005 oder 9.000mal am Tag). Eine Vorratsdatenspeicherung würde die Zahl der Abfragen noch einmal sprunghaft ansteigen lassen. In Anbetracht dessen kann keine Rede davon sein, dass der Zugriff auf die gespeicherten Daten engen Voraussetzungen unterliege.

  • In Deutschland sollen Zugriffe auf vorratsgespeicherte Verbindungsdaten bei jedem Verdachteiner "erheblichen" oder einer "mittels Telekommunikation begangenen" Straftat zulässig sein. Im Grundsatz soll also jeder Verdacht einer am Telefon oder im Internet begangenen Straftat die Abfrage unseres Kommunikationsverhaltens rechtfertigen, aber auch jeder Verdacht einer sonstigen, "erheblichen" Straftat.
  • Zugriff erhalten zu diesem Zweck die Staatsanwaltschaft, aber auch ausländische Staatenwie die USA im Rahmen von Rechtshilfeübereinkommen. In Deutschland ist im Normalfall eine richterliche Anordnung erforderlich, aber der Richter überprüft nur das Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen. Sind diese gegeben, muss er den Zugriff genehmigen.
  • Bei Anfragen ausländischer Staaten ist oftmals keine richterliche Anordnungerforderlich. Was mit den Daten im Ausland geschieht, ist nicht kontrollierbar.
  • Noch in der Diskussion ist, ob auch Polizei und Geheimdiensten der Zugriff auf vorratsgespeicherte Verbindungsdaten erlaubt wird. Die Nachrichtendienste haben schon heute Zugriff auf Verbindungsdaten und brauchen dazu keine richterliche Genehmigung.
  • Zugriff auf die Identität von Telefon-, Handy-, E-Mail- und Internetnutzern (Name, Anschrift, Geburtsdatum) sollen alle Behörden bekommen, die irgend ein Interesse daran haben könnten (z. B. Polizei, Staatsanwaltschaft, Geheimdienste, Zoll, Behörden zur Bekämpfung von Schwarzarbeit). Schon die Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten (z. B. Falschparken) soll Zugriffe in einem automatisierten Abrufverfahrenrechtfertigen. In keinem dieser Fälle ist eine richterliche Anordnung erforderlich.
  • Auch die Film- und Musikindustrieund andere "Rechteinhaber" sollen Auskunft über die Identität von Telefon-, Handy-, E-Mail- und Internetnutzern verlangen dürfen, etwa um die Benutzung von Tauschbörsen im Internet verfolgen zu können. Hier ist zwar eine richterliche Anordnung erforderlich, aber der Richter überprüft nur das Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen. Sind diese gegeben, muss er den Zugriff genehmigen.

Eine Untersuchung über das Abhören von Telefonen hat im Übrigen gezeigt, dass das Erfordernis eines "richterlichen Beschlusses" keine wirksame Kontrollegewährleistet: In sehr vielen Fällen wurde eine Blankoerlaubnis erteilt, ohne dass auch nur die eingereichten Schriftstücke näher begutachtet und bei Fehlen der rechtlichen Voraussetzungen Anträge abgelehnt wurden. Der "richterliche Beschluss" konnte auch nicht verhindern, dass die Anzahl von Telefonüberwachungen seit Jahren immer weiter ansteigt – aufgrund einer Verwässerung der Voraussetzungen für Überwachungsmaßnahmen, nicht etwa aufgrund eines entsprechend starken Anstiegs der Verbrechensanzahl. Dass nur die Einrichtung der Überwachung, nicht aber deren weitere Durchführung der richterlichen Kontrolle unterliegt, wird dabei ebenfalls immer wieder von Datenschützern bemängelt.

Abgesehen davon zeigt die aktuelle Mautbrückendiskussion, wie unsicher rechtlich geschützte Datensammlungen auf Dauer sind. Zugriffsbeschränkungen, die heute noch gesetzlich vorgesehen sind, können morgen schon durch Gesetzesänderungen verwässertoder aufgehoben werden. Dieser Mechanismus ist immer wieder zu beobachten. Beispielsweise war der Zugriff auf Bankkonten-Stammdaten ursprünglich nur zur Bekämpfung des Terrorismus eingeführt worden. Heute haben Finanzämter, Sozialämter und viele mehr Zugriff auf diese Daten.

All diese Aspekte sind Grund genug, an der dauerhaften Sicherheit der Daten vor Missbrauchsowie dem Zugriff nichtstaatlicher Stellen zu zweifeln. Das Aushebeln gesetzlicher Schutzmechanismen (z. B. Mautzweckbindung), Gummiparagraphen (sehr unscharfe Gesetze), menschliches Versagen (z. B. fehlerhafte richterliche Kontrolle) und die fortschreitende Auslagerung von Staatsaufgaben an die private Wirtschaft (Datenzugriff von "Rechteinhabern") lassen kaum erwarten, dass gerade bei vorratsgespeicherten Daten mit besonderer Gewissenhaftigkeit vorgegangen wird.

Deutschland ist verpflichtet, die europäische Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung umzusetzen

Falsch. Die europäische Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung muss wegen schwerer und offensichtlicher Rechtsverstöße nicht umgesetzt werden und wird voraussichtlich 2008 vom Europäischen Gerichtshof für nichtigerklärt werden.

Die EG-Richtlinie ist wegen fehlender Rechtsgrundlage und wegen der Verletzung zahlreicher Grundrechte rechtswidrig. Irland hat im Juni 2006 Klage gegen die Richtlinie erhoben. Zuvor hatte der Europäische Gerichtshof in einem anderen Fall entschieden, dass die EU keine Kompetenz für Maßnahmen zur Verbesserung der "öffentlichen Sicherheit oder Strafverfolgung" hat. Er hat deswegen die Fluggastdatenübermittlung in die USA für unzulässig erklärt. Rechtsexperten halten es für ausgeschlossen, dass der Gerichtshof im Fall der Vorratsdatenspeicherung zu einem anderen Ergebnis gelangen wird. Selbst die Bundesjustizministerin Zypries räumte nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs zur Fluggastdatenübermittlung ein, dass die EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung auf der Kippe steht.

Deutschland ist auch in der Zwischenzeit bis zur Entscheidung des Gerichtshofs nicht zur Umsetzung verpflichtet. Dem Europäischen Gerichtshof zufolge ist eine Richtlinie von vornherein "inexistent", wenn sie mit einem Fehler behaftet ist, dessen Schwere so offensichtlich ist, dass er von der Gemeinschaftsrechtsordnung nicht geduldet werden kann. Dem Bundesverfassungsgericht zufolge darf Deutschland keine Richtlinie umsetzen, bei deren Erlass die EU ihre Hoheitsbefugnisse überschritten hat.

Dass diese Voraussetzungen im Fall der Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung gegeben sind, wird zwar von Seiten der Bundesregierung bestritten. Wenn Deutschland die Umsetzung bis zur Entscheidung des Gerichtshofs aufschiebt, droht aber allenfalls die Einleitung eines Vertragsverletzungsverfahrens ohne finanzielle Nachteile für Deutschland. In anderen Fällen, z. B. bei der Richtlinie über Tabakwerbung, hat Deutschland von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht. Ein Umsetzungsmoratorium ist folglich durchaus möglich, wenn die Politik nur will.

Die Richtlinie war als Kompromiss nötig, um weiter gehende Speicherpflichten zu verhindern

Falsch. Deutschland hätte den Beschluss der EU-Richtlinie insgesamt verhindern können, wenn die Verhandlungsführer der Bundesregierung von Anfang an jede Vorratsdatenspeicherung abgelehnt hätten, wie es mehrere Beschlüsse des Bundestags gefordert hatten. Stattdessen hat sich Bundesjustizministerin Zypries ohne Not mit einer sechsmonatigen Speicherung einverstanden erklärt, diese als nützlich bezeichnet und entgegen den Vorgaben des Bundestags aktiv auf eine sechsmonatige Speicherpflicht hingearbeitet.

Deutschland setzt die EU-Richtlinie nur mit den Mindestanforderungen um

Selbst wenn dies so wäre, würde das nichts daran ändern, dass eine systematische Protokollierung des Telekommunikationsverhaltens der gesamten Bevölkerung grob unverhältnismäßigund mit einer freien Gesellschaft nicht zu vereinbaren ist. Mit dem begrenzten Umfang der anlasslosen Kommunikationsprotokollierung zu argumentieren ist wie einem Menschen zu sagen: "Keine Sorge, wir schlagen dich nicht tot, sondern nur krankenhausreif."

Tatsächlich ist es auch falsch, dass nur die Mindestanforderungen der EU-Richtlinie umgesetzt würden. In Wahrheit soll das deutsche Recht in vielen Punkten über die Vorgaben der EU-Richtlinie hinausgehen:

  1. In Deutschland sollen Internet-Anonymisierungsdienstezur Vorratsdatenspeicherung verpflichtet werden, was sie praktisch wirkungslos machen würde. Die EU-Richtlinie sieht das nicht vor.
  2. In Deutschland sollen Zugriffe auf vorratsgespeicherte Verbindungsdaten bei jedem Verdachteiner "erheblichen" oder einer "mittels Telekommunikation begangenen" Straftat zulässig sein. Noch in der Diskussion ist, ob auch Polizei und Geheimdiensten der Zugriff zur "Gefahrenabwehr" und zur "Sammlung von Erkenntnissen" erlaubt wird. Die EU-Richtlinie sieht Zugriffsrechte nur zur Verfolgung "schwerer Straftaten" vor.
  3. In Deutschland soll eine Telefonnummer und ein E-Mail-Postfach nur bekommen, wer seinen Namen, seine Anschrift und sein Geburtsdatum angibt ( Identifizierungszwang). Diese Daten sind für eine Vielzahl staatlicher Behörden abrufbar. Selbst Anbieter vorausbezahlter und kostenloser Dienste (z. B. Prepaid-Handykarten, E-Mail-Konten) müssen diese Daten abfragen. Die EU-Richtlinie sieht keinen solchen Identifizierungszwang vor.
  4. Zugriff auf die Identität von Telefon-, Handy-, E-Mail- und Internetnutzern (Name, Anschrift, Geburtsdatum) sollen alle Behörden bekommen, die irgend ein Interesse daran haben können (z. B. Polizei, Staatsanwaltschaft, Geheimdienste, Zoll, Behörden zur Bekämpfung von Schwarzarbeit). Schon die Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten (z. B. Falschparken) soll Zugriffe in einem automatisierten Abrufverfahrenrechtfertigen. Auch die Film- und Musikindustrie und andere "Rechteinhaber" sollen Auskunft über die Identität der Kommunizierenden verlangen dürfen, etwa um die Benutzung von Tauschbörsen im Internet verfolgen zu können. Die EU-Richtlinie sieht Zugriffsrechte nur zur Verfolgung "schwerer Straftaten" vor.
  5. Die Daten über die Identität von Telefon-, Handy-, E-Mail- und Internetnutzern (Name, Anschrift, Geburtsdatum) sollen nach Vertragsende bis zu zwei Jahre langauf Vorrat gespeichert bleiben. Die EU-Richtlinie fordert nur eine sechsmonatige Speicherung.
  6. Wer in Deutschland ein Mobiltelefon zusammen mit einer Handykarte verkauft, soll künftig die Kennung (IMEI) des Mobiltelefonsregistrieren und für die Behörden zum Abruf bereit halten. In der EU-Richtlinie ist davon keine Rede.
  7. In Deutschland sollen Anbieter von Telefon-, Handy-, E-Mail- und Internetdiensten keine Entschädigungfür die Vorratsspeicherung und die dafür anfallenden Kosten erhalten. Die Kosten müssen deswegen im Wege von Preiserhöhungenauf die Nutzer umgelegt werden. Bisher kostenlosen Diensten droht die Einstellung. Die EU-Richtlinie steht einer Entschädigung demgegenüber nicht entgegen.

Durch die Vorratsdatenspeicherung werden Bürgerrechte nicht beschnitten

Diese Behauptung, die Bundesjustizministerin Brigitte Zypries (SPD) 2006 vor dem Deutschen Bundestag aufgestellt hat, ist falsch.

Am schwersten wiegt die Verletzung des Fernmeldegeheimnisses: Ohne jeden Verdacht einer Straftat sollen sensible Informationen über die sozialen Beziehungen (einschließlich Geschäftsbeziehungen), die Bewegungen und die individuelle Lebenssituation (z. B. Kontakte mit Ärzten, Rechtsanwälten, Psychologen, Beratungsstellen) von über 80 Millionen Bundesbürgerinnen und Bundesbürgern gesammelt werden. Damit höhlt eine Vorratsdatenspeicherung Anwalts-, Arzt-, Seelsorge-, Beratungs- und andere Berufsgeheimnisse aus und begünstigt Wirtschaftsspionage. Sie untergräbt den Schutz journalistischer Quellen und beschädigt damit die Pressefreiheit im Kern. Auch die Unschuldsvermutung wird abgeschafft: Es werden Berge von Spuren und Beweismaterial gegen jeden gesammelt, ohne dass der geringste Verdacht gegen die Betreffenden vorliegt. Das steht auch in klarem Widerspruch zum Grundgesetz.

Man vergleiche die Vorratsdatenspeicherung einmal mit dem Versenden von Briefen, bei denen man auf dem Umschlag nicht einmal den Absender angeben muss. Eine "Vorratsdatenspeicherung für Briefe" würde bedeuten, dass der Staat registrieren lässt, wer wem wann einen Brief geschickt hat. Eine "Vorratsdatenspeicherung für Gespräche" würde bedeuten, dass staatliche Spitzel überall mitschreiben, wer wann mit wem geredet hat. An diesen Beispielen wird deutlich, dass eine Vorratsdatenspeicherung der Stasi würdig ist, nicht aber einem demokratischen Rechtsstaat.

Der Gesetzentwurf zur Vorratsdatenspeicherung ist verfassungskonform

Falsch. Der Einführung einer Vorratsdatenspeicherung in Deutschland stehen die Grundrechte der betroffenen Bürger und die dazu ergangene verfassungsgerichtliche Rechtsprechung entgegen.

Dies gilt zum einen für das vom Bundesverfassungsgericht ausgesprochene " außerhalb statistischer Zwecke bestehende strikte Verbot der Sammlung personenbezogener Daten auf Vorrat."

Im dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 04.04.2006 heißt es weiter: " Selbst bei höchstem Gewicht der drohenden Rechtsgutbeeinträchtigung kann auf das Erfordernis einer hinreichenden Wahrscheinlichkeit nicht verzichtet werden." " Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit führt dazu, dass der Gesetzgeber intensive Grundrechtseingriffe erst von bestimmten Verdachts- oder Gefahrenstufen anvorsehen darf […] Verzichtet der Gesetzgeber auf begrenzende Anforderungen an die Wahrscheinlichkeit des Gefahreneintritts sowie an die Nähe der Betroffenen zur abzuwehrenden Bedrohung und sieht er gleichwohl eine Befugnis zu Eingriffen von erheblichem Gewicht vor, genügt dies dem Verfassungsrecht nicht."

Eine Vorratsdatenspeicherung verzichtet auf jeden Verdachtsgradund auf jede Nähe der Betroffenen zu den aufzuklärenden Straftaten, stellt gleichzeitig aber einen schwerwiegenden Grundrechtseingriff dar, weil sensible Daten über das Kommunikationsverhalten der gesamten Bevölkerung gesammelt werden. Dies ist mit dem Verfassungsrecht unvereinbar.

In einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 12.03.2003 heißt es: " Insofern genügt es verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht, dass die Erfassung der Verbindungsdaten allgemein der Strafverfolgung dient. Vorausgesetzt sind vielmehr eine Straftat von erheblicher Bedeutung, ein konkreter Tatverdachtund eine hinreichend sichere Tatsachenbasis."

Mit diesen Vorgaben steht die beabsichtigte Vorratsdatenspeicherung im evidenten Widerspruch. Mit der Vorratsdatenspeicherung ordnet der Staat eine Erfassung und Vorhaltung von Verbindungsdaten an, die nur allgemein der Strafverfolgung dienen soll, aber keinen konkreten Tatverdacht und keinerlei Anhaltspunkte einer Straftat voraussetzt.

Schon 1967 hat das Bundesverwaltungsgericht entschieden: " Ausgangspunkt hat die Feststellung zu sein, daß nach dem Menschenbild des Grundgesetzes die Polizeibehörde nicht jedermann als potentiellen Rechtsbrecher betrachtenund auch nicht jeden, der sich irgendwie verdächtig gemacht hat ('aufgefallen ist') oder bei der Polizei angezeigt worden ist, ohne weiteres 'erkennungsdienstlich behandeln' darf. Eine derart weitgehende Registrierung der Bürger aus dem Bestreben nach möglichst großer Effektivität der Polizeigewalt und Erleichterung der polizeilichen Überwachung der Bevölkerung widerspräche den Prinzipien des freiheitlichen Rechtsstaates."

Die Vorratsdatenspeicherung geht weit über die Aufnahme vom Lichtbildern und Fingerabdrücken im Rahmen einer erkennungsdienstlichen Behandlung hinaus. Sie betrifft sensible Daten über die Kommunikation der Menschen mit ihren nächsten Angehörigen sowie mit Beratungs- und Hilfsberufen, über die sozialen Beziehungen der Menschen zueinander, über ihre Internetnutzung und über ihr Bewegungsverhalten. Eine derart weitreichende Registrierung des Verhaltens aller 82 Mio. Menschen in Deutschland aus dem Bestreben nach möglichst großer Effektivität der Polizeigewalt und Erleichterung der Verfolgung von Straftaten widerspricht den Grundprinzipien des freiheitlichen Rechtsstaates.

Mit Beschluss vom 22.08.2006 hat das Bundesverfassungsgericht an den Gesetzgeber nochmals eine besondere Warnung gerichtet: " Das Bundesministerium der Justiz hat mitgeteilt, seit längerem an einer Gesamtregelung der strafprozessualen heimlichen Ermittlungsmaßnahmen zu arbeiten […] Es stellt sich auch die Frage, ob und in welchem Umfang von einer neuerlichen Ausdehnung heimlicher Ermittlungsmethoden im Hinblick auf Grundrechtspositionen unbeteiligter DritterAbstand zu nehmen ist." Die Vorratsdatenspeicherung stellt eine schwerwiegende Ausdehnung der heimlichen Telekommunikationsüberwachung dar und beschädigt Grundrechtspositionen unbeteiligter Dritter massiv.

Vor dem Hintergrund der klaren verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung wäre es ein vorsätzlicher Verfassungsbruch, eine Vorratsspeicherung von Telekommunikations-Verkehrsdaten gleichwohl zu beschließen.

Wer redlich lebt, hat nichts zu verbergen

Falsch. Jeder hat eine Intim- und Privatsphäre, die den Staat nichts angeht.

Wer von sich behauptet, nichts zu verbergen zu haben, muss sich fragen lassen, warum er seine Wohnung bekleidet verlässt oder die Toilettentür hinter sich schließt. Jeder hat einmal Erlebnisse gehabt, die niemanden etwas angehen und die er nicht der Gefahr eines Bekanntwerdens aussetzen möchte. Auch dass er sich noch nie etwas zuschulden kommen lassen hätte, kann wohl kaum jemand von sich behaupten. Noch nie schwarz gefahren? Noch nie beim Autoverkauf geflunkert (Betrug)? Immer alle Einnahmen in der Steuererklärung angegeben? Noch nie zu schnell gefahren? Wenn der Staat jemanden nur lange genug überwacht, wird er früher oder später immer ein Vergehen feststellen. Hinzu kommt: Selbst wer vollkommen unschuldig ist, hat handfeste Nachteile durch Überwachung und Datensammlung zu befürchten.

Sollte sich trotzdem jemand finden, der sein Leben in einem Big Brother-Container verbringen möchte, der kann dies gerne tun. Er soll anderen aber nicht vorwerfen, dass sie ihre Geheimnisse für sich behalten wollen.

Übrigens hat auch der Staat selbst etwas zu verbergen. Das nennt man "Staatsgeheimnisse". Abgeordnete wehren sich gegen "zuviel" Transparenz, wollen ihre Einkünfte nicht offen legen. Auch staatliche Überwachungsmaßnahmen selbst werden verborgen. Sie sollen vor den Überwachten geheim bleiben.

Wir brauchen mehr Überwachung, um uns vor Kriminalität/Terroristen/Sexualstraftätern zu schützen und um in Sicherheit leben zu können.

Falsch. Mehr Überwachung bringt nicht mehr Sicherheit.

Wie sicher wir leben, lässt sich an der Kriminalitätsrate ablesen. Dass mehr Überwachung zu einer niedrigeren Kriminalitätsrate führt, ist weder erwiesen, noch wird dies von den Innenpolitikern auch nur behauptet. Tatsächlich lässt sich ein messbarer Einfluss von Überwachungsmaßnahmen auf die Kriminalitätsrate weder im zeitlichen, noch im internationalen Vergleich feststellen. Umgekehrt zeigt eine amerikanische Vergleichsstudie, dass kein Zusammenhang zwischen dem Ausmaß der Ermittlungsbefugnisse der Strafverfolgungsbehörden einerseits und der Kriminalitätsrate andererseits besteht.

Dass Überwachungsmaßnahmen den Behörden in einzelnen Fällen nützlich sein können, mag durchaus sein. Insgesamt gesehen ist der Nutzen aber vernachlässigbar gering. Es gibt eine Statistik der Weltgesundheitsorganisation, die den Verlust gesunder Lebenszeit durch vorzeitigen Tod, Krankheit oder Behinderung misst. Dieser Statistik zufolge beruht der Verlust gesunder Lebenszeit für Westeuropäer zu 92% auf Krankheiten, zu 2% auf Verkehrsunfällen, zu 1% auf Stürzen, zu 1,7% auf Suizid und gerade einmal zu 0,2% auf Gewalt. Straftaten sind der Statistik zufolge für die Gesundheit der Bevölkerung in etwa so schädlich wie versehentliche Vergiftungen, Karies, Rückenschmerzen oder Durchfall. Eurostat zufolge sterben weniger als 0,002% der Europäer jährlich als Opfer einer Straftat, terroristische Anschläge eingeschlossen. Ausweislich der Statistik ist es um ein Vielfaches wahrscheinlicher, wegen eines ungesunden Lebensstils (z. B. falsche Ernäherung, Bewegungsmangel, Alkohol, Nikotin), durch einen Sturz oder im Straßenverkehr zu sterben als infolge einer Straftat. Die großen Risiken für unsere Gesundheit sind andere als Kriminalität: Bluthochdruck, Tabak, Alkohol, Cholesterin, Übergewicht, Fehlernäherung und Bewegungsmangel sind die Hauptrisikofaktoren. Würde man z. B. den Tabakkonsum nur um 2% zurückfahren, dann würde man der Gesundheit der Bevölkerung einen größeren Dienst erweisen als durch die Verhinderung sämtlicher Gewalttaten. Auch dass uns Zivilisationsrisiken wie Krankheit, Armut, Arbeitslosigkeit oder Naturkatastrophen treffen, ist weitaus wahrscheinlicher als das Risiko, Opfer einer Straftat zu werden.

Die Lebenserwartung der Europäer steigt seit Jahrzehnten. Vor diesem Hintergrund stellt die Kriminalität zwar ein ernst zu nehmendes Problem dar, das der Staat mit angemessenen Maßnahmen einzudämmen versuchen sollte. Die Kriminalität ist aber nur ein Risiko unter vielen, mit denen das Leben notwendig verbunden ist, und ein vergleichsweise geringes Risiko. Außerdem hat die Kriminalität Ursachen in unserer Gesellschaft, welche die Polizei nicht beseitigen kann. Diese Kriminalitätsursachen müssen anders angegangen werden.

Wir müssen alles tun/alle verfügbaren Mittel einsetzen, um künftig solche schrecklichen Verbrechen/Terroranschläge… zu verhindern.

Falsch. Es dient unserer Sicherheit, dass der Staat nichtalle verfügbaren Mittel einsetzen darf.

Der Staat verfolgt nicht nur Straftäter, sondern er ermittelt gegen Verdächtige. Darunter befinden sich viele Menschen, deren Unschuld sich erst später herausstellt oder deren Schuld im weiteren Verlauf nicht festgestellt werden kann. Die Instrumente der Strafverfolgungsbehörden (z. B. Telefonüberwachung, Observation, Nachbarbefragung, Untersuchungshaft) treffen in vielen Fällen Unschuldige. Weil jeder Opfer eines Irrtums oder einer Falschverdächtigung werden kann, müssen wir zu unserer eigenen Sicherheit dafür sorgen, dass die staatliche Macht begrenzt bleibt.

Bestimmte Methoden (z. B. Folter) widersprechen außerdem der Würde jedes Menschen, auch der des Straftäters. In unserer Geschichte haben wir gelernt, dass die uneingeschränkte Förderung von "Gemeinwohl" und "Volksgemeinschaft" letztendlich nicht in unserem Interesse liegt. Andere Instrumente (z. B. verdachtslose Überwachung beliebiger Personen) sind unverhältnismäßig. Ihr Nutzen steht außer Verhältnis zu ihren negativen Auswirkungen auf eine demokratische Gesellschaft, die auf das unbefangene Mitwirken gerade kritischer Bürgerinnen und Bürger angewiesen ist.

Langfristig dienen rechtsstaatliche Beschränkungen und die Achtung der Menschenrechte der Sicherheit, denn exzessive Kontrolle und Repression erzeugt Unzufriedenheit und Widerstand. Die Achtung der Grundrechte macht uns sicherer, nicht verletzlicher. Der Oberste Gerichtshof des Staates Israel führte im Jahr 1999 zutreffend aus: " Dies ist das Schicksal der Demokratie, weil nicht alle Mittel mit ihr vereinbar und nicht alle Methoden ihrer Feinde für sie verfügbar sind. Obwohl eine Demokratie oft mit einer Hand auf ihren Rücken gebunden kämpfen muss, behält sie trotzdem die Oberhand. Die Erhaltung der Rechtsstaatlichkeit und die Anerkennung der Freiheit des Einzelnen bilden einen wichtigen Bestandteil ihres Verständnisses von Sicherheit. Letztlich erhöht dies ihre Stärke."

Datenschutz ist Täterschutz. Er steht dem Schutz unschuldiger Menschen im Weg.

Falsch. Datenschutz ist Grundrechtsschutz. Er dient dem Schutz unschuldiger Menschen.

Dass der Staat nicht unbegrenzt Wissen über uns sammeln und unsere Daten nicht beliebig rastern darf, dient unserem eigenen Schutz. Je mehr der Staat über uns weiß, desto mehr Ansatzpunkte für Ermittlungen stehen ihm zur Verfügung und desto größer wird die Gefahr von Falschverdächtigungen. Außerdem laden umfangreiche Datenbestände zu Missbrauch ein. In der Vergangenheit hat es immer wieder Fälle gegeben, in denen Polizeibeamte gegen Bezahlung oder aus privaten Gründen auf Polizeidaten zugegriffen haben. Schon die Befürchtung von Missverständnissen oder Missbräuchen kann unsere Entscheidungsfreiheit beeinträchtigen. Wenn wir anonym handeln können oder wissen, dass unsere Daten unverzüglich gelöscht oder wenigstens nicht zu anderen Zwecken genutzt werden, dann scheuen wir auch vor sensiblen Aktivitäten nicht zurück (z. B. Teilnahme an Demonstrationen, Mitarbeit in Oppositionsgruppe, Inanspruchnahme psychologischer Beratung, sexuelle Aktivitäten). Datenschutz ist daher Freiheitsschutz.

Wir müssen etwas gegen die Kriminalität unternehmen. Wir können nicht die Hände in den Schoß legen und kapitulieren.

Falsch. Aktionismus von Politikern ist nutzlos.

Keiner will gegen Kriminalität "die Hände in den Schoß legen". Tätig werden müssen aber die Sicherheitsbeamte und nicht die Abgeordneten. Wenn spektakuläre Verbrechen in das Rampenlicht der Öffentlichkeit rücken, ist das in allererster Linie ein Weckruf an die zuständigen Behörden, künftig noch intensiver an der Verhinderung solcher Vorfälle zu arbeiten. Politiker reagieren oft mit der Forderung nach "verbesserten" Gesetzen. Neue Gesetze sind für Politiker zwar ein einfaches und billiges Mittel, um öffentlichkeitswirksam Tatkraft und Entschlossenheit zu demonstrieren. Derartiger Aktionismus führt aber oft zu Gesetzen, die dem Bürger keinen messbaren Nutzen bringen. Wer Sicherheit durch immer neue Gesetze verspricht und – zwangsläufig – Straftaten gleichwohl nicht verhindern kann, der verliert mittelfristig das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger und fördert die Politikverdrossenheit. Er gefährdet damit letztlich die Funktionsfähigkeit unserer Demokratie.

Der Staat ist verpflichtet, seine Bürger zu schützen. Die Bürger haben einen Anspruch auf Sicherheit.

Falsch. Mehr als angemessene Maßnahmen gegen Kriminalität können die Bürger vom Staat nicht verlangen.

Einen "Anspruch auf Sicherheit" kann es schon deshalb nicht geben, weil kein Staat eine vollständige Sicherheit vor Straftaten gewährleisten kann. Selbst Polizeistaaten mit unbegrenzter Macht (z. B. die DDR) haben die Kriminalität nie beseitigen können. Umgekehrt gab es in solchen Staaten viel Korruption, Willkür und Staatskriminalität. Ein demokratischer Rechtsstaat geht entschlossen gegen Straftäter vor. Er erlegt sich zum Schutz Unschuldiger und zur Gewährleistung einer freiheitlichen Gesellschaft aber bewusst Grenzen und Fesseln auf. Gerade dies macht seinen Charakter und seine Stärke als Rechtsstaat aus.

Wer nichts zu verbergen hat, hat nichts zu befürchten.

Falsch. Unschuldige geraten immer wieder zu Unrecht in das Visier von Behörden.

Auch unschuldige Menschen müssen sich fragen lassen: "Wenn du nichts zu verbergen hast, kannst du davon auch den Polizisten oder den Einreisebeamten überzeugen?" Auch wer unschuldig ist, muss zunehmend mit polizeilichen Maßnahmen rechnen. Oft ziehen schon ein falscher Verdacht, vermeintliche Risikofaktoren (z. B. "falsche" Religion, "falsche" Nationalität, "falscher" Geburtsort, "falscher" Name, "falsche" Bücher gelesen, "falsche" Meinung geäußert) oder unglückliche Umstände einschneidende Maßnahmen nach sich. In der Folge kann es zur Befragung von Nachbarn und Arbeitskollegen kommen, zur Observation, zu Wohnungsdurchsuchungen oder zur Festnahme. Derartige Maßnahmen können Vorverurteilungen im sozialen Umfeld und sogar Existenzvernichtungen zur Folge haben. Auch unberechtigte Aus- und Einreiseverweigerungen, Vermögensbeschlagnahmen, Grenzzurückweisungen wegen Namensverwechselungen bis hin zu Verschleppungen durch Geheimdienste und irrtümlichen Tötungen durch Polizei oder "Sky-Marshalls" werden immer wieder bekannt.

Überwachung und Datensammlung liefern eine Flut von Informationen, aus denen sich Unregelmäßigkeiten ablesen lassen oder ein Verdacht konstruieren lässt. Dann hilft es nicht, wenn man "nichts zu verbergen" hat.

Außerdem: Wer nichts zu verbergen hat, braucht auch nicht überwacht zu werden.

Die Überwachung erfolgt ausschließlich zur Bekämpfung schwerer Straftaten.

Falsch. Ein Missbrauch zu anderen Zwecken kommt immer wieder vor.

Fälle wie die Journalistenbespitzelung durch den BND zeigen immer wieder, dass Sicherheitsgesetze missbraucht werden. Neben Journalisten haben auch staatskritische Aktivisten wie Globalisierungskritiker mit Missbrauch zu rechnen. Weil staatskritische Journalisten und Aktivisten zu unser aller Nutzen handeln, sollte uns ihre Freiheit nicht gleichgültig sein.

Das Bundesverfassungsgericht warnt: " Die Befürchtung einer Überwachung mit der Gefahr einer Aufzeichnung, späteren Auswertung, etwaigen Übermittlung und weiteren Verwendung durch andere Behörden kann schon im Vorfeld zu einer Befangenheit in der Kommunikation, zu Kommunikationsstörungen und zu Verhaltensanpassungen[…] führen." Die ehemalige Präsidentin des Bundesverfassungsgerichts, Frau Prof. Dr. Limbach, wird noch deutlicher: " Eine demokratische politische Kultur lebt von der Meinungsfreude und dem Engagement der Bürger. Das setzt Furchtlosigkeit voraus. Diese dürfte allmählich verloren gehen, wenn der Staat seine Bürger biometrisch vermisst, datenmäßig durchrastert und seine Lebensregungen elektronisch verfolgt."

Außerdem zeigt die Erfahrung, dass Zugriffsbeschränkungen mit der Zeit immer weiter aufgeweicht werden. Es finden sich immer mehr Behörden und immer mehr Fälle, in denen die Überwachungsmaßnahmen oder die gesammelten Daten nützlich sind. Schlussendlich wird die Überwachung oder Datenabfrage in allen Fällen erlaubt, in denen sie irgendwie einmal nützlich sein könnte.

Überwachung ist nur ein geringfügiger, kaum merklicher Eingriff.

Falsch. Überwachung kann einschneidende Folgen für Betroffene haben, bis hin zur Existenzvernichtung.

Auch wenn die Überwachung selbst nicht weh tut – ihre Folgen können es durchaus. Wenn Überwachungsergebnisse den Verdacht der Behörden erregen, kann dies zur Befragung von Nachbarn und Arbeitskollegen führen, zu einer Observation, zu Wohnungsdurchsuchungen oder zur Festnahme. Auch unberechtigte Aus- und Einreiseverweigerungen, Vermögensbeschlagnahmen, Grenzzurückweisungen wegen Namensverwechselungen bis hin zu Verschleppungen durch Geheimdienste und irrtümlichen Tötungen durch Polizei oder "Sky-Mashalls" sind Realität.

Überwachung stärkt das Sicherheitsgefühl der Bevölkerung.

Falsch. Symbolische Maßnahmen bilden kein Vertrauen.

Selbst wenn Überwachungsmaßnahmen kurzfristig populär sind, stärken sie das Sicherheitsgefühl letztlich nicht. Die Bürgerinnen und Bürger werden weiterhin spektakuläre Straftaten von den Medien präsentiert bekommen. Politischer Aktionismus ist auch kontraproduktiv, denn zur Durchsetzung neuer Gesetzesvorhaben werden Kriminalitätsängste meist geschürt. Um das Sicherheitsgefühl wirksam zu steigern, bieten sich andere Mittel an: Da das tatsächliche Ausmaß an Kriminalität verbreitet überschätzt wird, ist eine Aufklärung über das wahre Risiko sinnvoll. Auch bauliche Maßnahmen (z. B. bessere Beleuchtung) und ein besserer Kontakt zu Nachbarn und Polizei können hilfreich sein, um Kriminalitätsangst entgegenzuwirken.